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Clowns für Menschen mit Demenz

Das Potenzial einer komischen Kunst. Mit einem Vorwort von Prof. Dr. Dr. Rolf Dieter Hirsch

AutorUlrich Fey
VerlagMabuse-Verlag
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl205 Seiten
ISBN9783863211622
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis12,99 EUR
Dieses Buch soll Wissen vermitteln und Angst nehmen. Es hilft, Menschen mit Demenz besser zu verstehen. Denn sie tun oft nicht, was wir von ihnen möchten, widersetzen sich. Die Eigenwilligkeit der Alten aber hat ihre Geschichte. Und ist manchmal voller Komik. Ulrich Fey erläutert die Grundlagen wirksamer Clownarbeit und prüft ihre Möglichkeiten im Zusammenhang mit Demenz. Er geht der Frage nach, warum gute Pflegebeziehungen in unserem Gesundheitswesen unbedingt einer Ausnahmeerscheinung wie der des Clowns bedürfen. Ein 'emotionales Sachbuch' - mit Anregungen und Analysen für Professionelle in Alten- und Pflegeheimen sowie für alle, die als Clowns auf diesem Feld arbeiten wollen. Aber auch Betroffene und pflegende Angehörige können von der besonderen Sichtweise eines Clowns auf die Demenz profitieren. Erweiterte und aktualisierte Neuauflage!

Ulrich Fey war Lehrer und Redakteur, ehe er Clown wurde. Heute arbeitet er freiberuflich als Journalist, Buchautor und Referent in der Journalistenausbildung. Vor allem aber geht er seit vielen Jahren als Clown Albert in Alten- und Pflegeheime und besucht dort vornehmlich Menschen mit Demenz. Seine Erfahrungen gibt er auch in Kursen und Vorträgen weiter: clownsundmehr.de 'Der Clown korrigiert, kritisiert niemals. Warum auch? Die Welt der Dementen ist auch seine. Clowns wie Demente haben nur wenig Berührungspunkte zu dem Leben, das von Leistung, Intellekt, Klischees und Gefühlsferne geprägt ist. Zum Alltag eben. Clowns und Dementen sind die neuesten Smartphones völlig egal, sie wissen nicht einmal davon. Das gilt auch für Umstürze in Nordafrika oder Bayern München. Beide leben im Hier und Jetzt, beide sind echt und authentisch. Ganz wesentlich wird aber die Wirkung des Clowns beeinflusst von seiner Absichtslosigkeit: Er hat kein Ziel, ist kein Therapeut. Der einzige Zweck der Begegnung ist die Begegnung. Wie auch immer diese ausfällt. (...) Von dieser Freiheit profitieren alle. Die Bewohner, die sich angenommen, ernst genommen, geborgen fühlen. Die Pflegekräfte, ja alle Arbeitskräfte, weil sich die Atmosphäre im Haus verändert, wenn ein Clown da ist. Wenn er regelmäßig kommt, verändert sie sich sogar, wenn er nicht da ist. Alle bekommen Aufmerksamkeit einfach für ihr Dasein, nicht für ihre Leistung - ob Küchenhilfe oder Heimleitung. Zudem erfüllt der Clown in dem anstrengenden, reglementierten Alltag zumindest zeitweise die Sehnsucht nach Freude und Leichtigkeit. Zuletzt erfährt der Clown von diesem besonderen Publikum der Demenzbewohner, was bei anderer Arbeit nur schwer zu bekommen ist: echten Kontakt.' (Ulrich Fey in demenz.DAS MAGAZIN, September 2011)

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Leseprobe

EINBLICK


Clowns für Menschen mit Demenz, Clowns für Menschen in Alten- und Pflegeheimen – das klingt nach Nische, das klingt nach Minderheitenprogramm. Ist es aber nicht. Im Gegenteil. Wir alle haben Eltern und Großeltern, die älter werden, zum Teil sehr alt. Wir selbst werden in nicht so ferner Zukunft auch zu den Alten zählen – und mit dem Alter steigt das Risiko, dement zu werden. So ist Demenz ein Thema für viele. Und Clowns können in diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle spielen.

In einer Umgebung, in der die betreuenden Menschen immer wieder daran scheitern, einen angemessenen Umgang mit den verwirrten Menschen zu finden, kann der Clown helfen. Denn der Clown ist ein seltsames Wesen. Er scheitert auch, aber bei ihm ist das Programm. Er muss sich nicht anstrengen, um die Menschen mit Demenz zu erreichen, weil er sich bereits auf einer Ebene mit ihnen befindet. Sie sind wie der Clown: nicht rational, sondern emotional. Sie machen Sachen, die sonst niemand versteht, manchmal verstehen es beide, Verwirrter und Clown sogar selbst nicht. Es ist aber auch gar nicht so wichtig, Hauptsache, sie verstehen einander.

Verständnis für die Menschen mit Demenz zu wecken, stellt ein Ziel dieses Buches dar. Im Zentrum stehen aber die Chancen, die alle Menschen im Umgang mit Demenz haben können: die, die betroffen sind, und die, die Menschen mit Demenz betreuen. Es geht um einen Perspektivwechsel.

Wer ist hier ver-rückt?


So muss man zum Beispiel, angesichts vieler Erscheinungsformen in unserer modernen Welt, erst einmal fragen: Wer ist denn hier verrückt? Sind es die, die als Ausdruck ihrer demenziellen Veränderung nicht mehr wissen, was sie mit einem Löffel anfangen sollen oder wie ihr verstorbener Ehemann mit Vornamen hieß? Oder sind es die, die sich bei klarem Verstand sonderbar verhalten? Die mit ihren Kindern in den Zoo gehen, mit der Digitalkamera den Braunbären fotografieren und sich dann nur noch das Foto ansehen, aber keinen Blick mehr haben für den lebendigen Bären vor sich? Oder die, die ihre Frau mit dem Laptop unter dem Arm in den Kreißsaal begleiten und sich dann mehr für ihre E-Mails als die Geburt ihres Kindes interessieren – wie jüngst eine Hebamme im Radio berichtete?

Ein Perspektivwechsel bedeutet auch, die Demenz selbst anders zu betrachten. Dabei muss etwas in den Vordergrund rücken, was oft genug verdrängt und dann im Untergrund wirksam wird: die Gefühle.

Denn Demenz macht erst einmal Angst. Große Angst. Denen, die unmittelbar von ihr betroffen sind, aber auch denen, die Sorge haben, eines Tages dement werden zu können. „Demenz wird zur Projektionsfläche vieler tief gehender Ängste, da sie allen narzisstischen Selbstidealen wie Autonomie, Kraft, Stärke widerspricht.“1. Das gilt für den Einzelnen wie für die Gesellschaft insgesamt. Demente Menschen werden ausgeschlossen, Heime schützen die Gesellschaft vor der Konfrontation mit ihnen, auch wenn wir Jüngeren Angst davor haben, selbst einmal so ausgeschlossen zu werden2.

Die Angst des Playboys


Besonders deutlich wird diese Abwehr am Fall von Gunter Sachs. Der über Jahrzehnte gefeierte Playboy und Frauenheld (und damit Projektionsfigur vieler Männer) nahm sich im Mai 2011 das Leben, aus Angst, möglicherweise (!) an Alzheimer erkrankt zu sein. Die Reaktionen der einschlägigen Presse: „Er stirbt, wie er lebte: aufrecht und selbstbestimmt“ (Bild), „Ein Mann mit Charakter – bis zum bitteren Ende“ (Bunte), „Einer, der so stark gelebt hat, war sich am Ende wohl einen starken Abgang schuldig“ (Stern), „Es war ein männlicher Selbstmord“ (GQ)3. Die „Texte lesen sich fast wie Empfehlungen an Alzheimer-Patienten, doch denselben Weg zu gehen“4. Dass von Stärke bei Sachs’ Freitod keine Rede sein kann, vielmehr von gekränktem Narzissmus – das schreiben die Journalisten nicht. Ob aus Dummheit, Populismus oder verkappter Angst, ist nicht entscheidend. Entscheidend ist, dass solche Veröffentlichungen das angstbesetzte Bild von Demenz stützen.

Aber: „Das Leben mit Demenz bedeutet keinesfalls nur Unglück und Leiden, genauso wenig wie das Leben ohne Demenz nur Glückseligkeit und Wohlbefinden bedeutet“5. Unbestritten ist, dass das Altern und noch viel mehr die Demenz ein Loslassen erfordern, ja erzwingen. Doch was bleibt, wenn der Urlaub auf Gran Canaria, der neue Mercedes, die beruflichen Erfolge von Kindern und Enkeln uninteressant werden, ja geradezu belanglos? Für die einen ist dies die Hölle, für andere eine Art Paradies: Menschen unabhängig von ihrem Wohlstand und Ansehen einfach für ihr Sein schätzen zu lernen, zu mögen, vielleicht zu lieben.

Einfach Mensch sein


Menschen mit Demenz bringen uns mit diesem Wunsch in Verbindung. Nicht mit Absicht, sie tun es, weil sie nicht anders können. Ihr Gehirn funktioniert nicht mehr in der Weise, wie es in unserer Gesellschaft funktionieren sollte, in einer Gesellschaft mit einem geradezu katastrophal überschätzten Stellenwert des Intellekts6. Der Psychoanalytiker Arno Gruen schreibt sogar: „Die wahren Geschädigten sind nicht die seelisch Erkrankten, die als psychiatrische Patienten von der Gesellschaft gemieden werden. Es sind diejenigen, die uns ein reduziertes Mensch-Sein suggerieren wollen. Die Kranken weisen uns unbewusst den Weg zu uns selbst zurück.“7

Als Clown habe ich das erlebt. Und ich habe es als Gewinn erlebt. Auch das ist ein Perspektivwechsel. Viele Menschen mit Demenz fordern nicht nur, sie können den Betreuenden etwas geben: ehrlichen, bedingungslosen Kontakt – immer authentisch, immer glaubhaft. Sie können nicht anders. Sie verschenken Lächeln, Umarmungen, Mitsingen, sogar Trost. Das alles kann man nicht kaufen, auch nicht online, und auch nicht bei Facebook posten.

Nach etwa dreißig Minuten, in denen sich Stille und Gesang abgewechselt haben, kündigt der Clown seinen Aufbruch an.

„So, jetzt packe ich ein und gehe.“

„Ooch.“

„Aber Frau Mertens, ich komme doch in zwei Wochen wieder.“

Sie hält einen Moment Ruhe, schaut und sagt dann: „Das ist das Tröstliche.“

Emotionales Sachbuch


Dieses Buch soll zwar auch ein Sachbuch sein, zuerst aber ist es ein Buch über und voller Emotionen. Denn Gefühle sind der entscheidende, oft der einzige Zugang zu Menschen mit Demenz. Und der Clown agiert vor allem auf dieser Ebene.

Den Innenansichten eines Clowns stehen indes Außenansichten gegenüber, die häufig geprägt sind von Klischees. Clowns sind doch diese bunten Kerle aus dem Zirkus, die Eimer voller Wasser umstoßen oder mit Torten werfen. Clowns sind etwas für Kinder, allenfalls noch im Krankenhaus vorstellbar – das wird inzwischen akzeptiert. Aber für Demente? Die Sorge vor einer „Verarschung“ (so ein Heimleiter) der Menschen mit Demenz liegt an einem vorurteilsbehafteten Blick der vernunftgesteuerten Menschen auf den Clown – Menschen mit Demenz haben diese Sorge fast nie. Sie würden auch schnell spüren, ob sie ernst genommen werden oder nicht. Denn das ist keine Frage an die Großhirnrinde. Dabei sind Menschen mit Demenz selbst manchmal so komisch, wie ein Clown es kaum sein kann. Daran darf man sich erfreuen, sogar lachen darüber, aber, und das ist ganz wichtig: Niemals darf der Clown einen Menschen – ob mit oder ohne Demenz – auslachen.

„Wie geht es Dir, Papa?“

„Also, ich muss sagen, es geht mir gut. Allerdings unter Anführungszeichen, denn ich bin nicht imstande, es zu beurteilen.“8

Die rote Nase


Um einen Clown und seine Arbeit zu verstehen, muss man die Bedeutung der roten Nase verstehen. Die sogenannte „kleinste Maske der Welt“ verhilft dem Privatmenschen zu einem Rollenwechsel, zu einer anderen Identität. Diese ist natürlich auch Teil seines privaten Selbstverständnisses, aber noch weit mehr.

Der Mann, der als Clown arbeiten will, muss sich heute in einem leeren Bewohnerzimmer umziehen. Frau Schuster, eine demenziell bedingt sehr eingeschränkte Frau mit starkem Bewegungsdrang, kommt in das Zimmer. „Frau Schuster, Sie sind falsch, das ist nicht Ihr Zimmer.“

Doch Frau Schuster setzt sich unbeeindruckt, verharrt einen Moment, schiebt dann ihren Rollator wieder hinaus. Der Noch-nicht-Clown atmet auf. Wenige Minuten später öffnet sich die Tür abermals, Frau Schuster kommt wieder herein.

„Frau Schuster, das ist nicht Ihr Zimmer.“ Das klingt schon etwas genervter. Frau Schuster dreht eine Runde in dem kleinen Raum und verlässt ihn wieder. Kurze Zeit später kommt sie ein drittes Mal. Inzwischen hat sich der Mann komplett umgekleidet, nur die rote Nase fehlt noch. Er schaut Frau Schuster verärgert an. Dann...

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