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E-Book

C.G. Jung zur Einführung

AutorMicha Brumlik
VerlagJunius Verlag
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl170 Seiten
ISBN9783960600336
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis10,99 EUR
Die Wurzeln der Tiefenpsychologie C.G. Jungs (1875-1961) reichen bis in die spätantike und mittelalterliche Mystik zurück. Die deutsche Romantik aktualisierte diese Quellen und öffnete ein Geisterreich aus Okkultismus und Somnambulismus, das sich in Jungs Werk schließlich zu einer romantischen Theorie des Unbewussten im 20. Jahrhundert entfaltet. Im Mittelpunkt dieser Theorie der universellen biologischen Grundlagen der Kultur steht die Lehre von den Archetypen, die Micha Brumlik an Gestalten aus Richard Wagners Musikdramen darstellt.

Micha Brumlik ist Professor für Theorien der Bildung und Erziehung an der Goethe-Universität Frankfurt am Main.

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Leseprobe

I. Tiefenpsychologie und Geisterbeschwörung


Carl Gustav Jungs auf der Basis einer traumatischen Lebensgeschichte erwachsenes Programm einer Reintegration von Religion und Sexualität stand bekanntlich Sigmund Freuds Programm einer Sublimation von beidem gegenüber. Reintegrations- und Sublimationsmodell, wie sie schon in dem frühen Briefwechsel1 beider einander entgegengestellt sind, unterscheiden sich einmal in der Frage der Reduzierbarkeit der Religion und zum anderen hinsichtlich der Kontingenz der Person, d.h. der Frage, ob die menschliche Entwicklung einem sinnhaften, vorgegebenen Ziel folgt oder nicht. Für Sigmund Freud stellte die Wahl der Sexualtheorie als Zentrum seines Werkes nicht nur eine zufällige, am Ende lebensgeschichtlich vermittelte Vorliebe für einen beliebigen tiefenpsychologischen Gegenstand dar, sondern jene Orientierung, die ihm allein Wissenschaftlichkeit und Aufklärung garantierte. Jung berichtet in seinen Erinnerungen von einem Gespräch mit Sigmund Freud aus dem Jahre 1910, in dem er dogmatisch auf die Sexualtheorie verpflichtet werden sollte. »Mein lieber Jung«, so Freud, »versprechen Sie mir, nie die Sexualtheorie aufzugeben. Das ist das Allerwesentlichste. Sehen Sie, wir müssen daraus ein Dogma machen, ein unerschütterliches Bollwerk.« Auf Jungs Rückfrage, wogegen dies Bollwerk errichtet werden solle, habe Freud geantwortet: »Gegen die schwarze Schlammflut […] des Okkultismus.«2

Freud wußte, wovon er sprach. Schon in den frühen Studien zur Hysterie berichtet Freud von den Erscheinungen seiner Patientin:

»Ich war schon bereit«, vermerkt Freud zu einer Reihe ihm nicht signifikant erscheinender Symptome seiner Patientin, »diesen Versuch zu den mißglückten zu zählen, und dachte daran, wie ich mich unauffällig aus der Affäre ziehen könnte, als mich eine der Erscheinungen, die sie beschrieb, aufmerksam machte. Ein großes schwarzes Kreuz, wie sie es sah, das geneigt stand, an seinen Rändern denselben Lichtschimmer wie vom Mondlicht hatte, in denen alle bisherigen Bilder erglänzt hatten …« Im weiteren schilderte die Patientin die Vision einer Sonne mit güldenen Strahlen, einer riesengroßen Eidechse, »die sie fragend, aber schreckhaft anschaute, dann eines Haufens von Schlangen, dann wieder eine Sonne, diesmal mit milden, silbernen Strahlen. Weiterhin berichtete die Patientin, daß sie Mitglied der theosophischen Gesellschaft geworden sei und von sich selbst eine geringe Meinung habe.« Schließlich wird Freud klar, daß es sich bei den von der Patientin berichteten Bildern nicht um neurologisch induzierte und sinnhaft gedeutete Lichterscheinungen handelte, sondern um »Symbole okkultistischer Gedankengänge, vielleicht von den Titelblättern okkultistischer Bücher«3.

Die Auseinandersetzung mit dem Okkultismus sollte Freud immer wieder beschäftigen. Die XXX. Vorlesung der »Neuen Folge« befaßte sich mit »Traum und Okkultismus«, und Freud unterläßt nichts, um die vom Okkultismus geschilderten Phänomene im wesentlichen als Suggestionen, Aberglauben oder Scharlatanerie darzustellen. Schließlich geht Freud in besonderer Weise auf ihm in Analysen mitgeteilte telepathische Erfahrungen ein, um sie Stück für Stück in ihrer seelischen Bedeutung zu erläutern und nachzuweisen, daß es sich hierbei im wesentlichen um Übertragungsphänomene handelt. Am Ende freilich teilt er einen Fall mit, bei dem er selbst zu zweifeln scheint, und erwägt, ob es nicht speziell in der Interaktion von Eltern und Kindern echte Telepathie geben könne.4

Freud hat das Thema des Okkultismus sein Leben lang nicht mehr losgelassen – in einem nachgelassenen Manuskript aus dem Jahre 1921 weist er geradezu auf die Zwillingsgeburt beider – wenn man so will – Disziplinen hin:

»Es ist nicht selbstverständlich, daß das Erstarken des Interesses für den Okkultismus eine Gefahr für die Psychoanalyse bedeutet. Im Gegenteile, man sollte auf gegenseitige Sympathien zwischen den beiden gefaßt sein. Sie haben nämlich die schnöde, hochmütige Behandlung von Seiten der offiziellen Wissenschaft erfahren. Die Psychoanalyse wird noch heute als der Mystik verdächtig angesehen und ihr Unbewußtes zu jenen Dingen zwischen Himmel und Erde gerechnet, von denen sich die Schulweisheit nichts träumen lassen will. Die zahlreichen Aufforderungen zur Mitarbeit, die von Seiten der Okkultisten an uns gerichtet werden, zeigen, daß sie uns als halb zugehörig behandeln wollen, auf unsere Unterstützung gegen den Druck exakter Autorität zählen. Andererseits hat die Psychoanalyse kein Interesse daran, diese Autorität aufopfernd zu verteidigen, sie ist selbst in der Opposition gegen alles konventionell Eingeschränkte, Festgelegte, allgemein Anerkannte; es wäre nicht das erste Mal, daß sie den dunkeln, aber unzerstörbaren Ahnungen des Volkes gegen den Wissensdünkel der Gebildeten ihre Hilfe liehe. Eine Allianz und Arbeitsgemeinschaft zwischen Analytikern und Okkultisten erschiene ebenso naheliegend wie aussichtsvoll.«5

Die Einwände, die Freud im folgenden gegen eine solche Allianz erörtert, beziehen sich weniger auf okkulte Phänomene als auf die Haltungen der meisten Okkultisten, denen Freud vorhält, Überzeugte zu sein, die nach Bestätigung suchen, die Rechtfertigungen wollen, um sich zu ihrem Glauben bekennen zu können. Sie seien Gläubige, deren Glaube von der Wissenschaft im Lauf der Menschheitsentwicklung zurückgedrängt worden sei.6

»Die Analytiker«, so beschließt Freud diesen Gedankengang mit einem Bekenntnis, »sind im Grunde unverbesserliche Mechaniker und Materialisten, auch wenn sie sich hüten wollen, das Seelische und Geistige seiner noch unerkannten Eigentümlichkeiten zu berauben. In die Untersuchung des okkulten Stoffes treten sie auch nur darum ein, weil sie erwarten, dadurch die Wunschgebilde der Menschheit endgültig von der materiellen Realität auszuschließen.«7 Freud wußte, wovon er sprach – er hatte seine eigenen Erfahrungen mit derlei Phänomenen.

Im Sommer 1898 explodierte im Eßzimmer des Sommerhauses einer gutbürgerlichen Basler Familie, der Bottminger Mühle, ein siebzig Jahre alter Eßtisch aus Nußbaum. Die im Hause Anwesenden hörten aus ihrem Speisezimmer einen Knall wie einen Pistolenschuß und eilten zum Ort des Geschehens. Einer der Beobachter erinnerte sich später daran, daß die Tischplatte bis über die Mitte durchgerissen war – »und nicht etwa an einer geleimten Stelle, sondern durch das gewachsene Holz«8. Vierzehn Tage später explodierte in der gleichen Wohnung ein schweres Buffet, in dem sich auch ein Brotmesser befand, dessen Klinge zerbrochen war – ein Bruch, den sich ein konsultierter Messerschmied nicht anders als durch Einwirkung von Gewalt erklären konnte.9

Elf Jahre später, Ende März 1909, besuchte der durch diese Ereignisse lebhaft inspirierte Beobachter einen nach langen Kämpfen endlich seine akademische Anerkennung findenden Wiener Nervenarzt, einen innovativen Mediziner, dessen Überlegungen zum Unbewußten und zur Rolle zumal der kindlichen Sexualität bei der Pathogenese psychischer Krankheiten ihn zur umstrittenen Berühmteit machten. Doch wurde der freundschaftliche Besuch, den Carl Gustav Jung und seine Frau Emma Sigmund Freud in der Wiener Berggasse abstatteten, von einem merkwürdigen Ereignis überschattet. Der Besucher berichtete später, daß sich sein Zwerchfell während des Besuchs wie glühendes Eisen angefühlt habe und weiter: »[…] in diesem Augenblick ertönte ein solcher Krach im Bücherschrank, der unmittelbar neben uns stand, daß wir beide furchtbar erschraken. Wir dachten, der Schrank fiele über uns zusammen. Genauso hatte es getönt. Ich sagte zu Freud: ›Das ist jetzt ein sogenanntes katalytisches Exteriorisationsphänomen‹. ›Ach‹, sagte er, ›das ist ja ein leibhaftiger Unsinn.‹ ›Aber nein‹, erwiderte ich, ›Sie irren, Herr Professor. Und zum Beweis, daß ich recht habe, sage ich nun voraus, daß es gleich nochmals so einen Krach geben wird!‹ Und tatsächlich, kaum hatte ich die Worte ausgesprochen, begann der gleiche Krach im Schrank […].«10 Freud antwortete auf die Angelegenheit am 16. April des Jahres brieflich:

»Nun fürchte ich, bei Ihnen wieder in den Vater zurückzufallen, wenn ich von meiner Relation zu dem Klopfgeisterspuk spreche, muß es aber tun, weil es doch anders ist, als sie sonst glauben könnten. Ich leugne also nicht, daß Ihre Mitteilungen und Ihr Experiment mir starken Eindruck gemacht haben. Ich nahm mir vor, nach Ihrem Weggang zu beobachten, und gebe hier die Resultate wieder. In meinem ersten Zimmer kracht es unausgesetzt, dort wo die zwei schweren ägyptischen Stelen auf den Eichenbrettern des Bücherkastens aufruhen, das ist also zu durchsichtig. Im zweiten, wo wir es hörten, kracht es sehr...

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