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E-Book

Besitzlose Liebe

Der poetische Briefwechsel

AutorErika Mitterer, Rainer Maria Rilke
VerlagInsel Verlag
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl592 Seiten
ISBN9783458758167
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis32,99 EUR

Als er den ersten Brief der 18-jährigen, ihm unbekannten Erika Mitterer in Händen hält, fühlt sich Rilke unmittelbar angesprochen. Rasch entsteht zwischen der jungen Enthusiastin und dem bereits berühmten Dichter ein poetischer Briefwechsel, zeitweise in atemloser Folge. Ein erotischer Pas de deux auf Distanz realisiert sich in Grenzüberschreitungen zwischen Leben und Fiktion ebenso wie in der Auseinandersetzung mit Krankheit und Tod. Auf dem Höhepunkt kreist der Liebesaustausch um das Besitzen, ohne doch dahin zu gelangen. Das einzige Zusammentreffen der Briefpartner, ein Jahr vor Rilkes Tod, markiert das nahende Ende eines Gesprächs, das den Rang eines gemeinsamen Meisterwerks erreicht.

Die neue Edition bietet erstmals mit erschließendem Kommentar den Rilke-Mitterer-Briefwechsel in ungekürzter Form und, chronologisch geordnet, mit allen Texten, die dem ?Umkreis? der Dichtung zugehören. Knapp 100 Jahre nach seiner Entstehung kann dieser briefliche Dialog nun endlich als Gesamtwerk und als Juwel inmitten der ungemeinen Fülle von Rilkes Briefwechseln betrachtet werden.



<p>Rainer Maria Rilke wurde am 4. Dezember 1875 in Prag geboren. Nach dem Abbruch der Militärschule studierte er Literatur, Kunstgeschichte und Philosophie in Prag, München und Berlin und schrieb Gedichte. Nach einer Liaison mit der verheirateten Lou Andreas-Salomé und heiratete er 1901 Clara Westhoff, die Scheidung folgte schon im folgenden Jahr. Aus Geldnot nahm Rilke Auftragsarbeiten an und reiste 1902 nach Paris, wo das Gedicht<em> Der Panther</em> entstand. Rilke unternahm Reisen nach Nordafrika, Ägypten und Spanien. Rilkes Tagebuchroman <em>Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge</em> wurde 1910 veröffentlicht. 1919 siedelte er in die Schweiz über. In den 1920er Jahren erkrankte er an Leukämie und verstarb schließlich am 29. Dezember 1926 im Sanatorium Valmont bei Montreux in der Schweiz. </p> <p>Rainer Maria Rilke ist einer der bedeutendsten Lyriker deutscher Sprache. Seit dem Jahr 1900 ist er Autor des Insel Verlages, sein Werk wird hier geschlossen betreut.</p>

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Leseprobe

1. Erika Mitterer, »An Rainer Maria Rilke (Es war ein warmer Tag)«, 30. ‌4. ‌1921

 

 

An Rainer Maria Rilke

Es war ein warmer Tag; in einem Garten

Saß ich, zwischen den weißen Orchideen

Es war in mir ein sehnendes Erwarten

Als sollt' am selben Tag ich Wunder sehn.

Und bald erklangen Worte, glockenreine,

So fremd und meiner Seele doch bekannt;

Es war, als riefe aus den Worten eine

Die größer sei, doch irgendwie verwandt.

Was war es? Eine wundervolle Weise

Von Liebe und vom Tode; Melodien

Die nie ich noch gehört; so sacht und leise

Und doch so männlich stark und göttlich kühn.

Nimm' heut' meine Begeistrung; zwar ich sende

Dir nur banale Worte; doch fürwahr

Sie loht in mir; es zittern meine Hände —

Ich schreib dem Dichter, der so wunderbar . ‌. ‌.

 

 

2. Erika Mitterer, »Einem Dichter (Rilke)« und Briefgedichtentwurf, Frühjahr 1922

 

 

Einem Dichter (Rilke)

Verschwiegnen Klanges einen Bronnen tief

Hast aus dem Meer der Schönheit du gerettet

Du, nach dem lange Gottes Stimme rief

Hast Licht an Nacht und Nacht an Licht gekettet

Was andre säten und was niemals sie

Geerntet haben, weil sie müde waren —

Du hattest Zeit und du versagtest nie

Und hast des Erntens schwere Lust erfahren

Die Früchte reifen nun in unserm Schoße

In den du, uns vertrauend sie gesenkt . ‌. ‌. ‌.

– — — Und wir begreifen jetzt die übergroße

Tiefheilge Liebe, die uns Gott geschenkt.

 

 

3. Erika Mitterer, »Rilke (Wohl, das ergreift dich)«, 4. ‌12. ‌1922

 

 

Rilke.

Wohl, das ergreift dich: dies aus Trümmern sprießen

Von schweren Blumen, die kein Wind berührt.

Und du erschauerst ahnend, weil man spürt:

Zuerst gestorben um dann zu genießen.

 

 

4. Erika Mitterer, »Das Buch der Bilder (Rilke)«, zwischen dem 21. ‌1. und 21. ‌2. ‌1923

 

 

Das Buch der Bilder (Rilke)

Von irgendwo aus dämmernden Gründen

Blickt einer her mit kristallenem Blick.

Ich bin ganz eingeengt in mein Sein —

Und doch: in diesem Augenblick münden

Unzählige Schicksale, Leid und Glück

Und Fremder Gefühle in mich ein.

Sieh, alles dies kommt irgendwoher

Und geht alles irgendwo hin.

Und dein Leben ist wie das Jener so schwer

Und ebenso dunkel sein Sinn

Und du stehst wie vor einem Wald:

Seine Tiefen sind unerhört reich;

Doch seine dunklen Gründe sind kalt —

Und die Farben der Wiesen sind weich.

Vielleicht gehst du hinein; und dann

Ist alles ohnegleichen.

Vielleicht kamst du auch nie heran —

Und doch: was je dein Leben sann,

Das stand in seinem Zeichen.

 

 

5. Erika Mitterer, Briefentwurf an Rainer Maria Rilke, am oder kurz vor dem 14. ‌2. ‌1924

 

 

Oft habe ich nur den einen Wunsch: wenn Sie nur ganz Vergangenheit wären. Sehr vergangen, so daß alles Äußerliche und Wirkliche nicht mehr da ist, außer in seinen inneren Beziehungen. Der Dichter müßte zeitlos sein. Es müßte ausgeschlossen sein, daß man liest — er vertrat sich letzten Dienstag den Fuß. Oder er heiratete die Tochter des Herrn Soundso.

Sie waren bis jetzt zeitlos für mich, weil ich nichts von Ihnen wußte — als daß Sie leben . ‌. ‌. und das, was Sie selbst sagen. Deshalb versetzte es mich in namenlose Bestürzung, in einem Buch Ihren Namen zu lesen . ‌. ‌. irgendwie, ganz alltäglich und vertraulich. Berge traten zwischen uns mit ein paar Worten. Grenzenloses Entferntsein durch ein bißchen alltägliches Näher-sein anderer.

Der aus wunderbaren Traumländern Ausgeschlossene hat nicht die Kraft, seine Phantasie vor dem Schwelgen in jenseitigen Vorstellungen zu behüten. Ich las weiter — meine Spannung wuchs. Ich ertrage es nicht — ohne den Versuch die Berge zu verdrängen. Mir kam es zum erstenmal klar zum Bewußtsein — Sie leben. Und ich mußte alles daransetzen, um ein — Ich lebe von Ihnen zu erreichen.

Verstehen Sie — versuchen Sie zu verstehen. Verstehen Sie, daß es Verrat ist, daß es Dinge gibt, die für Einen »Kunst« sind, im Sinne irgend etwas Schönen, Freudigen, Erhebenden. Und für den Andern Leben, Impuls, Religion — Ich.

Ich weiß nicht, was ich von Ihnen will. Irgendetwas, was keiner kaufen kann um ein paar tausend Kronen. Auch nicht, um es nur von außen, ganz außen zu betrachten. Etwas ganz Unverkäufliches. Wenn Sie lächeln, ist das schon mehr, als wenn tausend sich rühmen können, Sie gesehn zu haben.

Und ärgern wirst Du Dich nicht. Du hast viel, und die ganze Welt. Aber es darf kein Gott, der allmächtig ist, eine Seele belächeln, die nichts will, als Vater sagen dürfen — statt Herr. Denn sie ist seine Jugend, die er verstößt und seiner Güte bestes Gut.

Erika Mitterer

Wien I. Hegelgasse 7.

 

 

6. Erika Mitterer, Tagebucheintrag, 14. ‌2. ‌1924

 

 

14. ‌II.

Endlich wieder ich vor mir selbst. Und ziemlich erregt. In den letzten Wochen schlief und wachte ich mit Rilkes Fürstenkind — mit und ohne Moissiaufführung. Und nun kam mir ein Buch in die Hände — Briefe Paula Becker-Modersohns, in denen Rilke oft, aber nebensächlich vorkommt. Es hat mich sehr erregt; es kommt immer wieder etwas, was mich beunruhigt. Jetzt wurde es mir klar, daß er lebt — lebt, und nicht nur in Gedichten. Und dann zu lesen: Gestern Rainer Maria Rilke — ein feiner Lyriker . ‌. ‌. Oder: Gestern machten Rilkes Gegenbesuch. Oder in einem Brief an Clara Westhoff: Ja lieber Rainer Maria Rilke ich hetzte gegen Sie und Ihre bunten Siegel, die Sie nicht nur auf Ihre feingeschriebenen Briefe drücken . ‌. ‌. ‌.

Die Widmung des Fürstenkindes entdeckte ich erst jetzt.

Ich schrieb einen Brief . ‌. ‌.

Sonst ist es sehr schön auf der Welt. Jeden Tag eine kleine Überwindung und ein reicher werden dadurch — wie beim Skifahren.

Melitta ist sehr lieb. Sie weiß jetzt, wie gern ich sie habe und tut mir viel zulieb. Gestern als ich nach Tisch schlief und dann erwachte, war sie bei mir. Ich habe es fast lieber, wenn sie so zu mir kommt, um mich zu erfreuen, als wenn sie um ihretwillen kommt und meinetwillen. Ich glaube noch immer, sie überschätzt mich oder schätzt mich falsch. So bin ich so ruhig und geborgen.

Das Handeln fällt mir schon leichter. Aber es ist immer noch: Und Lebens — Liebe — Wonnetrunkne Lieder — Und ein Nirwanatraum, sehr süß, zuletzt.

Ich habe Rilke geschrieben, daß ein allmächtiger Gott, der eine Seele verstößt, die Vater sagen möchte, statt Herr seine Jugend verrät und seiner Güte höchstes Gut.

Wenn ich nur die Adresse hätte . ‌. ‌. ‌. ich bin im Stand und schreibe nichts als: Rilke, Prag.

 

 

7. Erika Mitterer, Brief an Rainer Maria Rilke, Wien, 25. ‌5. ‌1924

 

 

»Einzig das Lied überm Land

heiligt und feiert.«

Sieh: das Buch fällt schon auf! Oh du großer Erlöster!

Durchs Leben Erlöster — dir kann nichts geschehn.

Hinter dir schlossen sich dunkelnde Klöster —

Stießen hinaus dich in blühn'de Alleen.

Haben wir Maße für unsere Freude?

– Alles, was froh ist, ist ganz. Doch es wird

Wie ein in sich schon bewegtes Getreide

...
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