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E-Book

Carl Maria von Weber in seiner Zeit

Eine Biografie

AutorChristoph Schwandt
VerlagSchott Music
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl608 Seiten
ISBN9783795786205
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis24,99 EUR
Er komponierte den Freischütz, der vielen als deutsche Nationaloper gilt. Webers Oberon war wiederum für lange Jahre die erfolgreichste englische Oper. Sein Männerchor Lützows wilde Jagd machte ihn zum musikalischen Symbol eines antifranzösischen Nationalismus, dabei schrieb der Komponist, der zuvor napoleontreuen deutschen Höfen diente, erst viel später als andere 'patriotische' Lieder. Sein brillantes Klavierstück Aufforderung zum Tanz wurde sehr bekannt, es ist aber nur eine von vielen großartigen Instrumentalkompositionen Carl Maria von Webers. Er war auch einer der wichtigsten Operndirigenten und Musiktheater-Manager seiner Zeit, ein virtuoser Pianist - und er schrieb über sein Metier auch heute noch lesenswerte Texte. Das späte 19. Jahrhundert schuf sich ein Bild von ihm, das viele Generationen beeinflusste. Es war aber vor allem eine Projektion des kulturellen Klimas im 1871 gegründeten Deutschen Reich. Dieses Buch stellt Carl Maria von Weber in seiner eigenen Zeit vor und berücksichtigt dabei Forschungsergebnisse, die bisher noch nicht in biografischem Kontext vorgestellt wurden. Mit einem Vorwort von Jürgen Flimm.

Christoph Schwandt, geboren 1956 in Bad Homburg, war in leitenden Funktionen an den Theatern in Oldenburg, Bonn und Essen sowie bei den Salzburger Festspielen tätig, bis 2009 als Chefdramaturg an der Oper Köln. Als Autor veröffentlichte er u. a. Biografien von Georges Bizet, Giuseppe Verdi und Leo? Janá?ek.

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Leseprobe

Franzosenzeit – Stuttgart … Frankfurt … München …

Vier Monate vor dem Kaiser der Franzosen gelangte Carl Maria von Weber am Abend des 9. März 1807 vor die Tore des hübschen Wasserschlosses Wurschen, das dem sächsischen Kammerherrn Friedrich Erdmann von Thielau gehörte. Er konnte dort über Nacht bleiben. Am nächsten Tag kam er nicht viel weiter, nur die 15 Kilometer bis Bautzen, wo er dann aber eine gute Fahrgelegenheit nach Dresden fand und am Nachmittag des 11. März dort ankam. Hier fügte es sich günstig, dass er zusammen mit der emsigen Schauspielerin und Deklamatorin Elise Bürger ein Konzert für den Samstag der folgenden Woche organisieren und ankündigen konnte. Wahrscheinlich lief aber der Vorverkauf so schlecht, dass er schon vorher nach Leipzig weiterfuhr. Die Bürger, geschiedene Gattin des verstorbenen Dichters Gottfried August Bürger, war kein Kassenmagnet mehr. Costenoble notierte über einen ihrer Auftritte: »Elise Bürger machte mimische Posituren. Ach! Das ist ja nichts! Elisens Körper ist noch recht artig, aber sie bekommt eine verdammt blühende Nase.«1 In Leipzig besuchte Weber einige Konzerte und hörte, möglicherweise erstmals, Beethovens nun auch so genannte Eroica und dessen c-Moll-Klavierkonzert2 ! Das fürstlich-anhaltische Ensemble aus Dessau gab in der Messestadt Cherubinis Faniska, die als »Oper … nach dem Französischen« untertitelt war. Der Theaterzettel war mit Rücksicht auf die anwesenden Vertreter der Grande Armée, wie sich das französische Heer seit 1805 nannte, zum Teil zweisprachig. Dem Vernehmen nach hatte Cherubini sein Werk auf eine italienische Textversion komponiert, und Joseph Sonnleithners Libretto war erst danach eingefügt worden. Für Frankreich hielt der Komponist das Werk später für ungeeignet.

Am Karfreitag hörte Weber in der Leipziger Universitätskirche das Oratorium Das Ende des Gerechten von Gewandhauskapellmeister Johann Gottfried Schicht, das dieser auf einen Text von Friedrich Rochlitz komponiert hatte. Er fand aber keine Gelegenheit, diesen wichtigen Mann persönlich kennenzulernen. Dafür traf er den Verleger und Schriftsteller Siegfried August Mahlmann, dem er einen Bericht über Stuttgart zu verfassen versprach.

Auch in Leipzig kam kein Konzert zustande, und um an Geld für die Weiterfahrt Richtung Stuttgart zu kommen, verpfändete Weber beim Inhaber des respektablen »Hôtel de Bavière« – ein Quartier, das er sich eigentlich gar nicht leisten konnte – seine Uhr gegen fünf Louisdor. Über Altenburg, Plauen und Hof ging es nach Bayreuth, das nun französisch besetzt war. Im bayerischen Amberg hoffte er Edmund anzutreffen, der sich dort mit einer eigenen Theatertruppe aufhalten sollte. Man war aber schon wieder weitergezogen: nach Ansbach, auch ein Ort mit Weberscher Familienvergangenheit. Unter der bayerischen Krone, seit 1805, wurde hier wieder richtig Theater gespielt. Mit Edmund war auch die inzwischen verwitwete Jeanette hierhergekommen. Und endlich, zwei Monate und vier Tage nach der Abreise aus Carlsruhe, konnte Carl Maria von Weber vor zahlendem Publikum auftreten. Was er vortrug, und was dabei heraussprang, ist nicht dokumentiert.

Nach Bayreuth kehrte er in diesen Frühlingswochen noch mehrmals zurück, und auch nach Erlangen. Wichtig waren aber die Tage, die er in Nürnberg verbrachte, das keine freie Reichsstadt mehr, sondern auf französischen Druck dem Königreich Bayern zugefallen war, das auch die beträchtlichen Nürnberger Schulden nolens volens übernommen hatte. Webers eigene Geldnot war ebenso drängend. Mit seiner Kunst war auf die Schnelle nichts zu verdienen. Selbst wenn ein Konzert möglich gewesen wäre, hätte das vorzustreckende Kosten bedeutet. Was er an geldwerten Dienstleistungen erbringen konnte, war an einem Verkehrs- und Handelsknotenpunkt mit vielen Fremden, zu denen jetzt noch die Militärs aus Frankreich kamen, durchaus gefragt: Er trat als Freiherr auf, hatte Manieren und war den Umgang mit hochgestellten Persönlichkeiten gewohnt. Er war schon viel herumgekommen und ohne Studium gebildet zu nennen. Er konnte lesen und ordentlich schreiben – und Französisch!

Als die Franzosen zehn Jahre zuvor Nürnberg besetzt hatten, war das renommierte »Rote Ross« ihr Hauptquartier gewesen. Franz Anton von Weber hatte dort 1791 ein Konzert veranstaltet. Gasthöfe waren auch Personalbörsen, wie man aus dem Don Giovanni weiß, wo Leporello am Ende kundtut, er werde sich dort einen neuen Herrn suchen. Womöglich im »Roten Ross« mag Weber von einem Monsieur Garnier gehört haben, der einen Sekretär suchte. Wenn er selbst je etwas davon erzählt haben sollte, so war seine unmittelbare Nachwelt wohl bemüht, diese Episode seines Berufslebens zu verschweigen, die so überhaupt nicht zu Carl Maria von Weber als angeblichem Franzosen-Hasser passen will. Jedenfalls stand er in den Monaten Mai, Juni und auch noch im Juli 1807 in den Diensten eines napoleonischen Offiziers! Womöglich war Garnier, man kennt aus Webers Reiseaufzeichnungen nur seinen Nachnamen, ein kultivierter Mann mit Verständnis für Carl Marias Musikerberuf, sodass man in ihm nicht bloß einen vorübergehenden Arbeitgeber sehen mag, sondern vielleicht sogar einen Mäzen. Garnier war »Commissaire de guerres«, das heißt, ein hoher Militärbeamter, der französische Truppen inspizierte. Frank Ziegler wies 2012 Reisen und Aufenthalte Garniers in Begleitung von Weber nach. So waren laut der Fremdenanzeigen in der Bayreuther Intelligenz-Zeitung beide mehrmals mehrere Tage in Bayreuth: »Hr. Garnier kaiserl. franz. Kriegs-Comissair nebst Hrn. v. Weber Secretair … logiren sämmtlich im goldnen Anker.«3 Garnier trug einen Uniformrock in »bleu national« und weiße Hosen, Weber mochte man für einen Zivilangestellten der Grande Armée halten. Die Anstellung war auf jeden Fall eine nützliche Erfahrung für die Zukunft am Hof des mit Napoleon verbündeten Rheinbund-Königs von Württemberg.

Auch in Bayreuth und Erlangen ergaben sich Auftrittsmöglichkeiten, wobei das Konzert in Erlangen spontan vom 9. auf den 10. Juni verlegt werden musste, weil es heftig gewitterte. Von der »großen musikalischen Akademie«, die Weber zwei Wochen zuvor im Saal des Nürnberger »Roten Rosses« gegeben hatte, sind sogar der Programmzettel und Zeitungsankündigungen erhalten. An eigenen Werken stehen eine der beiden Sinfonien sowie die Peter Schmoll-Ouvertüre auf dem Programm, ebenso die zum Waldmädchen, das hier schon den Titel »Silvana« führt. Er trägt aber auch singend »Canzonetti« vor, zu denen er sich auf der Gitarre selbst begleitet, phantasiert auf dem Klavier und spielt den Solopart eines Eberl-Konzerts. Der Zufall wollte es, dass der in Gotha engagierte, berühmte Klarinettist und Komponist Johann Heinrich Backofen, einer der namhaftesten Virtuosen dieser Zeit, gerade in Nürnberg war, wo er zuvor lange Zeit gelebt und gewirkt hatte. Er spielte in der Akademie seines jungen Kollegen ein Konzert von Franz Krommer.

In Tilsit wurde Anfang Juli 1807 in einem Boot auf dem Fluss Memel ein Frieden zwischen Frankreich auf der einen und Russland und Preußen auf der anderen Seite geschlossen, bei dem das Land Friedrich Wilhelms III. praktisch halbiert wurde. Der König von Sachsen durfte nun auch über einen Teil Polens, das neue Herzogtum Warschau, herrschen. Napoleon kehrte von Tilsit rasch nach Paris zurück und nahm dabei für eine Nacht Quartier beim Herrn von Thielau auf Schloss Wurschen. Bis Mitte des Monats blieb Weber noch in Nürnberg, am frühen Freitagmorgen des 17. Juli war er dann nach einer anstrengenden zweitägigen, fast pausenlosen Kutschfahrt, endlich in Stuttgart.

König Friedrich I. von Württemberg (1754-1816), gemalt von Wendelin Moosbrugger und in zeitgenössischer Karikatur

Friedrich I., der erste König von Württemberg, war groß und dick und nicht nur von der Statur eine spätbarocke Majestät. Mit bisweilen rücksichtloser Autorität machte er aus den heterogenen Teilen seines durch die Machtverschiebungen der jüngsten Zeit größer gewordenen Landes, zu dem jetzt auch viele katholische Gegenden gehörten, einen an französischem Vorbild orientierten Staat. Er liebte die Jagd und hatte gern einfache, aber gutaussehende junge Männer um sich, was zu mancher Mutmaßung führte. Keiner von den Günstlingen Friedrichs konnte allerdings wesentlichen Einfluss auf die Staatsgeschäfte erlangen. Biograf Paul Sauer nannte ihn einen »schwäbischen Zaren«, auch, weil Friedrich lange in russischen Diensten gestanden hatte und Charakterzüge zeigte, die überhaupt nicht mit der rechtschaffen protestantischen Landesmentalität harmonierten. Er war aber...

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