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E-Book

Bin Knüller!

Herz an Herz mit Jonas

AutorDoro Zachmann
VerlagSCM Hänssler im SCM-Verlag
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl256 Seiten
ISBN9783775172486
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis7,99 EUR
Jonas ist ein besonderes Kind: Er hat Down-Syndrom und einen schweren Herzfehler. Jetzt ist er 14, und wieder muss er operiert werden. Doch er selbst ist sich sicher: Er ist ein Knüller. Gott hat ihn gemacht, und der wird auch auf ihn aufpassen. Jonas' Weg durch die OP nimmt seine Mutter zum Anlass, Rückschau zu halten über die Zeit mit ihm: in Tagebuchauszügen, Artikeln, Anekdoten; mit Fotos, Zeichnungen und nachdenklichen Kurztexten.

Doro Zachmann, Jahrgang 1967, ist diplomierte Sozialpädagogin. Seit 1999 arbeitet sie als freie Autorin. Die Geschichte 'Bin Knüller!' über ihren Sohn Jonas, der Down-Syndrom hat, bewegte viele Leser. Mit ihrer Familie lebt sie in Pfinztal und engagiert sich in der Freien evangelischen Gemeinde Karlsruhe. www.doro-zachmann.de

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Reaktionen


Wir fahren in die Stadt zu dem Treffpunkt, den ich mit Jan ausgemacht habe. Jan ist Jonas’ Zivi, der einmal in der Woche für zwei Stunden unseren Sohn »übernimmt« und mir dadurch Freiraum schenkt. Jonas ist nicht minder begeistert von diesem Mittwochnachmittag, der immer eine schöne Abwechslung bietet, und außerdem mag er Jan sehr. Heute wollen die beiden ins Kino gehen und sich »Die wilden Kerle 4« ansehen. Jonas ist schon ganz aufgeregt und ich bin so froh, dass der Besuch im Krankenhaus für ihn schon wieder abgehakt zu sein scheint. Auch bin ich dankbar, Jonas jetzt an Jan »abgeben« zu dürfen und Zeit für mich zu haben, in der ich mich meinen Sorgen, Gedanken, Ängsten stellen kann.

Ich erzähle Jan kurz von der Diagnose. Auch er ist erschrocken. Aber Jonas tut das Ganze mit einer wegwerfenden Handbewegung und den Worten ab: »Ach, nich schlimm, Jan! Komm jetz, geh Kino, wilde Kerle guckn!«

Ja, man muss im Leben einfach Prioritäten setzen können. Fußball zum Beispiel! Und wer ein echter wilder Kerl sein will, muss hart trainieren.

Juli 2002

Jonas (9) findet keinen, der mit ihm unten im Hof kickt. So zieht er mürrisch ab und macht das Beste aus seiner Situation, indem er wie folgt allein Fußball spielt: Er stellt sich zwei Meter vor das Garagentor und kickt den Ball dagegen. Dann schreit er laut »TOOOR!«, wirft die Arme in die Luft, juchzt vor Freude, streckt dem imaginären Torwart schadenfroh die Zunge raus und zählt: »Eins un Null!« Dann tritt er das nächste Tor, brüllt wieder laut, führt sein Freudentänzchen auf etc. und zählt: »Swei un Null!« Als er (bei nicht ganz korrekter Zählweise) »Achsen un Null« ruft, nickt er zufrieden, kickt den Ball – überzeugt von sich und seinem fußballerischen Können – in die Ecke und kommt wieder nach oben.

Auf der Fahrt nach Hause kann ich endlich weinen. Und sofort sind sie wieder da: Bilder der Erinnerung an die erste Operation mit so viel Angst, Schmerz, Blut und Tränen.

Ausgeliefert

Die sechs Stunden deiner Operation
dauerten wie eine Ewigkeit.
So verlor der Begriff Zeit
für mich jede Bedeutung,
das Warten
war ein Zustand der Grausamkeit,
und das Wort Ohnmacht
wurde zur lebendigen Erfahrung.

Mein Schluchzen wird schließlich Gebet: »O Gott, was kommt da auf uns zu? Steht es wirklich so schlimm um Jonas’ Herz, dass wir da noch einmal durchmüssen? Du weißt, was es uns alle damals gekostet hat und wie schwer die Zeit für uns war. Ich habe Angst davor. Aber noch mehr Angst habe ich, mein Kind zu verlieren! So eine Herz-OP ist doch kein Pappenstiel. Oh, ich bin so ohnmächtig. Mir bleibt nichts, als das alles in deine Hände zu legen und zu vertrauen, dass du das Beste daraus machen wirst. Aber ich danke dir auch, dass du uns nun so eine lange Zeit der Ruhe damit geschenkt hast. Mir war letztlich doch gar nicht bewusst, dass Jonas’ Herz immer noch so krank ist. Bitte nimm mir nicht mein Kind! Ich weiß nicht, wie ich das überstehen könnte.«

Es tut so gut, alles aussprechen zu können und einfach nur zu weinen. Es macht mich innerlich ruhig.

Zu Hause angekommen möchte ich am liebsten gleich alles erzählen. Aber da ist niemand. Wolfgang ist noch bis spätabends in der Seelsorge (und dort auch telefonisch nur schwer erreichbar), unsere Zwillingstöchter Maren und Eliane (15) sind bei Freundinnen, Katharina (21, Wolfgangs Tochter aus erster Ehe) noch in der Vorlesung.

Also schnappe ich mir das Telefon und rufe meine Eltern an. Mutti ist tief betroffen, reagiert aber gefasst. Sie tröstet mich: »Jetzt wartet erst mal die Untersuchung in Freiburg ab, vielleicht ist es ja doch nicht so schlimm.«

Ich schreibe eine Rundmail an viele Freunde und erzähle die Situation. Kaum zu glauben, wie viele liebevolle, mitfühlende, Trost spendende, Mut machende und fürbittende Mails daraufhin in den nächsten Tagen zurückkommen. Ich drucke und schneide sie alle aus und klebe sie in mein Tagebuch – so kann ich die schönen Zeilen ständig nachlesen und mit nach Freiburg nehmen, wenn es so weit ist.

Der Hund bellt. Eliane und Maren kommen laut kichernd heim.

Sie sehen mir sofort an, dass etwas nicht stimmt. »Was ist los, Mami?«, werde ich besorgt gefragt. Mit Tränen in den Augen erzähle ich von der Untersuchung, und dass Jonas wahrscheinlich wieder am Herzen operiert werden muss.

»Oh nein! Der Ärmste!« Maren ist tief betroffen.

»Doch nicht mein süßer Knuddelbruder!« Der Schreck steht in Elianes Gesicht.

»Meine arme kleine Mama!« Maren nimmt mich tröstend in die Arme. Elli stellt sich dazu und umarmt uns beide. So stehen wir eine Weile zu dritt mitten in der Küche, schweigend, weinend, betroffen.

»Ach was! Das packt der schon! Ihr werdet sehen!« Maren hat ihre Zuversicht wiedergewonnen. Erleichtert atmen wir auf, lösen uns voneinander, wischen uns Tränen aus dem Gesicht, grinsen uns an, lachen dann laut über die verschmierten Kajalaugen.

Ich bin so froh über meine Mädchen, so dankbar für diesen kostbaren Moment des Einsseins. Als Jonas von Jan eine Stunde später gebracht wird, wundert er sich seltsamerweise gar nicht, warum ihm seine Schwestern den ganzen Abend kaum von der Seite weichen und sich so liebevoll um ihn kümmern. Das war schon immer so:

Die besten Therapeutinnen

Die Logopädin
lehrt dich das Sprechen.

Die Krankengymnastin
bringt dir Bewegungsabläufe bei.

Der Ergotherapeut
zeigt dir, was Feinmotorik ist.

Die Heilpädagogin
sorgt für deine integrative Eingliederung.

Und deinen Schwestern
machst du alles nach.

Später huscht Katharina ins Haus. (Liebevoll heißt sie bei uns oft »Aganina Zamzam«, denn das war jahrelang Jonas’ offizielle Bezeichnung für seine älteste Schwester.) Sie will sich noch etwas zu essen organisieren, bevor sie den Abend mit Lernen verbringt, denn ihre Semesterabschlussprüfungen stehen bald an. Als ich ihr die unangenehme Neuigkeit erzähle, schiebt sie den Teller von sich weg. Der Appetit ist ihr vergangen. »Oh je! Unser Joni!« Pause. »Dann bleibe ich lieber hier!«

»Nein! Nein, das musst du nicht. Du musst deswegen jetzt nicht deine ganzen Zukunftspläne über den Haufen werfen. Außerdem wissen wir ja noch gar nicht, ob und wann er operiert wird.« Es erscheint mir nicht richtig, dass Katharinas lang ersehnter Wunsch vom Auslandspraktikum, für den sie sich so eingesetzt hat, nun scheitern soll. Ein halbes Jahr Ecuador, alles ist geplant und organisiert, der Flug gebucht. »Nein!«, sage ich noch einmal mit Bestimmtheit. »Du kannst trotzdem fliegen!«

In ihr erleichtertes Aufatmen mischt sich dennoch ein Hauch schlechtes Gewissen. Bevor sie in ihr separates Domizil nach nebenan verschwindet, schlüpft sie noch einmal zu ihrem Bruder ins Zimmer …

Die Kinder sind alle im Bett, als Wolfgang endlich um 23 Uhr nach Hause kommt. Er hatte einen anstrengenden Tag und ist sehr müde. Für einen Moment überlege ich noch, ob ich ihn schonen und erst morgen alles erzählen soll, aber als er mich in seinen Arm zieht und mich fragt, wie mein Tag war, da platzt es aus mir heraus.

Wolfgang ist geschockt. Ich spüre, wie es ihm den Boden unter den Füßen wegzieht. Er setzt sich, will alle Einzelheiten hören. Und so gehe ich die ganze Untersuchung und jede Bemerkung des Arztes noch einmal mit ihm durch. Schweigend hängen wir dann eine Weile unseren Gedanken nach, spüren tröstend die Nähe des anderen. Dann steht Wolfgang auf, nimmt mich in den Arm und sagt: »Okay, wenn es so sein soll, dann soll es so sein und dann werden wir das Beste daraus machen! Ich werde für die Zeit, wenn du mit Jonas im Krankenhaus bist, alle Aktivitäten zurückfahren und hier zu Hause den Laden schmeißen. Wir werden alle Kraft brauchen, aber Gott wird uns auch nicht im Stich lassen. Das weißt du!« Ja, das weiß ich und es ist auch meine einzige Hoffnung und das, worauf ich mich stütze. Ich liebe Wolfgang für seine Zuversicht, seine Stärke und seinen Willen, sich niemals unterkriegen zu lassen.

In der Nacht auf den 25. September 1992

Wolfgang liegt neben mir auf dem Bett, streichelt mich und sein viertes Kind. Jonas ist vor drei Stunden geboren worden. Dieses kleine Bündel Mensch schläft friedlich zwischen uns und ahnt überhaupt nicht, wie sehr es von einem Moment auf den anderen unser Leben aus der Bahn geworfen hat. Gemeinsam ringen wir mit dem ausgesprochenen Verdacht, gerade ein geistig behindertes Kind bekommen zu haben, flüstern miteinander, schweigen miteinander, weinen miteinander. Und während sein Vaterblick auf unserem kleinen Sohn und seine große warme Hand auf dem winzigen Köpfchen ruht, spricht Wolfgang den Satz aus, den ich noch heute deutlich höre: »Ob Jonas behindert ist oder nicht: Lieben tu ich ihn schon jetzt.«

Die Nacht ist wunderbar friedlich. Wir flüstern uns gegenseitig in den Schlaf und wundern uns am nächsten Morgen, dass wir so gut geschlafen haben. Obwohl wir doch allen Grund hätten, unruhig zu sein, dürfen wir in den nächsten Tagen und Wochen erleben, wie sich zunehmend Frieden in unseren Elternherzen ausbreitet und uns durch unsere Sorgen trägt.

Für Jonas scheint die OP kein Thema mehr zu sein. Er spricht sie weder uns gegenüber an, noch enthalten seine lauten Selbstgespräche, die er ständig führt, wenn er sich unbeobachtet fühlt, irgendeinen Hinweis darauf, dass er sich mit der OP beschäftigt oder gar Angst davor hat. Was ja absolut verständlich wäre … Es ist aber auch...

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