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E-Book

Bewusstsein

Eine sehr kurze Einführung

AutorSusan Blackmore
VerlagHogrefe AG
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl230 Seiten
ISBN9783456753256
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis8,99 EUR
Das menschliche Bewusstsein ist eines der letzten großen Rätsel der Wissenschaft. Erstaunliche neue Erkenntnisse der Neurowissenschaften haben die Debatten um dieses Phänomen angefacht, und inzwischen arbeiten Biologen, Neurowissenschaftler, Psychologen und Philosophen daran, das Geheimnis hinter dieser sehr menschlichen Eigenschaft zu ergründen. Diese Einführung erklärt knapp und präzise die komplexen Fragestellungen und Theorien. Anhand eindrücklicher Experimente und mithilfe von Illustrationen und Cartoons gelingt es der Autorin, die an der University of the West of England lehrt und forscht, so komplexe Themen wie Aufmerksamkeit, Theorien des Selbst, veränderte Bewusstseinszustände und Effekte von Drogen oder Hirnschäden auf das Bewusstsein anschaulich darzustellen.

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Leseprobe

Kapitel 2


Das menschliche Gehirn


Die Einheit des Bewusstseins


Das menschliche Gehirn gilt als das komplexeste Objekt im bekannten Universum. Im Verhältnis zu unserem Körpergewicht haben wir Menschen ein größeres Gehirn als jede andere Tierart, und zwar mit großem Abstand. Wenn man von unseren nächsten Verwandten, den Menschenaffen, ausginge, würde man ein um zwei Drittel kleineres Gehirn erwarten. Es wiegt ungefähr anderthalb Kilogramm und besteht aus mehr als einer Milliarde Nervenzellen und vielen Milliarden Synapsenverbindungen zwischen diesen Zellen. Diese Verbindungen sind der Grund für unsere außer­gewöhnlichen Fähigkeiten: Wahrnehmung, Lern­fähigkeit, Gedächtnis, logisches Denken, Sprache – und irgendwie auch das Bewusstsein.

Wir wissen, dass ein enger Zusammenhang zwischen Gehirn und Bewusstsein besteht. Beispielsweise verändern Drogen, die Gehirnfunktionen beeinträchtigen, auch das subjektive Erleben. Die Stimulation kleiner Hirnregionen kann sehr spezifische Halluzinationen, körperliche Empfindungen oder emotionale Reaktionen bewirken. Und Schädigungen des Gehirns können sich drastisch auf den Bewusstseinszustand eines Menschen auswirken. Das alles wissen wir, doch es bleibt ein Rätsel, warum wir überhaupt so etwas wie ein Bewusstsein haben.

Dabei scheint das Gehirn von seiner ganzen Anlage her nicht einmal geeignet, um das Bewusstsein ­hervorzubringen, wie wir es kennen. Das Gehirn ist konsequent parallel und dezentral organisiert. Infor­ma­tionen werden durch die Sinnesorgane aufgenommen und zur Kontrolle von Sprache, Handlungen und anderem Output eingesetzt. Dabei gibt es keine zentrale Schaltstelle und kein innerstes Heiligtum, in dem die wirklich wichtigen Dinge passieren. Ein Gehirn ist kein Computer mit einem zentralen Prozessor, sondern eher ein riesiges Netzwerk, oder vielleicht besser noch eine Ansammlung von zahllosen, miteinander verknüpften Netzwerken. Unterschiedliche Aufgaben wie Sehen, ­Hören, Sprache, Körperwahrnehmung, Bewegung, Planung und so weiter werden von jeweils eigenen ­Regionen übernommen. Diese Regionen kommunizieren zwar miteinander, doch dieser Austausch läuft nicht über eine zentrale Leitstelle, sondern über Abermillionen Verbindungen, die sich kreuz und quer durch das gesamte Gehirn ziehen.

Im Gegensatz dazu scheint unser Bewusstsein aus einem Guss zu sein. Diese «Einheit des Bewusstseins», die auch in den beliebten Metaphern des Kinos oder des Bewusstsseinstroms zum Ausdruck kommt, wird oft auf dreierlei Weise beschrieben.

Erstens gehen unsere Metaphern implizit davon aus, dass mein Erleben im Hier und Jetzt eine Einheit bildet. Das heißt, einiges befindet sich in meinem ­Bewusstsein, anderes nicht. Die «Bewusstseinsin­halte» sind wie ein zusammenhängender Strom oder wie ein Film auf der Leinwand unseres Kinos. Zweitens scheint das Bewusstsein auch über längere Zeiträume hinweg in sich geschlossen, von einem Augenblick zum nächsten und selbst über ein ganzes Leben hinweg scheint das bewusste Erleben eine Kontinuität zu bilden. Und drittens werden diese Bewusstseinsinhalte von ein und demselben Ich erlebt, das heißt, nicht nur der Bewusstseinsstrom bildet eine bruchlose Einheit, sondern auch die Instanz, die ihn erlebt.

Die Bewusstseinsforschung muss die Inhalte und die Kontinuität des Bewusstseins sowie des bewussten Ich erklären und zeigen, wie das konsequent dezentral organisierte Gehirn diese erzeugt. Später werden wir noch näher auf das Problem des Ich eingehen, doch zunächst beginnen wir mit der scheinbar harmlosen Vorstellung der Bewusstseinsinhalte.

Ein entscheidender Punkt ist hier, dass die allermeisten Abläufe des Gehirns gar nicht bewusst werden und dem Bewusstsein nicht einmal zugänglich sind. Wir sehen, wie sich die Blätter der Bäume im Wind bewegen, doch von der regen elektrischen Aktivität der Sehrinde, die diese Wahrnehmung erzeugt, bekommen wir nichts mit. Wir sitzen am Computer und beantworten bewusst eine E-Mail, aber wir sind uns nicht bewusst, wie unsere Finger die einzelnen Buchstaben tippen oder woher diese Wörter kommen. Wir wollen bewusst eine Partie Tischtennis ­gewinnen, aber wir bekommen nicht mit, wie unser Gehirn bei jedem Schlag visuelle Wahrnehmungen und Bewegungsabläufe koordiniert.

In jeder der geschilderten Situationen sind unsere Gehirnzellen mit ihren vielen Milliarden Verknüpfungen aktiv – je nach Anforderung feuern die einen stärker, die anderen schwächer. In den Bewusstseinsstrom oder das Kopfkino dringt diese Aktivität jedoch nicht vor, weshalb wir sie als «unbewusst» oder «unterbewusst» bezeichnen oder an den Rand des Bewusstseins delegieren.

Aber was bedeutet das? Diese Unterscheidung impliziert einen magischen Unterschied zwischen den bewussten und unbewussten Teilen. Wird die bewusste Aktivität des Gehirns von einer übernatürlichen Seele oder einem nicht materiellen Ich gesteuert, wie die Dualisten meinen? Gibt es einen bestimmten Ort im Gehirn, an dem das Bewusstsein zustande kommt? Gibt es vielleicht spezielle «Bewusstseinsneuronen», die bewusstes Erleben hervorbringen, während die übrigen dies nicht tun? Oder entsteht das Bewusstsein durch besondere Verbindungen zwischen Neuronen? Wie wir noch sehen werden, wurden um jede dieser Möglichkeiten herum verschiedene Theorien aufgestellt, von denen keine vollständig ist und jede neue Fragen aufwirft.

Unterm Strich laufen alle Theorien auf eine Frage hinaus: Wollen wir uns weiter mit der herkömm­lichen Vorstellung des Bewusstseins als Kino oder Bewusstseinsstrom herumschlagen und diese auf Biegen und Brechen anwenden, oder sollten wir die vertrauten Vorstellungen nicht besser über Bord werfen und von vorn beginnen? Diese Frage sollten wir im Kopf behalten, wenn wir uns die faszinierenden Untersuchungen ansehen, die den Zusammenhang zwischen Bewusstsein und Gehirn erforschen.

Synästhesie

Manche Menschen hören Formen, sehen Geräusche oder fühlen Klänge. Diese sonderbare Form des Bewusstseins ist erstaunlich verbreitet. Viele Kleinkinder erleben Synästhesie, doch dieser Effekt verschwindet in der Regel mit zunehmendem Alter, weshalb nur noch etwa 0,5 Prozent aller Erwachsenen Synästheten sind. Synästhesie ist erblich, sie betrifft mehr Frauen und Linkshänder und wird mit gutem Gedächtnis und schlechtem mathematischem und räumlichem Denken in Verbindung gebracht. Besonders verbreitet ist diese Form der Wahrnehmung unter Dichtern, Schriftstellern und Künstlern.

Die verbreitetste Form der Synästhesie ist farbige Wahrnehmung von Zahlen und Buchstaben. Diese Wahrnehmung lässt sich nicht bewusst unterdrücken und bleibt offenbar konstant: In Langzeitexperimenten bringen Synästheten immer wieder dieselben ­Farben oder Formen mit denselben Reizen in Verbindung. Viele Synästheten verheimlichen ihre Wahr­neh­mungen, weshalb Psychologen lange an ihrer Echtheit zweifelten, doch jüngste Untersuchungen bestätigen dieses Phänomen.

Möglicherweise sind im Gehirn von Synästheten verschiedene Sinnesareale stärker untereinander vernetzt. So erklärt der Neurowissenschaftler Vilayanur Ramachandran zum Beispiel die verbreitetste Form der Synästhesie damit, dass Zahlen und ­Farben in benachbarten Gehirnarealen verarbeitet werden.

Neuronale Korrelate des Bewusstseins


Jeder von uns hat schon einmal Schmerzen empfunden. Schmerzen sind schrecklich, und verständlicherweise gefallen sie uns nicht. Aber was genau sind sie? Was immer sie sein mögen, sie sind ein gutes Beispiel, um uns die neuronalen Korrelate des Bewusstseins anzusehen, also den Zusammenhang zwischen dem subjektiven Erleben und bestimmten Ereignissen im Gehirn.

Aus subjektiver Sicht ist Schmerz in erster Linie eine persönliche Erfahrung. Er lässt sich nicht kommunizieren. Wir wissen nicht, welche Schmerzen ein anderer Mensch empfindet und können nur Rückschlüsse aus seinem Verhalten ziehen; selbst dann können wir nicht sicher sein, dass der Schmerz nicht nur simuliert wird. Wenn der Schmerz vorüber ist, können nicht einmal wir selbst uns daran erinnern, wie er sich anfühlt. Deshalb heißt es oft, keine Frau würde ein zweites Kind bekommen wollen, wenn sie sich an den Schmerz der ersten Geburt erinnern würde. Was Schmerz wirklich ist, verstehen wir nur in dem Moment, in dem wir ihn empfinden.

Objektiv geht Schmerz zum Beispiel mit einer Verletzung des Körpers einher. Am Ort der Verletzung finden verschiedene chemische Veränderungen statt, die Signale werden über die sogenannten C-Fasern ins Rückenmark und von dort in den Hirnstamm, den Thalamus, den somatosensorischen Kortex (der eine Karte aller Körperregionen beinhaltet) und den Gyrus cinguli des Gehirns geleitet. Hirnscans zeigen einen eindeutigen Zusammenhang zwischen der Intensität der Schmerzempfindung und der Aktivität in diesen Gehirnregionen. Mit anderen Worten können wir hier einige neuronale Korrelate des Schmerzes beobachten.

Wir sollten uns jedoch ins Gedächtnis rufen, dass eine Korrelation nicht gleichbedeutend mit einer ­Ursache ist. Wir erliegen leicht dem Trugschluss, von einem bloßen Zusammentreffen auf eine Ursache-Wirkung-Beziehung zu schließen. Nehmen wir an, Freddie hat die Angewohnheit, ins Wohnzimmer zu gehen und den Fernseher einzuschalten. Fast jedes Mal beginnen kurz nach dieser Handlung Die Simpsons. Wenn andere Familienmitglieder das Wohnzimmer betreten und den Fernseher einschalten, beginnen andere Sendungen. Wenn wir von der Korrelation auf eine Ursache-Wirkung-Beziehung schließen würden, dann müssten wir zu dem Schluss kommen, dass Die Simpsons ausgestrahlt werden, weil Freddie...

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