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Bildung der Geschlechter

AutorBarbara Rendtorff
VerlagKohlhammer Verlag
Erscheinungsjahr2011
Seitenanzahl132 Seiten
ISBN9783170295261
FormatPDF/ePUB
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis12,99 EUR
Angesichts der aktuellen öffentlichen Diskussionen über Jungen und Mädchen in Schule und Bildungsprozessen wollen viele in pädagogischen Berufen Tätige wissen, wie sie sich zu auftretenden Geschlechtereffekten verhalten sollen: Woher kommen sie? Welche Bedeutung haben sie? Warum sind sie so überdauernd, auch wo sie sich abmildern? Geschlechtereffekte lassen sich nur aus dem größeren Zusammenhang der Geschlechterunterscheidungen und Geschlechtertypisierungen verstehen, aus ihrer Geschichte, aus Denkgewohnheiten und kulturellen Traditionen, und nicht zuletzt aus den pädagogischen Konzepten der Vergangenheit. Das Buch erörtert auf diesem Hintergrund geschlechtstypische Aspekte von Kindheit und Jugend, von Bildung und Schule und die Frage der Mono- oder Koedukation.

Prof. Dr. phil. Barbara Rendtorff lehrt Schulpädagogik und Geschlechterforschung an der Universität Paderborn.

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Leseprobe

1  


Kurze Skizze zu den historischen Grundlagen der geschlechter-getrennten Bildung


Eine weit verbreitete Ansicht über das Geschlechterverhältnis lautet, dieses sei „immer schon“ auf dieselbe Weise ungleich gewesen, Frauen hätten sich „immer schon“ als Schwächere in einer unterlegenen gesellschaftlichen Position befunden, festgelegt auf das Häusliche, die Emotionalität und die Sorge für Andere, und Männer seien „immer schon“ rational und beherrschend gewesen. Auf diesem Hintergrund werden dann im Umkehrschluss geschlechtstypische Verteilungen in Staat, Gesellschaft und Bildungswesen gewissermaßen als Ausdruck historischer Zwangsläufigkeiten verstanden. Doch so einfach ist das nicht. Tatsächlich haben alle uns bekannten Gesellschaften zwischen den Positionen von Männern und Frauen unterschieden und es sind in den meisten uns bekannten Gesellschaften Ansehen, Macht, Rechte und ökonomische Ressourcen – also Besitz und Erwerbsmöglichkeiten – nicht gleich, sondern ungleichgewichtig zugunsten der Männer verteilt. Doch erstens gibt es dabei große graduelle und strukturelle Unterschiede in der Logik der Aufteilung, und zweitens variieren die Begründungen für diese Ungleichverteilung ganz erheblich. Für unsere Region und Fragestellung sind dabei insbesondere die Entwicklungen gegen Ende des 18. Jahrhunderts außerordentlich wichtig und aussagekräftig. In dieser Zeit kamen die Auffassungen über Geschlechter und ihre Eignungen durch Aufklärung, Revolution und die Entfaltung der Wissenschaften in Bewegung, die gesellschaftlichen Aufgaben von Frauen und Männern wurden neu bestimmt und dabei vor allem „vereindeutigt“.

Das 18. Jahrhundert war – dies nur in aller Kürze – eine Zeit des enormen politischen, ökonomischen und sozialen Wandels, da mit den Ideen der Aufklärung die bestehenden Verhältnisse einer grundlegenden Revision unterzogen wurden und sich eine neue gesellschaftliche Schicht herausbildete: das Bürgertum. In Abgrenzung einerseits vom Adel mit seinem Müßiggang, seiner Verschwendungssucht und seinem feudalen Leben von der Arbeit anderer, und von den Bauern, den armen Leuten, ihren Zwängen und Beschränkungen andererseits, kultivierte das Bürgertum (genauer: die bürgerliche Oberschicht) ein ausgeprägtes Brauchbarkeits- und Nützlichkeitsdenken, aufklärerisch, aber der Revolution abgeneigt und eher darauf aus, den Staat für seine Interessen nutzbar zu machen.

Von nachhaltiger Wirkung auf die Veränderungen der gesellschaftlichen Ordnung waren natürlich die wirtschaftliche und technologische Entwicklung und die dazu gehörenden Theorien. Mit der Ausbreitung des Handels, der Veränderung der Produktionsweisen und des Hauswesens wurde im 18. Jahrhundert die politische Ökonomie bzw. Nationalökonomie die Leitwissenschaft zur Erklärung des Kreislaufs der Güter und des Werts der Arbeit. Die ausschließliche Konzentration auf den Markt, den Gebrauchs- und Tauschwert der Güter, führte dazu, dass die Arbeiten, die der Sicherung der Existenz und der Ausgestaltung der Sozialbeziehungen dienten, dem Essen, Trinken, Schlafen, Erziehen, dem Wohlergehen und dem sozialen Miteinander der Menschen, in dieser Rechnung (der „Arbeitswerttheorie“) nicht als „Wert“ auftauchten. Das Haus, das in der alten Ökonomie des 17. und frühen 18. Jahrhunderts der gemeinsame Lebens- und Arbeitsort aller Familienmitglieder gewesen war, wo alle Arbeiten als Beitrag zum Gelingen des Ganzen angesehen wurden, wird von nun an zur Stätte des Konsums und des Sozialen – die dort verrichtete Arbeit erscheint nicht mehr als wertschöpfende Tätigkeit, sondern wird zur Konsumtion und Reproduktion degradiert.

Das färbt logischerweise auf die Personen ab, deren Tätigkeitsfeld sich zunehmend auf Binnenraum der Familie konzentriert: die Frauen.

Die Frau der Aufklärungszeit und des Bürgertums hatte keine vollen, den Männern entsprechenden bürgerlichen Rechte – sie konnte niemals einen Status von selbstbestimmter Unabhängigkeit erlangen, sondern sie blieb der „väterlichen Erziehungsgewalt“ unterworfen, bis diese auf den Ehemann oder einen Nachfolger des Vaters überging. Von hier aus begründet sich auch die (teilweise noch bis heute weiterwirkende) Sitte, dass Söhne eine Ausbildung und Töchter statt dessen eine „Aussteuer“ erhalten – eine Abfindung in Form von Hausrat, die damals zugleich die Tochter von Erbansprüchen an die Herkunftsfamilie ausschloss (Heinemann 1990: 260).

Das Fernhalten der Frauen von der höheren Bildung, die ja auf das Leben und Arbeiten in einem öffentlichen gesellschaftlichen Raum abzielte, verstärkte und betonte also die Tatsache, dass die Frauen nicht an dieser Öffentlichkeit teilhaben durften, ihren weitgehenden Ausschluss aus den politischen und wirtschaftlichen Bereichen der Gesellschaft und ihre Konzentration auf den engen Raum des Hauses: „Frauen besaßen kein eigenes Geld, konnten über ihr Vermögen nicht selber verfügen und hingen deshalb in all ihren Wünschen und Bedürfnissen von ihren Ehemännern ab“ (Frevert 1986: 46).

Innerhalb der Familie hatten die Frauen des späten 18. Jahrhunderts aber durchaus eine definierte Erziehungsaufgabe: die Bildung der „jungen Kinderseelen“ (so ein Text von J. H. Campe), die Grundlegung von Erziehung bei den kleinen Kindern, die auch das Lesenlernen und das erste Rechnen mit einschloss.

Um die Jahrhundertwende vom 18. zum 19. Jahrhundert erschienen eine ganze Reihe von Erziehungsratgebern und Anleitungen für Mütter, wie sie ihre Kinder das Lesen lehren sollten. Diese waren recht eigentlich „doppelte“ Fibeln, denn sie nahmen die Mütter – also diejenigen, die die Basis des Bildungsprozesses und die Grundlagen der Kulturalisation zu legen hatten – vor allem als Belehrungsbedürftige in den Blick (vgl. auch Kap. 3.2, 4.1). Damit wurden Frauen genau wie ihre Kinder zu Lernenden im Haus – ihr Lernen wurde aber an den familialen, privaten Kontext gebunden und blieb so von der ‚eigentlichen‘ Bildung außer Haus abgeschnitten.

Was das öffentliche Schulwesen angeht, so wurden zwar schon im 18. Jahrhundert in den deutschen Ländern die ersten Edikte zu einer allgemeinen Schulpflicht erlassen, die an Mädchen und Jungen gleichermaßen adressiert waren – doch hier stand nicht der Erwerb von Wissen im Vordergrund, sondern vor allem die sittliche und religiös-moralische Erziehung: Der Schulbesuch müsse für alle Kinder verbindlich sein – denn „wenn ich baue und verbessere das Land und mache keine Christen, so hilft mir das alles nicht“, schrieb König Friedrich Wilhelm I. zu seiner 1717 erlassenen Verordnung zum Schulbesuch (nachzulesen in der Preußenchronik des RBB: www.preussen-chronik.de).

Faktisch waren diese Edikte wohl eher „wohlgemeinte Absichtserklärungen“ (Herrlitz et al. 1998: 52), der Schulbesuch war im 18. Jahrhundert keineswegs selbstverständlich – und wegen des zu zahlenden Schulgeldes war er für die meisten ärmeren Eltern ohnehin unerschwinglich. Es sollte noch über hundert Jahre dauern, bis die allgemeine Schulpflicht annähernd durchgesetzt wurde (ebd.). Doch macht uns dieser „Blick zurück“ darauf aufmerksam, dass die heftigen und streitigen Diskussionen, die im 19. Jahrhundert um die Beschulung von Mädchen geführt wurden, sich weniger auf die Volksschule bezogen, sondern vor allem auf das weiterführende Schulwesen. Die Grundbildung, die nur die einfachsten Kulturtechniken umfasste, galt also als eine – in erster Linie von den Eltern (der Mutter) vermittelte, von der Volksschule eher halbherzig unterstützte –, jedem Kind zustehende „Grundlage des menschlichen Daseins“ (Heinemann 1990: 256). Doch die weiterführende Bildung zielte auf Fähigkeiten, die für öffentliche Aufgaben nötig und brauchbar waren: für die Ausübung eines Berufs, das Studium an einer Universität und die Wahrnehmung von Bürgerpflichten – und von diesen waren Frauen ja ausgeschlossen.

Für das Bürgertum als gesellschaftliche Schicht jedoch waren Bildung und Schulbildung die entscheidenden Erfolg versprechenden Bereiche der Investition – das Lesen wurde zu einer hochgeschätzten Betätigung und Teil bürgerlicher Öffentlichkeit. Überall entstanden Leihbibliotheken, Lesezirkel und Lesegesellschaften, ganz überwiegend den Männern vorbehalten (Frevert 1986: 35; Jonach 1997: 46). Die wenigen Salons von Frauen, die ein gemischtes Publikum anzogen, waren die absolute Ausnahme. Und da die neue bürgerliche Schicht, vom Nützlichkeitsdenken geleitet, auf die gemeinsam betriebene wirtschaftliche Weiterentwicklung orientiert war, wobei Bildung ihr wichtigstes Mittel zur Selbstdefinition und Selbstformung wurde, sollte nun auch diese Bildung nicht mehr nur als individuelle Veranstaltung zwischen dem einzelnen Hauslehrer und seinem Zögling stattfinden, sondern als institutionell organisierter Prozess betrieben werden.

Die erste Gruppe von Bildungsbürgern, die sich mit organisierter Schulbildung befassten, waren die Philanthropen (die „Menschenfreunde“, meist Pädagogen und Theologen), unter denen Basedow, Campe, Trapp und Salzmann wohl die bekanntesten sind. In Modellschulen, den Philanthropinen, wurden neue Bildungs- und Erziehungswege ausprobiert – überwiegend nur für Jungen (wie in Dessau), teilweise aber auch unter Beteiligung von Mädchen oder in getrennten Einrichtungen (so gab es auch Philanthropine für Mädchen, etwa in Frankenthal). An den philanthropischen Schriften lässt sich dann auch gut ablesen, welches die zentrale Orientierung für die Bildung von Mädchen des gehobenen Bürgertums im 19. Jahrhundert war: die weibliche Bestimmung zur Hausfrau, Gattin und Mutter (Näheres zur Begründung und zur...

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