In 2.1.1 wurde der Anwendungsbezug des Neuromarketing als Teildisziplin der umfassenderen Neuroökonomie angesprochen. Die Umsetzung der theoretisch gewonnen Erkenntnisse ist Gegenstand des vorliegenden Kapitels und bezweckt die Erarbeitung von neuronalen Gestaltungsoptionen in Supermärkten.
Im Mittelpunkt steht der LEH, welcher nach einer Begriffseinordnung unter dem Aspekt marktspezifischer Aussichten und Herausforderungen beleuchtet wird. Bevor auf die Bedeutung des Neuromarketing in Supermärkten eingegangen wird, erfolgt eine Abgrenzung zur klassischen Markenführung am POS. Daraus hat sich inzwischen das Shopper-Marketing entwickelt, dessen strategische und operative Ansätze sich dem Neuromarketing am POS annähern. Kern des Kapitels ist die ausführliche Untersuchung neuronaler Gestaltungsmöglichkeiten anhand dreier Best Practice Beispiele. Die Analysemethodik wird dargestellt und begründet.
Unter dem LEH werden Unternehmen des Einzelhandels[124] zusammengefasst, deren Märkte vorwiegend ein Lebensmittelsortiment führen. Je nach Betriebstyp werden Waren aus dem „Non-Food"-Bereich angeboten. Im Gegensatz zum Großhandel, der seine Waren an Wiederverkäufer und Weiterverarbeitende absetzt, verkauft der EH an Endverbraucher. Im engeren Sinne ist zwischen funktionellem und institutionellem Handel zu unterscheiden: Unter Ersterem wird die Tätigkeit, nicht selbst be- oder verarbeitete (Handels-) Waren von anderen Marktteilnehmern beschafft und an Dritte abgesetzt zu haben, verstanden. Hingegen bezieht sich institutioneller Handel auf Unternehmen, deren primäre Wertschöpfung aus Handel im funktionellen Sinne besteht.[125]
Umfassend bezieht sich Handel auf den Austausch von Wirtschaftsgütern unter Beteiligung von mindestens zwei Marktpartnern. Zielsetzung neben der „Erfüllung von Nutzenvorstellungen" ist die „Verbesserung ihrer jeweiligen Bedarfssituation"[126].
Heute gelten die Markterschließung und das Angebot an Beratungs- und Serviceleistungen als bedeutende Handelsaufgaben. Zudem ist er Ort der Kommunikation.[127]
Die wichtigsten Vertriebsformen sind der stationäre Handel sowie der Versandhandel. Zur systematischen Gliederung von Handelsbetrieben dient die Einteilung in Betriebstypen, deren Merkmale sich in der Praxis vermischen.[128]
Die in Tabelle 3.1 dargestellten Betriebstypen sind dem stationären LEH zuzuordnen:
Tabelle 3.1: Betriebstypen des stationären Lebensmitteleinzelhandels[129]
Die Praxisbeispiele dieser Thesis gliedern sich in zwei Supermärkte und ein SB- Warenhaus. Beide Formen haben ein Warenangebot mit Schwerpunkt im Lebensmittelbereich, bieten aber auch „Non-Food"-Bedarfs- und Alltagsartikel an. Im SB- Warenhaus wird das Sortiment mit Artikeln aus anderen Branchen ergänzt. Hier steht Selbstbedienung im Vordergrund, während im Supermarkt eine Mischung aus Bedienung und Selbstbedienung besteht. Weiterhin unterscheiden die beiden Typen sich anhand der Größe ihrer Verkaufsfläche. Ein kleiner Supermarkt hat eine Fläche zwischen 400 und 2.500 qm, ein großer Supermarkt nutzt eine Fläche von 2.500 bis 5.000 qm2, während das SB-Warenhaus eine Fläche von mindestens 5.000 qm2 besitzt.[130]
Nachstehend erfolgt eine Branchenstrukturanalyse des deutschen LEH. Ein geeignetes Modell sind „Porter's Five Forces", mit denen sich der Einfluss von fünf Marktteilnehmern auf die Branchenstruktur untersuchen und die Marktattraktivität bewerten lässt.[131]
Abbildung 3.1: Porter's Five Forces That Shape Industry Competition [132]
Rivalry among existing competitors
Der deutsche LEH zeichnet sich durch eine besonders hohe Umsatzkonzentration aus: Den Branchenumsatz von 227,9 Mrd. Euro in 2011 prägten die fünf umsatzstärksten Unternehmen mit rund 73 %, die „Top Ten"-Konzerne sogar mit rund 85 % Anteil (siehe Abbildung 3.2). Den höchsten Rang bildet die Edeka-Gruppe mit einem Gesamtumsatz von 47,17 Mrd. Euro in 2011, den sie im Vergleich zum Vorjahr um 4,1 % steigerte. Darauf folgen die Rewe-Gruppe (35,5 Mrd. Euro) und die Metro-Gruppe (30,1 Mrd. Euro), die jeweils an Umsatz verloren. Die Folgeränge werden von DiscounterKonzernen belegt: Die Schwarz-Gruppe mit Lidl und Kaufland (28,7 Mrd. Euro) und die Aldi-Gruppe (24,7 Mrd. Euro) verzeichneten ein Plus.[133]
Abbildung 3.2: Anteil der Top 5/Top 10 LEH am Branchenumsatz, Mio. €, 2011[134]
Discounter-Konzerne machten in 2011 zusammen ein Fünftel des Branchenumsatzes aus (siehe Abbildung 3.2). Ihr Differenzierungsmerkmal ist der Preis, welchen sie mittels Eigenmarken-Management garantieren. Vor allem Aldi nutzt ein hohes Flächenpotential; Ladenlayout und Warenpräsentation sind standardisiert. Zunehmend setzen auch traditionelle Konzerne auf Handelsmarken und nutzen seit Ende des 20.Jahrhunderts den Betriebstyp der Discounter: Zur Rewe-Gruppe gehört Penny, zur Edeka-Gruppe Netto.[135]
Es lässt sich somit auf einen harten Wettbewerb in einem stark konzentrierten Wettbewerbsumfeld im deutschen LEH schließen, der allerdings wie nachstehend gezeigt von Verbrauchererwartungen bestimmt wird. 3 Praktischer Teil: Analyse der neuronalen Gestaltungsoptionen von Supermärkten
Bargaining power of buyers
Im 20.Jahrhundert hat sich die Struktur des LEH, generell des EH, vom Verkäufer- zum Käufermarkt gewandelt. Darunter wird die Marktsituation sinkender Preise, die sich entweder durch einen Angebotsüberschuss, der bei steigendem Angebot und konstanter Nachfrage entsteht, oder ein Nachfragedefizit, das durch sinkende Nachfrage und konstantes Angebot entsteht, verstanden.[136]
Die hohe Verhandlungsmacht der Kunden ist auf einen ständigen Wandel der Kundenerwartungshaltungen zurückzuführen. Dies zwingt Handelsunternehmen zur Differenzierung ihrer Angebotssysteme. Schon bei der Auswahl an Betriebstypen zeichnet sich eine Vielfalt spezieller Einkaufsstätten ab.[137]
Die Anpassung an Kundenbedürfnisse zeigt sich ebenso am zunehmenden Angebot an regionalen Produkten, Waren aus eigener Herstellung und Handelsmarken. Andererseits erwarten Kunden bestimmte Produkte („must-stock-products"), für dessen permanente Verfügbarkeit der Händler sorgen muss, um keine Verluste zu erzielen.[138]
Bargaining power of suppliers
Die Verbrauchermacht schlägt sich auf eine vorteilhafte Stellung des Handels gegenüber der Industrie zurück. Angesichts dessen und aufgrund der Umsatzkonzentration entsteht der Vorwurf einer wettbewerbsbedenklichen Nachfragemacht des Handels. Demnach müssten Handelskonzerne nicht nur großen Verhandlungsspielraum gegenüber Lieferanten haben, sondern auch in einer willkürlichen Verhaltensposition gegenüber Verbrauchern stehen. Diesen seien dann keine Ausweichmöglichkeiten mehr zu alternativen Einkaufsstätten geboten.[139]
Gegenwärtig sind aber die Kunden die entscheidenden Akteure und können zwischen einer Vielzahl an Betriebstypen und einer hohen Produktvielfalt und Sortimentstiefe (siehe 2.1.3) wählen. Vom Händler-Hersteller-Verhältnis profitieren sie durch relativ niedrige Lebensmittelpreise und einer hohen Preisstabilität.[140]
Auch Lieferanten nehmen Vorteile wahr: Sie erhalten steigende Aufträge zur Produktion von Handelsmarken, welche sich zunehmend auf einem gemeinsamen Preisniveau zu Herstellermarken befinden. Vor allem bei den „must-stock-products" besitzen Hersteller eine große Verhandlungsposition, denn diese bestehen ausschließlich aus Herstellermarken.[141]
Threat of new entrants
Der harte Wettbewerb und die Umsatzkonzentration im LEH resultieren in einem Verdrängungswettbewerb, der neuen Wettbewerbern den Markteintritt erschwert. Unternehmen müssen bei der Erschließung des weitgehend gesättigten Lebensmittelmarktes Wettbewerbern Marktanteile abtreten, um sich zu behaupten.[142]
In anderen Einzelhandelsbranchen ist das Risiko, durch neue Wettbewerber Marktanteile zu verlieren, größer. So vermehren sich insbesondere in der Textilindustrie Herstellerfilialen, die traditionelle Warenhäuser verdrängen.[143]
Threat of substitute products or services
Ein für den stationären Handel bedrohliches Ersatzprodukt könnte der E-Commerce sein. Hier ist eine kontinuierliche Umsatzsteigerung in Deutschland im letzten Jahrzehnt zu beobachten, wobei der Handelsverband Deutschland für 2013 ein weiteres Umsatzplus von 12 % im Vergleich zum Vorjahr auf 33,1 Mrd. Euro prognostiziert. Dies würde eine Steigerung um mehr als das dreißigfache gegenüber 1999 bedeuten.[144]
Auch im EH ist ein Aufschwung des E-Commerce zu verzeichnen. 2012 nahm er mit 7,7 % einen rund eineinhalbfachen Anteil im Vergleich zu 2007 am Gesamtumsatz....