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E-Book

Beziehungsorientierte Bewegungspädagogik

AutorMone Welsche
VerlagERNST REINHARDT VERLAG
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl160 Seiten
ISBN9783497609833
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis28,99 EUR
Beziehungsförderung ist Kernthema aller pädagogischen Handlungsfelder: Wie nehme ich Kontakt zu anderen auf? Kann ich Verantwortung übernehmen? Und: Wie stehe ich zu mir selbst? Kann ich meinen Fähigkeiten vertrauen? In diesem Buch werden Grundlagen der Eigenwahrnehmung, aber auch der Beziehungsgestaltung zu anderen Menschen in und durch Bewegung praxisnah vorgestellt. Stundenbeispiele - z.?B. aus dem Sportunterricht einer Förderschule oder aus einer Aktivierungsrunde im Pflegeheim - verdeutlichen, worauf bei der Umsetzung zu achten ist. Die Bewegungspädagogik, deren Ansatz auf die Begründerin Veronica Sherborne zurückgeht, ist für Menschen jeden Alters geeignet, auch mit verschiedenen körperlichen oder kognitiven Beeinträchtigungen. Dazu gibt es eine ausführliche Aktivitäten- und Spielesammlung mit vielen Fotos aus der Praxis.

Prof. Dr. Mone Welsche, Freiburg i. Br., Bewegungstherapeutin und -pädagogin, ist Professorin für Entwicklungsförderung im Kindes- und Jugendalter an der Kath. Hochschule Freiburg und Fachbeirätin der Zeitschrift motorik.

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Leseprobe

1 Eine beziehungsorientierte Bewegungspädagogik nach V. Sherborne

Dieses Kapitel beginnt mit einer kurzen Biographie Sherbornes und der Vorstellung der Laban-Bewegungsanalyse. Anschließend werden Grundannahmen, Ziele, Bausteine des Konzeptes und Prinzipien skizziert sowie didak-tisch-methodische Hinweise gegeben. Anmerkungen zur Beobachtung und zum Stand der Forschung schließen diesen Teil des Buches.

1.1    Biographisches

Veronica Sherborne lebte von 1922 bis 1990 in England. Als Studierende am Bedford College of Physical Education lernte sie in einem Workshop mit Rudolf von Laban und Lisa Ullmann, Labans Theorie der menschlichen Bewegung kennen. Nach seiner Immigration nach England im zweiten Weltkrieg entwickelte Laban gemeinsam mit seiner Schülerin Lisa Ullmann Überlegungen zur Unterstützung der Persönlichkeitsentwicklung durch die Ausbildung eines möglichst breiten Bewegungsrepertoires. Dies stellte für Sherborne eine neue Perspektive auf den menschlichen Körper, das Phänomen Bewegung sowie die bewegungspädagogische Arbeit mit Menschen dar. Die Erfahrung im Workshop mit der Arbeit von Laban und Ullmann beeindruckt sie tief, so dass sie sich nach mehreren Jahren der Berufstätigkeit als Sport-, Gymnastik- und Tanzlehrerin entschloss, bei Laban und Ullmann am Art of Movement-Studio zu studieren.

Sherborne übertrug Labans Bewegungslehre in ihre Tätigkeit als Ausbilderin von Pädagogen, Ergo-, Physio- und Sprachtherapeuten sowie Krankenschwestern auf die Arbeit mit Kindern mit und ohne Behinderung. Als Mutter von drei Kindern und als Praktikerin mit langjähriger Erfahrung entwickelte sie die Grundannahmen, die für ihr Konzept handlungsleitend wurden (Kap. 1.3).

Sherborne berichtet im Vorwort ihres Buches, wie sie begann, den Beziehungsaspekt in der Ausbildung von Sonderpädagogen zu betonen. Ihr Ziel war es damals durch Gruppen– und Partnerarbeit den Studierenden ein Gefühl von Sicherheit zu vermitteln und so eine gute Voraussetzung für Zusammenarbeit zu schaffen. Die Erkenntnis, dass nicht nur Erwachsene, sondern auch Kinder mit und ohne Beeinträchtigungen von den Sequenzen zur Beziehungsgestaltung profitieren können, motivierte Sherborne, ihr eigenes Konzept zu entwickeln. Die Bedeutung der frühen und unterstützenden Beziehungserfahrungen und deren Auswirkungen auf die Entwicklung der kommunikativen und sozialen Fähigkeiten, die sie als mehrfache Mutter selbst mit ihren Kindern erlebte, bilden das Fundament ihres Konzeptes. Dies wird ergänzt um die bedeutsame Rolle, die sie der Bewegung für die individuelle Entwicklung zuschrieb.

Sherborne wird als sehr charismatische Person und begnadete Lehrerin beschrieben, die eine besondere Fähigkeit hatte, Menschen anzusprechen, sie einzubeziehen und zu motivieren, selbst aktiv zu werden. Ihre Haltung war geprägt von einer grundlegenden Wertschätzung aller TeilnehmerInnen und ihrer Fähigkeiten. Die Bewegungsaktivitäten sah sie als Erfahrungsmöglichkeiten, als dynamische Prozesse des gemeinsamen nicht wertenden Lernens und Interagierens, und sie betonte immer wieder, dass sie nicht als festgelegte Übungen missverstanden werden dürfen.

Schon früh schrieb Sherborne Artikel über ihr Konzept, wählte aber vor allem die filmische Dokumentation, um ihre Arbeit sichtbar zu machen und zu zeigen, wie die Aktivitäten für Bewegungsstunden mit verschiedenen Zielgruppen eingesetzt werden können.

Mit ihrer Überzeugung, dass Menschen unterschiedlicher Entwicklungsniveaus und Fähigkeiten wunderbar miteinander spielen, sich bewegen und Spaß wie Erfolgserlebnisse haben können, war sie ihrer Zeit um einiges voraus. Denn lange vor der UN-Behindertenrechtskonvention und Überlegungen zu inklusiven Bewegungs- und Sportangeboten dokumentiert sie vor allem mit dem Film „Gute Freunde“ (1986) in eindrücklicher Art und Weise, wie Bewegungsstunden mit heterogenen Gruppen zum Gewinn aller Beteiligten gelingen können. Erst 1990 brachte sie auf Drängen einiger SchülerInnen und KollegInnen kurz vor ihrem Tod ein Buch heraus, in welchem sie die Grundlagen ihres Konzeptes anschaulich und praxisorientiert beschrieb. Dieses liegt mittlerweile in englischer Sprache in der zweiten Auflage (Sherborne 2001) vor und wurde von Cristian Dirjack 1998 ins Deutsche übersetzt.

Mit einer der letzten Veröffentlichungen Daniel Sterns (2011) zu den Ausdrucksformen der Vitalität erfahren die Eckpfeiler des Sherborne-Konzeptes, die bewegte Interaktionserfahrung im Zusammenhang mit dynamischen Merkmalen des Bewegungsverhaltens, eine eindrucksvolle Anerkennung und Bekräftigung durch einen der bedeuteten Entwicklungspsychologen und Psychoanalytiker (Kap. 1.2).

Sherbornes Konzept ist heute international unter dem Namen Sherborne Developmental Movement (SDM) bekannt.

1.2    Die Laban-Bewegungslehre – Inspiration und theoretische Grundlage

Das Sherborne-Konzept basiert in Teilen auf der Bewegungslehre von Rudolf von Laban (1879–1958). Laban entwickelte als Kernstück seiner Arbeit eine Lehre der menschlichen Bewegung und ein Notationssystem (Perrottet/Laban 1995, Laban 2003), um Bewegung analysieren und ähnlich der Notenschrift erfassen und dokumentieren zu können. Mit seiner Arbeit gehört er bis heute zu den wichtigsten Bewegungstheoretikern unserer Zeit. Sein System bietet eine bisher einzigartige differenzierte Grundlage, um menschliche Bewegung erlebbar zu machen, sowie diese präzise und wertfrei zu beschreiben. Labans Schaffen vor dem zweiten Weltkrieg in Deutschland beeinflusste die Entstehung der Körperkulturwelle und die Entwicklung des Ausdrucktanzes und späteren Modern Dance maßgeblich. Zentren für Tanz und Bewegung gab es damals in jeder größeren Stadt in Deutschland. Nach seiner Immigration nach England entwickelte er, gemeinsam mit Lisa Ullmann, einer seiner Schülerinnen, pädagogische Überlegungen zur Bedeutung von Bewegung für die Persönlichkeitsentwicklung junger Menschen. Das Konzept des Modern Educational Dance (Laban/Ullmann 2003) fand zum damaligen Zeitpunkt große Anerkennung, insbesondere im Schulbereich. Bis heute existiert das Fach „Tanz“ mit Laban-Elementen als Bewegungserziehung in englischen Grundschulen. In Deutschland ist die Laban-Bewegungslehre und -analyse vor al-lem in der Tanzausbildung und in der Tanztherapie (Willke et al. 2014) bekannt, z. T. auch in der klinischen Bewegungstherapie und als Methode der Bewegungsdiagnostik (Welsche et al. 2007a, 2007b). Aus Labans Ansatz entwickelten sich zwei sehr erfolgreich eingesetzte Verfahren der Bewegungsanalyse. Die Movement Pattern Analysis (Welsche et al. 2007c) wurde von Warren Lamb, einem Schüler Labans, entwickelt. Dieses Instrument ermöglicht die Analyse des Entscheidungsfindungsprozesses durch die Interpretation spezifischer Bewegungsmuster. Sie wird in erste Linie in der Management Beratung und im Karriere Coaching eingesetzt. Das Kestenberg Movement Profil (Koch 2009) basiert auf den Arbeiten der Psychoanalytikern Judith Kestenberg zur Beobachtung von Kleinkindern und deren Bewegungsmustern und wird für diagnostische als auch Forschungszwecke eingesetzt.

Unter dem Namen der Laban-Bartenieff-Bewegungsstudien (LBBS) besteht in Deutschland und international die Möglichkeit zur Ausbildung als BewegungsanalytikerIn (s. Anhang). Labans Lehre wurde hier um die Bartenieff Fundamentels ergänzt – ein Konzept der Körperarbeit, das von Irmgard Bartenieff, einer weiteren Schülerin Labans, entwickelt wurde. Die LBBS finden eine breite Anwendung in sämtlichen mit Körper und Bewegung befassenden Feldern, wie z. B. Tanz-, Theater- und Bewegungspädagogik, Physiotherapie, Sport- oder Musikpädagogik (Kennedy 2010).

In Deutschland wird Labans Bewegungsanalyse im Sport- und Bewegungswissenschaftlichen Kontext bisher nur vereinzelt aufgegriffen (z. B. Funke-Wieneke 2007) und weder in der bewegungs- noch sportpädagogischen Ausbildung systematisch gelehrt. In den skandinavischen Ländern gehört die Bewegungserziehung nach Laban hingegen zur Ausbildung von Grundschul- und Sportlehrern.

Die zu Sherbornes Zeiten in England bekannten Bewegungskategorien Labans wurden im amerikanischen Institut of Laban / Bartenieff Movement Studies weiterentwickelt. Das System besteht nun aus sechs Kategorien (Abb. 1).

Abb. 1: Kategorien der Laban-Bewegungsanalyse (angelehnt an Kennedy 2010)

Sherborne nutzte die zum damaligen Zeitpunkt in England gelehrten Kategorien: Körper, Raum und Antrieb. Sie betont, dass einzig mit Blick durch diese Brille Potentiale und Unterstützungsbedarfe festgestellt werden können. Auf diese Erkenntnisse auf bauend soll entschieden werden, welche Bewegungsinhalte bei welchen Klienten vermittelt werden.

Kategorie Körper

In dieser Kategorie zeigt sich, welche Körperteile in die Bewegung involviert sind. Dabei kann nicht nur der Einsatz einzelner Körperteile beobachtet, sondern auch nach Präferenzen für Körperhälften geschaut werden. Zudem wird deutlich, in welcher Abfolge die einzelnen Körperteile in die Bewegung einbezogen sind. Wirken z. B. beim Ziehen eines schweren Gegenstandes Arme, Beine und Körpermitte gleichzeitig oder versucht jemand erst mit den Armen zu ziehen und dann das eigene Körpergewicht einzusetzen? Darüber hinaus können durch Beobachtung Körperstrukturen und -organisationsformen erfasst werden. Im...

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