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'Bläserklasse' - Königsweg einer künftigen musikalischen Bildung?

Konzeption, Erhebung und Auswertung von themenzentrierten Leitfadeninterviews mit SchülerInnen und Lehrkräften von Bläserklassen an allgemeinbildenden Schulen

AutorNorman Grüneberg
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2008
Seitenanzahl116 Seiten
ISBN9783640220809
FormatePUB/PDF
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis34,99 EUR
Examensarbeit aus dem Jahr 2008 im Fachbereich Musik - Sonstiges, Note: 1,0, Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg, 60 Quellen im Literaturverzeichnis, Sprache: Deutsch, Abstract: Ich betrete eine Schule. Auf dem Weg zum Musikzimmer kommen mir merkwürdig bekannte Klänge entgegen, ich meine, einen Bach-Choral zu hören. Beim Öffnen der Tür stehe ich einer fünften Klasse gegenüber, die gerade Musikunterricht hat. Dazu sitzen die Schülerinnen und Schüler aber nicht an den gewohnten Tischen, sondern haben Blasinstrumente in den Händen und sitzen in einer richtigen Orchesterbesetzung. Ja, dies hier sei die 'Bläserklasse', wird auf mein Nachfragen geantwortet. Der Musiklehrer dirigiert die Klasse - nach dem Ende des Chorals erklärt der Musiklehrer, heute ein den Schülern bereits bekanntes Stück, 'Rock-A-Saurus-Rex' wiederholen zu wollen. Die Schüler sind begeistert und spielen einen rockigen Titel mit viel Energie und Rhythmus. Wird hier der ideale Musikunterricht erteilt; sind hier die Vorstellungen der Musikpädagogik von einem praxisorientierten Musikunterricht, der die Schüler begeistert, verwirklicht worden. So oder so ähnlich lassen sich die ersten Gefühle beschreiben, wenn man der 'Bläserklasse' erstmalig begegnet. Nach dem ersten Überschwang tauchen Fragen in viel-fältiger Form auf. Was wird hier eigentlich vermittelt? Sind die Inhalte des Musikunterrichts auf musizierpraktischem Weg zu vermitteln? Was sind überhaupt Inhalte - was ist musikalische Bildung? Der Musikunterricht an allgemeinbildenden Schulen hat in den vergangenen Jahrzehnten grundlegende konzeptionelle Veränderungen erlebt. Von einer am Kunstwerk orientierten Didaktik und einer hauptsächlich vokal ausgerichteten Musikpraxis hat man sich (zumindest theoretisch) zu Gunsten eines handlungsorientierten, kulturerschließenden Musikunterrichts mit vielfältigen methodischen Zugängen abgewendet. Diese Entwicklung ist längst nicht abgeschlossen, wie die unterschiedlichen Modelle einer Integration praktischen Musizierens in den Unterricht zeigen. Eines dieser Modelle ist die 'Bläserklasse'. Die vorliegende Arbeit will der Frage nachgehen, inwieweit die Bläserklasse konzeptionell und strukturell in der Lage ist, als Äquivalent zum herkömmlichen Musikunterricht Inhalte musikalischer Bildung zu vermitteln.

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Leseprobe

3.Konzeption der Untersuchung

 

3.1. Begründung des Untersuchungsverfahrens

 

3.1.1.Leitfadeninterviews (Grounded Theory)

 

Um einen Einblick in Strukturen, Organisationsformen, Abläufe und Motivation für die Bläserklasse zu gewinnen, schien es am sinnvollsten, die Akteure vor Ort direkt aufzusuchen. Um aus den zu gewinnenden Daten einen möglichst effektiven Nutzwert zu erzeugen, wurde die erste Idee einer quantitativen Erhebung mittels eines Fragebogens verworfen. Dagegen sprach auch ein vermutetes Unvermögen von Schülern der Klassen 5 und 6, mit einem derart komplexen Thema quantitativ wertend umzugehen.

 

Als effektive Möglichkeit zur qualitativen Untersuchung des Konzepts ‚Bläserklasse‘ wurde die Methode des Leitfadeninterviews bzw. leitfadengestützten Interviews gewählt, die vor allem in der sozialwissenschaftlichen Forschung zunehmend Verbreitung findet.[93] Es handelt sich um eine gut vermittelbare Interviewtechnik, die durch Nutzung eines Leitfadens Sicherheit und Anhaltspunkte bei der Durchführung von Interviews (im Unterschied zu offeneren Varianten, z.B. narratives Interview) gibt. Eine unklare Gesprächssituation wird vermieden, gleichwohl sind durch den Leitfaden, der quasi als ‚roter Faden‘ funktioniert, keine unnötigen Einschränkungen wie durch vollständig ausformulierte Fragestellungen gegeben. Einen guten Überblick zur Entwicklung von Leitfäden sowie zur situativen Interaktionskompetenz (Nachfragestrategien, Fragenabfolge) bietet Hopf.[94] Nahezu alle Handbücher betonen die Notwendigkeit einer intensiven Interviewerschulung:

 

„Diese Einzelfallentscheidungen, die nur in der Interviewsituation selbst getroffen werden können, verlangen vom Interviewer ein großes Maß an Sensibilität für den konkreten Interviewverlauf und für den Interviewten. Darüber hinaus verlangen sie ein großes Maß an Überblick über das bereits Gesagte und seine Relevanz für die Fragestellung der Untersuchung“[95]

 

Dazu muss aus der Erfahrung der die Arbeit stützenden ‚Feldarbeit‘ angemerkt werden, dass bei Entwicklung eines thematisch detaillierten Leitfadens und einem gewissen Maß Vertrauen in narrative Kompetenzen diese Hürde gemeistert werden kann, gleichwohl mitunter strategische Fehler (Primat des Leitfadens o.ä.) nicht zu vermeiden sind aber durch eine Anzahl von Interviews auszugleichen sind.

 

Zur Analyse der Interviews wurde eine Methode der qualitativen Sozialforschung benutzt, die maßgeblich dazu beigetragen hat, den gegen sie gerichteten Vorwurf, dass sie nicht ‚hart‘ genug am empirisch Vorgefundenen sei, zu entkräften: die Grounded Theory. Entwickelt worden ist die Methode von den Soziologen Barney Glaser und Anselm Strauss[96]. Ins Deutsche übertragen kann sie als ‚gegenstands- oder datenverankerte Theorie‘ bezeichnet werden – der englische Begriff hat sich mithin eingebürgert. Als Ablehnung einer bloßen Hypothesen-Überprüfung ist mit der Grounded Theory eine Methode entwickelt worden, welche die Theoriegewinnung in den Mittelpunkt stellt.

 

Die bei der Befragung erhobenen Daten werden dabei schrittweise in eine den Daten entsprechende Theorie überführt, insofern geht eine zu bildende Theorie aus dem Forschungsprozess hervor. Diese Arbeitsweise hat den großen Vorteil einer ständigen Verifizierung bzw. Falsifizierung von erkenntnisleitenden ‚Hypothesen‘, die fluide sind, d.h. während des Erkenntnisprozesses ständig modifiziert werden können.[97] Die Methode der Kodierung (oder Kategorisierung) ist in der qualitativen Forschung hinlänglich bekannt. Der Ansatz der Grounded Theory geht unter Anwendung eines ständigen Vergleiches allerdings dahin, Hypothesen zu entdecken und nicht vorläufig zu testen. „Grounded“ meint insofern, dass die Theoriebildung in der Empirie, den Daten, verankert ist

 

3.1.2. Durchführung der Befragungen

 

Für das hiesige Vorhaben sind aus dem theoretischen Bezugsrahmen hervorgegangene relevante Sachverhalte in Dimensionen gefasst worden, die aus einer interessengeleiteten Überlegung zum Konzept ‚Bläserklasse‘ entwickelt worden sind. Diese Dimensionen beinhalten die wesentlichen Aktionsformen und –träger von Klassenmusizieren in Form von Bläserklassen: Modelle – Lehrkräfte – Schüler – Lernzielvermittlung.

 

Nach der Entwicklung der Leitfäden ( Kapitel 3.3.) sind in einer zweiwöchigen Feldphase allgemeinbildende Schulen (Gymnasium) besucht worden, wo Interviews mit Lehrkräften und Schülern durchgeführt werden konnten. An 4 Gymnasien wurden 5 Lehrkräfte (Dimensionen 1 und 2) und in 5 Bläserklassen (Dimensionen 3 und 4) insgesamt 127 Schüler (76 aus Klasse 5; 51 aus Klasse 6) befragt. Die Interviews mit den Lehrkräften wurden jeweils in Einzelgesprächen geführt; die Bläserklassen sind bei Proben (während des Schulunterrichts) und Probenlagern (in Bildungszentren außerhalb der Schulorte) besucht und jeweils im Klassenverband (ca. 24 Schüler je Klasse) interviewt worden.

 

Anhand eines Audiomitschnittes der jeweiligen Gespräche mussten die Interviews dann transkribiert und anonymisiert werden. Empfehlenswert ist nachträglich das Anschaffen einer Audio-Software zur Erleichterung der Transkription. Für dieses Vorhaben ist die Software f4-audio- v 3.0.3.[98] benutzt worden. Die Zuhilfenahme professioneller Transkriptionsprogramme ist für den Wissenschaftsbetrieb sicherlich sinnvoll – im Zeitrahmen der vorliegenden Arbeit erwies sich allerdings die intensive und lange Einarbeitungszeit als nicht effektiv.

 

3.2. Zum Problem der Bildung von Hypothesen bei qualitativen Forschungsmethoden

 

Die Formulierung von Hypothesen an den Anfang einer Untersuchung zu setzen ist eine notwendige Maßnahme für quantitative Untersuchungen, um die Theoriefülle der Wahrnehmung und die Selektivität jeglicher Forschung systematisch kontrollieren zu können. Theoriegeleitete Wahrnehmung und die zeitliche Abtrennung von Datenerhebung und –analyse sind ein unverzichtbarer Bestandteil quantitativer Methoden.

 

Im Bewusstsein, dass das Wissen Wahrnehmung und Handeln beeinflusst, lehnt die qualitative Methodologie überwiegend die Formulierung von Ex-ante-Hypothesen ab, um eine vorzeitige Festlegung auf bestimmte Aspekte, die aus einem subjektiven Relevanzbereich heraus erstellt werden, zu vermeiden. Gefordert wird daher nicht eine Explizierung vorhandenen Wissens, sondern vielmehr eine Suspendierung desselben zugunsten einer größtmöglichen Offenheit gegenüber spezifischen Deutungen und Relevanzsetzungen der Handelnden.

 

Das Problem ist in der gegenwärtigen soziologischen Forschungsdebatte eingehend erläutert worden.[99] Die Diskussion hält noch an, allerdings hat sich im Rahmen qualitativer Forschungsmethoden die Entscheidung gegen Ex-ante-Hypothesen weitgehend durchgesetzt (auch in Anlehnung an Strauss) und zu einer Konsolidierung der qualitativen Position in Abgrenzung von der quantitativen Methodologie beigetragen.

 

Nun ist die vorliegende Arbeit keine originär soziologische Untersuchung, sondern beschäftigt sich mit einem musikpädagogischen Gegenstand in den Handlungsfeldern der beteiligten ‚Akteure‘; und zwar personell als auch strukturell. Wie oben bereits erwähnt, sind diese in Dimensionen gefasst worden. Zur Erstellung der Interview-Leitfäden wurden deshalb untersuchungsleitende Fragestellungen voran gestellt, die im Folgenden erläutert werden sollen.

 

3.3. Untersuchungsleitende Fragestellungen

 

3.3.1. DIMENSION 1: Modelle des Bläserklassenkonzepts an allgemeinbildenden Schulen

 

3.3.1.1. Organisation und Strukturen von Bläserklassen

 

 Die Einrichtung einer Bläserklasse erfordert einen immensen organisatorischen Aufwand, der zunächst wenig mit den musikpädagogischen Intentionen der Lehrkräfte zu tun hat. Es muss der Frage nachgegangen werden, mit welcher Begründung die organisatorische Ebene einer Schule an die Konzeption einer ‚anderen‘ Art von Musikunterricht herangeht. Es ist davon auszugehen, dass die Schüler relativ einfach für eine handlungsorientierte Unterrichtsform auf der Basis von Instrumentalmusik zu gewinnen sind. Dabei gibt es aber gerade auf elterlicher Seite vor alle Erwartungshaltungen und sicher auch kritische Einwände bzw. Fragen.

 

Ferner muss die Konzeption von Bläserklasse geplant werden – welchem Konzept aus welchen Gründen der Vorrang gegeben wird und ob eventuell eigene (erfahrungsbedingte) Konzepte gefunden werden bzw. wurden, scheint hierbei von besonderer Bedeutung. Wie wird bei der Auswahl der Instrumente für die Schüler vorgegangen und wie ist der Bestand eines Instrumentariums überhaupt zu sichern? Daneben sind derartige „nicht-curriculare“ Unterrichtsvorhaben auch mit finanziellen Anstrengungen verbunden, deren organisatorische Bewältigung für die Darstellung der Modelle entscheidend sein kann. Als Äquivalent für den Musikunterricht muss die Bläserklasse in den Lehrplan bzw. die Rahmenrichtlinien der Schule integrierbar sein – hier wird nach Möglichkeiten und Argumenten zu fragen...

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