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E-Book

Brasilien. Eine aufstrebende Wirtschaftsmacht

AutorChristian Gimborn, Kerstin Strasser, Martin Schröter, Sebastian Hübers
VerlagScience Factory
Erscheinungsjahr2013
Seitenanzahl99 Seiten
ISBN9783656495086
FormatePUB/PDF
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis19,99 EUR
Brasilien ist auf dem Weg zum modernen Industriestaat. Aktuelle wirtschaftliche Entwicklungen schüren die Erwartung, dass Brasilien bald zu der mächtigsten Staaten der Welt gehören wird. Worin liegt diese Entwicklung begründet? An welchen Faktoren kann die Modernisierung der brasilianischen Wirtschaft festgemacht werden? Diesen und anderen Fragen widmet sich der vorliegende Band. Aus dem Inhalt: Gesamtwirtschaftliche Entwicklung, Systemische Wettbewerbsfähigkeit, Makroökonomische Entwicklung, Wachstumstheorien.

Studium der Sozialwissenschaften an der Ruhr-Universität Bochum, Humboldt-Universität zu Berlin und an der San Diego State University (USA).

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Leseprobe

Einleitung


Brasilien ist der fünft größte Staat der Erde und mit 188,6 Millionen Einwohnern der bevölkerungsreichste Südamerikas. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) beträgt 1.313.590 US-$ und ist damit das neunt höchste der Welt. Aufgrund einer fortgeschrittenen Industrialisierung, dem hohen Anteil des Dienstleistungssektors und dem Reichtum an Rohstoffen zählt Brasilien nach Kriterien der Weltbank, der EU und der OECD zu den so genannten Schwellenländern (take-off countries), also jenen Ländern, die sich auf der Entwicklungsschwelle zu einem Industrieland befinden.[1] Diese Tatsachen relativieren sich jedoch sehr schnell, betrachtet man weitere Faktoren: Mit 6.938 US-$ entspricht das BIP pro Kopf nur Platz 65 der Weltrangliste, die Armutsrate beträgt 22% (Daten von 2007). Zudem war Brasilien über zehn Jahre das höchst verschuldete Entwicklungsland der Welt und noch immer gibt es starke Differenzen zwischen dem reichen, industrialisierten Süden und dem armen, strukturschwachen Nordosten des Landes.

Entwicklungstheorien untersuchen die Ursachen der Unterentwicklung von Staaten der Dritten Welt. In der Debatte kristallisierten sich Mitte des 20. Jahrhunderts zwei Hauptströmungen heraus: Jene Ansätze, die endogene Faktoren als Ursache für Unterentwicklung von Staaten sehen und solche Theorien, die exogene Faktoren als Ursprung der Unterentwicklung sehen. Auf der einen Seite steht die von wirtschaftsliberalen Kräften unterstützte Modernisierungstheorie, auf der anderen die marxistisch geprägte Dependenztheorie. Beide Theorien umfassen jeweils zwei Dimensionen: Die theoretische Dimension versucht Unterentwicklung von Entwicklungsländern vor Allem auf wirtschaftlicher und politischer Ebene zu analysieren, die politische Dimension zudem Strategien zur Überwindung der vorhandenen Defizite auszuarbeiten.

In der vorliegenden Arbeit sind die Fragen zu klären, in wie weit die beiden Theorien die tatsächliche Entwicklung am Beispiel Brasilien wiedergeben und in wie fern ihre praktische Umsetzung selbst zur Entwicklung des Landes beitragen kann. Ergänzend dazu stell sich die Frage, welche Dimensionen die Theorien möglicherweise übersehen.

Daher wird eine Einteilung in drei Kernfragen vorgenommen:

In wie weit treffen Grundannahmen der Modernisierungs- und Dependenztheorie auf die wirtschaftspolitische Entwicklung Brasiliens zu?

In wie weit tragen die beiden Ansätze jeweils zur Überwindung der Unterentwicklung Brasiliens bei?

Wo stoßen Modernisierungs- und Dependenztheorien jeweils auf ihre Grenzen?

Zunächst werden die beiden Theorien vorgestellt und Kritikpunkte aufgezeigt.

Es folgt ein historischer Überblick über die Geschichte Brasiliens. Der Hauptteil der Arbeit befasst sich mit der Wirtschaftsgeschichte des Landes, anhand dessen im weiteren Verlauf die beiden ersten Kernfragen der Arbeit beantwortet werden sollen. Zur Beantwortung der dritten Frage wird neben der politischen und wirtschaftlichen Dimension auch die aktuelle gesellschaftliche Situation Brasiliens dargestellt und bewertet. Abschließend folgt ein Fazit.

Entwicklungstheorien


Modernisierungstheorie


Die in den 1950er und 1960er Jahren entstandene Modernisierungstheorie stützt sich auf die liberale Wirtschaftstheorie und findet ihren Ursprung im Ansatz Max Webers („Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus“).

Modernisierung wird definiert als „vielschichtiger Prozess“, der im ökonomischen, politischen, kulturellen und sozialpsychologischen System einer Gesellschaft stattfindet.[2] Zentrale Merkmale einer modernisierten Gesellschaft sind laut Theorie „Säkularisierung, Industrialisierung, Pluralisierung, Leistungsorientierung, Markt und Wettbewerb“.[3] Während diese Merkmale auf die Industriestaaten zutreffen, fehlen sie zum großen Teil in den Entwicklungsländern. In der Theorie ist Entwicklung ein evolutionärer Wachstumsprozess, den Gesellschaften durchlaufen („Stufenmodell“) – von der agrarischen, traditionellen

Gesellschaftsform auf der untersten Stufe hin zur industrialisierten Form als höchste Stufe. Als Vorbild für eine hochindustrialisierte Gesellschaftsform gelten die USA bzw. die westlichen Industrienationen. Die Grundannahme der Modernisierungstheorie ist, dass Unterentwicklung auf endogene Faktoren wie „feudalen und ineffizienten Gesellschafts- und Wirtschaftsstrukturen“[4] basiert. Dazu zählen u.a. Misswirtschaft, Korruption, Mangel an Transparenz und Defizite in der Regierungsführung.

Auf politischer Ebene wird daher eine wirtschaftliche Integration in den Weltmarkt bei gleichzeitiger Demokratisierung der Politik gefordert, wie sie in den Industriestaaten vorzufinden ist. Die hohe Verschuldung der Staaten stellt laut Theorie ein weiteres Entwicklungshemmnis dar, welches ebenfalls nur durch eine aktive Einbindung in den Weltmarkt überwunden werden kann.[5] Die Aufgabe des Staates sieht die Modernisierungstheorie, basierend auf den Grundannahmen der klassischen Wirtschaftstheorie, in der Bereitstellung von verlässlichen Rahmenbedingungen. Der Staat solle sich demnach auf „Infrastruktur, Bildung, soziale Absicherung und Rechtssicherheit konzentrieren“.[6]

Kritiker werfen der Theorie vor, eine ahistorische Sichtweise einzunehmen und Idealtypen zu entwerfen, die in der Realität nicht zutreffen: So gäbe es weder die „Dritte Welt“ als Sammelbegriff für unterentwickelte Staaten, noch gäbe es rein traditionelle oder rein moderne Gesellschaftsformen. Zudem wird die Übertragung der Darwinschen Evolutionstheorie auf Gesellschaften in Frage gestellt: Zum einen, weil sich die Theorie übertragen auf Staaten nicht empirisch belegen ließe und zum anderen, weil sich Entwicklungsprozesse nicht durchweg linear gestalteten und die Voraussetzungen der Entwicklungsländer heutzutage in großem Maße von denen der Industrieländer während des 19. Jahrhunderts zu unterscheiden seien. Kulturell betrachtet, wird der Theorie „Ethnozentrismus“ bzw. „Eurozentrismus“ vorgeworfen, in welchem die USA bzw. die europäischen Staaten als einziges Entwicklungsziel in Erwägung gezogen werden.

Dependenztheorie


Die Dependenztheorie oder auch dependencia entstand Ende der 60er Jahre in Lateinamerika als Reaktion auf das „Scheitern des auf der importsubstituierenden Industrialisierung beruhenden Entwicklungsmodells der 1950er und 1960er Jahre“[7] und stützt sich auf den Marxismus sowie die Imperialismustheorie von Lenin. Dabei handelt es sich allerdings nicht um einen geschlossenen theoretischen Ansatz, sondern um eine Reihe verschiedener wirtschafts- und sozialwissenschaftlicher Diskussionsbeiträge, die in bestimmten Grundpositionen übereinstimmen und zum Zwecke der Übersicht zusammengefasst werden.[8]

Der Theorie nach stehen Entwicklungsländer in einer wirtschaftlichen Abhängigkeit zu den Industriestaaten (Dependenz). Unterentwicklung sei daher nicht Folge von endogenen, sondern von exogenen Faktoren, die durch diese Abhängigkeit begünstigt werden. Hier werden insbesondere die Kolonialisierung und die durch die Industrieländer verschuldete, asymmetrische Integration in den Weltmarkt als Ursachen genannt. Der Konflikt „Zentrum vs. Peripherie“ wird hier auf das internationale System übertragen, wobei die Industrieländer als Zentrum (Kapitalisten) die Entwicklungsländer als Peripherie (Arbeiter) ausbeuten. Die Ausbeutung der Industrieländer werde durch systematische Einbindung von Sub-Zentren innerhalb der Entwicklungsländer gewährleistet.[9] Darüber hinaus manifestiere sich die Abhängigkeit auch in „Wirtschafts- und Sozialstruktur, in den Klassen- und Herrschaftsverhältnissen“ [10] der jeweiligen Staaten. Vertreter der Theorie versuchen zudem diese Asymmetrie anhand der „terms of trade“ empirisch zu beweisen: Dabei handelt es sich um das Austauschverhältnis zwischen exportierten und importierten Gütern eines Landes. Den Vertretern der Dependenztheorie nach, verliere die von Entwicklungsländern exportierten und unverarbeiteten Güter gegenüber den importierten und bereits verarbeiteten Produkten der Industrienationen nach und nach an Wert, was schließlich zu einem Verfall der terms of trade und so statt zu einer Entwicklung des Landes, zu einer „Unterentwicklung“[11] führe.

Die Theorie sieht die Lösung in der Abkopplung vom Weltmarkt (Protektionismus) und dem Aufbau einer eigenen Industrie als Substitution von Importen (ISI). Als Gegenpol zum Weltmarkt soll ein regionaler Wirtschaftsraum geschaffen werden. Diese Ansätze wurden in den 1970er und 1980er Jahren von zahlreichen Entwicklungsländern umgesetzt. Die Kritik an der Dependenztheorie setzt bereits an diesem Punkt an: Da der Aufbau einer eigenen Industrie aus eigener Kraft nicht zu schaffen war, wurde er durch Kredite, welche von den ausländischen Banken vergeben wurden, umgesetzt. Dies führte zu einer hohen Verschuldung der beteiligten Entwicklungsstaaten, was letztendlich zur Verschuldungskrise einiger Staaten führte.[12]

Ähnlich wie der Modernisierungstheorie wird der Dependenztheorie vorgeworfen, einseitig zu argumentieren. So trage die Theorie zwar...

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