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Hinter blauen Augen

Bekenntnisse eines aufrechten Bankräubers

AutorReiner Laux
VerlagHeyne
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl304 Seiten
ISBN9783641129484
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis8,99 EUR
Sorry, Banküberfall!
Gießen, 1986: Der junge Reiner Laux führt ein unangepasstes Leben jenseits der Norm. Um seiner großen WG aus finanziellen Nöten zu helfen, beschließt er spontan, in Frankfurt eine Bank zu überfallen. Ganz alleine führt Laux den Bankraub durch; ruhig, souverän, ohne Gewalt. An jenem Tag verändert sich sein Leben von Grund auf, denn diese Bank bleibt nicht seine letzte ... In einer Gesellschaft, in der der Bürger den undurchschaubaren Machenschaften der Banken nahezu machtlos gegenübersteht, verwirklicht Reiner Laux seine ganz eigene Vision von Freiheit. Dies ist seine Geschichte.

Reiner Laux überfiel von 1985 bis 1995 dreizehn Banken, ausschließlich in Deutschland und meistens zweimal dieselbe. Im Dezember 1995, wenige Tage nach seinem letzten Banküberfall, wurde er in Portugal verhaftet und nach mehreren Indizienprozessen zu achteinhalb Jahren Gefängnis verurteilt. Seit Mai 2003 befindet sich Reiner Laux wieder in Freiheit.

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Leseprobe

Ich trage das Bewusstsein

meiner Niederlage vor mir her

wie eine Siegesfahne.

Fernando Pessoa

1        Frankfurt, Februar 1985

Mit einer Milchtüte in der Hand und einem flauen Gefühl im Bauch saß ich im Zug von Gießen nach Frankfurt, entschlossen, eine Bank zu überfallen. Draußen verschwamm der schwer auf die Erde drückende Februarhimmel in schwarzgrauen Tuschetönen. Auf einem Zaunpfahl fröstelte ein Mäusebussard, der die nackten Ackerschollen nach wärmendem Blut ausspähte. Ein Fußgänger kämpfte sich mit seinem Hund durch die unwirtliche Welt. Auf der Fensterscheibe der fettige Abdruck einer Kinderhand.

Was machte ich hier? War dies wirklich der einzige mögliche Ausweg? Oder war das Ganze nur ein spätpubertärer Anfall von Räuber-Romantik – der Kampf des einsamen Helden gegen dunkle anonyme Mächte? Oder hatte ich schlicht den Verstand verloren?

Alles hatte vor anderthalb Jahren begonnen. Ich lebte in Gießen in einer Wohngemeinschaft mit fünf Frauen. Eine von ihnen war gerade ausgezogen, und wir waren im Begriff, per Annonce eine neue Mieterin zu suchen, als Nazhin (unsere persische Mitbewohnerin, der ich zur Vorbereitung auf die deutsche Uni Sprachunterricht gab) uns fragte, ob wir nicht einen jungen Iraner, der in Gießen mit dem Studium begonnen und keine Bleibe hatte, vorübergehend aufnehmen könnten. Wir waren einverstanden, und der Iraner zog ein. Als nach zwei Monaten noch keine Miete auf unserem WG-Konto eingegangen war, sprach ich den jungen Perser freundlich darauf an. Er vertröstete mich mit gestenreichen Erklärungen auf den nächsten Monat, und als einen Monat später noch immer nichts eingezahlt war, auf den folgenden. Das Konto, das auf meinen Namen lief, geriet immer mehr ins Minus, zumal der Junge täglich in den Iran telefonierte, sodass seine Telefonschulden bald höher waren als die für die Miete. Ich war nie ein Hippie, aber tief in meinem Innern immer ein Beatnik, den Materielles nicht sonderlich interessierte, solange eine Flasche Wein greifbar war. Deswegen vertraute ich ihm mit Verständnis für seine Notlage und in gutgläubiger Hoffnung immer wieder aufs Neue und brachte es nicht einmal übers Herz, ihm seine Monstertelefonate zu verbieten.

Elf Monate lang hielt der Perser uns so hin, dann war das Zimmer eines Morgens plötzlich geräumt, der Bursche war verschwunden, und ich stand da mit einem Minus von über 6000 DM auf dem auf meinen Namen laufenden Konto. Jetzt, ein halbes Jahr später, waren es bereits knapp 7000 DM, und ich hatte noch bis Montagmittag um 13.30 Uhr Zeit, das Geld aufzutreiben, sonst würden nicht nur die Lichter in unserem Treppenhaus ausgehen. Ich hatte nicht allein Ärger mit der Bank, sondern mir saß (über den uns freundlich verbundenen Rechtsanwalt, der unter anderem die Hausbesetzergruppen in Gießen vertrat) auch der Vermieter im Nacken, die Stadtwerke wollten Strom, Wasser und Gas abstellen und die Post das Telefon.

Ein Gespräch mit dem Filialleiter der Bank hatte nur den kläglichen Aufschub bis zum kommenden Montag gebracht. Meine Mitbewohnerinnen, die sich in stillem Einverständnis darauf geeinigt hatten, dass ich das Problem schon lösen würde, waren vier Studentinnen und eine Schwesternschülerin und ebenso unvermögend wie ich. Meine übrigen Freunde und Bekannten waren allesamt erfolglose Künstler, mittellose Studenten, geschäftsuntüchtige alternative Gewerbetreibende und Drogen konsumierende Spinner. Ich hatte mir den Schädel nach einer Lösung zerquält und in meiner Verzweiflung sogar einen Lottoschein ausgefüllt. Die Freunde hätten knapp 200 DM zusammenkratzen können, ein privater Geldverleiher hätte mich allein mit den Zinsen stranguliert. Ich hatte mich sogar überwunden und meine ungeliebten Eltern angesprochen und ihnen die Situation geschildert. Sie wollten nichts davon hören und glaubten mir ohnehin nicht. Ich konnte es ihnen nicht verdenken, denn ich hatte ihnen unser ganzes gemeinsames Familienleben lang nur Lügengeschichten erzählt, um sie von meiner Seele fernzuhalten.

Nun war der Donnerstag vor dem tödlichen Montag. Schwermütig saß ich nachmittags in der nebligen Winterdämmerung am Gießener Schwanenteich, als mich plötzlich ein endgültiger Gedanke durchzuckte, klar und hell wie ein Blitz: Ich würde eine Bank überfallen! Ich hatte mit dem Gedanken in den letzten Wochen schon manches Mal gespielt, ihn jedoch immer wieder als unwirklich und grotesk verworfen. Jetzt stand die Entscheidung.

Ich überlegte, welche Bank infrage kam. Ich dachte zunächst an das Naheliegendste – an unsere Bank. Ich würde dort das Geld »abheben« und gleich wieder einzahlen. Als ich mir das Gebäude jedoch am darauffolgenden Tag anschaute, musste ich feststellen, dass es in seiner Weitläufigkeit, mit mehreren weit auseinanderliegenden Kassen und unüberschaubaren Kundentischen, ungeeignet war.

Mir fiel Elvira ein. Wir waren einmal zusammen gewesen und hatten uns in aller Freundschaft getrennt. Sie hatte mir versichert, dass mir ihre Tür jederzeit offenstünde. Elvira wohnte im Zentrum von Frankfurt, im Stadtteil Bornheim, direkt gegenüber einer süßen, kleinen Bankfiliale.

Ich rief sie an. Sie war zu Hause und erwartete mich für Sonntagnachmittag. Ich hatte also den Montagmorgen für den Überfall und könnte pünktlich bis 13.30 Uhr das Geld bei der Bank in Gießen einzahlen. Leider würde ich mir die Bank nicht mehr von innen anschauen können, doch ich vertraute auf meine rasche Auffassungsgabe und meinen Instinkt. Dass das ausgewählte Bankobjekt eine der vielen Zweigstellen war, für die mein älterer Bruder in leitender Position als Banker verantwortlich war, gab der ohnehin schon grotesken Konstellation eine zusätzliche Würze.

Als Nächstes überlegte ich, woran Banküberfälle für gewöhnlich scheiterten und welche Fehler ich vermeiden musste. Abgesehen davon, dass manche Leute vergaßen, sich zu maskieren, ihren Ausweis am Tatort liegen ließen oder mit einer Wasserpistole in der Hand abdrückten, war der Hauptgrund für ihr Scheitern Nervosität; sie wurden aggressiv oder gar gewalttätig, oder sie verloren die Geduld. Viele suchten sich auch entlegene Filialen aus, mit einem viel zu langen Fluchtweg, den sie auch noch in einem leicht identifizierbaren Fluchtfahrzeug (»blauer Ascona mit weißen Streifen«) bestritten, anstatt sofort zu Fuß im unüberschaubaren Auto- und Fußgängerverkehr im Zentrum einer Großstadt unterzutauchen. Das jedenfalls war mein Plan. Meine Bank in Frankfurt lag im Zentrum, nur fünfzehn Meter vom »Basislager« entfernt, und ich hatte vor, meine Verfolger durch ein auffälliges Detail der Maskerade gründlich in die Irre, nämlich in die Ferne, zu führen. Dieses Detail sollte ein Motorradhelm sein, mit dem ich mich zudem perfekt vor den Blicken der Videokameras verbergen konnte.

Ich rief meinen Freund Jonny an, der Flohmarkthändler war und regelmäßig den Sperrmüll abfuhr. Er hatte mir schon häufig von seinen Touren Wunschartikel mitgebracht, mal eine Reiseschreibmaschine, mal ein Bücherregal. Ich hatte Glück, denn am Abend fanden in mehreren Dörfern um Gießen Sperrmüllveranstaltungen statt, die er ohnehin abklappern wollte. Noch am Freitagabend kam Jonny vorbei und brachte einen gut erhaltenen schwarzen Integralmotorradhelm mit. Von »Dr. Mad«, einem befreundeten Medizinstudenten und verwöhnten Söhnchen reicher Eltern, lieh ich mir die Nachbildung einer Neun-Millimeter-Röhm-Schreckschusspistole aus. Alles andere – ausgelatschte schwarze Schuhe, verwaschene schwarze Jeans samt Parka sowie ein alter schwarzer Wollschal und abgeschabte schwarze Kunstlederhandschuhe – fand sich in meiner Garderobe und auf dem Dachboden unserer WG. Samstagnacht machte ich einen Versuchslauf vor dem Spiegel, in voller Maskerade und mit gezogener leerer Gaspistole. Es wirkte alles ziemlich albern, aber so war ja das ganze Leben.

Jetzt saß ich also im Zug nach Frankfurt und zählte die schwarzen kleinen Federknäule, die auf den tropfenden Hochspannungsleitungen hockten. »Sixteen Ways«, der magisch düstere Song der aktuellen Platte von Green On Red (meiner Lieblingsband der Achtziger), ging mir nicht aus dem Sinn. Seit Wochen hörte ich nichts anderes und fiel meinen Mädchen in der Wohngemeinschaft damit mächtig auf die Nerven.

Im Schatten der alles überragenden Bankentürme fuhr der Zug in Frankfurt ein. Ich dachte daran, dass mein zehn Jahre älterer Bruder in diesem Moment in einem dieser Türme saß und seinem Job nachging. Zwanzig Jahre später – mein Bruder war mittlerweile führender Manager einer der größten deutschen Banken – erzählte er mir bei einem unserer seltenen Treffen (anlässlich des Todes unserer Mutter) eine Anekdote aus der geheimnisvollen Bankenwelt:

Regelmäßig und im Wechsel trafen sich die deutschen Führungsbanker in den einzelnen Bankzentralen zu Absprachesitzungen. Als das damals höchste Bauwerk Frankfurts fertiggestellt war, bat einer der Top-Manager der Bank nach der Sitzung in der abgeschotteten Führungsetage die überraschten Kollegen auf die Toilette. »Bis zur Höhe der Pissoirs war der Raum edel ausgeschlagen«, berichtete mein Bruder. »Direkt darüber zog sich eine gläserne...

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