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Büchereien als Ort des interkulturellen Lernens

Eine Untersuchung zum Medienangebot für mehrsprachige Leserinnen und Leser

AutorSara Claire Kerschbaumer
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl89 Seiten
ISBN9783656156338
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis19,99 EUR
Diplomarbeit aus dem Jahr 2012 im Fachbereich Germanistik - Sonstiges, Note: 1,00, Universität Wien (Germanistik), Sprache: Deutsch, Abstract: Abstract Die vorliegende Diplomarbeit setzt sich mit dem mehrsprachigen Medienangebot der Büchereien Wien auseinander. Die Untersuchung fand in der Zweigstelle Hernals statt. Befragt wurden vor allem LeserInnen welche das spezialisierte Lektüreangebot für Türkisch, Bosnisch, Serbisch und Kroatisch nutzten. Die Büchereien und Bibliotheken sind für die Sprachvermittlung wichtig, sie nehmen als öffentliche Institutionen eine besondere Rolle als Bildungs- und Freizeiteinrichtung ein. Sie bilden einen Raum, in dem Öffentliches und Privates zusammen treffen, eine Schnittstelle zwischen Unterhaltung und Lehre. Untersuchungsanliegen der Arbeit waren demnach Fragen nach dem Angebot für LeserInnen mit anderen Erstsprachen als Deutsch in den Städtischen Büchereien und der Motivation bzw. dem Konzept, das dahinter steht. Darüber hinaus wurde auf Basis der Ergebnisse der Spracherwerbsforschung hinterfragt, ob das Angebot in der L1 auch den Erwerb der L2 (Deutsch) fördert und sich eine solche eventuelle Förderung im Leseverhalten widerspiegelt. Die Arbeit beginnt mit einer Zusammenfassung der Erkenntnisse der Spracherwerbsforschung zur Mehrsprachigkeit, zeigt des Weiteren die Konstruktion der mehrsprachigen Identität in einer monolingualen Gesellschaft und anschließend die konkreten Sprachsituationen der Einzelsprachen Türkisch und Kroatisch/Serbisch/Bosnisch in Österreich. Die Dokumentation der aktuellen Situation soll aufzeigen, welche Umstände und Maßnahmen der Mehrsprachigkeit förderlich sind. Die Recherche zeigt, dass ein standort- und publikumspezifisches mehrsprachiges Angebot für LeserInnen besteht. Das Angebot fördert absichtsvoll das Erlernen der deutschen Sprache, ebenso wie das muttersprachliche Angebot, welches eine vermittelnde Funktion einnimmt. Die Arbeit schließt mit einem Ausblick auf den weiteren Aufbau eines mehrsprachigen Angebots und einem Plädoyer für eine humanere Sprachenpolitik.

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Leseprobe

III. Zur Konstruktion einer mehrsprachigen Identität

 

III.I Zum Identitätsbegriff

 

Identität ist ein viel verwendetes Schlagwort im Bereich der Psychologie und Soziologie sowie in Kultur und Sprache. Es wird sowohl zur Kennzeichnung von Individuen als auch von Gruppen eingesetzt. Identität kann zudem als Merkmalskomplex angenommen werden, denn…

 

„Typischerweise ist [mit Identität] eine Art Selbstähnlichkeit gemeint, die zeitliche ‚Abschnitte’ einer Person miteinander verknüpft, zeitliche Abschnitte, in denen sich die Person in irgendeiner Weise zeigt […] Identität in diesem Sinn ist daher dasjenige, was einen Menschen zu dem macht, als der er sich zeigt.“[16]

 

Einhergehend mit dem Identitätsbegriff ist die Prozesshaftigkeit[17]. Identität kann sich über bestimmte Zeiträume definieren: Bestimmte Lebensabschnitte bringen unterschiedliche Eigenschaften hervor und gerade weil jeder Mensch sich durch Erfahrung ändert, ist auch die Identität veränderlich, so können sich nebeneinander bestehende Mehrfachidentitäten und Zugehörigkeiten bilden. Wenn Identität das ist, als was der Mensch sich zeigt, kann man von einer äußeren (wahrnehmbaren) und einer inneren (empfundenen) Identität ausgehen, welche gemeinsam die Gesamtidentität stellen. Die Beschreibung der Identitätsentwicklung ist sowohl unter einem soziologischen als auch unter einem psychologischen Aspekt möglich. Das folgende Modell nimmt Anleihe an dem Konzept der Persönlichkeitsentwicklung im Wechselspiel zwischen Anlage und Umwelt[18]:

 

 

Abbildung 1 Identitätsentwicklung, Persönlichkeitsentwicklung

 

 

Die Identitätskonstruktion oszilliert im Bereich zwischen persönlicher Veranlagung und Sozialisation durch das Umfeld, sodass von außen herangetragenes Teil der Identität wird. So kann zum Beispiel die Erziehung zur Übernahme bestimmter moralischer Grundeinstellungen führen, die Lesegewohnheiten der Eltern beeinflussen später das Leseverhalten der Kinder, etc. Die Beschreibung der Identität im Ist-Zustand lässt sich ebenfalls anhand äußerer und innerer Faktoren beschreiben. Die äußere Identität bezieht sich auf das, was von anderen als Persönlichkeit oder Charakteristik einer Person wahrgenommen wird. Dabei wirkt diese „Außensicht“ auch auf das Selbstbild zurück: das „looking glass self“[19]. Durch Kenntnis der Charakterisierung anderer Personen verändert sich die Eigenwahrnehmung, sodass die Grenzen zwischen zugewiesenen Persönlichkeits-Merkmalen und Selbstwahrnehmung fließend sind. Dass eine Person verschiedene Eigenschaften als Merkmalskomplex in sich vereint, ermöglicht die Positionierung der Identität als das Feststellen von Gemeinsamkeiten und Unterschieden im Bezug auf andere Individuen und Gruppen.

 

III.II Gruppenidentität, Sprache und Nationalität

 

Der Mensch als soziales Wesen kann besonders in Bezug auf die Sprachverwendung nicht isoliert betrachtet werden, sondern seine Identität formt sich vielmehr durch die Zugehörigkeit oder Abgrenzung zu unterschiedlichen Gruppen. Diese Gruppen verschieben, überlappen und ergänzen einander, können aber durchaus auch widersprüchliche identitätsstiftende Eigenschaften besitzen. Es gibt sogar die Prämisse, dass Identität immer an Gruppen gebunden ist und dass sich „[…] unsere soziale Identität über mehrer Gruppenzugehörigkeiten definieren [muss]“[20]. Generell lässt sich festhalten, dass sich die individuelle Identität neben den personellen Faktoren auch aus Aspekten dieser Gruppenzugehörigkeiten zusammensetzt. Gerade im Rahmen von Gruppenidentität spielt die Sprache oft eine identitätsstiftende Rolle, man kann von Sprachidentität(en) ausgehen, die entweder von Außenstehenden oder von den Gruppenmitgliedern selbst als Merkmal der Sprach-/Gruppenzugehörigkeit attribuiert werden. Dabei kann diese Abgrenzung von dialektalen Varietäten und verschiedenen Soziolekten bis hin zu unterschiedlichen Einzelsprachen reichen. Der Begriff der „Abgrenzung“ ist hier insofern wichtig, als dass er eine Metaebene der Reflexion impliziert, in der die Identität als „eigene“ erkannt wird. Da gerade in Europa monolinguale Nationalstaaten[21] bzw. Nationalstaaten, die den Eindruck der Monolingualität vermitteln wollen, zahlreich vertreten sind, wird die Sprache oft als wesentlicher Faktor der staatlichen Identitätsstiftung angesehen: 

 

„Damit die sprachliche Identitätsbildung auf der Ebene der Gruppe gelingt, muss nach dieser Vorstellung auch das einzelne Gruppenmitglied die identitätsstiftende Funktion der einen Sprache anerkennen - identitätsstiftend sowohl auf der Ebene der Gruppe wie auf der des Individuums.“ [22]

 

Die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Nation impliziert hier die Annahme der (natürlichen) Einsprachigkeit, so wird in vielen Staaten das Ablegen einer Sprachprüfung für Einwanderer als Beweis ihrer Integrationswilligkeit gefordert. Wie beispielsweise in Österreich Deutsch oder in Frankreich Französisch, die „Staatssprache“ wird als wesentliches identitätsstiftendes Merkmal der Staatszugehörigkeit betrachtet. Andere Sprachen sind nur relevant und erwünscht, wenn sie im Rahmen der Ausbildung „kontrolliert“ erlernt werden, wobei hier das schulische Curriculum Sprachen mit hohem Prestige beziehungsweise wirtschaftlicher Relevanz (z.B. Englisch, Spanisch, Französisch, Italienisch, aber auch z.B. Russisch, Chinesisch[23]) favorisiert. Eine eventuelle natürliche, „wildwüchsige“[24] Mehrsprachigkeit wird hier als Bedrohung der Identität aufgefasst. Als Basis einer „normalen“ Identität wird daher von einer Muttersprache ausgegangen, auf der andere Fremdsprachen aufgebaut werden können. Von der einsprachigen Gruppe wird die Mehrsprachigkeit oft als inkompatibel mit den Vorstellungen der Gruppe gesehen (sprachlicher Nationalismus). Beispielsweise ist hier zu nennen, dass in Österreich immer vehementer „Deutsch zuerst“ eingefordert wird, sodass etwa das Ablegen einer Deutschprüfung für Einwanderer obligatorisch geworden ist.

 

III.II.I Nationalsprache oder sprachlicher Nationalismus

 

Das Konzept der 1) Nationalsprache mit einer oder mehreren Nationalsprachen und/oder Minderheitensprachen steht dem Konzept des 2) sprachlichen Nationalismus[25] gegenüber. Im ersten Fall konstituiert sich z.B. die Gruppenidentität „ÖsterreicherIn“ eben nicht (nur) durch die Sprache bzw. wird das Konzept mehrerer Nationalsprachen nicht als Bedrohung für die Identität einer Nation angesehen, sondern vielmehr wird die Vielfalt als Ausdruck der Gruppe gesehen. In diesem Fall steht gerade die Mehrsprachigkeit als identitätsstiftend für die Nation. Andererseits kann es auch einfach bedeuten, dass die Sprache(n) nicht als dominanter Faktor in der Identitätskonstruktion der Gruppe gesehen wird. Im sprachlichen Nationalismus wird politische Identität durch eine sprachliche Einheit definiert, in der die Einsprachigkeit als Synonym für die Nationalität steht. Das ist etwa in Frankreich der Fall, wo sogar territoriale, nicht migrationsbedingte Minderheitensprachen durch ihre bloße Existenz als Bedrohung der nationalen Einheit angesehen werden. Ganz anders gestaltet sich die Politik der Mehrfachzugehörigkeit[26], die dem Phänomen der modernen Gesellschaft mit erhöhter Mobilität und daher stärkerer (sprachlicher, kultureller, etc.) Migration gerecht werden soll. Die Anerkennung dieser Verschiedenheit äußert sich auf nationaler Ebene in unterschiedlicher Intensität: In Bezug auf die verschiedenen Aspekte und Aktionsräume der Individuen und als politisches, soziales und personales Subjekt. Für die Situation der SprecherInnen kann das bedeuten, dass ihre Muttersprache einfach toleriert, schulisch unterstützt oder sogar offiziell als Minderheitensprache anerkannt wird.

 

III.II Zum Mehrsprachigkeitsbegriff

 

Der Begriff der Mehrsprachigkeit wurde ursprünglich nur für die Bezeichnung von muttersprachlicher Sprachbeherrschung verwendet. Bei diesem Konzept[27] ging man von einer natürlichen, simultanen und im Kleinkindalter (jedenfalls vor dem dritten Lebensjahr) erworbenen Zwei- oder Mehrsprachigkeit aus. Mittlerweile beschreibt Mehrsprachigkeit aber ein größeres Feld, welches auch den Einsatz verschiedener Sprachen auf sehr unterschiedlichem Niveau und in unterschiedlich ausgeprägten Kompetenzen umfasst. Nimmt man die Definition der Mehrsprachigkeit im weitesten Sinne, so kann man davon ausgehen, dass echte Monolingualität nicht existiert, da bereits innerhalb einer Sprache verschiedene Varietäten vorliegen.[28] Mehrsprachigkeit kann neben der individuellen Komponente auch institutionell oder gesellschaftlich vorliegen. Betrachtet man die individuelle Mehrsprachigkeit, so lässt sich diese anhand des Spracherwerbs in verschiedene Kategorien einteilen.[29]...

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