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Bulimie als soziokulturelles Phänomen

Eine theoretische Betrachtung mit Blick auf den schulischen Kontext

AutorAnonym
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl152 Seiten
ISBN9783656836889
FormatePUB/PDF
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis24,99 EUR
Examensarbeit aus dem Jahr 2012 im Fachbereich Psychologie - Beratung, Therapie, Note: 1, Pädagogische Hochschule Heidelberg, Sprache: Deutsch, Abstract: Noch nie war das öffentliche Interesse am Zubereiten von Essen so groß wie heute. Kochsendungen sind so beliebt, wie noch nie. Auf allen Fernsehkanälen kochen prominente Köche mehr oder weniger spektakuläre Gerichte. Verwendet werden meist hochwertige Zutaten, die auf raffinierte Art und Weise veredelt werden. Jung und Alt sind fasziniert, wenn die Küchenvirtuosen auf ihren Kücheninstrumenten Balladen des guten Geschmacks komponieren. Mittlerweile fachsimpeln wir Laien über Gesundes und Wertvolles, sowie über Nährwerte und Indizes, die verschiedene Lebensmittel haben. Dieser Essenskult, der als Lifestyle daherkommt, liefert sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit den Essstörungen, denen die moderne Gesellschaft ausgeliefert ist. Denn zu dem gewandelten Menschenbild moderner Gesellschaften gehört ein makelloser, sportlich schlanker Körper, der auf 'Teufel komm raus' geformt und ausgebildet werden muss, koste es was es wolle. Hollywood Stars und Sternchen machen es vor. Ein ungeheurer Druck lastet auf den Schauspielern. Ihr Kapital, nämlich ihren Körper auf Gardemaß zu halten. Die Regenbogen-Presse zeigt uns eine schillernde Welt, in der jedes Kilogramm zu viel verpönt ist. Die Hochglanzbilder vermitteln einen Ist-Zustand von makelloser Haut, wallenden Haaren, langen Beinen, perfekt geformte Po´s und hervortretenden Brüsten, der für ein junges Mädchen nur schwer zu erreichen ist. Sportliche Exesse wechseln sich mit Diäten ab und aus der angestrebten Glückseeligkeit wird oft Unglück, Trauer und Einsamkeit. Das gilt für das Model genauso wie für das Mädchen von neben an. Neben Sport und Diäten greifen manche Menschen, zumeist junge Frauen aber auch, zum Mittel der Vomitation. Dieses Phänomen ist nichts neues. Waren es doch die alten Römer, die sich eine Feder in den Rachen einbrachten, um den Magen zu leeren, damit noch mehr von den köstlichen Früchten verspeist werden konnten. Aber wann ist es die Gier nach unendlichem Genuss und wann ein Krankheitsbild, deren Opfer professioneller Hilfe bedürfen? Wie gestaltet sich dieses soziokulturelles Phänomen, dass wir als Bulimie bezeichnen? Diesen Fragen geht diese vorliegende Arbeit unter anderem nach. [...]

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Leseprobe

3. Bulimia nervosa als eine Essstörung


 

3.1 Begrifflichkeit


 

Als eigene Krankheit wurde die Bulimia nervosa erst Ende der 70er Jahre beschrieben und danach auch in die Diagnoseschemata aufgenommen.

 

Dabei wird zwischen dem „Purging-Typus“ und dem „Nicht-Purging-Typus“ unterschieden. Die Purging-Typus Betroffenen versuchen exzessive Nahrungsaufnahme durch Erbrechen und harntreibende oder abführende Mittel wieder rückgängig zu machen, wohingegen die Nicht-Purging-Typus Betroffenen auf andere unangemessene Weise versuchen das Zunehmen zu verhindern. Ein Beispiel dafür wäre extremes Fasten oder übermäßige sportliche Aktivitäten (vgl. Gerlinghoff/Backmund 2000. S. 17).

 

Laut Stahr/Barb-Priebe/Schulz ist die Bulimie eine relativ junge Essstörung und zeigt hinsichtlich der Lage der Forschung noch die größten Lücken und offenen Fragen (vgl. Stahr/Barb-Priebe/Schulz 1995, S. 25).

 

Im Vergleich zu anderen Literaturen kann festgestellt werden, dass keine einheitliche Bezeichnung für diese Art der Essstörung besteht. Diese Krankheit wurde mit verschiedenen Namen bedacht wie „Bulimarexie“ (Boskind-Lodahl 1976), „the dietary chaos syndrome“ (Palmer 1979), „Bulimia nervosa“ (Russel 1979) und dem im DSM III gebräuchlichen Begriff „Bulimie“ (American Psychiatric Association 1980) (vgl. Jacobi/Paul 1991, S. 4). In Bezug auf die Terminologie finden heute Begriffe wie „Bulimie, Bulimia, Bulimia nervosa oder Bulimie-Syndrom“ Verwendung (vgl. Thies 1998, S. 3).

 

Der Begriff Bulimie stammt ursprünglich aus dem Griechischen. Griechisch „bous“ bedeutet Ochse oder Stier und „limos“ ist die Bezeichnung für Hunger und wörtlich übersetzt bedeutet die Bulimie „Stierhunger“ und kennzeichnet bereits das wesentliche Merkmal des Krankheitsbildes, das in den Heißhungerattacken besteht.

 

Umgangssprachlich wird auch von Ess-Brechsucht oder von Fress-Kotzsucht gesprochen, was dem englischen Ausdruck Binge-purge syndrome ähnelt (vgl. Thies 1998, S. 3).

 

Nach Gerlinghoff und Backmund wird nach den Heißhungerattacken eine Gewichtszunahme von Betroffenen nicht toleriert, sie wollen diese um jeden Preis verhindern. Die Betroffenen wollen entweder weiter abnehmen oder das erreichte niedrige Gewicht halten. Sie nennen eigene Ziele, die angestrebt werden durch:

 

Kauen und anschließendes Ausspucken von Nahrung

 

Selbst herbeigeführtes Erbrechen

 

Missbrauch von Abführmitteln

 

Missbrauch von harntreibenden Medikamenten

 

Exzessives Hungern im Wechsel mit Heißhungerattacken (vgl. Gerlinghoff 1995, S. 45).

 

Stahr/Barb-Priebe/Schulz äußern sich ebenfalls zu der Gewichtsphobie der Bulimiker und betonen, dass es eine ununterbrochen bestehende Angst vor der Gewichtszunahme ist, die als typisches Krankheitssymptom genannt werden kann (vgl. Stahr/Barb-Priebe/Schulz 1995, S. 26).

 

Die Bulimie zeichnet sich demnach durch sogenannte Fressanfälle aus, in denen die Personen große Mengen von Nahrungsmitteln ohne Unterbrechung zu sich nehmen. Die Nahrungsaufnahme ist im Moment des Fressanfalls nicht mehr steuer- und regulierbar, sie verfallen in eine Sucht. Solche Anfälle werden in der Regel durch anschließendes Erbrechen beendet (vgl. Stahr/Barb-Priebe/Schulz 1995, S. 26).

 

3.2 Symptomatik


 

3.2.1 Bulimisches Essverhalten


 

Ein zentrales Merkmal der Bulimie sind Heißhungerattacken. Die meisten Bulimiker erleiden fast täglich eine Attacke. Manche können auch über mehrere Tage das Essverhalten kontrollieren (vgl. Stahr/Barb-Priebe/Schulz 1995, S. 40). Die meisten Bulimiker haben demnach ein unwiderstehliches Verlangen nach Essen, die anschließend in eine Heißhungerattacke getrieben werden. Viele Betroffene können dann nach begonnener Nahrungsaufnahme nicht mehr aufhören zu essen. Anhand der Befragungen werden Gefühle des Hungers nur von 12% der Betroffenen als Auslöser benannt. Dies ist ein Hinweis dafür, dass nicht nur physiologische, sondern ebenso psychologische Aspekte dieses exzessive Essverhalten mitbestimmen. Des Weiteren erzählen Betroffene, dass sie vor dem Anfall unter Spannungszuständen leiden und sich frustriert, gelangweilt, angstvoll und sogar wütend fühlen (vgl. ebd., S. 41).

 

Ein weiteres Merkmal der Bulimie ist das häufige Erbrechen. Viele Betroffene erbrechen regelmäßig selbstinduziert im Anschluss an eine Heißhungerattacke. Die Häufigkeit von diesen Heißhungerattacken kann in der Regel im Laufe der Krankheit zunehmen, so dass einige Betroffene mehrere Male am Tag erbrechen können, gelegentlich auch in der Nacht. Es gibt auch welche, die ihre gesamte freie Zeit darauf verwenden, Nahrung zu beschaffen, sie zu sich zu nehmen und sie wieder aus dem Körper zu entfernen. Menschen mit Bulimie sind auch ständig auf der Suche nach etwas Essbarem, werden aber niemals satt (vgl. Gerlinghoff/Backmund 1995, S. 46).

 

Die Bulimiker sind bei Beginn der Mahlzeit hungrig und bleiben dies auch nach Beendigung, demnach verspüren sie kein Sättigungsgefühl. Es kann davon ausgegangen werden, dass die Wahrnehmung von Hunger und Sättigung bei Bulimikern gestört ist (vgl. Cuntz/Hullert 2003, S. 30).

 

Andere wiederum, die sich häufig erbrechen, klagen über ein Völlegefühl während oder nach dem Essen, auch wenn sie nur eine relativ geringe Nahrungsmenge zu sich genommen haben. Dieses Merkmal wird als frühe Sättigung bezeichnet (vgl. Bauer/Anderson/Hyatt 2002, S. 13).

 

Demnach muss man zwischen subjektiven und objektiven „Fressanfällen“ unterscheiden. Im subjektiven Erleben kann auch das Essen einer relativ kleinen Menge an Nahrungsmitteln als unkontrollierte Heißhungerattacke erlebt werden (vgl. Berger 2008, S. 25).

 

Nach Berger bedeutet diese Krankheit, dass die Betroffenen unter regelmäßigen unkontrollierten Fressanfällen leiden, die sehr große Mengen von Nahrungsmitteln innerhalb kurzer Zeit verzehren. Anschließend kommt es zu einer „Säuberung“ (vgl. Berger 2008, S. 24).

 

Der im Deutschen als „Säuberung“ bezeichnete Begriff ist an den englischen Begriff angelehnt und bezeichnet alle nötigen Mittel, die dem „Loswerden“ der aufgenommenen Nahrung dienen. Diese können Erbrechen, Einnahme von Entwässerungs- und Abfuhrmitteln oder exzessiver Sport sein. Solche Heißhungerattacken werden von den Betroffenen selbst meist als Fressattacken oder Fressanfälle bezeichnet (vgl. Berger 2008, S. 25).

 

Thies nennt ebenfalls andere Mittel, die zum Erbrechen dienen können. Als ein Mittel zur Gewichtsreduzierung werden Strenges Fasten, Diuretikaabusus, exzessives Sporttreiben und Einläufe erwähnt (vgl. Thies 1998, S. 8).

 

In einer Studie zeigte sich, dass 31,4% der bulimischen Frauen durchschnittlich 28,1 Mal im Monat Laxantien nahmen, wobei jedes Mal im Mittel 17,4 Laxantien eingenommen wurden. Eine ähnliche Anzahl von Frauen erbrach das Essen wieder, um eine Absorption zu vermeiden, oder zeigte spontanes Wiederhochkommen der Nahrung. Bauer geht auch davon aus, dass entwässernde Mittel benutzt werden um das Gewicht zu kontrollieren und ein anstrengendes körperliches Training dazu beitragen kann, Kalorien zu verbrennen (Bauer 2002, S. 13).

 

Laut Ettl laufen Heißhungerattacken unterschiedlich ab. Bei Einigen kann eine zunächst normale Mahlzeit sich zu einem Fressanfall ausweiten, wenn ein bestimmte Grenze überschritten wurde. In so einem Fall wird dann noch mehr Nahrung zugeführt, damit sich das Erbrechen erst lohnt (vgl. Ettl 2001, S. 14). Andere planen ihre Heißhungerattacken im Voraus. Sie wissen genau, dass sie die zugeführte Nahrung wieder erbrechen werden. Einige erbrechen zu einer bestimmten Tageszeit, wieder andere müssen sich mit ihren Fressanfällen nach den Zeiten richten, in welchen sie ungestört sind. Die meisten Betroffenen bevorzugen aus diesem Grund den Abend und die Nacht. Bei manchen Betroffenen ist es sogar so extrem, dass sie so lange essen und erbrechen, bis sie schließlich erschöpft einschlafen (vgl. Gerlinghoff/Backmund 1995, S. 47).

 

Über 60% der Betroffenen erzählen, dass sie ihre Nahrungsaufnahme während der Attacke überhaupt nicht kontrollieren können, 24% glauben über eine gewisse Kontrolle zu verfügen, nur 10% behaupten, die Situation unter Kontrolle zu haben (vgl. Stahr/Barb-Priebe/Schulz 1995, S. 40).

 

Eine Bulimikerin berichtet: „Auf einmal bekam ich einen riesigen Heißhunger und aß plötzlich mehr als eine normale Portion. Danach hasste ich mich und hatte eine wahnsinnige Wut. Aus Trotz verschlang ich noch drei Tafeln Schokolade.“ Eine andere erzählt: „Zur Zeit überfällt mich jeden zweiten Tag ein Heißhungergefühl und ich fresse alles in mich hinein, bis mir schlecht wird. Es handelt sich hier um zwei Beispiele für Essanfälle, die wie aus heiterem Himmel zu kommen scheinen. Formulierungen wie „auf einmal“, „plötzlich“ oder „überfallen“ deuten darauf, dass man unvorbereitet ist. Die Beispiele zeigen auch die bestimmten Affekte, die bei einem Essanfall auftreten wie Wut, Trotz, Selbsthass, Heißhunger, fehlendes Sättigungsgefühl und Übelkeit (vgl. Ettl 2001, S....

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