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E-Book

Bewegungsförderung in der inklusiven Kita

AutorNicola Böcker-Giannini, Ulrike Diehl, Wolfgang Beudels
VerlagERNST REINHARDT VERLAG
Erscheinungsjahr2019
Seitenanzahl176 Seiten
ISBN9783497611775
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis21,99 EUR
Bewegung ist ein Grundbedürfnis aller Kinder. Sie steht in engem Zusammenhang mit der kognitiven, emotionalen und sozialen Entwicklung und stellt einen wichtigen Bildungsbereich in der inklusiven Kita dar. Die Autoren zeigen in diesem Buch, wie inklusive Bewegungsangebote für Kinder von drei bis sechs Jahren gestaltet werden können. Der umfangreiche Spieleteil ist in zentrale Kategorien unterteilt, wie z. B. Bewegungskompetenz, Achtsamkeit und Respekt, Lernen und Wissen, Selbst- und Fremdvertrauen, Kooperation und Kommunikation. Neben zahlreichen Spielvarianten erhalten Fachkräfte Hinweise, wie die Spiele und Übungen für Kinder mit Beeinträchtigungen angepasst werden können.

Prof. Dr. Wolfgang Beudels leitet den Studiengang 'Pädagogik der Frühen Kindheit' am Fachbereich Sozialwissenschaften der Hochschule Koblenz.Ulrike Diehl, Sonderpädagogin, Fachwirtin und Systemische Beraterin, leitet 'Das Fortbildungszentrum Köln / Kalk' und ist u. a. Lehrbeauftragte an der Hochschule Koblenz zum Schwerpunkt Inklusion. Dr. Nicola Böcker-Giannini, Dipl. Sportlehrerin, Psychomotorikerin, Trainerin und Beraterin für Kita, Hort und Grundschule, arbeitet als freie Dozentin mit den Schwerpunkten Raumgestaltung und psychomotorische Entwicklungsbegleitung in Berlin.

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Leseprobe

2  Bewegung und Bewegungserziehung in der inklusiven Kita

Inklusion als Leitziel in und für Einrichtungen der Pädagogik der frühen Kindheit stellt sich der Aufgabe, Bildungsgerechtigkeit für alle Kinder anzubahnen. Das allgemeine Recht auf Bildung, Teilhabe und Schutz vor Diskriminierung begründete bereits die UN-Kinderrechtskonvention aus dem Jahr 1989.

Für eine qualitativ gute inklusive Praxis müssen Bildungssysteme neben den im Kapitel zuvor beschriebenen institutionellen und personellen Rahmenbedingungen auch auf der konkreten Fachebene, d.h. in der Arbeit mit dem Kind, neue Impulse setzen. Dazu sind die auf Länderebene in den jeweiligen Bildungsprogrammen formulierten Standards zu berücksichtigen, die der individuellen und gesellschaftlichen Bedeutung frühkindlicher Bildungsprozesse gerecht werden. Bildungsprozesse sind dann erfolgreich, wenn ein Kind selbsttätig und eigenaktiv vielfältige Erfahrungen sammeln kann.

„Das Bewusstsein für die angeborene Neugierde und Erkundungsbereitschaft sowie das Wissen über die Stärken und Bedürfnisse des Kindes sind wichtige Ausgangspunkte für die Begleitung und Förderung gelingender und ganzheitlich angelegter frühkindlicher Bildungsprozesse“ (NRW Bildungsgrundsätze 2016, 17).

2.1   Der Bildungsbereich Bewegung im Kontext der anderen Bildungsbereiche

Jedes Bundesland schafft mit seinem jeweiligen Bildungsplan einen Orientierungsrahmen, auf dessen Basis Kindertageseinrichtungen unter Einbezug der Vorgaben ihres Trägers individuelle Einrichtungskonzeptionen erstellen können. Zu den Bildungsbereichen, die in allen Bildungsplänen berücksichtigt werden, gehören:

  Sprache, Schrift, Kommunikation

  Personale und soziale Entwicklung, Werteerziehung/religiöse Bildung

  Mathematik, Naturwissenschaft, (Informations-) Technik

  Musische Bildung/Umgang mit Medien

  Körper, Bewegung, Gesundheit

  Natur und kulturelle Umwelten

„Bewegung ist [nicht nur, Erg.d. Verf.] eine elementare Form des Denkens“ (Piaget, zit.n. NRW Bildungsgrundsätze 2016, 78), sondern auch ein natürliches Grundbedürfnis aller Kinder und steht in untrennbarem Zusammenhang mit der kognitiven, emotionalen und sozialen Entwicklung. Als „Bildungsbereich“ ist Bewegung grundlegend für alle anderen Bereiche. „So werden zum Beispiel die Sprachentwicklung und das mathematische Grundverständnis durch das Ermöglichen vielfältiger Bewegungserfahrungen positiv unterstützt“ (NRW Bildungsgrundsätze 2016, 78).

2.2   Bedeutungsdimensionen von Bewegung unter inklusiver Perspektive

Bewegung kann im Kontext inklusiver Bildung, Erziehung, Förderung und Betreuung aus vielerlei Gründen als ein bedeutsames Thema angesehen werden. Bewegung ist sowohl Lern- bzw. Bildungsgegenstand für alle Kinder („Sich bewegen lernen“) als auch Medium der Bildung („Durch Bewegung lernen“).

Die Bewegungserziehung in Kindertagesstätten knüpft an das natürliche Bewegungsbedürfnis aller Kinder an und eröffnet gerade unter einer inklusiven Perspektive ein breites Erfahrungsfeld. Es werden dabei nicht nur basale Bewegungskompetenzen erworben bzw. erweitert. Im gemeinsamen Spielen und Bewegen werden ebenso Gemeinsamkeiten und Unterschiede entdeckt und Vielfalt erlebt. Im spielerischen Bewegen und im bewegten Spiel ist es oft ganz einfach, sich auf die „Eigenartigkeiten“ und das „Anders-Sein“ der Spielpartner einzustellen, diese zu respektieren und damit kreativ umzugehen. Vor allem in komplexen Situationen ergibt sich immer wieder die Notwendigkeit, miteinander zu kommunizieren und zu kooperieren. Somit steigen die Chancen, dass durch gegenseitige Unterstützung und Verständigung Herausforderungen trotz unterschiedlicher individueller Voraussetzungen in der Gruppe erfolgreich bewältigt werden. Vielleicht bilden die gemeinsamen Erlebnisse sogar Ausgangspunkte für dauerhafte Kontakte und Freundschaften.

Um Ansatzpunkte, Zielsetzungen und mögliche Wirkfaktoren einer inklusiv orientierten Bewegungserziehung in der Kita herausarbeiten zu können, muss zunächst geklärt werden, was unter „menschlicher Bewegung“ bzw. „kindlicher Bewegung“ zu verstehen ist. In der Bewegungs- und Sportpädagogik bzw. in der Sportdidaktik wird dabei seit langer Zeit ein umfassendes und weit über die physikalische Definition im Sinne von „Fortbewegung in Raum und Zeit“ hinausgehendes Verständnis von Bewegung vertreten, das deutlich auf die Mehrperspektivität des Bewegungshandelns abzielt (Grupe 1976; 1984; Funke-Wieneke 2004; Kurz 1979; Zimmer 2006).

In diesem Sinne lassen sich, mehr oder weniger unabhängig vom Lebensalter und von einzelnen Entwicklungsphasen, verschiedene Dimensionen bzw. Funktionen voneinander abheben. So wird z. B. von der „Explorierend-erkundenden Funktion“ gesprochen, wenn Bewegung in ihrer Wirkweise als Medium der Wahrnehmung sowie der Selbst- und Welterkenntnis betrachtet wird. Die „Soziale Funktion“ verweist u.a. auf die Bedeutung von Bewegung beim Aufbau und bei der Festigung sozialer Beziehungen, während die „Personale Funktion“ den Blick auf Bewegung als Medium der Persönlichkeitsentwicklung und die damit im Zusammenhang stehende zentrale Bedeutung für den Aufbau eines positiven Körper- und Selbstbildes richtet. Bewegung dient darüber hinaus auch als körperliches Ausdrucksmittel von Einstellungen, Gefühlen und Bedürfnissen („Expressive Funktion“) sowie als Auslöser von Gefühlen und Empfindungen („Impressive Funktion“). Nicht zuletzt betont die „Komparative Funktion“ das Vergleichen und „Sich-Messen“ mit anderen in sportlichen Zusammenhängen.

In dem hochschulübergreifenden Forschungsprojekt „BiK“ – Bewegung in der frühen Kindheit (gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung BMBF; Förderkennzeichen 01NV1104, 01NV1105, 01NV1106, 01NV1107) wurden diese Funktionen vor dem Hintergrund der nationalen und internationalen Fachliteratur sowie der bundesrepublikanischen Bildungs- und Erziehungsempfehlungen auf ihre Plausibilität hin untersucht, um letztlich für das Handlungsfeld Kindertagesstätte bzw. für den Altersbereich von null bis sechs Jahren eine Kategorisierung vorzunehmen, die (Bewegungs-)Bildung in der und für die pädagogische Praxis theoretisch fundiert. Diese Kategorisierung von Zielen, Sinn und Bedeutung von Bewegung für Bildungs- und Entwicklungsprozesse zeigt vier Hauptkategorien bzw. Bedeutungsdimensionen (Abb. 3). Daraus lassen sich nicht nur allgemeine Konsequenzen für die Planung und Umsetzung von Bewegungsangeboten ableiten. Sie bietet vielmehr auch nachvollziehbare Begründungszusammenhänge für eine inklusiv orientierte Bewegungserziehung.

Abb. 3: Kategorisierung der Bedeutungsdimensionen von Bewegung

Bewegung als Bildungs- bzw. Lerngegenstand

Das Recht aller Kinder auf Bildung bedeutet auch das „Recht auf Bewegungsbildung“. Bewegungserzieherische Angebote in der Kita müssen für alle Kinder einen Beitrag zur umfänglichen und weitestgehenden Ausbildung bzw. Förderung der motorischen Kompetenzen bzw. der körperlichen „Konstitution“ zum Ziel haben. Dieser Auftrag an die Kita ist, wenn auch mit unterschiedlichen Bezeichnungen und Akzentuierungen, in den Bildungsplänen deutlich ausgewiesen, z. B. „Bewegung, Rhythmik, Tanz und Sport“ (Bayern); „Lernbereich und Erfahrungsfeld Körper-Bewegung-Gesundheit“ (Niedersachsen); „Motorische und gesundheitliche Bildung“ (Thüringen) (Deutscher Bildungsserver 2019).

Bildungs- und Entwicklungsbeobachtung ist seit längerer Zeit eine Kernaufgabe pädagogischer Fachkräfte. Zu deren Gelingen tragen zum einen ungerichtete Beobachtungen im alltäglichen Geschehen in der Kindertagesstätte bei (Schäfer/Alemzadeh 2012). Zum anderen bedienen sich pädagogische Fachkräfte auch spezieller Verfahren, um ein ressourcenorientiertes Bild vom einzelnen Kind zu erhalten (Laevers 2009; Leu/Flämig 2007; Andres/Laewen 2002; Ulich/Mayr 2006). Die so gewonnenen Erkenntnisse können sicherlich auch gelenkten Bewegungsaktivitäten, in der „Bewegungsstunde“, helfen, abgestimmt auf spezielle Förderbedürfnisse gezielte Angebote zu unterbreiten und individuelle Impulse zu setzen.

Alle Kinder, ob mit oder ohne Behinderung, bringen von sich aus eine natürliche Bewegungsfreude und die Motivation mit, sich selbst bzw. ihren Körper in all seinen Funktionen zur erproben und ihr Bewegungsrepertoire zu erweitern. Dies bildet den Ansatz- und Ausgangspunkt für (bewegungs-)pädagogische Einflussnahme, die allerdings nicht den Charakter eines direktiven und programmatischen Vorgehens annehmen und sich nicht in einem Setting abspielen darf, in dem motorische Fähig- und Fertigkeiten durch vorgegebene Übungsabfolgen oder gar „Trainingseinheiten“ vermittelt werden sollen. Ebenso wenig angebracht ist ein „Sportartenkonzept“. Vielmehr geht es darum, auch schon in der Krippe, eine variationsreiche bewegungsanregende Atmosphäre zu schaffen, die Eigenaktivität und Selbstwirksamkeitserfahrungen zulässt.

Während die anderen Bedeutungsdimensionen von Bewegung „Erziehung durch Bewegung“ in den Mittelpunkt stellen, geht es hier zunächst um die „Erziehung zur Bewegung“, d.h. um die „Bewegungsbefähigung“ der bzw. aller Kinder. Im Rahmen...

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