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Brasilien. Ein Land der Zukunft

Mit großer Weitsicht sah Zweig die heutige Lage Brasiliens voraus

AutorStefan Zweig
Verlage-artnow
Erscheinungsjahr2013
Seitenanzahl300 Seiten
ISBN9788087664575
FormatePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis0,99 EUR
Dieses Buch (erstmals 1941 veröffentlicht) wurde schnell zu einem Klassiker. 'Brasilien. Ein Land der Zukunft' ist ein großes Porträt des Landes aus der Perspektive eines Ausländers, der seine letzten Jahre in Brasilien verbrachte. Zweig nimmt den Leser mit auf eine Tour durch Bahia, Recife, die Hügel von Rio de Janeiro und beobachtet brasilianische Kulturgewohnheiten. Er taucht auch in einer Analyse der brasilianischen Wirtschaft und Geschichte. Viele der Vorhersagen von Zweig sind tatsächlich zustande gekommen. So ist dieses Buch ein historisches Dokument, eine Chronik, eine Aufzeichnung der Eindrücke durch die Augen eines berühmten europäischen Autors beobachtet. Aus der Einleitung: '... Als ich im Jahre 1936 zum PEN-Club-Kongreß in Buenos Aires nach Argentinien fahren sollte, fügte sich dem die Einladung bei, gleichzeitig Brasilien zu besuchen. Meine Erwartungen waren nicht sonderlich groß. Ich hatte die durchschnittliche hochmütige Vorstellung des Europäers oder Nordamerikaners von Brasilien und bemühe mich jetzt, sie zurückzukonstruieren: irgend eine der südamerikanischen Republiken, die man nicht genau von einander unterscheidet, mit heißem, ungesundem Klima, mit unruhigen politischen Verhältnissen und desolaten Finanzen, unordentlich verwaltet und nur in den Küstenstädten halbwegs zivilisiert, aber landschaftlich schön und mit vielen ungenützten Möglichkeiten - ein Land also für verzweifelte Auswanderer oder Siedler und keinesfalls eines, von dem man geistige Anregung erwarten konnte. Zehn Tage daran zu wagen, schien mir genug für jemanden, der seinem Beruf nach weder fachmäßiger Geograph, Schmetterlingssammler, Jäger, Sportsmann oder Kaufmann war. Acht Tage, zehn Tage und dann rasch wieder zurück, so dachte ich, und ich schäme mich nicht, diese meine törichte Einstellung zu verzeichnen. Ich halte es sogar für wichtig, denn sie ist ungefähr dieselbe, die noch heute in unseren europäischen und nordamerikanischen Kreisen im Umlauf ist.

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Leseprobe

Geschichte



Tausende und Tausende Jahre liegt das riesige brasilianische Land mit seinen dunkelgrünen, rauschenden Wäldern, seinen Bergen und Flüssen und dem rhythmisch anklingenden Meer unbekannt und namenlos. Am Abend des 22. April 1500 leuchten mit einemmal einige weiße Segel am Horizont; breitbäuchige, schwere Karavellen, das portugiesische Rotkreuz auf den Segeln, nahen heran, und am nächsten Tage legen die ersten Boote an dem fremden Strande an.

Es ist die portugiesische Flotte unter dem Kommando des Pedro Álvarez Cabral, die im März 1500 von der Mündung des Tejo ausgefahren ist, um die unvergeßliche, von Camões in den ›Lusiaden‹ besungene Fahrt Vasco da Gamas, dieses »feito nunca feito« rings um das Kap der Guten Hoffnung nach Indien zu wiederholen. Angeblich haben widrige Winde die Schiffe von Vasco da Gamas Wege längs der afrikanischen Küste so weit fortgetrieben zu dieser unbekannten Insel – denn Ilha da Vera Cruz nennt man diese Küste zuerst, deren Ausdehnung man noch nicht ahnt. Die Entdeckung Brasiliens scheint also – sofern man die Reisen Vicente Jañez Pinzóns, der in die Nähe des Amazonenstromes kam, und die zweifelhafte Vespuccis nicht als Vorentdeckung rechnet – bloß durch eine absonderliche Fügung von Wind und Wellen Portugal und Pedro Álvarez Cabral zugefallen zu sein. Die Historiker sind freilich längst nicht mehr geneigt diesem »Zufall« Glauben zu schenken, denn Cabral führte den Piloten Vasca da Gamas mit sich, der genau den nächsten Weg kannte, und die Fabel von den widrigen Winden wird hinfällig durch das Zeugnis des an Bord anwesenden Pedro Vaz de Caminha, der ausdrücklich bestätigt, sie seien vom Kap Verde weitergesegelt, »sem haver tempo forte ou contrário«. Es muß also, da kein Sturm sie so weit nach Westen hinübertrieb, daß sie plötzlich statt am Kap der Guten Hoffnung in Brasilien landeten, eine bestimmte Absicht oder – was noch wahrscheinlicher ist – ein geheimer Befehl seines Königs Cabral veranlaßt haben, den Kurs so weit nach Westen zu nehmen; dies legt die Wahrscheinlichkeit nahe, daß die portugiesische Krone schon lange vor der offiziellen Entdeckung von der Existenz und der geographischen Lage Brasiliens geheime Kenntnis gehabt hat. Hier liegt noch ein großes Geheimnis verborgen, dessen Dokumente durch die Vernichtung der Archive bei dem Erdbeben von Lissabon für alle Zeiten verschwunden sind, und die Welt wird wahrscheinlich nie den Namen des ersten und wirklichen Entdeckers wissen. Anscheinend war sofort nach der Entdeckung Amerikas durch Columbus ein portugiesisches Schiff auf Erkundung dieses neuen Erdteils ausgeschickt worden und mit neuer Botschaft zurückgekommen; oder – auch dafür gibt es gewisse Anhaltspunkte – schon ehe Columbus Audienz nahm, wußte die portugiesische Krone mehr oder minder Bestimmtes von diesem Lande im fernen Westen. Aber was immer Portugal wußte, hütete es sich wohl, den eifersüchtigen Nachbarn bekanntzugeben; im Zeitalter der Entdeckungen behandelte die Krone jede neue Nachricht über nautische Erkundungen als militärisches oder kommerzielles Staatsgeheimnis, auf dessen Verlautbarung an fremde Mächte Todesstrafe stand. Karten, Portolane, Schiffsrouten, Pilotenberichte wurden ebenso wie Gold und Edelsteine als Kostbarkeiten in der Tesouraria, der Schatzkammer Lissabons, verschlossen, und besonders in diesem Falle war eine vorzeitige Verlautbarung untunlich, denn nach der päpstlichen Bulle »Inter caetera« gehörten noch alle Gebiete hundert Meilen westlich von Kap Verde rechtmäßig den Spaniern zu. Eine offizielle Entdeckung jenseits dieser Zone hätte zu dieser frühen Stunde nur den Besitz des Nachbarn, nicht den eigenen gemehrt. Es lag also keineswegs im Interesse Portugals, eine solche Entdeckung (wenn sie tatsächlich stattgefunden hat) vorzeitig zu melden. Erst mußte rechtmäßig gesichert sein, daß dieses neue Land nicht Spanien, sondern der portugiesischen Krone gehöre, und dies hatte sich mit auffälliger Voraussicht Portugal durch den Vertrag von Tordesillas gesichert, der am 7. Juni 1494, also kurz nach der Entdeckung Amerikas, die portugiesische Zone von den ursprünglichen hundert léguas auf 370 westlich von Kap Verde hinausschob – gerade soviel also, um die angeblich noch nicht entdeckte Küste Brasiliens okkupieren zu können. Wenn dies ein Zufall gewesen war, so war es jedesfalls einer, der sich merkwürdig mit der sonst unerklärlichen Abweichung Pedro Álvarez Cabrals von dem natürlichen Kurse paart.

Diese Hypothese mancher Historiker von einer früheren Kenntnis Brasiliens und einer geheimen Instruktion des Königs an Cabral, derart weit nach Westen abzuschwenken, damit er dort durch einen »wunderbaren Zufall« – »milagrosamente«, wie er an den König von Spanien schreibt – das neue Land entdecken könne, gewinnt überdies viel an Glaubwürdigkeit durch die Art, mit der der Chronist der Flotte, Pedro Vaz de Caminha, dem König von der Auffindung Brasiliens Bericht erstattet. Er äußert keinerlei Erstaunen oder Begeisterung, unvermutet auf neues Land gestoßen zu sein, sondern verzeichnet bloß trocken die Tatsache als eine Selbstverständlichkeit; ebenso äußert der zweite, unbekannte Chronist nur »che ebbe grandissimo piacere«. Kein Wort des Triumphes, keine der bei Columbus und seinen Nachfolgern üblichen Vermutungen, daß man damit Asien erreicht hätte – nichts als eine kalte Notiz, die eher ein bekanntes Faktum zu bestätigen als ein neues anzukündigen scheint. So kann Cabral sein Ruhm, als erster Brasilien entdeckt zu haben, der ihm ohnehin durch Pinzóns Landung nördlich des Amazonenstroms schon streitig gemacht wird, vielleicht noch durch späteren dokumentarischen Fund endgültig entzogen werden; solange uns dieses Dokument fehlt, muß jener 22. April 1500 als der Tag des Eintritts dieser neuen Nation in die Weltgeschichte gelten.

Der erste Eindruck des neuen Landes auf die gelandeten Seeleute ist ausgezeichnet: fruchtbare Erde, milde Winde, frisches, trinkbares Wasser, reichliche Früchte, eine freundliche, ungefährliche Bevölkerung. Wer immer in den nächsten Jahren in Brasilien landet, wiederholt die hymnischen Worte Amerigo Vespuccis, der, ein Jahr nach Cabral dort eintreffend, ausruft: »Wenn irgendwo auf Erden das irdische Paradies existiert, so kann es nicht weit von hier gelegen sein!« Die Einwohner, die den Entdeckern im Unschuldskleid der Nacktheit in den nächsten Tagen entgegentreten und ihre unbedeckten Körper »com tanta inocência como o rosto«, mit ebensoviel Unbefangenheit wie ihr Gesicht darbieten, bereiten ihnen freundlichen Empfang. Neugierig und friedlich drängen die Männer heran, aber insbesondere sind es die Frauen, die durch ihre Wohlgebautheit und (auch von allen späteren Chronisten dankbar gerühmte) rasche und wahllose Gefälligkeit die Seefahrer die Entbehrungen vieler Wochen vergessen lassen. Zu einer wirklichen Erforschung oder Besetzung des inneren Landes kommt es vorläufig noch nicht, denn Cabral muß nach Erfüllung seines geheimen Auftrags möglichst rasch an sein offizielles Ziel, nach Indien weiter. Am 2. Mai, nach einem Aufenthalt von im ganzen zehn Tagen, steuert er nach Afrika hinüber, nachdem er Gaspar de Lemos Befehl gegeben, mit einem Schiff die Küste nordwärts entlangzukreuzen und dann mit der Nachricht über das aufgefundene Land und einigen Proben seiner Früchte, Pflanzen und Tiere nach Lissabon zurückzukehren.

Die Meldung, daß die Flotte Cabrals dieses neue Land, sei es in Erfüllung geheimen Auftrages, sei es durch bloßen Zufall erreicht hat, wird im königlichen Palast wohlgefällig, aber ohne richtige Begeisterung aufgenommen. Man meldet sie in offiziellen Briefen an den König von Spanien weiter, um sich den Rechtstitel des Besitzes zu wahren, jedoch die Mitteilung, daß dies neue Land »sem ouro nem prata, nem nenhuma coisa de metal« sei, gibt dem Funde zunächst wenig Wert. Portugal hat in den letzten Jahrzehnten soviele Länder entdeckt und einen so gewaltigen Teil des Weltalls in Besitz genommen, daß die Aufnahmefähigkeit des kleinen Landes eigentlich völlig erschöpft ist. Der neue Seeweg nach Indien sichert ihm das Gewürzmonopol und damit allein schon unermeßlichen Reichtum; man weiß in Lissabon, daß in Calicut, in Malakka die seit Hunderten von Jahren sagenhaft gewordene Pracht an Edelsteinen, kostbaren Stoffen, Porzellan und Spezereien für einen kühnen Zugriff bereitliegt, und die Ungeduld, mit einem Ruck diese ganze Welt überlegener Kultur und orientalischer Pracht an sich zu reißen, treibt Portugal zu einer Anspannung des Wagemuts und des Heroismus, wie sie in der Weltgeschichte kaum ihresgleichen hat. Selbst die ›Lusiaden‹, dieses Heldengedicht, vermögen kaum dieses Abenteuer, diesen neuen Alexanderzug begreiflich zu machen, den eine Handvoll Menschen unternimmt, um mit einem Dutzend winziger Schiffe gleichzeitig drei Erdteile und noch dazu den ganzen unbekannten Ozean zu erobern. Denn das kleine arme Portugal, kaum zweihundert Jahre erst der arabischen Herrschaft entrungen, besitzt kein bares Geld, immer wenn er eine Flotte ausrüstet, muß der König im voraus den Ertrag Wechslern und Händlern verpfänden. Es hat außerdem nicht genug Soldaten, um gleichzeitig die Araber, die Inder, die Malaien, die Afrikaner, die Wilden zu bekriegen und an allen Orten der drei Erdteile Niederlassungen und Festungen zu errichten. Und doch, wie durch ein Wunder holt Portugal aus sich alle diese Kräfte heraus. Ritter, Bauern und, wie Columbus einmal ärgerlich klagt, sogar »Schneider« verlassen ihre Häuser, ihre Frauen, ihre Kinder, ihre Berufe und strömen aus dem ganzen Land zu den Häfen, und es...

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