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Brauer, Mälzer, Kieser und Genießer

Spuren Nürnberger Braukunst auf den Epitaphien der Friedhöfe Sankt Johannis und Sankt Rochus zu Nürnberg

AutorAdalbert Ruschel
VerlagBooks on Demand
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl140 Seiten
ISBN9783743199798
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis6,99 EUR
Menschen, die seit fast fünfhundert Jahren auf den Nürnberger Friedhöfen Sankt Johannis und Sankt Rochus im festen Glauben an eine Auferstehung und an ein ewiges Leben ihre letzte Ruhe fanden, hatten keine Skrupel, etwas über sich öffentlich zu machen. Denn wie hätten sie sich sonst ohne Bedenken mit den Epitaphien auf ihren Gräbern zu ihren Berufen bekannt, mit Namen, Werkzeugen und Produkten. Und vielleicht war es nicht nur der Gedanke an die ewige Seligkeit, der ihr Handeln bestimmte, sondern auch der Wunsch, bei ihren Nachkommen in Erinnerung zu bleiben, ihnen etwas zu hinterlassen, was über den Namen hinausging, etwas über ihren Stand, ihren Beruf, ihre Arbeit, vielleicht sogar etwas über ihr Denken und Wünschen. Was können also wir Nachgeborenen besser tun, als nach den Spuren zu suchen, sie zu verfolgen und sie zu lesen. Viele dieser Spuren sind mit Bier, dem "flüssigen Brot" der Menschen in sehr oft schwierigen Zeiten verbunden. Bier nährte nicht nur die Menschen, es ernährte auch viele unter ihnen, nicht nur diejenigen, die unmittelbar mit seiner Herstellung und seinem Vertrieb zu tun hatten, sondern auch solche, die in komplementären Berufen dem Bier dienten, vom Bauer, der das Getreide bestellte, bis zum Kellner, der das Getränk ausschenkte. Schließlich bietet ein Besuch auf den Friedhöfen auch die Gelegenheit, der vielen Menschen mit Dankbarkeit zu gedenken, die sich über Jahrhunderte bemüht haben, diese Museen aus Stein und Metall zu erhalten und zu pflegen.

Adalbert Ruschel war 25 Jahre Professor für Personalwirtschaft und Berufs- und Arbeitspädagogik und zuletzt Dekan an der betriebswirtschaftlichen Fakultät der Georg Simon Ohm TH in Nürnberg. Über ihn und seine Veröffentlichungen informiert seine website www.adalbert-ruschel.de ausführlich.

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Leseprobe

3. Geschichtlicher Hintergrund des Bierbrauens


Die Frage, die sich schon Kurt Tucholsky in seinen "Ratschlägen für einen schlechten Redner" sinngemäß gestellt hat, lautet: "Muss man von allem den geschichtlichen Hintergrund wissen, wenn man etwas verstehen will?" Muss man sicher nicht, aber sollte es bei einem Thema, das sich unter anderem mit der Geschichte des Bieres beschäftigt, denn schaden, einen Blick in die Vergangenheit zu werfen? Beteiligt man sich an einem Gespräch über Bier, kann man fast sicher sein, mit der unreflektierten Gewissheit konfrontiert zu werden: „Bier ist so alt wie die menschliche Kultur.“ Selbst in der von vielen Nutzern für unfehlbar gehaltenen Internetseite Wikipedia beginnt der Artikel über die Geschichte des Bieres mit dem Satz: "Die Geschichte des Bieres reicht weit in die Geschichte der Menschheit zurück: Bier ist eines der ältesten alkoholischen Getränke. Es ist vermutlich der Menschheit bekannt, seit in China und nahezu gleichzeitig im Gebiet des Fruchtbaren Halbmondes Menschen vor etwa 10.000 Jahren begannen, Getreide zu sammeln und zufällig entdeckten, dass Getreidebrei, den man einige Tage stehen ließ, zu gären begann."4

Da ist er wieder, der Satiriker Kurt Tucholsky: "Ich habe einmal in der Sorbonne einen chinesischen Studenten sprechen hören, der sprach glatt und gut französisch, aber er begann zu allgemeiner Freude so: 'Lassen Sie mich Ihnen in aller Kürze die Entwicklungsgeschichte meiner chinesischen Heimat seit dem Jahre 2000 vor Christi Geburt...' Er blickte ganz erstaunt auf, weil die Leute so lachten."5

Deutlich zurückhaltender in der Beurteilung, aber nicht weniger langatmig als die Biertischphilosophen ist da schon der Deutsche Brauer-Bund e.V., der auf seiner Internetseite konstatiert: "Vieles spricht dafür, dass es Bier gibt, seit der Mensch Getreide isst. Denn man hat es in früherer Zeit wahrscheinlich als Brei gegessen, als Suppe gelöffelt und schließlich als 'Gerstensaft' getrunken. Vergorener Brotteig war mit großer Wahrscheinlichkeit Ausgangspunkt für die Herstellung eines Getränkes, das wir als erstes Bier bezeichnen könnten. Überliefert ist das in Bildern und Keilschriften der alten Sumerer, die vor mehr als 6000 Jahren im Gebiet zwischen Euphrat und Tigris ansässig waren. Sie nahmen Veränderungen an stehen gelassenem Brotteig wahr. Diese waren auf vom Wind herbei gewehte wilde Hefen zurückzuführen. Als die Sumerer dann kosteten und schließlich die Vorgänge bewusst wiederholten - also zu brauen begannen -, hatten sie ein Getränk für Götter und Könige entdeckt. Folglich wurde auch hier - wie in der vorgeschichtlichen Urzeit - den Göttern geopfert."6 Ohne hymnische Verzückung wird nun mal nur selten über Bier geschrieben oder gesprochen.

Der Historiker aber sollte vorsichtig sein und sich an der Euphorie der Bierpropagandisten nicht beteiligen. Haben die alten Sumerer, als sie an stehen gelassenem Brotteig den Gärvorgang wahrnahmen und ihn dann wiederholten, damit „gebraut“ und so das Bier entdeckt? Können wir denn sicher sein, dass das Getränk, welches Babylonier mit Hilfe von pflanzlichen Röhrchen aus einem Tongefäß saugten, auch nur eine entfernte Ähnlichkeit mit dem hatte, was wir Bier nennen?

Bild 10: Trinker in babylonischer Zeit7

Sehr viel nüchterner als alle Amateure sieht und beurteilt der Wissenschaftler Ernst Schubert alles Lesen im Brotteig und stellt klar: "Bei der Geschichte alkoholischer Getränke wird gern ein imponierender universalhistorischer Gestus gewählt."8 Muss denn Bier seine Reputation so weit herholen? Was hilft es uns heute, so fragt Schelten auch, zu wissen, dass die Ägypter für ihr aus Getreide gegorenes Getränk Dattelsaft zum Würzen verwendeten und es in Tonkrügen lagerten?9 Um beurteilen zu können, ob es sich dabei um Bier handelte oder um Gott weiß was, müssten wir das Getränk probieren können. Auch die Etrusker hatten ihr "Bier", die Römer nicht minder, sie nannten es Cervesa oder Cervesia nach Ceres, der Göttin der Feldfrüchte. Danach nennen die Spanier bis heute ihr Bier, Cerveza.

Römische Soldaten trugen aber in ihren hölzernen Feldflaschen auf ihren langen Märschen durch die damals bekannte Welt Posca, eine Mischung von Wasser und Essig mit sich.10 Den Leser von heute mag es schütteln bei dem Gedanken, Essig zu trinken. Für den römischen Soldaten aber war das Getränk lebenswichtig. Der Essig machte das schon damals nicht immer klinisch saubere Wasser trinkbar. Vor allem in den Städten war das Wasser weitgehend ungenießbar. Flüsse und Bäche wurden über Jahrhunderte zur Abfallbeseitigung benutzt und die Abortgruben führten oft bis zum Grundwasser. Dieses Wissen macht uns klüger: Es ging im Altertum, weder bei den Sumerern, noch bei Ägyptern, noch bei den Römern und auch nicht im Mittelalter "in erster Linie um den Alkoholgehalt, sondern um die Trinkbarkeit eines Gebräus",11 weiß Ernst Schubert. Wen kann es da noch wundern, dass Bier zu den Grundnahrungsmitteln gezählt und neben Brot gestellt wurde.

Was immer unsere weit entfernten Vorfahren neben Getreide noch in ihr Gärgetränkegemisch zur Nutzung der alkoholischen Gärung eingesetzt haben mögen, zum Brauen als Kunst fanden erst die Bewohner des nördlichen Europas. Erst sie machten Wissen und Können zur Kunst. Wo es noch lange an beruflichen Forschern und hohe Kosten verursachenden Forschungseinrichtungen fehlte, experimentierten bereits Brauerinnen und Brauer unermüdlich und neugierig an den gärenden Getränken herum. Sie betrieben schlicht Wissenschaft. Sie experimentierten, schrieben auf, probierten, analysierten, verifizierten und schrieben wieder auf, nicht anders als Techniker und Chemiker heute auch. "Der weltweite Siegeszug des nach europäischer Brauweise hergestellten Bieres im 19. und 20. Jahrhundert beruht auf dieser historischen Leistung."12 Deshalb soll hier die historische Betrachtung und Würdigung des Bierbrauens und des Bieres bei den bodenständigen Bedingungen, beginnen.

Etwa um 800 v. Chr. begann man im später deutsch genannten Gebiet mit der Zubereitung von Bier, wie der Fund von Bieramphoren aus der früheren Hallstattzeit in Kasendorf bei Kulmbach in Oberfranken beweisen kann. Zu finden sind sie im Bayerischen Biermuseum in Kulmbach.13 Bei diesen Amphoren handelte es sich um Grabbeigaben, die noch Spuren von Fladenbrotbier aufwiesen. Bierherstellung wird nahezu bei allen germanischen Stämmen obligatorisch. Von den ersten Jahrhunderten n. Chr. bis zum Ende des Mittelalters war das Bierbrauen ebenso wie das Brotbacken Sache der Frauen und gehörte zur Selbstversorgung der Familien bzw. der Haushalte. "Die Hausbrauerei erforderte allerdings einen erheblichen Arbeitsaufwand mit speziellen Gerätschaften, und ihr Produkt war nur begrenzt haltbar, da der Gärungsprozess andauerte und das Getränk nach drei bis vier Wochen ungenießbar wurde."14

Die römische Oberschicht hielt Bier zwar für ein Barbarengetränk, für den Plebs gehörte das Bier aber durchaus zum Alltag. Ein Bierverlegerstein, der in der Nähe von Trier gefunden wurde, lässt vermuten, dass Bier bereits in den ersten Jahrhunderten n. Chr. eine gängige Handelsware war.

Bild 11: Bierverlegerstein aus den ersten Jahrhunderten nach Christus Gefunden in der Nähe von Trier15

Der römische Bierhändler ("Cervesarius" im Text) bezog sein Bier von privat brauenden germanischen

Frauen und verkaufte das "Barbarengetränk" wahrscheinlich an römische Kunden.

Solange Bier nur aus vergorenem Getreide hergestellt wurde, war weder Geschmack noch Haltbarkeit des Getränkes zufriedenstellend. Um beides zu verbessern, wurden dem Gebräu seit jeher unterschiedlichste Zusatzstoffe zugesetzt, z.B. Eichenrinde, aber auch Kräuter wie Myrte, Gagel oder Johanniskraut. Wollte man die Alkoholoder ganz allgemein die Rauschwirkung erhöhen, hat man sogar gefährliche pflanzliche Stoffe, z.B. Bilsenkraut, Stechapfel oder Porst zugeführt, selbst auf die Gefahr gesundheitlicher Schäden hin. Auch die Farbe des Bieres hat man manipuliert, indem man gemahlene Kohle hinzufügte. "Viel Böses war / Dem Biere beigemischt: / Allerlei Kräuter, / Der Küche Asche, / Verbrannte Eckern, / Opfer-Gedärme, / Schweinsleber gesotten, / Die den Hader beschwichtigt." 16

Dem Bier in seiner heutigen Beschaffenheit und nach unserem Geschmack, mit der Verwendung von Hopfen als Würz- und Haltbarkeitsmittel, begegnet man erstmals im 8. Jahrhundert. Hopfen, immerhin ein Cannabisgewächs, war über jeden Verdacht erhaben, giftig oder von unchristlicher Wirkung zu sein. Er kam per Gesetz ins Bier, weil er einschläfernd wirkte und des Fleisches Lust dämpfte. Inzwischen ist Hopfen zum Synonym von Bierwürze schlechthin geworden. Hopfen, eine bis zu 5 m hoch wachsende Kletterpflanze, gehört zur Pflanzengattung der Hanfgewächse und dient vor allem als Bitterstoff-Erzeuger in der Bierbrauerei Die verschiedenen Arten und Sorten des Echten-Hopfens kommen nur auf der Nordhalbkugel der Erde vor. Der Hopfen bestimmt den Geschmack des Bieres, nicht nur die Hopfenart sondern auch sein Anbaugebiet.

Die Kombinationsmöglichkeiten von Malz, Wasser und Hopfen allein bedeuteten jedoch nichts, wäre da nicht die Wirkung der Hefe. Diese war den Brauern schon früh bekannt, sie gaben nämlich die Hefe des letzten Gärvorgangs der neu zu vergärenden Anstellwürze zu. Ein Hefner, der im mittelalterlichen Brauwesen einen eigenständigen Beruf...

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