Die ersten Überlegungen zur Veränderung der traditionellen Budgetierung gab es im Jahr 1993. Von dem amerikanischen Industrieverband Consortium for Advanced Manufacturing International (CAM-I) wurde hierzu das Projekt namens Advanced Budgeting in Angriff genommen. Da der Fokus des CAM-I zu dieser Zeit jedoch mehr auf der Weiterentwicklung des Prozesskostenmanagements lag, wurde das Advanced-Budgeting-Projekt unterbrochen. Die Erkenntnis aus dem kurzzeitigen Projekt war, dass eine ganzheitliche Lösung des Problems, über die Better-Budgeting-Ansätze[51] hinaus, gesucht werden müsse.[52]
Im Jahre 1997 veröffentlichten Hope und Fraser zum ersten Mal einen Artikel zum Thema Beyond Budgeting. Die Basis der Veröffentlichung bildeten die gewonnenen Erkenntnisse des Advanced-Budgeting-Projektes. Es wurde darauf hingewiesen, dass die Einführung von Activity Based Costing und der Balanced Scorecard allein nicht zu dem gewünschten Erfolgen führe. Vielmehr sei es für die Unternehmensentwicklung im Informationszeitalter erforderlich, ein neues Managementmodell mit anderen, neuen Strukturen und Inhalten zu installieren.[53] Die notwendigen Veränderungen bezeichneten Hope und Fraser zum einen als ‚alternative steering mechanisms‘ und ‚organisational change‘.[54] Darüber hinaus wurde auf die wachsende Bedeutung des intellektuellen Kapitals hingewiesen. Hope und Fraser konnten diesbezüglich nachweisen, dass jene Firmen, die die hohe Bedeutung des intellectual capital erkannt hatten, eine nachhaltige Steigerung des Unternehmenswertes und eine bessere Entwicklung gegenüber den Wettbewerbern verzeichnen konnten.[55] Im Januar 1998 wurde durch Bunce, Fraser und Hope der Beyond Budgeting Round Table (BBRT) als mitgliederfinanzierte Organisation innerhalb des CAM-I gegründet. Seit 2003 handelt der BBRT losgelöst vom CAM-I als selbstständiges Netzwerk.[56] Neben dem weltweiten Beyond-Budgeting-Netzwerk wurden im Laufe der Zeit regionale Roundtables gegründet. Diese regionalen Netzwerke bestehen zur Zeit für Nordamerika, Australien und Neuseeland (Australasia), der DACH-Region und dem Mittleren Osten.[57] Die Aufgabe der BBRTs besteht darin, die Unternehmensführung ohne traditionelle Budgets zu erforschen. Diese Untersuchungen sind fallstudienbezogen aufgebaut.[58]
In der deutschen Literatur wird das Beyond Budgeting mit ‚Jenseits der Budgetierung‘ oder etwas radikaler ‚Steuern ohne Budgets‘ übersetzt.[59] Die Beyond Budgeting Befürworter Hope und Fraser dulden Budgets durchaus.[60] Dieses steht zweifellos im Widerspruch zur Bezeichnung dieses Managementmodells sowie der deutschen Übersetzung. Daher muss zunächst der Begriff des Budgets im Sinne von Hope und Fraser definiert werden. Für eine erfolgreiche Unternehmenssteuerung werden von den Beyond-Budgeting-Vertretern Pläne mit finanziellen Größen über künftige Ergebnisse als zwingend notwendig betrachtet. Abgelehnt werden lediglich Pläne in Verbindung mit fixen Budget- und Leistungsverträgen.[61] Für Hope und Fraser sind fixe Leistungsverträge ein wesentliches Element aus dem Industrialismus. Diese festgelegten Leistungsverträge stehen in einem engen Zusammenhang mit der Weisung und Kontrolle von Mitarbeitern. Das System des ‚Command and Control‘ wird durch ein Coaching-System ersetzt.[62]
Das von Hope und Fraser entwickelte Konzept sollte somit eine Alternative zum bisherigen tayloristischen Steuerungsmodell für das 21. Jahrhundert bilden.[63] Der Schwerpunkt der Untersuchungen von Bunce, Hope und Fraser lag bei der Gründung des BBRT auf der Beantwortung der Fragen:[64]
Gibt es alternative Lösungsansätze für die traditionelle Budgetierung?
Ist das Führungsmodell des Industriezeitalters für Wissensökonomie ausreichend?
Wie sieht die Implementierung eines solchen Systems aus?
Die Erkenntnisse des BBRTs zeigen, dass dieses neue Managementmodell von bestimmten Gestaltungselementen geprägt ist. Zur Umsetzung des Beyond-Budgeting-Gedankens sind für Hope und Fraser zwei Voraussetzungen innerhalb der Unternehmung von immenser Bedeutung:[65]
Radikale Dezentralisierung/Devolution,
Adaptive Managementprozesse.
Diese Ausgestaltung bildet die Basis für die Protagonisten des Beyond Budgeting Round Table ggü. der traditionellen Budgetierung im Hinblick auf das veränderte Unternehmensumfeld. Es zeigt auch, dass der Fokus vielmehr auf einer veränderten Denkweise als auf instrumenteller Ebene liegt. Diese strukturelle Veränderung betrifft zum großen Teil die Führungskräfte der Beyond-Budgeting-Organisationen (vgl. Abbildung 1).[66]
Der Fokus des tayloristischen Konzeptes liegt auf Engpässen im Bereich der Produktionskapazitäten. Im Zeitalter der Wissensökonomie ergeben sich die bestimmenden Engpässe im Bereich der Absatzmärkte und der immateriellen Vermögenswerte[67].[68]
Eine wesentliches Ziel der Dezentralisierung ist die schnelle Entscheidungsfindung in Marktnähe. Vom BBRT wird die Radikale Dezentralisierung häufig als Devolution[69] bezeichnet.[70] In der deutschsprachigen Literatur ist der Begriff der Dezentralisierung jedoch deutlich weiter verbreitet.[71] Darüber hinaus können nachhaltige Wettbewerbsvorteile durch die innovativen Kräfte im Unternehmen generiert werden.[72] Die Mitarbeiter bei Unternehmen, die Beyond Budgeting implementieren wollen bzw. implementiert haben, erhalten eine deutliche höhere Wertschätzung als bisher üblich. Durch die Veränderung zur Wissensgesellschaft werden die Mitarbeiter zu einem Erfolgsfaktor für das Unternehmen.
Abbildung 1: Vision des Beyond Budgeting Round Table[73]
Die Umgestaltung der Managementprozesse sowie die dezentrale Verantwortlichkeit wird in weitere Prinzipien untergliedert. Ursprünglich wurden der Öffentlichkeit zehn Prinzipien vorstellt.[74] Die heutigen zwölf Prinzipien zum Beyond Budgeting wurden erstmals 2001 veröffentlicht (vgl. Abbildung 2).
Abbildung 2: Prinzipien des Beyond Budgeting (2001)[75]
Diese Art der Darstellung haben Hope und Fraser nur ein einziges Mal in einer Veröffentlichung verwendet.[76] In der einschlägigen Literatur findet diese Darstellung jedoch noch immer eine weite Verbreitung.[77] Durch diese Darstellungsart ist zum Teil auch der Eindruck entstanden, dass die Devolution die Voraussetzung für die adaptiven Managementprozesse sei.[78] Vielmehr sind es allerdings die adaptiven Managementprozesse, welche eine Dezentralisierung erst ermöglichen. Pfläging verweist allerdings darauf, dass eine dezentrale Selbststeuerung nicht durch Vorschrift erreicht werden kann. Zunächst einmal muss die Veränderung bei den Mitarbeitern hinsichtlich des Verhaltens und der Einstellung realisiert werden. Anschließend können die entsprechenden Managementprozesse verändert werden.[79]
Im Jahr 2008 verließ der BBRT-Direktor Pfläging den BBRT und gründete die Open Source Community Beyond Budgeting Transformation Network (BBTN). Dieser Spin-off kann als konkurrierende Organisation zum BBRT angesehen werden. Im Rahmen eines Relaunch im Laufe des Jahres 2009 erfolgte die Umbenennung in BetaCodex Network. Die BetaCodex-Organisation widmet sich nach eigener Aussage verstärkt der praktischen Unternehmensführung jenseits der Budgetsteuerung.[80]
Die Ideen des Beyond-Budgeting-Modells wurden in der Literatur bereits vielfach beschrieben. Allerdings mit dem Unterschied, dass diese nicht in einem kohärenten Modell abgebildet wurden. Kritikpunkte an der klassischen Budgetierung werden von einer Vielzahl von Autoren beschrieben.[81] Die Vertreter der Human-Resources-Schulen (u. a. Argyris, Herzberg, Likert, Maslow, McGregor) zeigten schon in den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts erste Ansätze für das Beyond-Budgeting-Modell auf. Die Überlegungen in motivationstheoretischer Sichtweise gehen über die Meinung der Human-Relations-Bewegung hinaus. Der Grundgedanke der Human-Relations-Meinung ist, dass zufriedene Mitarbeiter auch gute Arbeit verrichten. Dahingegen sehen die Human-Ressourcen-Ansätze eine Beziehung zwischen der individuellen...