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Casablanca 1943

Das geheime Treffen, der Film und die Wende des Krieges

AutorNorbert F. Pötzl
VerlagSiedler
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl256 Seiten
ISBN9783641196790
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis16,99 EUR
80 Jahre »Casablanca« - die wahre Geschichte hinter dem Film und der Geheimkonferenz: ein Geschichtsthriller
1943 ist das Jahr, in dem »Casablanca« zum Mythos wird. Die weiße Stadt am Meer ist Zufluchtsort für die Verfolgten der Nazi-Diktatur, Namensgeberin für einen der erfolgreichsten Filme der Geschichte und Schauplatz einer Geheimkonferenz, die über den Ausgang des Zweiten Weltkriegs entscheiden wird. Norbert F. Pötzl verknüpft kunstvoll die dramatischen Kriegsereignisse mit der Entstehungsgeschichte des Hollywood-Klassikers und zeigt, wie sehr sich Fiktion und Realität gegenseitig beeinflusst haben.

Norbert F. Pötzl, geboren 1948, von 1972 bis 2013 SPIEGEL-Redakteur, ist Autor und Herausgeber mehrerer Bücher. Er veröffentlichte u.a. den Bestseller 'Der Fall Barschel - Anatomie einer deutschen Karriere' (1988), 'Erich Honecker - Eine deutsche Biographie' (2002) und 'Beitz - Eine deutsche Geschichte' (2011). Der Autor lebt und arbeitet in Hamburg.

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Leseprobe

PREMIERE IM WEISSEN HAUS

Mein lieber Rick, wann wird Ihnen endlich klar, dass in der Welt von heute der Isolationismus keine zweckmäßige Politik mehr ist?

Den Silvesterabend 1942 verbringt Präsident Franklin D. Roosevelt wie in jedem Jahr seiner Amtszeit im Weißen Haus. Er und seine Ehefrau Eleanor haben 21 Gäste eingeladen, um mit ihnen den Beginn des neuen Jahres zu feiern.1

Es ist der zweite Jahreswechsel, seit sich Amerika im Krieg befindet. Jahrelang hatte das Land versucht, sich aus den Kämpfen in Europa und Asien herauszuhalten. Vom Kongress beschlossene Gesetze verpflichteten die Regierung zur Neutralität, obschon jedem klar war, wer den Frieden verletzt hatte. Den Krieg, den Adolf Hitler im September 1939 mit dem Überfall auf Polen entfesselte, den Feldzug gegen Frankreich im Mai und Juni 1940, die Luftschlacht um England vom Sommer 1940 bis Anfang 1941 sowie den Angriff auf die Sowjetunion im Juni 1941 – all das betrachtete man als Feindseligkeiten unter Staaten der Alten Welt, die Amerika nichts angingen. Noch im Juli 1941 waren, laut einer Gallup-Umfrage, 79 Prozent der Amerikaner dagegen, dass ihr Land in den Krieg zieht.2

Auch im Krieg der Japaner gegen China, die das »Reich der Mitte« 1937 überfallen hatten und dort eine grausame Besatzungsherrschaft ausübten, verhielten sich die Vereinigten Staaten anfangs neutral. Erst als bekannt wurde, dass Japaner Hunderttausende von chinesischen Zivilisten und Kriegsgefangenen massakrierten, verhängte die amerikanische Regierung ein Stahl- und Ölembargo gegen Japan. Dies geschah freilich vor allem deshalb, weil die USA ihre Interessen am chinesischen Öl und auf den Philippinen, einer amerikanischen Kolonie, bedroht sahen und auf keinen Fall eine Hegemonie Japans in Ostasien dulden wollten. Der Inselstaat war nun von Rohstofflieferungen abgeschnitten und sah nur einen Ausweg aus dem Dilemma: Krieg gegen die Vereinigten Staaten.

Nachdem japanische Bomber am 7. Dezember 1941 den amerikanischen Marinestützpunkt Pearl Harbor auf Hawaii in Schutt und Asche gelegt hatten, war das kriegsunwillige Amerika gezwungen, sich gegen die Aggressoren zu wehren. 2403 Tote, über 1100 Verwundete, 190 am Boden zerstörte Flugzeuge und 18 versenkte oder schwer beschädigte Kriegsschiffe ließen keine Ausflucht mehr zu: Dieser »Tag der immerwährenden Schande«, wie Roosevelt ihn nannte, erzwang den Kriegseintritt gegen Japan. Die Entscheidung, auch in Europa gegen die Eroberungsfeldzüge Nazi-Deutschlands und des faschistischen Italien militärisch einzugreifen, wurde Roosevelt abgenommen: Adolf Hitler und Benito Mussolini erklärten Amerika vier Tage nach dem Überfall der mit ihnen verbündeten Japaner den Krieg, obwohl sie dazu nicht verpflichtet gewesen wären. Es war schierer Größenwahn.

An diesem Silvestertag schreibt Eleanor Roosevelt, wie jeden Tag seit 1936, eine Kolumne, die landesweit von bis zu 90 Zeitungen veröffentlicht wird. In ihrem Beitrag zum Neujahrstag 1943 stellt sie fest: »Wir sind keine isolierte Nation mehr, sondern Teil einer Familie von Nationen.«3

Die meisten Teilnehmer der Feier im Weißen Haus haben den Krieg bisher nur durch die im April 1942 eingeführten Rationierungen zu spüren bekommen. Für Fleisch, Kaffee, Zucker, Butter, Speiseöl, Dosenmilch, Schuhe, Kaminholz, Schreibmaschinen, Fahrräder, Landmaschinen, Benzin und Kautschukprodukte sind Bezugskarten erforderlich.4

Doch seit Hitler Amerika den Krieg erklärt hat, greifen die Deutschen mit U-Booten an. Sie kommen in Sichtweite des Lichtschimmers, der vom New Yorker Broadway aufsteigt, und sie versenken Schiffe wenige hundert Meter vor der amerikanischen Ostküste. Der Plan des Luftwaffenchefs Hermann Göring, Langstreckenbomber zu entwickeln, die von den Azoren aus amerikanische Städte zerstören sollten, scheiterte an den Kosten; es wurden nur wenige Prototypen der Messerschmitt Me 264 gebaut, aber die deutsche Propaganda um den »New York Bomber« jagte vielen Amerikanern Angst ein.5

Weihnachten 1942 befanden sich die Vereinigten Staaten seit gut einem Jahr im Krieg. Deutsche U-Boote kamen bis in Sichtweite vor New York und versenkten Schiffe wenige hundert Meter vor der amerikanischen Ostküste. Auf ihrer Weihnachtskarte wünschten Präsident Roosevelt und seine Frau »ein glücklicheres neues Jahr«.

© Franklin D. Roosevelt Presidential Library and Museum

Roosevelt hat in diesem Jahr das übliche Entzünden der Lichter an einem großen Weihnachtsbaum am Lafayette Square in Washington abgesagt.6 Auch der traditionelle »Ball Drop« auf dem New Yorker Times Square fällt aus, einerseits weil man Strom sparen will, andererseits weil aus Furcht vor Angriffen der Deutschen Verdunkelung angeordnet wurde; statt in den letzten sechzig Sekunden des alten Jahres jubelnd zuzusehen, wie eine bunte Lichtkugel vom Fahnenmast auf einem 110 Meter hohen Wolkenkratzer herabgelassen wird, verharren die Menschen in einer Schweigeminute.7

Unter Roosevelts Silvestergästen herrscht eine verhalten optimistische Stimmung. Die jüngsten Nachrichten von den Kriegsfronten sind für die alliierten Gegner der »Achsenmächte« erfreulich. Anfang November sind amerikanische und britische Truppen in Französisch-Nordafrika gelandet, das bis dahin von der mit den Nazis kollaborierenden Regierung in Vichy verwaltet wurde. Das deutsche Afrikakorps unter Generalfeldmarschall Erwin Rommel, der Ägypten und den Nahen Osten erobern wollte, wurde von britischen Truppen geschlagen und zum Rückzug gezwungen. In Stalingrad ist seit dem 22. November die deutsche 6. Armee eingekesselt, ihre Lage wird immer aussichtsloser. Die im Kaukasus stehende deutsche Heeresgruppe wurde am 28. Dezember zurückgezogen, um eine Einschließung durch die vorrückende Rote Armee zu verhindern.

Tagesaktuell gibt es zwei weitere Erfolgsmeldungen: In der Barentssee am Nordkap konnte ein Angriff deutscher Kriegsschiffe auf einen britischen Schiffskonvoi abgewehrt werden, der den sowjetischen Verbündeten Kriegsmaterial brachte. Und in Tokio gab Kaiser Hirohito seine Zustimmung, dass sich die japanischen Truppen von der strategisch wichtigen Insel Guadalcanal im Pazifik zurückziehen, wo ihnen amerikanische Einheiten seit fünf Monaten erbitterte Gefechte lieferten – der erste große Rückschlag für die Japaner in diesem Krieg.

Die New York Times ist an diesem Silvestertag mit zwei Schlagzeilen zu Kriegsereignissen erschienen. Die eine handelt davon, dass der von den Amerikanern in Französisch-Nordafrika eingesetzte Hochkommissar Henri Giraud zwölf Personen verhaften ließ, um einen angeblichen Mordanschlag, der ihm selbst galt, zu vereiteln; die zweite lautet: »Russen dringen bei Stalingrad vor«.

Gegen 20 Uhr versammeln sich die von den Roosevelts eingeladenen Freunde im »State Dining Room«, dem Bankettsaal im ersten Stock, zum Festmahl. Natürlich ist Harry Hopkins dabei, der engste Vertraute des Präsidenten. Der ehemalige Sozialfürsorger aus Iowa, der die »New Deal« genannte Wirtschafts- und Sozialpolitik Roosevelts maßgeblich beeinflusst hat, ist nun dessen persönlicher Verbindungsmann zum britischen Premierminister Winston Churchill und zum Sowjetführer Josef Stalin. Hopkins wohnt sogar im Amtssitz des Präsidenten an der Washingtoner Pennsylvania Avenue.

Am 10. Mai 1940, als die Wehrmacht in die Niederlande, in Belgien, Luxemburg und Frankreich einmarschierte, hatte Roosevelt seinen damaligen Handelsminister Hopkins zum Abendessen ins Weiße Haus eingeladen. Der Präsident diskutierte mit ihm bis tief in die Nacht über die Invasion und ihre Konsequenzen und überredete seinen müden Gast schließlich zum Bleiben. Hopkins bezog ein Gästezimmer im zweiten Stock an der Südostecke des Weißen Hauses, gleich neben den Privaträumen des Präsidenten. Der seit 1937 verwitwete Mann wohnte dort zunächst mit seiner Tochter Diana. Nachdem er im Juli 1942 wieder geheiratet hatte, zog auch seine Frau Louise dort ein.8 Eleanor Roosevelt hatte gehofft, dass Hopkins, der überall seine Zigarettenasche verstreute, das Weiße Haus nach der Hochzeit verlassen würde.9

Hopkins’ Bleibe, zu der noch ein zweites Zimmer mit einem Bad en suite gehört, war ursprünglich ein einziger Raum und einst Abraham Lincolns Arbeitszimmer. Hier hat der 16. Präsident der Vereinigten Staaten am Neujahrstag 1863 die »Emancipation Proclamation«, die Abschaffung der Sklaverei, verkündet; eine Plakette über dem Kamin erinnert daran. Gleich neben Hopkins’ Apartment befindet sich das sogenannte Monroe-Zimmer, in dem Präsident James Monroe 1823 seine berühmte Rede entworfen hat, die zur langfristigen Leitlinie der amerikanischen Außenpolitik wurde. Die nach ihm benannte Doktrin besagt unter anderem, dass sich die Vereinigten Staaten nicht in europäische Konflikte einmischen dürften.10

Roosevelt vertrat schon frühzeitig und entgegen der verbreiteten öffentlichen Stimmung die Ansicht, dass es »heute in der Welt nichts Wichtigeres gibt, als Hitler zu schlagen«. Dies sollte der Kernsatz einer Rede sein, die der Präsident am 10. Oktober 1940, dem »Columbus Day«, hielt. Mit diesem Auftrag sandte er Hopkins zu Robert Sherwood, einem für seine Theaterstücke bereits dreimal mit dem Pulitzerpreis ausgezeichneten Schriftsteller, und zu Samuel Rosenman, einem New Yorker Richter am Appellationsgericht, der 1933 als junger Jurist den Begriff »New Deal« erfunden hatte.11 Das Trio feilte viele...

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