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E-Book

Bilderbuch aus meiner Knabenzeit

Vollständige Ausgabe

AutorJustinus Kerner
VerlagJazzybee Verlag
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl323 Seiten
ISBN9783849629212
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis0,99 EUR
Justinus Kerner war ein deutscher Dichter, Arzt und medizinischer Schriftsteller. Diese Autobiografie beschreibt seine Jugendzeit, die er u.a. im Kloster Maulbronn verbrachte.

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Leseprobe

Freundschaftliches Verhältnis meines Bruders mit Adam Lux


 

Unter diejenigen seiner Freunde in dieser Schreckenszeit zu Paris, deren Ermordung er am tiefsten betrauerte, gehörte neben dem Straßburger Maire Dieterich besonders auch Adam Lux aus Mainz, ein junger Mann, der wie er, nur von Gesinnungen für reine bürgerliche Freiheit beseelt, sich mit Abscheu von dem Terrorismus eines Marat und anderer Volkstyrannen abwandte, und als mutiger Verteidiger der heldenmütigen Charlotte Corday auf dem Schafotte fiel, wie auch ihm, in Verteidigung seines Freundes, des Maire Dieterich, fast das gleiche Schicksal geworden wäre.

 

In Briefen, die er im Jahre 1795 in der Monatsschrift für die französische Zeitgeschichte »der Clio« abdrucken ließ, widmete er seinem edlen Freunde Lux einige Gedächtnisblätter, die er damals im Manuskripte in die Heimat sandte und die ich in späteren Jahren, obgleich noch ein Knabe, mit Teilnahme las. Ich hörte ihn oftmals behaupten: es hätten diese seine Blätter über Lux Jean Paul zur Basis seines bekannten herrlichen Aufsatzes über Lux und Charlotte Gorday gedient. In diesen Briefen schrieb er also: »Adam Lux ist aus der Gegend von Mainz, lebte daselbst im Zirkel seiner Gattin und seiner Kinder als begüterter Landmann und als kenntnisreicher Philosoph. Sein vorzüglichstes Vergnügen war das Studium der Alten. Ein reifer Verstand, eine für alles Erhabene empfängliche Seele, ein fester und gesunder Körperbau waren die unschätzbaren Eigenschaften, die er, was so selten ist, vereinigt besaß. Die Geschichte der griechischen und römischen Republiken fesselte ihn mit Allmacht, und Catos Seele schien in die seinige überzufließen. Als die fränkischen Fahnen auf den Wällen von Mainz wehten, als sich in Mainz die Abgeordneten der eroberten Rheingegenden einfanden und die rheinischdeutsche Konvention formierten, da trat auch Lux als Mitglied in diese Versammlung, von der er, als sie für die Vereinigung mit Frankreich votierte, nebst Potocky und dem berühmten für die Freiheit und die Wissenschaften zu früh dahingeschiedenen Forster nach Paris an den National-Konvent abgeschickt wurde. Die Mainzer Deputation kam gerade in einer Epoche an, wo der Kampf zwischen der Girondistenpartei und der Bergpartei schon so weit gekommen war, daß die konspirierende Pariser Munizipalität mit Hülfe einiger Häupter der letztern die erstere Partei mit einer beispiellosen Wut bekämpfte. Man kann sich leicht denken, an welchen der beiden Teile Lux' Wünsche sich anschlossen.

 

In sich selbst verschlossen, entfernt von der Gesellschaft, kehrte er meistens nur abends bei Eröffnung des Schauspiels in dieselbe zurück, den übrigen Tag brachte er auf einsamen Spaziergängen, besonders in dem Gehölze von Boulogne zu, wo er, unter dem erquickenden Schirme einer Eiche, bald in den Briefen des Brutus an den Cicero, bald in andern alten Schriftstellern sich mit den großen Republikanern des Altertums vertraut machte, und von ihren heiligen Schatten umringt, in tiefe Betrachtungen versunken, die Größe der Vorzeit, die schimpfliche Lage seines Vaterlandes und den damaligen Stand der Dinge in Frankreich berechnete. Ich traf ihn mehrmals auf seinen Spaziergängen. Seine Stirne war faltenlos, seine Stimme ruhig wie die eines denkenden Mannes: der ernste Blick seines Auges schien mitten in einer Art von glänzender Heiterkeit, dem Gepräge seiner Seelenruhe zu schwimmen. Die Revolution vom 31. Mai erschien, und die Erfüllung aller der furchtbaren Ahnungen, gegen die er sich bisher zu waffnen suchte, – begann. Einige seiner Freunde trugen die Trümmer der Republik mit sich in das Gefängnis, andere irrten mit denselben in den Departements umher und suchten Männermut, republikanische Tugenden und Hülfe gegen den siegenden Despotismus. Schon waffnete sich der Mittag und in dem Westen schien das Gewitter in eben dem Augenblick auf das Haupt der Verbrecher herabstürzen zu wollen – als die Verräterei, sinnreicher als die Tugend, den drohenden Blitz von sich abwenden und auf das Haupt derer zurückfallen machte, die ihn der Freiheit und der Republik zu Gunsten hervorgerufen hatten.

 

Mitten unter den Zurüstungen der Departements entschloß sich ein Mädchen, die zu Boden getretene Freiheit zu rächen – zwischen ihrem Entschlusse und der Ausführung war nur der Weg, den sie von Caen nach Paris zurückzulegen hatte. Kaum hatte ihr Auge den Ort erblickt, wo die große Freveltat, die Ermordung der Freiheit, sich ereignet hatte – so stieß schon ihr rächender Arm den rächenden Dolch in Marats verbrecherische Brust. – Darf man sich noch wundern, daß sie gerade ihn wählte, ihn, der weit entfernt, gleich einem Pache seine scheußliche Seele zu verbergen, sie ebenso wie seine ekelhafte Figur zu Hülfe rief, zur Schau stellte, und so zum sichtbaren Mittelpunkte alles desjenigen machte, was sich zu Verbrechen und Greueltaten fähig fühlte. Seine Mordepisteln waren ihr bekannt, er mußte also fallen.

 

Lux, der sich gerade in der Honoréstraße befand, als eine ungewöhnliche Bewegung auf den Straßen seine Aufmerksamkeit erregte, fragte nach der Ursache derselben. Man antwortete ihm, daß man die Mörderin Marats soeben zum Schafott führe – das heißt, das große Opfer einer bessern Welt übergebe. Lux blieb unter den Zuschauern. Charlotte Corday erschien, ihr Auge war mit einem Gemisch von Größe und Mitleiden auf die Volksmenge geheftet. – Lux las in ihren Zügen, was nur wenigen zu lesen vorbehalten war – sein Blick begegnete dem ihrigen – mehr bedurfte es nicht, um in dem Innersten ihrer Seele zu lesen und jene Harmonie entdecken zu können, die große Herzen in einem Moment auf Ewigkeiten verschwistert. – Man hatte ihm von einer aristokratischen Fanatikerin gesprochen; er fand eine Republikanerin, die, nachdem sie dem Rache fordernden Vaterland den hohen Tribut gebracht hatte, die Gesetze zu versöhnen, mit jenem Blick dem Tode entgegenging, die ihrem Wesen noch drei Schritte vor dem Schafott jene verklärte Gestalt zu geben schien, die ihr erst jenseits desselben zuteil werden sollte: man hatte ihm von einer alten Betschwester gesprochen, und er fand ein Mädchen in der vollkommensten Jugendblüte, ein Mädchen, dem die nahe Gegenwart des Todes keine der Rosen rauben konnte, die ihre Wangen schmückten – dem die jungfräuliche Sittsamkeit, gepaart mit Heldenmut und Schönheit, jenen unaussprechlichen Reiz gab, dem selbst der stupideste Fanatismus durch ein plötzliches Unterbrechen seines wilden Gebrülls und das Verbrechen durch eine dem schwachen Überrest von Menschlichkeit entschlüpfte Träne huldigen mußte. Lux folgte Charlotten bis an das Schafott, sein gut organisiertes ungeschwächtes Auge erblickte die kleinste ihrer Bewegungen, die Art, womit sie sich dem Schafott näherte und das Totengerüst bestieg, die sanfte Schamröte, die selbst das drohende Beil nicht zurückschrecken konnte, als die Blutknechte ihr den jungfräulichen Busen entblößten – nichts entging seinem spähenden Blicke: das Eisen fiel – sprachlos und wie vom Donner gerührt, stand er neben dem Trauergerüste und riß sich endlich nur mit Mühe von dem schrecklichen Schauspiel los. Noch ein Blick auf den enthaupteten Leichnam – und in eben dem Augenblick schlägt eine wilde Bestie das blutende Haupt ins Gesicht.

 

Die blutgierige Menge entrüstet sich selbst mitten in ihrer Blutgierde über die abscheuliche Freveltat – Lux teilt diese Entrüstung – sie erleichtert seine von Empfindungen bestürmte Seele und gibt ihm Stärke genug, seine Wohnung zu erreichen, wo er sich gänzlich dem Übermaße seines Schmerzes preisgab – und die empörende und seelenerschütternde Szene, der er beigewohnt hatte, tausendmal sich zurückrief, um tausendmal die nämlichen Martern zu fühlen. Jetzt war Schweigen in seinen Augen ein Verbrechen: er glaubte Frankreich und seinen Kommittenten eine getreue Darstellung der Dinge schuldig zu sein. Er wollte der Wahrheit ein Opfer bringen, das, wenn es auch für den Augenblick verloren ging, ein zu erhabenes Beispiel von erfüllter Bürgerpflicht war, um nicht von der Zukunft mit Nutzen aufgefaßt zu werden.

 

Während ganz Paris höchstens nur in dem Innern der Häuser von dieser Szene sprach und sie ebenso schnell vergaß, als es dieselbe gesehen hatte – stillschweigend die Heldin bewunderte oder laut sie verdammte – schrieb Lux eine Lobrede auf die erhabene Republikanerin und eine zweite Schrift über die Gegenrevolution am 31. Mai, deren Urheber er laut verabscheute, laut als Feinde der Freiheit, als Verräter der Republik verfluchte. Er entschloß sich, für die Wahrheit auf dem nämlichen Schafott zu bluten, wo Corday von Vaterlandsliebe entflammt ihren Geist aufgegeben hatte. Er entschloß sich, dem Despotismus auf eine des republikanischen Bürgers würdige Art zu entfliehen und durch seinen hohen Mut die Ehre derer zu retten, die ihn durch eine ehrenvolle Mission noch näher an die Sache der Freiheit selbst gefesselt hatten. – Zur nämlichen Zeit, als seine beiden Schriften erschienen, hatte man schon so sehr in Paris dem neuen Despotismus gehuldigt, daß beinahe jedermann den Namen Lux für einen fingierten Namen, das Ganze für das Werk eines Unbekannten hielt. Als man endlich erfuhr, daß dieser...

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