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E-Book

Christian Morgenstern

Leben und Werk

AutorMichael Bauer
VerlagVerlag Urachhaus
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl400 Seiten
ISBN9783825160142
FormatePUB/PDF
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis13,99 EUR
Als Christian Morgenstern am 31. März 1914 starb, war außer seiner Frau Margareta auch Michael Bauer bei ihm. Bauer lebte später mit Margareta Morgenstern in ihrem Haus am Ammersee, umgeben vom Nachlass des Dichters, und begann 1922 mit der Arbeit an dieser umfangreichen Biografie, in der er vor allem den Menschen Morgenstern, den Sinnsuchenden, den Christen im Blick hat. Unter Tuberkulose - der gleichen Krankheit leidend wie sein Freund Christian Morgenstern, war Bauer oft zu Unterbrechungen des Schreibens gezwungen und konnte sein Werk schließlich nicht vollenden. Margareta Morgenstern und Rudolf Meyer führten die Biografie zu Ende und konnten sie 1933 erstmals veröffentlichen. Die herzliche Anteilnahme am Schicksal des Freundes, die große Nähe bei aller erforderlichen Distanz des Beobachtenden machen Michael Bauers Morgenstern-Biografie heute zu einem einzigartigen Quellentext für jeden, der sich eingehend mit Morgenstern beschäftigt.

Der Autor Michael Bauer (1871-1929) war studierter Naturwissenschaftler, passionierter Lehrer und einer der ersten persönlichen Schüler Rudolf Steiners. 1913 lernte er Christian Morgenstern kennen und wurde ihm ein lieber Freund und wichtiger Begleiter im letzten Lebensjahr. Michael Bauer veröffentlichte zahlreiche Erzählungen in verschiedenen Zeitschriften und ist vor allem durch die von ihm verfasste Biografie Christian Morgensterns bekannt geworden.

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Leseprobe

Kindheit


1871–1885


»Ich möchte sagen, daß ich immer noch im und vom Sonnenschein meiner Kindheit lebe.« Mit diesem Worte fasst der sieben- unddreißigjährige Christian Morgenstern die Erinnerung an seine Kindheit zusammen.

Er war das erste und einzige Kind junger lebensfroher Eltern, die beide in München geboren waren und auch dort lebten. Der Vater Landschafter, eine echte Künstlernatur, war bei der Geburt des Sohnes erst dreiundzwanzig Jahre alt. Die zwanzigjährige Mutter, eine edle, liebreizende Erscheinung, vielseitig künstlerisch begabt, wird vor allem als ausgezeichnete Klavierspielerin gerühmt. Eine besondere Vorliebe hatte sie für Mozart. Und als mozartisch wird man überhaupt den Geist des Hauses bezeichnen dürfen, das jeder frohen Geselligkeit und aller Kunst offen war.

Der am 6. Mai 1871 in München geborene Sohn erhielt in der Taufe die Namen: Christian Otto Josef Wolfgang. Christian nach dem Großvater Christian Morgenstern, dem bedeutenden Landschaftsmaler; Josef nach dem Großvater mütterlicherseits, dem ebenfalls angesehenen Landschafter Josef Schertel; Otto nach seinem Paten, dem Hamburger Kunsthändler Arnold Otto Meyer. Der Name Wolfgang aber sollte die Liebe der Mutter zu Wolfgang Amadeus Mozart bekunden.

Die Eltern wohnten in der damals noch wenig bebauten Theresienstraße. (Damals Nr. 12; im Jahre 1879 erhielt das Haus die Nr. 23.) Bald aber übersiedelten sie in eine Gartenvilla der Äußeren Nymphenburger Straße, die der Vater erwarb. Hier verlebte das Kind die Spätherbst- und Wintermonate. Sobald die Jahreszeit das Malen im Freien erlaubte, ging die Familie in eines der zu jener Zeit noch ganz ländlichen oberbayerischen Seedörfer Kochel, Murnau, Herrsching, Weßling usw., von denen manche noch nicht mit der Eisenbahn zu erreichen waren. Der Vater suchte als freier Landschafter gerne die Gebirgsseen auf, und das Kind wurde zu aller Freude überallhin mitgenommen – später auch in die Jagdreviere des Vaters, der ein begeisterter Jäger war. Oder es wurden größere Reisen unternommen. Zuerst »aus Lebenslust«, dann aus Rücksicht auf ein beginnendes Lungenleiden der Mutter. Christian Morgenstern erinnerte sich später besonders noch an eine lange Reise durch Tirol, die Schweiz und das Elsass, »die im wesentlichen in einer von zwei unermüdlichen Juckern gezogenen Kutsche zurückgelegt wurde«.

So hat der Knabe jeden Sommer seiner Kinderjahre im Umgang und Spiel mit der Natur verbringen dürfen. Von klein auf mochte er, wenn er seinen Vater mit dem Malergerät vor der Landschaft sitzen sah, immer wieder selbst versucht haben, mit Maleraugen zu schauen. Einen Dankbrief, den er mit sieben Jahren in einer sichtlich neu erworbenen großen Abc-Schützen-Schrift abfasste, unterschrieb er wichtig: »zukünftiger Landschaftsmaler«.

Von den Eltern als einziges Kind zärtlich geliebt, alle Menschen, die in das offene Haus kamen, durch sein frohgemutes, vertrauendes Wesen rasch gewinnend, so wuchs Christian Morgenstern heran – herzlich umhegt wie eine junge Pflanze in einem für alles Gedeihen wohlbereiteten Garten. Was dem Knaben wohl mitunter fehlte, waren die gleichaltrigen Spielgefährten. Noch als Mann klagt er, dass er in der Jugend so sehr den Besitz einer Schwester entbehren musste. Doch seine bewegliche Phantasie vermochte ihm stets die Einsamkeit zu beleben. Man geht gewiss nicht fehl, wenn man die große Liebe des Erwachsenen zur Einsamkeit mit seinen »einsamen stillfrohen« Spielen zusammenbringt.

In Morgensterns ruhig-strahlendem Auge lag es lebenslang wie ein Abglanz der Kindheitsjahre, in denen ihn Liebe umhegte und alle Kräfte des Vertrauens an den Tag lockte. – Für einen günstigen Umstand, der sein späteres Schaffen in glücklicher Weise unterbaute, darf man den regelmäßigen Wechsel zwischen Stadt- und Landleben in seiner Kindheit ansehen. Das Stadtkind, das in seinen Spielen fast ganz auf allzu fertiges Spielzeug angewiesen ist, erlebt in der freien Natur, im Wald, am Bach, am sandigen Hang eine unerschöpfliche Bereicherung für seine Phantasie. In der Natur sind Überraschungen an der Tagesordnung. Die Decke der in den Sand gegrabenen Höhle bricht plötzlich herab, das gestaute Wasser findet mit einem Male seinen Ausweg, ein gefährlich scheinender Käfer tritt auf den Plan. Wären wir Erwachsenen nicht gar so stumpf, wir hätten längst gefühlt, wie einengend für die Phantasie das fest umrissene, mechanische Spielzeug wirkt, wie schnell verbraucht das alles ist … Der kleine Christian konnte in seinen selbst geschaffenen Welten aufgehen. Einige Stücke Borke, ein paar bunte Scherben, Blätter und wimmelnde Ameisen genügten für seine Miniaturwelten, die er aus der Machtvollkommenheit seiner Phantasie beseelte und einem jeglichen darin Bedeutung und Wichtigkeit verlieh.

Über die Spiele in der Stadt erzählte der Vater noch später: von der kleinen Eisenbahn mit Uhrwerklokomotive, einem weiten Geleisachter samt Unterführung, Tunnel und anderem, und wie er selber manches Mal mit dem Kinde gemeinsam gespielt hat. Das fröhliche Geschrei des kleinen Christian, wenn der blecherne Zug an irgendeiner Wendung der Schienen im Zimmer entgleiste, war ihm davon am deutlichsten in der Erinnerung geblieben.

Diesen Spieltrieb hat Morgenstern sich noch bis in die Mannesjahre hinein bewahrt. In sein Tagebuch schreibt er 1907: »Ich könnte heute noch im Walde wie ein Knabe spielen: aus Steinen und Holzstücken Häuser bauen, mit dürren Zweiglein Rasen abstecken und Haine bilden, einen Felsblock zum Range eines Alpengipfels erheben und einem Hirschkäfer und seiner Frau die Herrschaft über das alles verleihen. Und dieses kleine Reich würde mich glücklicher machen und meine Phantasie umständlicher erregen und beschäftigen als ein noch so großes der Wirklichkeit. So habe ich einmal mit fünfunddreißig Jahren acht Tage am Strande von Sylt mit Bauen und Zimmern einer Strandhütte verbracht und war wohl selten so von Herzen froh, wie bei diesem harmlosen Spiel.« Nietzsches Ausspruch: »In jedem echten Manne ist ein Kind versteckt, das will spielen« ist hier bestätigt. Morgenstern hat später seine »Galgenlieder« »dem Kinde im Manne« gewidmet.

Draußen in der Nymphenburger Straße in München ist noch ein Stück des großen Gartens zu sehen, in dem Christian Morgenstern viele Tage seiner Kinderzeit froh verspielt hat. Unter einer Tanne befand sich eine Grotte, in der sich selbst bei nicht guter Witterung verweilen ließ. Auf einem Beet in diesem Garten blühten Sonnenblumen, die das Kind sich selbst gezogen und von denen der reife Mann noch leuchtenden Auges – und wie konnten diese Augen bei Erinnerung an Schönes leuchten! – erzählt hat. Eine dieser herrlichen Sonnenblumen, die zweiundfünfzig Blüten aus einer Wurzel trieb, gleich dem Jahre, das uns zweiundfünfzig Sonntage schenkt, empfand Morgenstern fast als ein Sinnbild seiner Kindheit. Er ließ später ein Exlibris mit dieser Sonnenblume für sich entwerfen.

Im Erdgeschoss der Gartenvilla wohnte der Oberleutnant Max Baumgartner, der den Knaben sehr liebte und oft ganze Manöverfeldzüge mit Zinnsoldaten für ihn veranstaltete. Auch der jugendliche Vater und dessen Vetter, der Maler Constantin Bauer, nahmen gern an den phantasiereichen Spielen des munteren Kindes teil und erfanden selbst allerlei Lustiges dazu. Seiner erfinderischen Necklust, die auch später noch von Freunden an ihm hervorgehoben wird, standen höchstens die Großmutter und ihre Schwester zuweilen etwas ratlos gegenüber. Doch große Herzenshöflichkeit, die ihm von Kindheit an eigen war und blieb, ließ es nie dazu kommen, dass sein Necken je hätte verwunden können.

Die Ausbildung des Knaben war völlig planlos. Durch den häufigen Aufenthaltswechsel der Eltern kam es in den ersten Jahren nie zu einem regelmäßigen Schulbesuch; hier und dort Privatunterricht und ein paar Wochen einmal eine Dorfschule in Oberbayern (Murnau) waren zunächst die harmlosen Begegnungen mit der »Pädagogik«. Zu Hause bedurfte es keiner, wie der Vater erzählte. Durch das fein empfindende Gewissen und den ihm eingeborenen Herzenstakt war das Kind sehr leicht lenkbar; im Übrigen überließ man es seinem freien Wachstum. Bezeichnend für das überzarte Gewissen des Knaben ist ein Kindheitserlebnis: Im Spiel mit einem Bauernbuben hatte er diesen versehentlich mit einem Steinchen neben das Auge getroffen, und obgleich nichts Schlimmes geschah, war die Pein darüber, dass er ihn aus Unachtsamkeit in Gefahr gebracht hatte, so groß, dass sie noch nach Jahrzehnten in ihm nachwirkte.

Eine frohe Kindheitserinnerung aber schildert er in einer Prosaskizze »Der erste Kuß«. Bei einer Theateraufführung von Kindern im oberbayerischen Seefeld lernt er, selbst erst siebenjährig, ein etwa dreizehnjähriges Mädchen kennen. Sie ist auf Ferien, aus ihrer Klosterschule gekommen und trägt ein graues, faltenlos zum Fuße reichendes Kleid. Ein Madonnenantlitz blickt ihn an und...

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