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Bewegte Dinge, bewegende Dinge. Der 'Parzival' Wolframs von Eschenbach als Geschichte von Gegenständen

AutorChristian Schartz
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl86 Seiten
ISBN9783668025882
FormatePUB/PDF
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis31,99 EUR
Masterarbeit aus dem Jahr 2014 im Fachbereich Germanistik - Ältere Deutsche Literatur, Mediävistik, Note: 1,3, Eberhard-Karls-Universität Tübingen, Sprache: Deutsch, Abstract: 'er saget im gar die underscheit, wier von sîner muoter reit, umbez vingerl unde umbz fürspan, und wie erz harnasch gewan.' So lautet die Antwort im Parzival Wolframs von Eschenbach, als Gurnemanz Parzival mit den Worten 'hêrre, iu sol niht wesen leit, ob ich iuch vrâge mære, wannen iwer reise wære' auf seine Erlebnisse anspricht. Gleich drei Dinge finden in Parzivals Bericht Erwähnung: 'vingerl', 'fürspan' und 'harnasch'. Ein viertes Ding - wobei noch zu klären ist, ob Pferde und Tiere im Allgemeinen zu den Dingen gezählt werden können - wird mit 'reit' angedeutet. Der Ausdruck des ersten zitierten Verses 'die unterscheit sagen' kann unterschiedlich übersetzt werden. Das Mittelhochdeutsche Taschenwörterbuch Lexers, dessen Übersetzungsvorschläge allerdings nicht die letzte Gültigkeit für sich beanspruchen können, schlägt 'genau berichten' vor. 'underscheit' kann aber auch noch mit dem naheliegenden 'Unterschied' übersetzt werden. Wenn vom Unterschied zwischen den einzelnen Stationen berichtet wird, dann kommt es dem Berichtenden besonders auf die einzelnen Punkte an. Es wird also nicht nur 'genau berichtet', sondern, wie Dieter Kühn es übersetzt, 'Punkt für Punkt'. Die wichtigen Punkte von Parzivals Reise sind demnach die Dinge selbst. Parzival erzählt seine Geschichte also als eine Geschichte von Dingen. Die drei Dinge 'vingerl', 'fürspan' und 'harnasch' aus Parzivals Bericht haben zudem eines gemeinsam: Sie stellen Dinge dar, die zirkulieren oder transferiert werden, in jedem Fall aber werden sie bewegt. 'vingerl' und 'fürspan' stammen von Jeschute und beginnen ihre Reise mit der Erbeutung durch Parzival. Das 'harnasch' und das Pferd erbeutet er durch die Tötung Ithers. Die Modi, in denen Dinge zirkulieren und transferiert werden, sind vielfältig und beschränken sich nicht nur auf die Beute. Welche Modi es sind und welche Rollen Dinge einnehmen können, soll geklärt werden, nachdem der Begriff des 'Dinges' in einer Begriffsbestimmung aufgedeckt worden ist.

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Leseprobe

1. Einleitung: Einige Grundgedanken


 

er saget im gar die underscheit,

 

wier von sîner muoter reit,

 

umbez vingerl unde umbz fürspan,

 

und wie erz harnasch gewan.[1]

 

So lautet die Antwort im Parzival Wolframs von Eschenbach, als Gurnemanz Parzival mit den Worten hêrre, iu sol niht wesen leit, ob ich iuch vrâge mære, wannen iwer reise wære[2] auf seine Erlebnisse anspricht. Gleich drei Dinge finden in Parzivals Bericht Erwähnung: vingerl, fürspan und harnasch. Ein viertes Ding – wobei noch zu klären ist, ob Pferde und Tiere im Allgemeinen zu den Dingen gezählt werden können – wird mit reit angedeutet.

 

Der Ausdruck des ersten zitierten Verses die unterscheit sagen kann unterschiedlich übersetzt werden. Das Mittelhochdeutsche Taschenwörterbuch Lexers, dessen Übersetzungsvorschläge allerdings nicht die letzte Gültigkeit für sich beanspruchen können[3], schlägt ‚genau berichten‘[4] vor. underscheit kann aber auch noch mit dem naheliegenden ‚Unterschied‘ übersetzt werden. Wenn vom Unterschied zwischen den einzelnen Stationen berichtet wird, dann kommt es dem Berichtenden besonders auf die einzelnen Punkte an. Es wird also nicht nur ‚genau berichtet‘, sondern, wie Dieter Kühn es übersetzt, ‚Punkt für Punkt‘. Die wichtigen Punkte von Parzivals Reise sind demnach die Dinge selbst. Parzival erzählt seine Geschichte also als eine Geschichte von Dingen.

 

Die drei Dinge vingerl, fürspan und harnasch aus Parzivals Bericht haben zudem eines gemeinsam: Sie stellen Dinge dar, die zirkulieren oder transferiert werden, in jedem Fall aber werden sie bewegt. vingerl und fürspan stammen von Jeschute und beginnen ihre Reise mit der Erbeutung durch Parzival. Das harnasch und das Pferd erbeutet er durch die Tötung Ithers. Die Modi, in denen Dinge zirkulieren und transferiert werden, sind vielfältig und beschränken sich nicht nur auf die Beute. Welche Modi es sind und welche Rollen Dinge einnehmen können, soll geklärt werden, nachdem der Begriff des „Dinges“ in einer Begriffsbestimmung aufgedeckt worden ist.

 

1.1. Begriffsbestimmung: Was ein Ding ist


 

Um sich mit den Dingen in der Literatur auseinanderzusetzen, muss zunächst geklärt werden, was ein Ding ist. Der Duden schreibt:

 

[mhd. dinc, ahd. thing, eigtl. = (Gerichts)versammlung der freien Männer, dann = Rechtssache, Rechtshandlung; wahrsch. zu dehnen u. urspr. entw. = Zusammenziehung (von Menschen) od. = (mit einem Flechtwerk) eingefriedeter Platz (für Versammlungen); […] ] 1. a) nicht näher bezeichneter Gegenstand, nicht näher bezeichnete Sache […] b) (ugs.) etwas, was jmd. (in abschätziger Redeweise od. weil er die genaue Bezeichnung dafür nicht kennt od. nicht gebrauchen will) nicht mit seinem Namen nennt […] c) (Philos.) etw., was in einer bestimmten Form, Erscheinung, auf bestimmte Art u. Weise existiert u. als solches Gegenstand der Wahrnehmung, Erkenntnis ist […] 2. a) Vorgang, Ereignis […] b) Angelegenheit; Sache […][5]

 

Relevant sind dabei besonders die Punkte 1. a) und c) sowie 2. b). Die umgangssprachliche Verwendung ist zu vernachlässigen. Punkt 1. a) lässt erahnen, dass „Ding“ ein unscharfer Begriff ist, der je nach Schwerpunkt unterschiedlich definiert werden kann. Hier setzt die Philosophie an und versucht unter anderem das „Ding an sich“ zu erkennen und zu definieren.

 

Um dem Ding-Begriff habhaft zu werden, ist die etymologische Ableitung nicht unwichtig, auch wenn das etwa für Jacques Lacans Zwecke in Die Ethik der Psychoanalyse eine untergeordnete Rolle spielt[6]. Immerhin können im Bedeutungswandel Strukturveränderungen und -konservierungen aufgedeckt werden. Gerade letztere sind für die Arbeit mit dem jeweiligen Begriff nützlich. Zunächst soll in dieser Hinsicht geklärt werden, wie die Verwandtschaft des Ding-Begriffs zum Recht einzustufen ist, denn in dieser Disziplin hat er seinen Bedeutungswandel erfahren. Anschließend werden zentrale philosophische Auseinandersetzungen mit dem Ding behandelt, um den Begriff weiter einzugrenzen.

 

1.1.1. Das Ding im Recht


 

In der Sprache des Rechts wird zwar von „dinglichem Recht“ gesprochen, nicht jedoch von „Ding“[7]. Lediglich „Sache“ und „Gegenstand“ sind Begriffe des Rechts, wie auch Günther Grasmann ausführt:

 

Sachen im Rechtssinne sind nur körperliche Gegenstände, §90 BGB. Sachen fallen unter den Oberbegriff „Gegenstand“. Ob ein Gegenstand als körperlich und damit als Sache anzusehen ist, richtet sich nach der Verkehrsanschauung. Körperliche Gegenstände können feste, flüssige oder gasförmige Stoffe sein. Eine Sache im Rechtssinne muß aber wenigstens künstlich räumlich abgegrenzt sein. […] Zusammengesetzte körperliche Gegenstände, die aus mehreren Sachteilen (Bestandteilen) bestehen, bilden eine einheitliche Sache.[8]

 

Während im alltäglichen Sprachgebrauch die Begriffe „Ding“, „Sache“ und „Gegentand“ kaum zu unterscheiden sind[9], unterscheidet das Recht durchaus. Da diese Arbeit sich auf die beweglichen Dinge konzentriert, soll sich im Folgenden nur mit ebensolchen auseinandergesetzt werden. So unterscheidet das BGB heute

 

die Regelungen für bewegliche Sachen (Fahrnis, Fahrnisrecht) und die für Grundstücke (Liegenschaftsrecht) und regelt die Möglichkeiten, solche Rechte zu begründen, zu übertragen, zu belasten, sowie vom Nichtberechtigten zu erwerben[…][10].

 

Dabei wird der Begriff „bewegliche Sache“ „als bekannt vorausgesetzt und nirgends im Gesetz definiert. Als bewegliche Sachen gelten alle Sachen, die nicht Grundstücke oder wesentliche Bestandteile von Grundstücken sind“[11].

 

Dem Handbuch der deutschen Rechtsgeschichte ist zu entnehmen, dass es die Unterscheidung in bewegliche und unbewegliche Sachen bereits im mittelalterlichen Rechtssystem gab:

 

Auch das deutsche mittelalterliche Recht hat sich im wesentlichen der natürlichen Ordnung angeschlossen. Als F[ahrnis]. galten daher Sachen, die ohne Veränderung ihres Wesens von Ort zu Ort bewegt werden können. Schön bringt dies der Schwsp. [=Schwabenspiegel] zum Ausdruck (168a): waz varende gut heizet, daz suln wir iu sagen. Golt, silber und edel gesteine, vie, ros und allez, daz man triben und tragen mag. Oder allgemein gefaßt: zur F. zählen Tiere und (in älterer Zeit) Unfreie und alle nicht fest mit dem Boden verbundenen leblosen Sachkörper.[12]

 

Zusätzlich, so führt Niehaus aus, „gibt es seit dem Römischen Recht die Unterscheidung zwischen Besitz und Eigentum“[13]. Und weiter: „Wer eine Sache in Händen hat, ist damit natürlich noch nicht ihr rechtmäßiger Eigentümer.“[14] Wenn ich etwas in Händen halte, gelte ich als Besitzer dieses Gegenstandes. Der Eigentümer hingegen kann eine andere Person sein. Es wird also zwischen einem „möglicherweise unrechtmäßigen Besitzer und dem rechtmäßigen Eigentümer“[15] unterschieden.

 

Die Beziehung des Begriffs „Ding“ mit dem Recht findet sich auf etymologischer Ebene wieder. Das Wort ist wohl auf das germanische Þenga zurückzuführen, wo es „Übereinkommen, Versammlung, Thing“ bedeutete[16]. Das Kluge – Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache geht von einer Bedeutungsverschiebung aus, bei der zunächst „das, was auf dem Thing verhandelt wird, Gerichtssache“[17] gemeint ist. Es habe schließlich eine starke Bedeutungsverallgemeinerung gefolgt, die vergleichbar mit jener von „Sache“ sei und letztendlich zur Gleichsetzung mit der Bedeutung von „Gegenstand“ geführt habe[18].

 

Zur Gleichsetzung der drei Begriffe „Sache“, „Gegenstand“ und „Ding“ hat es aber nicht in allen Hinsichten geführt. Sie werden nur teilweise synonymisch verwendet. Einzelne Aspekte der Begriffe lassen sich voneinander trennen. Einen ersten Ansatz liefert Michael Niehaus in Das Buch der wandernden Dinge, wenn er schreibt:

 

Das Ding verwandelt sich, wenn es zu jemandes Eigentum wird, nicht vollständig in eine Sache. Das Ding ist stets mehr als die Sache, und in der Sache bleibt das Ding irgendwie enthalten.[19]

 

Niehaus weist hier auf ein Problem hin, mit dem der Psychoanalytiker Jacques Lacan sich bereits befasst hat. Es ist ein Problem, das der deutschen Sprache eigen ist. So sagt Lacan zum Unterschied zwischen „Sache“ und „Ding“ in der Niederschrift seines Seminars von 1959/60:

 

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