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E-Book

Borderline im Trialog

Miteinander reden - voneinader lernen

AutorAnja Link, Michael Armbrust
VerlagJunfermann
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl224 Seiten
ISBN9783955713584
FormatePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis23,99 EUR
Die Möglichkeit eines systematischen Austauschs, einer Begegnung auf 'auf Augenhöhe', zwischen Borderline-Betroffenen, deren Angehörigen und Fachleuten galt lange Zeit als nicht realisierbar. Die Kommunikation und die Beziehungen zwischen den Gruppen seien von zu heftigen Emotionen geprägt, hieß es. Zum Glück aller Beteiligten wurde der Vorstoß zu einem Borderline-Trialog dennoch gewagt. Anja Link, eine der Mitinitiatorinnen, und Dr. Michael Armbrust, Fachmann für die Behandlung der Persönlichkeitsstörung, beleuchten Borderline in diesem Buch aus allen drei Blickwinkeln: Gemäß des Trialog-Gedankens wird aufgezeigt, wie Betroffene, Angehörige und Fachleute im wechselseitigen Austausch voneinander lernen und profitieren können. Die Autoren thematisieren die typischen Probleme und Herausforderungen im Miteinander, zeigen Lösungen auf und schaffen auf diese Weise ein größeres Verständnis für die Ängste und Bedürfnisse des jeweils anderen.

<p>Michael Armbrust, Dr. med., ist Chefarzt der Schön Klinik Bad Bramstedt.</p> <p>Anja Link ist Mitbegründerin des Borderline-Trialogs und der Borderline-Trialog Kontakt- und Informationsstelle in Nürnberg. </p> <p>&nbsp;</p>

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Leseprobe

1. Trialogischer Austausch – den Blickwinkel ändern, verstehen und lernen


„Ich begreife es einfach nicht: Unsere Tochter hat 16 Wochen Therapie gemacht und es geht ihr nicht besser. Sie beteiligt sich nicht am Haushalt, obwohl sie den ganzen Tag nichts zu tun hat, und wenn ihr was nicht passt, schneidet sie sich die Arme auf! Zu Hause laufen wir alle wie auf rohen Eiern!“

(Mutter einer Betroffenen)

„Vielleicht fühlt sich Ihre Tochter unter Erfolgsdruck gesetzt? Bei mir hat es damals fast zwei Jahre gedauert, bis ich das, was ich in der Therapie gelernt habe, wirklich im Alltag umsetzen konnte. Aus dem ‚Schutzraum Klinik‘ entlassen zu werden ist ganz schön hart. Wichtig waren dort für mich die Ermutigungen durch die Fachleute. Eine Weile war ich sogar richtig darauf fixiert, weil ich die Vorstellung hatte, nur in der Klinik habe ich Menschen, die mich verstehen und die mir zeigen können, wie das Leben funktioniert. Für die Meinung von anderen interessierte ich mich lange Zeit nicht mehr.“

(25-jährige Borderline-Betroffene)

„Das war mir gar nicht so klar, dass die Betroffenen uns so sehen könnten. Denn ich kam mir oft genauso hilflos wie die Betroffenen selbst vor, gerade wenn Situationen auf Station eskaliert sind. Erst seit wir mit neuen Konzepten therapeutisches Handwerkszeug bekommen haben, fühle ich mich in meiner Profi-Rolle wieder handlungsfähiger; das ist für mich wichtig, um bei der Sache bleiben und Zuversicht vermitteln zu können.“

(Psychotherapeut)

„… und ich dachte immer, die Profis verstecken sich nur hinter ihren Therapiekonzepten. Immer, wenn es hieß, ich soll diese oder jene Übung machen, habe ich gedacht, das klingt fast wie eine Floskel, aber ich als Person werde gar nicht mehr wahrgenommen ….“

(25-jährige Borderline-Betroffene)

Diese – hier auszugsweise wiedergegebene – Diskussion zwischen einer Betroffenen, einer Angehörigen und einem Psychotherapeuten zeigt, wie die Teilnehmer eines Trialoges sich gegenseitig dabei helfen, die Situation des jeweils anderen besser zu verstehen. Durch dieses bessere Verstehen können Beziehungen sich verändern und mehr Offenheit und Akzeptanz entstehen. Das Konzept des Trialogs wird so zu einem Zugewinn für alle, die daran teilnehmen.

1.1 Betroffene, Angehörige und Fachleute an einem Tisch


Die Idee zu einem Borderline-Trialog wurde 2001 von Andreas Knuf im Nachwort des Buches „Leben auf der Grenze“ (2006) beschrieben. Zunächst aber schien ein Vonei­nander-Lernen auf gleicher Augenhöhe – in der Form, wie es seit 30 Jahren sehr erfolgreich in den Psychose-Seminaren geschieht – im Zusammenhang mit der Borderline-Störung nicht möglich. Kommunikation und Beziehungen sind nicht selten geprägt von heftigen Emotionen. Manchmal geht gar nichts mehr; die Beteiligten können nicht mehr miteinander sprechen, ohne in Streit und in gegenseitige Schuldzuweisungen zu geraten. Der Austausch auf einer sachlichen Gesprächsebene ist nicht mehr möglich. Hilfreich ist es dann, Abstand zu gewinnen, die Situation von außen zu betrachten und sich in die Lage aller Beteiligten hineinzuversetzen. Genau das geschieht im Trialog, wenn Betroffene, Angehörige und Fachleute sich auf gleicher Augenhöhe zum Austausch von Erfahrungen und Wissen an einen Tisch setzen. Das Motto lautet hier: „Lernen und Verstehen über einen Stellvertreter“. In den Trialogen geht man nicht mit dem eigenen Patienten, der eigenen Mutter oder dem eigenen Psychotherapeuten, sondern der Borderline-Betroffene begegnet beispielsweise einem Menschen, der Angehöriger eines anderen Borderliners ist und sich in einer ähnlichen Situation wie die eigene Mutter befindet. In diesem „neutralen“ Rahmen und dem konfliktfreien Kontakt kann eine klärende Diskussion stattfinden, Fragen offen gestellt und Antworten gefunden werden. Mit diesem neu gewonnenen Wissen kann wieder Begegnung stattfinden.

Den Trialog-Gedanken aufzugreifen und umzusetzen gelang gemeinsam in einem kleinen Initiatorenteam: Christiane Tilly und Anja Link – zugleich Betroffene und in psychosozialen Berufen ausgebildet – holten noch Heiner Dehner als Psychologen und Psychiatriekoordinator der Stadt Nürnberg ins Boot. Der Einladung zum ersten bundesweiten Borderline-Trialog folgten im Dezember 2004 mehr als 300 Betroffene, Angehörige und professionell Tätige. Diese Resonanz machte deutlich, wie stark das Interesse am gegenseitigen Verstehen war und nach wie vor ist. Vor allem aber wurden auch der Mut und die Motivation geweckt, diese Form des Austausches voranzubringen und zu etablieren.

Nachdem die ersten Schritte im mittelfränkischen Ansbach und Nürnberg getan waren und sich damit Befürchtungen zerschlagen hatten, dass eine trialogische Gruppe im Zusammenhang mit Borderline nicht funktionieren könne, begann die Idee sich weiterzuverbreiten. Engagierte Trialog-Teilnehmer der bundesweiten Veranstaltung aus ganz Deutschland fragten nach, unter welchen Voraussetzungen und mit welchen Mitteln die Umsetzung eines Borderline-Trialogs gelingen kann. In Telefonaten und Zusammenkünften mit Interessierten vor Ort wurde gemeinsam überlegt, geplant und jeweils von den bisher gemachten Erfahrungen profitiert, experimentiert und immer weiter voneinander gelernt.

Fortführung der Trialog-Veranstaltungen

Neben den jährlich stattfindenden bundesweiten Trialog-Veranstaltungen haben sich inzwischen in mehreren Städten Regionalgruppen gegründet, die ­regelmäßig zusammenkommen und teils schon über mehrere Jahre bestehen. In all diesen Treffen werden sehr offen von allen Beteiligten Fragen gestellt und vielfältige Antworten gefunden. Spannend ist, die Besonderheiten der einzelnen Regionalgruppen zu verfolgen, die an dieser Stelle nur kurz angerissen werden können. So schreiben beispielsweise die Teilnehmenden in Herborn Protokolle über ihre Zusammenkünfte, sodass die beeindruckenden gemeinsamen Erkenntnisse festgehalten und später nachgelesen werden können.

Durch die Rückmeldungen der Regionalgruppen wird auch deutlich, dass manchmal Kompromisse notwendig sind, um Prozesse überhaupt in Gang zu setzen. Manche gefundene Lösung erweist sich dann als praktikabler Weg, der beibehalten werden kann. So findet beispielsweise das Treffen des Borderline-Trialogs in Bad Bramstedt, den es seit 2007 gibt, in den Räumlichkeiten einer psychosomatischen Klinik statt. Damit wird zwar der ursprünglichen Trialogidee des „neutralen“ Ortes nicht entsprochen, für die Teilnehmenden scheint dies jedoch kein Hindernis zu sein. Nach Auskunft der Veranstalter kommen regelmäßig bis zu 60 Interessierte zum Regionaltreffen, dabei sind die Gruppen der Betroffenen, Angehörigen und Fachleute etwa gleich stark vertreten. Besonders ist dort, dass sich auch erwachsene Kinder von Menschen mit der Diagnose Borderline im Trialog einfinden.

Trialog – (wie) funktioniert das?

Die konkrete Umsetzung des Trialog-Gedankens und die Gestaltung der Gruppen hängen jeweils von den Vorstellungen und Wünschen der Teilnehmer und teils einfach auch von den vor Ort verfügbaren Möglichkeiten und Ressourcen ab. Bewährt hat sich, nach einer Initialveranstaltung zum Trialog, einen verlässlichen Rahmen für die Gruppentreffen anzubieten, Termine im Vorfeld festzulegen und die Gespräche durch eine Moderation zu begleiten. Gute Erfahrungen wurden inzwischen mit sogenannten Blockseminaren gemacht.

Ein Blockseminar ist ein „Paket“ aus drei bis fünf Sitzungen, bei denen der erste Termin stets ein Informationsabend ist. An diesem ersten Abend werden die drängendsten sachlichen Fragen zu Borderline und zum Trialog geklärt, und er bietet eine gute Gelegenheit, die Themenwünsche der Teilnehmer zu sammeln. Nach dem Info-Abend gibt es weitere vier Abende, in denen die trialogischen Gesprächsrunden zu den ausgewählten Themen stattfinden. So kann das Vorbereitungsteam nach Abschluss des „Blocks“ entscheiden, wann der nächste Borderline-Trialog stattfinden wird. Rücksicht nehmend auf die Kapazitäten der Organisator/inn/en lässt sich so ein Block mit etwa fünf Abenden leichter umsetzen als eine kontinuierlich angesetzte Veranstaltungsreihe. Die Pause zwischen den Seminaren kann kreativ genutzt werden, um dann wieder alle Energien für den nächsten Durchlauf zu bündeln.

Günstig ist, im Vorbereitungsteam die Regeln für den Trialog festzulegen und schon beim Informationsabend zu präsentieren oder sogar schon auf dem Info-Flyer der Veranstaltungsankündigung abzudrucken.

Entscheidend für eine offene Atmosphäre im Trialog ist eine Grundhaltung, die durch folgende Punkte gekennzeichnet ist:

  • Der Austausch geschieht auf gleicher Augenhöhe.
  • Bewertungen werden vermieden.
  • Jeder ist für sich selbst verantwortlich.
  • Die Wahrheit ist subjektiv.

In diesem Rahmen sind intensive, wechselseitige Lernprozesse möglich und nutzen allen Beteiligten: Fachleute berichten, dass sie im Trialog eine tiefere Ebene des Verstehens erreichen und ihre eigene Rolle als Helfer neu betrachten und definieren können. Betroffene beschreiben beispielsweise, dass sie durch Erzählungen der Angehörigen die Situation der eigenen Eltern oder Partner ganz anders reflektieren und deren Reaktionen auf eigenes Verhalten anders bewerten können. Dabei macht auch Mut, von anderen Betroffenen zu hören, welche Erfahrungen mit Selbsthilfe und Therapie gemacht werden. Gerade Eltern von Betroffenen haben im Trialog die Möglichkeit, Fragen zu stellen, die die eigenen Kinder selbst noch nicht beantworten können. Durch diese „Übersetzungsarbeit“ entsteht wieder mehr Verständnis, und die Bereitschaft zur Meisterung des gemeinsamen...

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