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E-Book

Capitan Codreanu

Aufstieg und Fall des rumänischen Faschistenführers

AutorOliver Jens Schmitt
VerlagPaul Zsolnay Verlag
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl336 Seiten
ISBN9783552058071
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis6,99 EUR
Extremer Antisemitismus, eine soziale Revolution, die Schaffung eines 'Neuen Menschen': Nach Hitler und Mussolini war Corneliu Zelea-Codreanu (1899 bis 1938) der Dritte in der Reihe charismatischer Führer des Faschismus im Zwischenkriegseuropa. Der Historiker Oliver Jens Schmitt zeichnet in dieser Biographie erstmals seine Geschichte im europäischen Kontext. Wie Hitler plant Codreanu 1923 einen Putsch. Er wird verhaftet und zu einem Idol rechtsnationaler Kreise. Schmitt erzählt von Studentenunruhen, Massenaufmärschen, von der Anziehungskraft, die der Capitan besonders auf Intellektuelle wie Mircea Eliade und Emil Cioran ausübte, von seinem gewaltsamen Tod und dem Aufflackern seines Kultes in der Gegenwart.

Oliver Jens Schmitt wurde 1973 in Basel geboren und studierte Byzantinistik und Geschichte. Seit 2005 ist er Professor für Geschichte Südosteuropas an der Universität Wien und Mitglied mehrerer Akademien. Bücher: u.a. Skanderbeg. Der neue Alexander auf dem Balkan (2009), Die Albaner. Eine Geschichte zwischen Orient und Okzident (2012). Bei Zsolnay ist 2016 die Biographie Capitan Codreanu. Aufstieg und Fall des rumänischen Faschistenführers erschienen.

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Leseprobe

Einleitung


Überlebensgroß prangte das Porträt des toten Führers an der Bühnenrückwand. Das markante Gesicht eines jungen Mannes im Halbprofil, mit stark gewelltem Haar. Aus Lautsprechern hallte die Schwurformel über den Platz. Der Film der Wochenschau zeigte Zehntausende, die im Zentrum Bukarests, zwischen modernen Hochhäusern und Palästen der Belle Époque, andächtig verharrten – in Volkstracht und Grünhemd, elegante Damen und scheue Bäuerinnen.1 Es war der 6. Oktober 1940. Einen Monat zuvor hatte General Ion Antonescu König Carol II. von Rumänien gestürzt. Groß-Rumänien, der 1918 entstandene achtgrößte Staat Europas, hatte ein Drittel seines Staatsgebietes unter den Diktaten Hitlers und Stalins verloren. Die rumänische Gesellschaft war zutiefst aufgewühlt, der ungeliebte und bei vielen verhasste Monarch mit knapper Not aus dem Land entkommen. Auf der Bühne stand neben Ion Antonescu Horia Sima, Führer der »Legion des Erzengels Michael«, Nachfolger jenes Mannes, auf dessen Geist die Nation nun vereidigt wurde. Den Eid sprach Ion Antonescu vor, der das Grünhemd der Legion trug: »Im Geiste des Căpitan und der Nation« ließ er die Masse schwören, ein Land zu erschaffen, das sein werde wie die heilige Sonne am Himmel.2

Der Căpitan war Corneliu Zelea Codreanu, charismatischer Gründer und Führer der Legion, der am 29. November 1938 »auf der Flucht erschossen« worden war und dessen wichtigste Gefolgsleute, rund 250 Männer und eine Frau – darunter führende Intellektuelle –, ein knappes Jahr später ohne Gerichtsurteil auf Befehl Carols II. umgebracht worden waren. Der Zusammenbruch der Königsdiktatur Carols II., der im Jahrzehnt zuvor die demokratischen Parteien systematisch destabilisiert hatte, hatte die Legion unter einer weitgehend neuen Führung an die Macht gebracht. Horia Sima stand auf der Tribüne neben Ion Antonescu, dem neuen Staatsführer, und huldigte ihm. Die rumänische Nation wurde auf den Geist eines Toten vereidigt. Die Eidformel enthielt das legionäre Heilsversprechen: ein Land, schön wie die heilige Sonne am Himmel.

 

 

Die Apotheose Corneliu Zelea Codreanus. Ion Antonescu und Horia Sima, Führer des »national-legionären Staates«, bei der Großkundgebung in Bukarest am 6. Oktober 1940.3 (Bild: AC.N.S.A.S.)

 

Auf die Vereidigung folgten Wochen des Totenkults, der in seiner Form in der neueren europäischen Geschichte praktisch einzigartig ist. Codreanu wurde neben Gott gestellt, beinahe selbst vergöttlicht, und dies in einem Land mit traditioneller kirchentreuer Frömmigkeit. Die Propaganda hämmerte: »Der Căpitan – Märchenheld der rumänischen Nation, unvergleichliche Schönheit. Der Căpitan – Goldmund [eine Anspielung auf den Kirchenvater Johannes Chrysostomos, O.J.S.] der Nation. Der Căpitan – großer Prophet und Evangelist der Wege des Herrn, der erlesensten Tugenden. Der Căpitan – höchstes Verständnis dieser Nation … Der Căpitan – Verkörperung des allmächtigen Willens der Nation. Der Căpitan – Ikone [hier religiös gemeint, O.J.S.] der rumänischen Seele. Der Căpitan – Christus der rumänischen Nation … Der Căpitan hat die rumänische Nation erlöst. Der Căpitan – der Heiland der rumänischen Nation.«4

Von September 1940 bis Januar 1941 befand sich Rumänien in weiten Teilen in einem spirituellen Ausnahmezustand. In der neuen Regierung, einer schwierigen Kohabitation aus Armee und Legion, nutzten die Legionäre die ihnen lange verschlossenen Massenmedien. Über den Äther predigten Minister und »Alte Kämpfer« der Bewegung, aber auch aufstrebende junge Intellektuelle wie Emil Cioran, nach 1945 ein führender Philosoph von europäischem Rang in Paris. Cioran verkündete ekstatisch, »mit Ausnahme Jesu war nie ein Toter gegenwärtiger unter den Lebenden«.5 Am 14. November 1940 sprach im Rundfunk Vasile Iaşinschi, Apotheker aus dem Städtchen Rădăuţi in der Bukowina, ein Weggefährte Codreanus und nun Sozialminister: Rumänien befinde sich auf dem Wege einer vollkommenen spirituellen und moralischen Revolution, die sich auf die Gewissheit stütze, dass alles vom Căpitan ausgehe. Es sei himmlische Vorsehung, dass ein jahrhundertelanger Weg zu einem Ende gekommen sei und nun eine neue, die gesamte Zukunft der Rumänen prägende Epoche beginne. Der Glaube habe den Mammon überwunden, triumphiert hätten Liebe, Opfermut und der Geist der Armut.6 Drei Tage später, am 17. November 1940, hörten die Rumänen die Stimme Ilie Gârneaţăs, eines Mitbegründers der Legion im Jahre 1927, der Codreanu als auserwählten Führer der Nation feierte: Mit Freudentränen habe der reine Geist des Volkes im Căpitan den Mann erblickt, der den Hoffnungen auf Befreiung und Erlösung entsprach. Eine ganze Generation habe sich um jenen geschart, dessen Augen über das Dämmern des Morgens in die Tiefe der Zeit geblickt hätten. »Wenn dich der Căpitan ansah, glaubtest du, er sei aus der Wirklichkeit herausgetreten und höre die weisen Befehle der Gründerfürsten« des Landes. Codreanu sei bestimmt gewesen, durch seine Gestalt eine Ikone der Vollkommenheit zu werden: milde und gut, den Kleinen und Schwachen zugewandt, voll Liebe für jene Herzen, die ihn verstanden, ein Mann mit »evangelischen Eigenschaften«. Wie ein Erzengel sei Codreanu den Feinden entgegengetreten, und siehe, das Tier wich vor dem Gottbegnadeten zurück. »Er war ein großer Inspirierter und ein vollkommener Kenner der Wirklichkeit. Seine Visionen wurden Gewissheit. Niemals begann er etwas ohne die Gewissheit zu siegen. Er glaubte an seine Sendung«, wie seine Anhänger an ihn glaubten. »Er kam wohl aus der Legende, den Mythen, der Geschichte der großen Hauptleute. Ihn schreckten die Qualen nicht und der Tod. Heiter und kühn hat er sie angenommen, überzeugt, dass das Wort zur Erlösung der Nation durch ihn gesprochen habe.«7

Die hier sprachen, sahen sich in einer Kampfgemeinschaft mit dem italienischen Faschismus und dem deutschen Nationalsozialismus, und Begriffe, die sie verwendeten, wie Vorsehung und Sendung, scheinen vertraut. Und doch weisen sie im rumänischen Kontext eine andere Dimension auf. Denn es handelte sich nicht nur um religiöse Versatzstücke, mit denen eine stark christlich geprägte Gesellschaft ideologisch erreicht werden sollte. Es ging vielmehr um eine Ideologie, in deren Mittelpunkt nicht Rasse, sondern Religion stand, und deren Heilsversprechen nicht nur ein besseres Leben auf Erden, sondern echte Transzendenz verhieß, und zwar weniger für das Individuum, sondern für die gesamte rumänische Volksgemeinschaft. Auch die Ikone ist keine Metapher in einer Bewegung, die in mystischer Verehrung eines gemalten Abbilds des Erzengels Michael begonnen hatte.

Corneliu Zelea Codreanu, apostelgleich, in die Nähe Christi gerückt, gehört zu den großen charismatischen Führern extremer politischer Ideologien im Europa der Zwischenkriegszeit. Heute ist er außerhalb Rumäniens fast ganz vergessen, in Rumänien von einigen neofaschistischen Nostalgikern verehrt, von der Mehrheit der Gesellschaft mit Unbehagen – und Unkenntnis – betrachtet. Selten war der Sturz von gottähnlicher Verherrlichung, einer Apotheose, der Beschwörung einer Totenherrschaft über eine europäische Gesellschaft des 20. Jahrhunderts und das Abdrängen in Vergessen und Nicht-erinnern-Dürfen so eindrücklich wie bei dem Führer der Erzengellegion.

Am 20./21. Januar 1941 kam es zu einem Bürgerkrieg zwischen den Legionären Horia Simas und der Armee. Der von Hitler unterstützte Antonescu siegte. Die Legion wurde in den Untergrund oder ins Ausland gezwungen, wo Sima und seine Gefolgsleute bis in den Hochsommer 1944 in Buchenwald interniert blieben. Auf den mystischen Siegestaumel im Herbst 1940 war ein Sturz ins Bodenlose gefolgt.

Die Legionäre hatten sich in den Augen jener Menschen, die am 6. Oktober gläubig geschworen hatten, binnen Wochen und Monaten völlig diskreditiert. In den Kämpfen vom 20./ 21. Januar 1941 war es zu einem legionären Pogrom gegen die jüdische Bevölkerung gekommen.8 Vom Versprechen auf ein Land »heilig wie die Sonne am Himmel« war nach Gewalt und Pogrom nichts mehr geblieben. Ab Ende August 1944 wurde Rumänien von der Roten Armee überrannt. Bis Ende 1947 hatten die Kommunisten die Macht ganz übernommen und eine Diktatur errichtet. Die antisemitische und antibolschewistische Legionärsbewegung galt der rumänischen KP zumindest rhetorisch als ideologischer Hauptfeind. Codreanu wurde zur Unperson. Hatte schon Carol II. Tonträger mit Codreanus Stimme und legionäre Schriften massenhaft zerstören lassen, so wurde der Besitz legionärer Objekte nun noch gefährlicher. Repression erklärt das Vergessen aber nur zum Teil.

Eine Biografie Corneliu Zelea Codreanus muss erklären, wie es dem Sohn eines Deutschlehrers aus der ostrumänischen Provinz, aufgewachsen an der Grenze zum russischen Zarenreich, gelungen ist, wie kein politischer Führer vor oder nach ihm die rumänische Gesellschaft zu mobilisieren, von Bauern bis zu Aristokraten, von Studenten bis zu Arbeitern; die Gesellschaft auch zu polarisieren durch seinen charismatischen Sendungsanspruch, seinen »legionären Glauben«, sein Versprechen auf nicht nur irdisches Heil, einen »Neuen Menschen«, der nicht nur »weißeres Brot« und ein »weicheres Bett« erhalten sollte, sondern »Erlösung« und »Auferstehung« nicht als Metapher, sondern als konkretes Versprechen im Sinne christlicher Glaubenstradition, die nicht nur das Individuum, sondern die Gemeinschaft der Gläubigen umfasste. Codreanu und die Gesellschaft, die seinen charismatischen Anspruch...

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