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E-Book

Blöff

Die geheime Mechanik der Lüge

AutorBar Stenvik
VerlagRiemann
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl416 Seiten
ISBN9783641164409
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis13,99 EUR
Gut geblöfft ist halb gewonnen!
Die Lüge zählt im Allgemeinen nicht zu den nobelsten menschlichen Eigenschaften. Und obwohl wir viel Aufwand treiben, uns vor Betrügern zu schützen, sind unsere Fähigkeiten, sie zu erkennen, überraschend gering ausgeprägt. Bar Stenvik zeigt, wie unser Wunsch nach Wahrheit und Authentizität geradezu einen Markt für ständig neue »Bluffs« schafft: Was ist echt, was ist Täuschung? Tischen uns die Politiker Lügen auf? Kann Liebe vorgespielt werden? Ist eine gelungene Fälschung Kunst? Der Autor hat bei Hirnforschern, Biologen, Kunstfälschern und anderen Experten Antworten auf die Frage gefunden, warum wir ohne die Lüge nicht leben können: Sie ist unauflösbar eng mit unserer Kreativität und unseren sozialen Fähigkeiten verknüpft.

Bar Stenvik, geboren 1976 in Norwegen, ist Journalist. Er studierte Literatur, Anglistik, Musikwissenschaft und Liberal Studies in Norwegen und New York. Für seine erfolgreichen Sachbücher wurde er 2012 mit dem norwegischen Buchhändlerpreis ausgezeichnet.

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Leseprobe

Tarnung

Versteckte Kanonen – Beyoncés Stimme – Militärische Forschung – Winkerkrabben – Kubistische Kriegsschiffe – Trügerische Uniformen – Ehrlicher Kampf – Überraschungs- angriff – Das Wettrüsten des Kuckucks – Militärische Magie – Urbane Tarnung – Camo Couture – Andy Warhol – Alltagskleidung als Tarnung – Guerillakrieg – Getarnte Motive

Beim Stöbern im Buchladen finden Sie ein schönes Buch des Schweizer Fotografen Christian Schwager. Auf dem Umschlag prangt ein Chalet mit Balkon, tief herabhängendem Satteldach, grünen Klappläden und sauber drapierten Gardinen. Vor dem Haus stehen ein Holzstapel und ein Gartenschuppen, an dessen Wand ein altes Wagenrad hängt. Auf den ersten Blick ein Fotobuch über alte Holzhäuser in grünen Landschaften oder hübschen Dörfern. Schön, denken Sie, vielleicht ein bisschen zu kitschig, und legen das Buch wieder weg.

Doch lassen Sie uns den Titel berücksichtigen und genauer hinsehen: »Falsche Chalets«. Beim zweiten Durchblättern stellt sich heraus, dass einige der abgebildeten Gebäude seltsame Ausbuchtungen haben und ihre Bretter verbogen sind, als hätte Salvador Dalí sie gemalt. Und ist es nicht seltsam, dass keines der Fenster das Sonnenlicht reflektiert? Was macht diese Häuser so erschreckend malerisch? Am Ende sind sie gar gemalt?

Christian Schwager entdeckte sein erstes falsches Chalet bei einer Bergtour, als er an einem Haus vorbeiging, das ihm unverhältnismäßig schmal vorkam. Wer würde so etwas bauen und warum? Erst als er dicht herantrat, ging ihm auf, dass das Haus eine Illusion war. Es war ein angemalter Betonbunker. Wie viele andere in der Schweiz soll die niedliche Fassade eine brutale Wirklichkeit tarnen. Schiebt man die falschen Türen und Fenster zur Seite, kommen bedrohliche Kanonenläufe zum Vorschein.

Die Schweizer Armee baute die meisten dieser Sinnestäuschungen in den dreißiger und vierziger Jahren, als Spionage und Luftüberwachung in Europa üblich wurden. Kulissenmaler wurden angeheuert, um Geschützstände und Luftabwehrstellungen zu tarnen. Sie gingen mit Schweizer Präzision ans Werk und imitierten Holzstrukturen, Gardinen und andere Details so genau, dass sie noch aus zwanzig Metern Abstand echt aussahen. Als Schwager durchs Land reiste und die Gebäude fotografierte, traf er auf Menschen, die über zwanzig Jahre lang in der Nachbarschaft von Artilleriebunkern gelebt hatten, ohne etwas zu ahnen. Die Fassade wurde ohne Weiteres als hübsches Holzhaus unter anderen hübschen Holzhäusern akzeptiert.

Mit aufgeklärtem Blick sehen wir es jedoch gleich. Holzläden, Fenster und Gardinen sind aufgemalt, und der Balkon ist nichts als ein flaches Holzgeländer, direkt an die Wand genagelt. Plötzlich verstehen wir gar nicht mehr, wie wir uns zunächst so täuschen konnten. Dabei hat unser Gehirn nur normal reagiert: Wenn wir etwas Bekanntes sehen, holt es sofort entsprechende Bilder aus der Erinnerung hervor. Im Namen der Effektivität füllt es Leerräume und Mängel und gaukelt uns ein glaubwürdiges Modell vor. Auf diese Weise erfassen wir die Welt – wir sehen, was wir zu sehen erwarten. Solange nichts den Erwartungen widerspricht, funktioniert dieses Modell wunderbar. Erst wenn die Wirklichkeit aus der Norm fällt, werden wir wirklich auf sie aufmerksam. Wir können jahrelang im Halbschlaf zur Arbeit fahren, bis wir eines Tages einen Passagier dabeihaben, der Details an Gebäuden oder der Landschaft kommentiert, die wir noch nie registriert haben. Dann wachen wir auf und sehen unsere Umgebung in einem anderen Licht, genau wie der erste Hinweis auf die falschen Chalets die Illusion zerstört und wir immer mehr Details entdecken.

Sing mit deiner eigenen Stimme

An einem kühlen Sonntag im Januar 2013 sollte US-Präsident Barack Obama erneut in Amt und Würden gesetzt werden. Die Reporter spekulierten, welche Signale er in seiner Antrittsrede senden würde: Redet er über die Finanzkrise? Wird er Homosexuellen mehr Rechte zugestehen? Und nicht zuletzt: Was sagt er über die militärische Präsenz der USA im Irak und in Afghanistan? Wie schnell wollte er die Truppen zurückziehen und wie die Stabilität sichern? Spricht er die Atomkriegsdrohungen aus dem Iran und Nordkorea an, und setzt er deutliche Zeichen?

Neben der Politik diskutierten die Medien auch die formelle Zeremonie. Würde sich Obama beim Eid wieder versprechen oder vielleicht die Bühne in Flammen aufgehen wie damals bei Kennedy? Niemand sah den Skandal voraus, der die Onlinemedien nach der Zeremonie dominierte. Und niemand hatte es während der Feierlichkeiten bemerkt. Erst wenige Tage später gelangte ein Journalist über ein Mitglied des teilnehmenden Musikkorps an die Information.

Als musikalisches Highlight war die Sängerin Beyoncé aufgetreten, und sie hatte offenbar nur Playback gesungen. Die Debatte über den politischen Kurs der USA ging im sogenannten »Lip Sync-gate« unter. Hatten Beyoncé und die Verantwortlichen wirklich alle zum Narren gehalten? Oder hatte die Sergeantin der Militärband persönliche Motive, als »Deep Throat« der Affäre zu agieren? Vielleicht hatte sie es satt, immer nur in der hinteren Reihe zu spielen, während ihr die Stars die Schau stahlen?

Amerikas Talkshow-Queen Oprah Winfrey verteidigte Beyoncé: »Ich könnte die Kritik ja verstehen, wenn sie Mary J. Bliges oder Alicia Keys’ Stimme benutzt hätte, aber es war ihre eigene! Warum regen sich alle so auf?« Ein britischer Toningenieur bekam seine fünf Minuten im Rampenlicht, als er mit einer Analyse der Fernsehaufnahmen beweisen wollte, dass Beyoncé echt gesungen habe.

Die Sergeantin der US Marine Band machte die Verwirrung perfekt, indem sie ihre Aussage zurückzog, doch schließlich löste die Hauptperson selbst das Rätsel. Beyoncé gab zu, dass sie Playback gesungen hatte. Als Grund gab sie die ungünstigen Wetterverhältnisse und mangelnde Zeit zur Vorbereitung an. Gleichzeitig versicherte sie, beim bevorstehenden Super Bowl live zu singen, und gab vor der Presse eine A-cappella-Version der amerikanischen Nationalhymne zum Besten, um ihre Ehre zu retten.

Am 31. Januar 2013 erbrachte eine Google-Suche nach »beyoncé+inauguration+lipsync« 37600000 Treffer. Folglich muss bei der Sache etwas auf dem Spiel gestanden haben, auch wenn keiner so recht wusste, was. Der US-Komiker Steve Colbert drückte es wie folgt aus: »Wissen Sie, was es zu bedeuten hat, wenn Beyoncé Playback gesungen hat? Wenn ja, dann schreiben Sie mir bitte, denn ich wüsste gern, warum ich so sauer auf sie bin!«

Der Amtsantritt des mächtigsten Politikers der Welt ist eine symbolische Veranstaltung, und man sollte meinen, die Unterhaltung sei dabei sekundär. Sie bildet sozusagen die Garnitur der circa achtzehnminütigen Rede des Staatsoberhaupts an die Bürger des Landes. Natürlich spielt die Nationalhymne dabei eine wichtige Rolle. Sie bietet einen Moment des Nachdenkens über die besungene Nation und stärkt die Bande zwischen einem Individuum und seinem Land. Dennoch: Was macht es für einen Unterschied, ob Beyoncé echt sang oder nur so tat, wo es doch niemand bemerkt hatte? Warum war ihre Berufsehre durch eine im Showbusiness völlig alltägliche Praxis in Gefahr?

Das Paradox des Betrugs

Wir Menschen haben ein komplexes Verhältnis zu Schein und Betrug. Wir können ein halbes Leben lang neben einem Geschützbunker wohnen, ohne es zu bemerken, aber wenn ein Popstar auf einer Veranstaltung, bei der es nicht um ihn oder seine Leistung geht, seine eigene Stimme im Playback benutzt, regen wir uns auf. Warum ist dies so?

Im Aufdecken von Betrug sind wir Weltmeister – sofern uns jemand auf den Betrug aufmerksam gemacht hat. Doch liegt es in der Natur des Betrugs, keine Aufmerksamkeit zu erregen. Jede Art der Tarnung beruht auf der Strategie, unsere Wahrnehmung in gewohnte Bahnen zu lenken und somit von dem getarnten Objekt abzulenken. Militärische Anlagen wie die Schweizer Geschützstände sind ein Beispiel für die Art Betrug, die wir am meisten fürchten: unschuldige Fassaden mit tödlichem Innenleben. Das Prinzip ist fast so alt wie das Leben selbst. Gefährliche Organismen passen sich ihrer Umgebung an und greifen überraschend an. Zum Beispiel die sogenannten Steinfische, die wie ein Teil des Meeresbodens aussehen, bis man auf sie tritt und sie einem ihr tödliches Gift injizieren. Oder fleischfressende Pflanzen, die für Insekten verlockend aussehen und riechen, und sie verschlingen, sobald sie darauf landen. Ebenso verbreitet ist in der Natur die umgekehrte Variante des Betrugs, zum Beispiel harmlose Schwebefliegen, die wie Wespen aussehen, oder Schmetterlinge mit großen Augenflecken auf den Flügeln.

Manche Lebewesen mögen sich ihrer Tarnung bewusst sein, dennoch nehmen wir Menschen eine Sonderstellung ein. Wir wissen nicht nur, dass wir getäuscht werden und andere täuschen, sondern reflektieren dies auch beständig. Ein beträchtlicher Teil der menschlichen Psychologie ist mit dieser Art von Misstrauen beschäftigt. Wir wollen unterscheiden zwischen Menschen, denen wir trauen können, und jenen, denen wir nicht trauen können. Wollen wir eine Wohnung kaufen, suchen wir nach jedem möglichen Anzeichen versteckter Mängel. Hören wir eine Sängerin, beurteilen wir, ob sie mit echter Überzeugung singt. Wichtige Bereiche unserer Kultur dienen allein dem Zweck, Betrüger und Schmarotzer zu entlarven: Spionage, Gesetze, moralische Richtlinien, wissenschaftliche Tests, polizeiliche Ermittlung und vieles mehr. Unsere Zivilisation ist von Innovationen...

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