VORWORT
Der Name Schweisfurth steht heute für ökologische Pionierarbeit, für Nachhaltigkeit und ethische Werte. Meine Familie und ich haben lange vor den ständig wiederkehrenden Lebensmittelskandalen und ökologischen Katastrophen der letzten Jahre darüber nachgedacht, wie es weitergehen kann: wie es möglich ist, unsere Welt lebenswert zu erhalten und den Turnaround zu schaffen. Und wir haben gehandelt.
Ich war mehrere Jahre Geschäftsführer der »Herrmannsdorfer Landwerkstätten«, gründete das ökologische Tagungshotel »Gut Sonnenhausen« und mit ein paar Freunden die Bio-Supermarktkette »Basic«. Seit vier Jahren bin ich im Aufsichtsrat von »Greenpeace Deutschland«, ich engagiere mich in der »Umweltakademie München«, in der »Utopia«-Stiftung und beim Schweizer Ethikkomitee »Invera«, das große, börsennotierte Unternehmen auf Nachhaltigkeit hin analysiert. Ich bin Mitglied des Kuratoriums der von meinem Vater 1985 gegründeten »Schweisfurth-Stiftung«. Brachte sie zu Anfang vor allem über Vorträge und Seminare Bio-Bauern und Wissenschaftler zusammen, unterstützt die Stiftung heute unter anderem die Gründung von Lehrstühlen für nachhaltiges Wirtschaften und Tierethik, arbeitet an der Erstarkung regionaler Kreisläufe und macht Leitbildarbeit für das Lebensmittelhandwerk.
Beim Arbeiten für diese ökologische Wende wechselten sich Glücksphasen und Erfolge ab mit Fehlschlägen und Enttäuschungen. Das Leben ist keine Autobahn, sondern ein sich windender Weg in luftige Höhen wie in tiefe Täler. Man weiß nie, was hinter der nächsten Biegung auf einen wartet. Nie ist etwas ganz fertig, perfekt – alles ist im Fluss, in Wandlung. Dieses Buch ist eine Art Tagebuch über meine bewegte und längst nicht abgeschlossene Reise auf dem Weg, die Welt lebenswerter zu gestalten.
Bevor es dazu kam – vor dem ökologischen Richtungswechsel –, verdiente unsere Familie ihr Geld mit Lebensmitteln aus Massentierhaltung. Nämlich mit der Marke »Herta«. 25 000 Schweine und 5000 Rinder wurden pro Woche in der »Herta«-Fabrik geschlachtet, weiterverarbeitet und, in Folie verschweißt, in ganz Europa verkauft. Im Lauf von 50 Jahren hatten mein Großvater Karl und mein Vater Karl Ludwig aus der kleinen Ladenmetzgerei meines Urgroßvaters Ludwig im westfälischen Herten den größten fleischverarbeitenden Konzern Europas gemacht. Das hatte Folgen: Je weitläufiger die Handelsstrukturen, umso größer die Distanz zwischen Erzeuger, Verarbeiter, sprich Metzger, und den Kunden. Im Vordergrund standen Margen, Marktanteile und Preise, die Qualität blieb mehr und mehr auf der Strecke. Die wachsende Produktion war verbunden mit Massentierhaltung, die zur Missachtung der Würde und natürlichen Lebensform der Tiere führte. In unserer Familie gab es nächtelange Diskussionen. Was wir im privaten Bereich schätzten und lebten, war etwas vollkommen anderes als das, womit wir Geld verdienten. Meine ganze Familie, vor allem meine beiden Geschwister Anne und Karl, mein Vater Karl Ludwig und ich, war sich bewusst, dass wir für diese Tierquälerei mitverantwortlich waren. Immer häufiger war von Aufhören die Rede. Bis mein Vater 1985 einen Schlussstrich zog und die Firma an den Schweizer Lebensmittelgiganten Nestlé verkaufte.
Back to the roots. Die Vision meines Vaters war es, inmitten einer ökologischen Landwirtschaft einen Handwerksbetrieb zu errichten mit Metzgerei und Schlachthaus, Bäckerei, Käserei, Brauerei, Hofladen, Biergarten und Wirtshaus – ganz im Sinne der dörflichen Tradition, die immer mehr durch die Supermärkte an den Stadträndern verdrängt wurde und vielerorts verloren ging. In den ersten Jahren war ich bei der Entstehung der »Herrmannsdorfer Landwerkstätten« – mit einer Unterbrechung – voll dabei und mittendrin. Ein hartes Stück Arbeit! Denn die Umsetzung war alles andere als leicht. Damals waren wir Einzelkämpfer. Noch dazu wollten wir zu viele Ideen gleichzeitig realisieren. So sollte es ganze zehn Jahre dauern, bis sich nach einer langen Durststrecke endlich betriebswirtschaftlicher Erfolg einstellte. Von der Presse wurde die Kehrtwende als Wandlung vom »Saulus« zum »Paulus« gefeiert. Wir wurden zur Anlaufstelle der alternativen Agrar- und Umweltszene. Sogar internationale Größen wie Declan Kennedy, Bill Mollison oder Robert Jungk besuchten uns.
Da mein Vater jedoch andere Ziele verfolgte als ich und damit wir uns im Generationenkonflikt nicht aufrieben, schied ich 1993 als Geschäftsführer aus, um meinen eigenen Traum zu verwirklichen. Ich wollte eine Antwort auf die Frage finden: Wie kann man es schaffen, noch mehr Menschen mit Bio-Lebensmitteln zu versorgen und nicht bei drei Prozent Bio-Konsum stehen zu bleiben? Meine Recherche führte mich zuerst nach Yokohama zur Konsumentenkooperative Seikatsu Club Seikyo. Das Handelsunternehmen hatte in Stockholm den von Jakob von Uexkuell gestifteten sogenannten Alternativen Nobelpreis, den »Right Livelihood-Award«, verliehen bekommen, weil es zum Beispiel Kunden am Kapital beteiligte – das interessierte mich. In dieser Zeit traf ich in Tokio auch den Lebensstilforscher Toshihiro Imai und auf der Insel Shikoku den Agrarrevolutionär Masanobu Fukuoka. Beides waren Begegnungen, die meine Entwicklung und meine Weltanschauung tief beeinflussten. Anschließend reiste ich in die USA und nahm den Lebensmitteleinzelhandel unter die Lupe, um den Verkaufsgeheimnissen der Amis auf die Schliche zu kommen. 1997 war es dann – nach ein paar Geschäftsgründungen und Umwegen – so weit: Zusammen mit drei Freunden, die ich aus der Herrmannsdorfer Zeit kannte, gründete ich die Handelskette »Basic« in München.
»Bio für alle« war unser Slogan. Unser Ziel war, mehr Menschen für den ökologischen Gedanken zu gewinnen und Bio-Lebensmittel auch für die Menschen begehrenswert zu machen, die bislang eher Vorbehalte hatten. Auch hier waren einige schmerzliche Erfahrungen fällig, von der Standortfindung und Asbest-Altlasten in Läden, die wir eröffnen wollten, bis hin zu finanziellen Engpässen und persönlichen Enttäuschungen. Dennoch ging das Konzept auf. Wir vier waren Überzeugungstäter. Deshalb hielten wir durch und schafften es, die Bio-Vermarktungs-Szene zu revolutionieren. Wir waren Vorreiter und die Leute sahen, dass Bio in der Größe funktioniert. Aktuell gibt es 27 Märkte von Hamburg bis Wien.
2004 schied ich aus dem Vorstand aus. Das war sehr wahrscheinlich der größte Fehler. Denn ab diesem Zeitpunkt entwickelte sich das Unternehmen nicht nur anders, als es für mich gut und selbstverständlich gewesen wäre. Sondern auf der Suche nach einem passenden Investor haben die damals Verantwortlichen die Basis von »Basic« verlassen. Ich war fassungslos, als ich 2007 von den geheimen Verhandlungen mit der Schwarz-Gruppe (Lidl) erfuhr. Mir war klar, dass die anspruchsvollen, aufgeklärten Kunden diese Liaison nicht akzeptieren würden. Als die Beteiligung von Lidl durch eine Pressemitteilung bekannt wurde, bestätigte ihr wirkungsvoller Boykott der »Basic«-Läden, der zu schweren Einbußen führte, diese Vermutung. Die Folgen: Der Discounter verkaufte im Laufe eines Jahres alle seine Anteile wieder, und der Erfolg des Kundenwiderstands blieb positiv in Erinnerung. Die Auseinandersetzungen im Hintergrund hingegen haben alle viel Kraft gekostet und dem Unternehmen harte Jahre beschert.
Heute besitze ich noch einen guten, aber kleinen Anteil an »Basic« und betreibe das Tagungs- und Veranstaltungshotel »Gut Sonnenhausen« sowie eine ökologische Landwirtschaft mit einem eigenen Küchengarten für unsere ökologische Gutsküche. Zusätzlich engagiere ich mich ehrenamtlich für Natur und Umwelt. Mein Motto ist: Du bist als Mensch Teil der Natur und stehst nicht außerhalb von ihr. Du musst deinen Lebensraum mit allem, was du tust, beschützen. Wenn jeder mit anpackt und wir gemeinsam Hand in Hand loslaufen, schaffen wir das. Das kann man nicht nur dem »Staat« überlassen, dessen Politik oft von anderen Interessen beeinflusst ist. Obwohl es seine Aufgabe wäre, den Rahmen für ökologisches Wirtschaften zu setzen, etwa Steuern auf den Verbrauch von Umwelt zu erheben. Bis jetzt hat das niemanden gekümmert: Im Kapitalismus gilt die Natur als preisgünstiges, kostenloses Gut. Sie ist einfach da, hat keinen Wert, und ihr Schutz muss nicht in die Produkte eingepreist werden. Das muss sich ändern, wenn wir einen Umwelt-Kollaps abwenden wollen: Ohne ein intaktes Ökosystem können wir nicht überleben. Wir nicht und die Generationen nach uns nicht. Der staatliche Gesetzesrahmen ist dabei genauso wichtig wie die allmähliche Veränderung des Bewusstseins der Individuen.
Das heißt für uns alle, dass wir Stück für Stück unser Verhalten ändern müssen. Es geht da nicht nur um die Reduzierung des CO2-Ausstoßes. Was nutzen Autos mit weniger Benzinverbrauch, wenn der motorisierte Individualverkehr ständig wächst und beispielsweise die ökologische Belastung durch Erdölförderung in entlegeneren und ökologisch sensiblen Gebieten wie etwa der Arktik die Folge sind? Das reicht nicht.
Konsumenten haben durch ihre Kaufentscheidungen viel Macht. Das habe ich als Mitbegründer und Teilhaber von »Basic«...