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E-Book

Bhagwan, Che und ich

Meine Kindheit in den 70ern

AutorKatharina Wulff-Bräutigam
Verlagdotbooks GmbH
Erscheinungsjahr2013
Seitenanzahl263 Seiten
ISBN9783955202477
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis5,99 EUR
'Eine Zeit lang saß ich mit den Erwachsenen in dieser kleinen, harmonischen Runde, während im Hintergrund Cat Stevens dudelte. Da die Wirkung des LSD noch nicht so ganz eingetreten war, saßen die Partygäste etwas angespannt herum und versuchten die Zeit mit belanglosen Gesprächen zu überbrücken. Für mich war dieser Kreis todlangweilig.' Katharina ist ein ganz normales Kind. Sie will mit Puppen spielen, zur Schule gehen und Freunde treffen. Ihre Eltern dagegen wollen Selbstverwirklichung abseits der gesellschaftlichen Normen, den Kampf gegen das Establishment. Sie suchen als '68er' eine neue Lebensform. Katharina ist hin und her gerissen zwischen zwei Welten - der eines Kindes und der ihrer revoltierenden Eltern. Die Geschichte einer verrückten und schmerzhaften Kindheit zwischen Bhagwan und Che, Kommune und Einsamkeit. 'Das wirkliche Wunder, die List der Geschichte: Die unprätentiös niedergeschriebene Schilderung wird nie zu einer Abrechnung mit den durchgeknallten Eltern.' (Spiegel) Jetzt als eBook: 'Bhagwan, Che und ich' von Katharina Wulff-Bräutigam. dotbooks - der eBook-Verlag.

Katharina Wulff-Bräutigam, geboren 1965, arbeitete als Redakteurin u.a. bei Sat1 und RTL und für Spiegel TV. Heute lebt sie als Dokumentarfilmerin in München. Bei dotbooks erschien von ihr 'Bhagwan, Che und ich".

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Leseprobe

2
Offen für ein Experiment


1969 zogen wir nach München und machten dort unsere erste Erfahrung in einer Wohngemeinschaft. Peter hatte zwar schon in Berlin in einer Männer-WG gelebt, der Alltag verlief dort aber sehr anonym, und das Zusammenleben entsprach eher einer Zweckgemeinschaft. In München sollte das nun anders werden. Hier wollten meine Eltern bewusst eine neue Lebensform ausprobieren. Ihr Ziel war es, mit anderen gemeinsam etwas aufzubauen, sich gegenseitig zu unterstützen und harmonisch zusammenzuleben. Diese Form von Wohngemeinschaft war eine neue Einrichtung der Linken und zu dieser Zeit noch kaum verbreitet. Für Peter und Mona war die Gründung einer WG eine echte Herausforderung, schließlich mussten sie sich intensiv auf neue Leute einlassen. Sie hatten aber das Kleinfamilienleben satt und waren offen für Experimente. Zusammen mit zwei flüchtigen Freunden aus München wagten sie den Schritt, in eine große Altbauwohnung in der Ungererstraße in Schwabing zu ziehen.

Unsere neue Wohnung in München stand die ersten Monate so gut wie leer, weil keiner Geld für die Anschaffung von Mobiliar hatte. Meine Mutter hatte zwar einen wohlhabenden Vater, doch streng wie dieser war, verlangte er von seiner ältesten Tochter, dass sie nach ihrem Studium selbst für ihren Unterhalt aufkommen müsse. Mona arbeitete zwar noch gelegentlich als Model, doch damit kamen wir nicht weit.

Im Zimmer meiner Eltern lag eine große Matratze, daneben stand eine umgedrehte Apfelsinenkiste als Betttischchen; ansonsten war der Raum leer. Nur auf dem Boden stapelten sich überall Bücher.

Raus aus der WG – Ausflug aufs Land

Kisten aller Größen dienten uns als Tische und Stühle. Nur in der Küche befand sich ein großer Holztisch mit richtigen Stühlen, den meine Mutter vorzeitig von ihrer Großmutter geerbt hatte. Die restliche Wohnungseinrichtung kam überwiegend vom Sperrmüll. Da meine Mutter Innenarchitektur studiert hatte, verstand sie es, die Wohnung trotz spärlichster Mittel schön einzurichten. Teure Designer-Möbel kamen für meine Eltern schon deshalb nicht in Frage, weil sie sich bewusst abheben wollten von bürgerlichen Lebensformen, die Ausdruck einer kapitalistischen Wohlstandsgesellschaft waren.

Schon bald fand Mona mit Hilfe ihres einflussreichen Vaters, der in München als leitender Stadtplaner arbeitete, eine Festanstellung als Innenarchitektin. Anfangs fühlte sie sich in der bayrischen Hauptstadt gar nicht wohl. Während in Berlin die Post abging, glich München eher einem verschlafenen Nest. Sie kannte hier auch nur wenig Leute, mit denen sie etwas anfangen konnte. Weil sie sich politisch weiter engagieren wollte, schloss sie sich der linksorientierten Studentengruppe KPD-ML an, einem Ableger des SDS, der sich die Verbreitung der marxistisch-leninistischen Lehre auf die Fahne geschrieben hatte. In dieser Gruppe gab es außer meiner Mutter nur Studenten. Sie war also die erste »Werktätige «, die es zu »bearbeiten« galt, denn die studentischen Aktivisten wollten in erster Linie die arbeitende Bevölkerung agitieren. Zweimal die Woche kam ein »Studentenheini« zu uns in die Wohnung, der meiner Mutter stundenlang Privatunterricht im Marxismus-Leninismus gab. Für mich waren diese Unterrichtsstunden todlangweilig. Vom Marxismus verstand ich sowieso nichts, nur eines registrierte ich sehr: Diese Typen nahmen jedes Mal meine Mutter in Beschlag. Andauernd nörgelte ich: »Wie lange dauert das denn noch? Mami, wann spielst du was mit mir ?«

So eifrig diese MLer auch waren, mit Kindern konnten sie gar nichts anfangen. Völlig irritiert von meinen ständigen Unterbrechungen, versuchten sie mich zusammen mit meiner Mutter zur Ruhe zu bringen. Vergeblich. Schon nach einigen Sitzungen waren sie so genervt, dass sie freiwillig das Feld räumten. Bingo!

Usch und Wolf, die mit uns zusammenlebten, waren ein ziemlich verrücktes Paar. Usch war 25 Jahre alt und eine für die damaligen Verhältnisse sehr ungewöhnliche Frau. Allein ihre Kleidung war flippig genug, um Anlass für öffentliches Ärgernis zu geben. Schon als Kind rebellierte sie gegen alles Angepasste und trug zum Ärger ihrer Mutter die Hosen immer linksherum. Auch ihr Freund Wolf war alles andere als angepasst und der bürgerlichen Gesellschaft sicherlich ein Dorn im Auge.

Beide waren frisch verliebt und hingen meistens schmusend in irgendeiner Ecke unserer Wohnung herum. Jeden Abend verbrachte das Paar im »Nest«, einer verschrienen Kneipe in der Leopoldstraße. Für viele junge Leute war das »Nest« wie ein Wohnzimmer. Dort trafen sich Künstler aber auch viele Intellektuelle. Es war ein Ort, an dem man diskutierte.

Für mich wirkte das »Nest« wie eine dunkle, verrauchte Höhle, überfüllt mit wild gestikulierenden Erwachsenen, die versuchten, die laute Musik zu übertönen. Usch und Wolf hatten sich im »Nest« kennen gelernt. Er arbeitete als Standfotograf beim Film, sie studierte Sprachen. Usch war sehr intellektuell, und sie liebte es, bei Gesprächen die Männer aus dem Konzept zu bringen. Keiner traute ihr so ein fundiertes Wissen zu. Sie war sehr klein, zierlich, hatte ein Puppenhaftes Gesicht und wirkte mit ihren langen, blonden Haaren eher wie eine zerbrechliche Fee als eine Intellektuelle. Auch in der Frauenbewegung engagierte sie sich energisch; im Republikanischen Club in der Grillparzerstraße nahm sie regelmäßig am Emanzipations-Arbeitskreis teil. Bei diesen Treffen tauschten sich die Frauen aus und diskutierten über ihre Ehe- und Beziehungsprobleme. Usch war begeistert von der revolutionären Frauengruppe. Sie hatte sich zum Ziel gesetzt, für die weiblichen Rechte zu kämpfen, denn fast jede Ehefrau war noch von ihrem Mann abhängig. Die Hausfrauen wollten aber nicht mehr nur funktionieren und am Herd stehen, sondern selbstständiger sein. In der Frauengruppe konnten sie sich Luft verschaffen und Dampf ablassen.

Wolf, der sich nie traute, eine Frau anzusprechen, weil er ein linkischer Typ war und ein bemerkenswertes Talent hatte, in jedes Fettnäpfchen zu treten, beobachtete Usch sicher ein halbes Jahr lang im »Nest«, bevor sie ihn endlich bemerkte und ihn bat, sich zu ihr zu setzen. Es war Liebe auf den ersten Blick.

Ich werde die Hochzeit der beiden nie vergessen. Die Entscheidung zu heiraten war ganz spontan gefallen; das Datum des Hochzeitstag hatten sie allerdings gezielt gewählt: den 1. April. Nach der Trauung trommelten Usch und Wolf fünfzig Leute zusammen, um sie zu einer Party am Stehausschank im Untergeschoss bei Hertie einzuladen. Meine Eltern dachten erst, das Ganze sei ein Aprilscherz, doch dem war nicht so. Dennoch fiel die Hochzeitsfeier nicht allzu üppig aus. Das Brautpaar hatte genau 20 Mark in der Tasche, um einige Gäste auf ein Gläschen Bier einzuladen. Wer konnte, sollte sein Bier allerdings besser selber bezahlen. Für die Hochzeitsgesellschaft war das kein Problem. Die meisten der Anwesenden waren Hippies und hielten sowieso nichts von bürgerlicher Etikette. Entsprechend fielen auch die Hochzeitsgeschenke aus. Neben der Zeitschrift Der Wachtturm von den Zeugen Jehovas bekam das Brautpaar ein altes Feuerzeug, eine Schachtel Zigaretten oder einfach nur eine Umarmung. Für die Passanten war unsere verrückte Truppe nicht im Geringsten als Hochzeitsgesellschaft zu erkennen. Die Braut hatte ein dunkelbraunes langes Samtkostüm an, dazu einen passenden Hut mit riesiger Krempe, eine schwarze Sonnenbrille und eine große Kuhglocke um den Hals. Der Bräutigam hingegen war wie ein Mafiaboss gekleidet und trug eine eigenartige Sonnenbrille mit riesigen, runden Gläsern. Beide hatten Plastikringe mit einem großen pinkfarbenen Klunker an den Fingern.

Da keiner der Gäste viel Geld in der Tasche hatte und kaum konsumierte, reagierte der Wirt nach einer Weile etwas ungehalten. Schließlich blockierte dieses Pack die ganzen Tische. Wie Rumpelstilzchen tobte er wild herum und schrie am laufenden Band: »Wenn Sie hier nicht sofort verschwinden, hole ich die Polizei ...«, doch keiner schien ihn zu bemerken – im Gegenteil. Die Gäste waren ausgelassen, lachten viel und fingen sogar noch an zu tanzen. Der Wirt brachte es dann doch nicht fertig, die Polizei zu rufen, und verzog sich murrend wieder hinter seine Theke.

Usch und Wolf beim »Hochzeitsmahl« zu Hause

Ich liebte Usch von Anfang an. Wenn meine Mutter länger arbeiten musste, holte sie mich vom Kindergarten ab und las mir in ihrem Zimmer etwas vor. Da sie im Gegensatz zu Mona nicht arbeitete und viel zu Hause war, hatte sie Zeit, sich mit mir zu beschäftigen. Ich war gerade in der berüchtigten »Warum-Phase« und hatte Usch wahrscheinlich tausend Löcher in den Bauch gefragt. Sie war aber nie genervt, sondern antwortete mir geduldig auf all meine Fragen. So etwas war ich nicht gewöhnt. Mona kam damals immer spät von der Arbeit nach Hause und wollte verständlicherweise erst mal ihre Ruhe haben. Danach machte sie kurz ein Abendessen und brachte mich ins Bett. Eine Gute-Nacht-Geschichte gab es nur, wenn meine Mutter noch genug Energie hatte.

Trotz guter Vorsätze hatte unsere Wohngemeinschaft wenig Gemeinsamkeiten. Während Usch und Wolf meistens bis elf Uhr vormittags im Bett lagen und am Nachmittag ins »Nest« verschwanden, musste meine Mutter jeden Tag früh aufstehen, um rechtzeitig in der Arbeit zu sein. Mein Vater war ständig unterwegs; er kam und ging, wann es ihm gefiel. Wenn er mich mal ins Bett brachte, dann war das etwas ganz Besonderes. Peter hatte eigentlich nur eine verantwortungsvolle Aufgabe, und das war, mich rechtzeitig in den Kindergarten zu bringen. Wir waren kein einziges Mal pünktlich.

Auf dem Weg in den Kindergarten

Mona war die Einzige, die hart arbeitete....

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