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E-Book

Bild-Legenden

Fotos machen Politik Fälschungen • Fakes • Manipulationen

AutorHans Becker von Sothen
VerlagAres Verlag
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl272 Seiten
ISBN9783902732989
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis19,99 EUR
Fotos, die lügen Fälschungen von Fotos durch Retuschen, Collagen, irreführende Bildunterschriften, Manipulationen des Ausschnitts etc. sind so alt wie die Fotografie selbst. Die ersten Beispiele lassen sich schon im Krimkrieg (1853-1856) und im Amerikanischen Bürgerkrieg (1861-1865) finden. Über den Ersten und Zweiten Weltkrieg, die berühmten Bildfälschungen des Maoismus und Stalinismus spannt sich der Bogen bis zum Tod Osama bin Ladens und dem Umsturz in Ägypten. Berühmte Beispiele wie Robert Capas 'Fallender Soldat' aus dem Spanischen Bürgerkrieg, Jewgeni Chaldej und die sowjetische Flagge auf dem Reichstag sowie die manipulierten Bildlegenden in der Reemtsma-Ausstellung 'Verbrechen der Wehrmacht' sind genauso Thema des Buches wie die Brutkästen-Mär beim Bericht über angebliche Gräueltaten der Soldaten Saddam Husseins in Kuwait. Retuschen an den Bildern von Goebbels und Leni Riefenstahl, Stalin und Ribbentrop, Adenauer, Brandt und Breschnew werden ebenso behandelt wie das neue Phänomen des Outsourcing von Pressearbeit ganzer Länder an globale Public-Relations-Agenturen, die keinerlei Interesse an objektiver Berichterstattung haben, sondern nur am optimalen 'Verkauf' von diversen politischen Ereignissen.

Der Autor Lektor, Journalist, war Ressortleiter in mehreren deutschen Wochenzeitungen.

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Leseprobe

Der Krimkrieg. Roger Fenton und das Tal des Todesschattens


Eines der berühmtesten Bilder des Krimkrieges sieht auf den ersten Blick fast langweilig aus. Es zeigt eine ungepflasterte Straße auf der Halbinsel Krim. Keine Häuser, keine Menschen, kein Baum. Der Weg liegt vor den Toren der belagerten Hafenstadt Sewastopol, die ebenfalls nicht zusehen ist. Erst auf den zweiten Blick fallen die Kanonenkugeln auf, die überall verstreut sind und offenbar von den schweren Artilleriekämpfen um die Stadt künden, die kurz vorher stattfanden. Trotz der Leere doch ein auf den zweiten Blick eindrucksvolles Bild, wüßte man nicht, daß der Fotograf, der Brite Roger Fenton, für die Aufnahme dieses Bildes zu spät gekommen war. Fenton erreichte die Gegend mit Pferdewagen und Dunkelkammer erst im März 1855, also vier Monate nach den Geschehnissen. Er baute sein Stativ auf und machte von der gleichen Position zwei verschiedene Aufnahmen.1 Die Straße war längst freigeräumt. Auf der ersten liegen die Kanonenkugeln alle zusammen, links neben der Straße. Fenton scheint das Unbefriedigende in der Komposition bemerkt zu haben und ließ für eine zweite Aufnahme reichlich Kanonenkugeln auf der Straße selbst drapieren. Eigentlich waren es Projektile, die ihr Ziel verfehlt hatten.2 Sie glichen Totenschädeln. Die Schädel der Leichen waren wie die ursprünglichen Kugeln vom Kampfplatz bereits entfernt worden.

„Das Tal des Todesschattens“ – das berühmte Bild Fentons mit den drapierten Kugeln

„Das Tal des Todesschattens“ wird das Bild bald betitelt, in Anspielung auf das bereits sechs Wochen nach der Schlacht veröffentlichte und berühmt gewordene Gedicht „The charge of the light brigade“ von Alfred Tennyson, dem Lieblingsdichter Königin Viktorias:

Half a league, half a league,

Half a league onward,

All in the Valley of Death

Rode the six hundred.

„Forward, the Light Brigade!

Charge for the Guns!“ he said

Into the valley of Death

Rode the six hundred. (…)

Das Gedicht erinnert an eine militärische Katastrophe der Briten: Am 25. Oktober 1854 waren sechshundert Briten auf der Ebene oberhalb von Balaklawa in einen russischen Hinterhalt geraten und fast vollständig aufgerieben worden. Der Bildtitel selbst ist eine Reminiszenz auf Psalm 23: „Auch wenn ich wanderte durchs Tal des Todesschattens, fürchte ich nichts, denn Du bist bei mir; Dein Stecken und Dein Stab trösten mich!“ Tennyson macht daraus ein Hohelied von Heldentum und Pflichterfüllung bis zum letzten Tropfen Blut. Später wird Balaklawa ein Lehrbeispiel für militärisches Mißmanagement werden; dafür, was schiefgehen kann, wenn die Führung unklare Befehle erteilt und die militärische Aufklärung versagt. Fentons „Tal des Todesschattens“ zeigt alles, aber nicht den Tod. Es ist „ein Porträt der Abwesenheit, des Todes ohne die Toten“.3 Zu ergänzen bleibt, daß es sich bei dem Ort der Aufnahme Fentons nicht um den tatsächlichen Ort der blutigen Kampfhandlungen der Light Brigade vom Oktober handelte.

Der Krimkrieg ist eines der unbekannten, aber folgenreichen Kapitel der Kriegsgeschichte des 19. Jahrhunderts. Er gilt als der erste Krieg in der Geschichte, zu dessen Ausbruch die Medien entscheidend mit beigetragen haben, indem sie als Produzenten der öffentlichen Meinung die heimische Politik und das Parlament massiv unter Druck setzten.4 Viele andere sollten in den nächsten Jahrzehnten folgen. Doch nicht nur deshalb gilt er, obwohl auch als der „letzte Kreuzzug“5 bezeichnet, als der erste moderne Krieg. Nicht nur Bewaffnung und Taktik waren revolutionär. Auch der Telegraph als schnelles Informationsmedium für das Militär und insbesondere für die Presse wurde hier erstmals systematisch eingesetzt. Erstmals gab es auch so etwas wie Kriegsberichterstatter und Fotojournalisten, die direkt von einem Kriegsschauplatz berichteten.

Der Krieg hatte sich an der Frage entzündet, wer denn der Protektor der Christen in dem damals zum Osmanischen Reich gehörigen Heiligen Land sein sollte. Bereits 1774 hatte Konstantinopel Rußland zugestanden, als Schutzmacht für alle orthodoxen Christen im Osmanischen Reich zu fungieren. Als Napoleon III. 1851 an die Macht kam, versuchte er, diese Macht innen- wie außenpolitisch zu legitimieren. Schon sehr bald beanspruchte er für Frankreich das Recht, namens der katholischen Kirche als Schutzmacht für alle Christen, also auch die orthodoxen, aufzutreten. Dies wiederum verletzte die Russen. Für die Briten andererseits war das Ganze Teil eines großangelegten Konflikts um die Vorherrschaft in Asien – vom Schwarzen Meer über Palästina, Persien und Afghanistan bis nach China. In England ist dieser großangelegte Konflikt mit Rußland als The Great Game in die Geschichtsbücher eingegangen. Viele der Stereotypen des englischen Volkscharakters, wie wir sie bis in die Gegenwart in der Sicht vieler Engländer und der englischen Presse auf sich selbst sehen, haben in dieser Zeit ihren Ursprung:6 der tapfere und ritterlich kämpfende Brite (the gallant Briton, wie auch Victoria und Albert es sahen), der aufsteht, um gegen den russischen Bären zu kämpfen. Es war der einfache und klare Kampf von „richtig gegen falsch“, wie ihn das britische Blatt Punch 1854 zeichnete: die Britannia schwingt das Schwert der Gerechtigkeit mit dem Löwen als Wappentier und Zeichen ihrer Stärke und Vormacht an ihrer Seite. Und John Bull eilt den Schwachen gegen die Tyrannen und Unterdrücker (bullies) der Welt zu Hilfe. Hier vermutet der britische Historiker Orlando Figes auch die Ursprünge des „moralischen Interventionismus“.

Großbritanniens Sicht im Krimkrieg auf sich selbst: „Recht gegen Unrecht“
(„Punch“ vom 8. April 1854)

Diese Idee von Großbritannien als dem Land des ritterlichen „christlichen Soldaten“, der auszieht, um der Welt Gerechtigkeit zu bringen (nicht etwa, um mit Gewalt ein Weltreich aufzubauen), wurde sehr stark durch den damaligen liberalen Premierminister Lord Palmerston kultiviert. Er war es, der die britische Presse zu diesem Zweck in geradezu einzigartiger Weise zu aktivieren vermochte.

Die Briten bemerkten nach einigen schmerzlichen militärischen Verlusten, daß dringend etwas getan werden mußte, um die Unterstützung der Öffentlichkeit für den Krieg herzustellen. Was konnte da hilfreicher sein, als die gerade erst zu Ehren gekommene neue Technik der Fotografie zu Rate zu ziehen? Vermutlich war es der Gemahl Königin Victorias, Prinz Albert, der auf die Idee kam, einen gewissen Roger Fenton – einen mäßig erfolgreichen Maler und Gründer der Königlichen Photographischen Gesellschaft zu London, der die königliche Familie oft mit der Kamera ablichtete –, zu bitten, den Kriegsschauplatz auf der Halbinsel Krim zu erkunden. Diese Mission machte ihn zu einem der frühesten Kriegsfotografen, sie hatte aber auch Schattenseiten. Angeblich soll es ihm vom Königshaus auf das strikteste untersagt worden sein, Tote oder auch nur Verwundete aufzunehmen. Mit einem Empfehlungsschreiben Prinz Alberts kam Fenton schließlich am 8. März 1855 in Balaklawa an.

Fentons Fotos zeigen wohlgenährte, zufriedene und gutgekleidete Offiziere und Mannschaften, Schiffe im Hafen von Balaklawa, freundschaftliche Treffen mit den französischen Verbündeten und leere eroberte russische Forts – die Leichen der Gefallenen waren selbstverständlich aus dem Blickwinkel der Kamera entfernt worden. Nach einem erfolgreichen britischen Angriff beschrieb Fenton in einem Brief die wirklichen Vorkommnisse:

Königin Viktorias erster Besuch bei ihren verwundeten Soldaten
(Gemälde von Jerry Barrett, 1856)

Bilder, die die britische Öffentlichkeit nicht sehen sollte: die drei Krim-Invaliden, die Viktoria im Hospital besuchte. Aufgenommen 1855 von Joseph Cundall und Robert Howlett
(The Royal Collection)

Wir trafen auf viele nur halb begrabene Skelette. Eine Leiche lag so, als ob sie sich selbst an ihren eigenen Ellenbogen aufgerichtet hätte, der nackte Totenkopf noch gerade mit so viel Fleisch zusammengehalten, daß er nicht von den Schultern fiel. Die Füße und Hände eines anderen Mannes waren auf dem Boden verteilt, die Schuhe noch an den Füßen, das Fleisch aber bereits fort.7

All diese Dinge wird Fenton nicht fotografieren. Sein Krieg bleibt sauber, nicht einmal die Leichen werden malerisch drapiert, wie es einige Jahre später während des amerikanischen Sezessionskriegs passieren wird. Das Elend der britischen Verletzten, die...

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