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Beratung und Begleitung von Menschen mit geistiger Behinderung: Qualitative Ansprüche an ein neues Betreuungsverständnis

AutorMoritz Sturmberg
VerlagBachelor + Master Publishing
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl48 Seiten
ISBN9783863418083
FormatPDF
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis19,99 EUR
Mit dem Anspruch einer Hilfe zur Selbsthilfe wird der eher neuartige pädagogische Optimismus einer ressourcen- und kompetenzorientierten Sichtweise auf Menschen mit geistiger Behinderung fokussiert und die etablierten Denk- und Handlungsmuster der in der Behindertenhilfe professionell Tätigen wieder zunehmend kritisch hinterfragt. Die Begriffe des 'Förderns' oder 'Betreuens' suggerieren im Kontext von Gleichberechtigung, Selbstbestimmung und Teilhabe mittlerweile schnell ein Bild streng asymmetrischer Beziehungs- und Interaktionskonstellationen, den Gedanken des 'Formens' nach persönlichen und gesamtgesellschaftlichen Normen und Werten sowie den Anspruch des Behütens und Bewahrens vor der Gesellschaft und eigenen Fehlleistungen. Als Abgrenzung und Neuorientierung gegenüber den bisher gängigen Begriffsbezeichnungen bedient sich aktuellere Literatur in diesem Bewusstsein vermehrt der Begriffe 'Begleiter', 'Assistent' oder 'Berater'. Ziel ist es dabei auch, Menschen mit geistiger Behinderung wieder als Subjekt von Interaktionen zu positionieren, anstatt sie durch eine Überhandnahme pädagogischer Konzepte zu objektivieren: Der Mensch mit Behinderung ist Experte in eigener Sache. Durch die seit 2009 auch für Deutschland verbindliche UN Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderung wurde schließlich auch auf verfassungsrechtlicher Grundlage der Notwendigkeit Rechnung getragen, die Entscheidungsfreiheit für ihre persönliche Lebensgestaltung anzuerkennen und nachhaltig zu unterstützen. Es ergeben sich so für die Behindertenhilfe neue Aufgaben und Herausforderungen, die sich in den institutionellen Versorgungsstrukturen und etablierten Rollenverständnissen widerspiegeln.

Moritz Sturmberg wurde 1986 in Bergisch Gladbach geboren. Während des Studiums der Erziehungswissenschaft an der Universität zu Köln sammelte er praktische Erfahrungen in stationären Wohnhäusern der Lebenshilfe für Menschen mit geistiger Behinderung sowie

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Leseprobe
Textprobe: Kapitel 2, Die Verortung professioneller Beratung als pädagogisches Leitbild: 2.1, Beratung als sozialpädagogischer Handlungstyp: Rat zu suchen oder um Rat gebeten zu werden ist zunächst ein zeitloses Phänomen des alltäglichen Lebens. Durch das Angebot emotionaler Zuwendung und praktischer Hilfe sowie dem Glauben an Kompetenz und Vertrauenswürdigkeit des Gegenübers, nimmt die sogenannte 'Laienberatung' (informelle Beratung) unter sich kennenden Personen einer Lebenswelt eine wichtige soziale Rolle für die Bewältigung situativer Probleme und Entscheidungsfragen ein. Im Kontext 'natürlicher Hilfe' und 'sozialer Unterstützung' wird den informellen sozialen Netzwerken der größte Anteil an der Bewältigung von Problemen, Fragen, Anliegen und Krisen zugerechnet. Dass außerhalb definierter beruflicher Zuständigkeiten bereits die meisten Probleme, ob beruflicher, gesundheitlicher, praktischer, psychischer oder anderer Art, entschärft werden können, ist durch zahlreiche empirische Untersuchungen belegt (vgl. Sickendiek et al., 2008, S.22). Nicht selten hat der Ratschlag des Anderen allerdings vornehmlich belehrenden Charakter. Handlungswege werden bisweilen aufgedrängt, es wird ermahnt und das Verhalten analysiert. Die Gefahr der Versuchung des Belehrens ist häufig auch bei Lehrern, Erziehern oder anderen im Sozial- und Gesundheitsbereich Tätigen beobachtbar. Das 'Lehren' und der 'Wissensvorsprung' als berufliches Markenzeichen erscheinen hierbei mehr oder weniger bewusst als Legitimation (vgl. Bachmair et al., 2007, S.18). Beratung als weitverbreitete und vielfältige Hilfeform wird als 'eine der zentralen professionellen Handlungsorientierungen und eine der wichtigsten Methoden sozialer, sozialpädagogischer und psychosozialer Arbeit' betrachtet (Sickendiek et al., 2008, S.13). Beratung kann einerseits als eigenständige Methode aufgefasst werden, die extern in Beratungsstellen und -sprechstunden oder in Form eines aufsuchenden Angebots praktiziert wird, sowie andererseits als 'Querschnittsmethode' verstanden werden, die sich neben der Alltagsbegleitung und praktischen Hilfe Beratung als wichtige Kommunikationsform zwischen Helfer und Klient zum Anliegen macht. Beratung im psychologisch- pädagogischen Sinn geht über die reine Vermittlung von Informationen hinaus (vgl. u.a. Nußbeck, 2006, S.19). Die (sozial-) pädagogische Bedeutung der Beratung liegt nach Mollenhauer (1964) darin, 'dass sie kritische Aufklärung sein kann. Das Gespräch schafft Distanz, es ermöglicht, das Besprochene objektivierend zu betrachten, es ermöglicht ein rationales Verhalten zu sich selbst und zu den Bedingungen der eigenen Existenz' (zit. n. Sickendiek et al., 2008, S.18). Beratung meint somit eine offene Kommunikation und ist von Erziehung abzugrenzen, sie duldet das 'Nein des Ratsuchenden' zugunsten eines Bildungsgewinns (ebd.) bewegt sich jedoch 'zwischen den Polen einer gezielten Beeinflussung und direkten Lenkung einerseits und einer Selbststeuerung und Hilfe zur Selbsthilfe andererseits' (Mutzeck, 2008, S.14). Spiess (2000) betont die zweigeteilte Sichtweise von Beratung sowohl als zeitlich und räumlich getrennte Aktivität zur Koordination und Ergänzung von Erziehung, Unterricht und Therapie als auch als zeitliche und räumliche 'Verquickung' mit selbigen (ebd. S.12). In Annäherung an dieses pädagogische Verständnis kann Beratung mit Schwarzer und Posse (1986) auch definiert werden als 'eine freiwillige, kurzfristige, oft nur situative, soziale Interaktion zwischen Ratsuchenden und dem Berater mit dem Ziel, im Beratungsprozess eine Entscheidungshilfe zur Bewältigung eines vom Klienten vorgegebenen aktuellen Problems durch Vermittlung von Informationen und/oder Einüben von Fertigkeiten gemeinsam zu erarbeiten' (zit. n. Nußbeck, 2006, S.20). Die 'spontan' und 'zwischendurch' in das pädagogische Handeln integrierten Beratungsanlässe können als Chance und wichtiger Bestandteil eines Auftrags verstanden werden, dem sich der einzelne Berater durch das Weiterverweisen an Beratungsinstitutionen nicht ohne weiteres vorschnell entziehen möchte (Sickendiek et al., 2008, S.19). Eine umfassende Definition von Beratung ist letztlich kaum zu formulieren (vgl. u.a. Schlee, 2008, S.18). Schwerpunkt und Perspektive ergeben sich vornehmlich disziplinspezifisch aus Psychologie, Sozialarbeit, (Sozial-) Pädagogik und psychosozialer Arbeit. Jedoch können grundlegende Übereinstimmungen gefunden werden, wenn oftmals die Förderung von Selbst- und Situationserkenntnis sowie die Eröffnung und Aktivierung von Kompetenzen und Ressourcen seitens der Klienten betont wird. Auch die Freiwilligkeit der Teilnahme wird einstimmig als notwendige Voraussetzung für Beratung hervorgehoben, was viele pädagogische Interaktionsmuster und Handlungsstrategien in der Arbeit mit der Zielgruppe 'Menschen mit geistiger Behinderung' fragwürdig erscheinen lassen kann. 'Beratung' wird mit gleicher Zielrichtung auch als 'Begleitung' verstanden (vgl. Spiess, 1998, S.12). Die Verwendung dieser Begriffe sollte im Folgenden also in ähnlicher Absicht erfolgen können. Die Verwendung des Begriffs 'Begleiter' ist zwar nicht unumstritten, muss aber, gerade in Bezug auf die teilweise schwerwiegenden Behinderungsgrade der Zielgruppe und der damit zusammenhängenden Probleme für ein Beratungsverständnis, häufig als tatsachenorientierter angesehen werden. 2.2, Grundüberlegungen des klientenzentrierten Ansatzes nach Rogers: Das klientenzentrierte Konzept geht auf den amerikanischen Psychologen Carl R. Rogers (1902 - 1987) zurück, der diesen Ansatz ab 1942 in den USA entwickelte. Unter anderem die Schriften von Martin Buber zur Begegnung und Beziehung vom 'Ich und Du' und Otto Rank, der als einer der ersten den Beziehungsaspekt in der psychotherapeutischen Begegnung hervorhob, beeinflussten Rogers maßgeblich. Die entscheidende Frage, welche Bedingungen dazu führen, dass eine Person von sich aus über ihr Erleben spricht, sich dabei besser verstehen lernt und schließlich zu Einstellungs- und Verhaltensänderungen gelangt, stand für Rogers im Zentrum der Überlegungen (vgl. Weinberger, 2006, S.20f). Mit dem klientenzentrierten Ansatz (später auch personenzentrierter Ansatz) zählt Rogers zu den Begründern der Humanistischen Psychologie. Als 'Dritte Kraft' neben Psychoanalyse und Behaviourismus wird von dem jedem Menschen innewohnenden Bedürfnis nach konstruktiver Veränderung und Selbstverwirklichung ausgegangen. Der Mensch wird in seiner Einzigartigkeit betrachtet und besitzt die Fähigkeit des Wählens und Entscheidens. Im Gegensatz zu den klassisch - psychoanalytischen Ansprüchen einer Entschlüsselung und Deutung bewusstgewordener Inhalte von unbewussten Lebenserfahrungen, legt die klientenzentrierte Psychotherapie Wert auf die Annahme, 'dass dem Menschen sein Erleben grundsätzlich zugänglich sei' (ebd.) und dass dem Bewusstwerden von Inhalten durch den Patienten Vertrauen geschenkt werden müsse. Innerhalb der Beziehung zwischen Klient und Therapeut wird der Aspekt der 'Übertragung' als therapeutisches Kernstück von der klientenzentrierten Psychotherapie abgelehnt. Sie sieht dadurch den menschlichen Aspekt im realen Zusammentreffen der therapeutischen Situation verleugnet. So steht nicht das Problem des Klienten im Vordergrund der Therapie, sondern das Individuum, das durch das spezielle non - direktive Beziehungsangebot Möglichkeiten zu Einstellungs- und Verhaltensänderungen entwickeln kann. Rogers formulierte drei notwendige Bedingungen für die 'psychologisch relevante Veränderung des Selbstkonzepts einer Person'.
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