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Contact Improvisation im Spannungsfeld zwischen Tanzkunst und Alltagsbewegung

Körperdialoge zur Entwicklung individueller Körperintelligenz

AutorMarion Glöggler
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2009
Seitenanzahl163 Seiten
ISBN9783640329106
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis39,99 EUR
Diplomarbeit aus dem Jahr 2008 im Fachbereich Soziale Arbeit / Sozialarbeit, Note: 1,3, Hochschule Merseburg, Sprache: Deutsch, Abstract: Im Zentrum dieser Arbeit steht die Erforschung der CI hinsichtlich der Förderung der individuellen Körperintelligenz. Über die geschichtliche Verortung der CI wird im ersten Kapitel die Tanzform in den historischen Kontext des Modernen Tanzes eingebunden. Anschließend werden im zweiten Kapitel Merkmale des Begriffes Körperintelligenz herausgearbeitet. Sie geben aufschlussreiche Informationen über die Funktionsweisen des sich bewegenden Körpers und bilden gleichzeitig die Grundlage, auf der die abschließende empirische Studie aufgebaut ist. Die Grundprinzipien der CI werden im dritten Kapitel vorgestellt und mit Hilfe einer theoretischen Gegenüberstellung der Körperintelligenzmerkmale erste theoretische Zusammenhänge formuliert. Über eine empirische Untersuchung werden im vierten Kapitel CI Tänzer aus den Bereichen Freizeit, Pädagogik und Kunst in der Praxis befragt und die Ergebnisse abschließend mit den theoretischen Erkenntnissen ausgewertet und verglichen.

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Leseprobe

2. Die Körperintelligenz


 

In der Tanzwissenschaft wird heute vor allem im zeitgenössischen Diskurs mit einer Größe umgegangen, die unter dem Begriff Körperintelligenz (body intelligence),[60] Bewegungsintelligenz[61] oder körperlicher Eigensinn[62] auszumachen ist. Zeitgenössischen Tänzern und Performern sind diese Begriffe meist vertraut, da ihre Inhalte eine Grundlage ihrer Auseinandersetzung mit dem Körper in der Bewegung bilden. In Techniken wie dem Body-Mind Centering (BMC), der Contact Improvisation (CI) oder dem New Dance wird mit der Körperintelligenz bewusst gearbeitet, um in Verbindung von Körper (body) und Geist (mind) seine Bewegung im Tanz zu entfalten. Eine Tanztechnik, wie beispielsweise BMC ermöglicht:

 

…Bewegung von innen heraus zu verstehen und führt zu einem Verständnis davon, wie der Geist (mind) sich durch Bewegung im Körper ausdrückt.[63]

 

Über diese Auseinandersetzung werden auf der körperlichen Ebene individuelle Bewegungsmöglichkeiten erweitert. Gleichzeitig fördert die Beschäftigung mit dem Körper, seinem Aufbau und seinen Reaktionsmöglichkeiten die Bewusstheit[64] für das Werkzeug Körper.

 

Obwohl sich im Tanz ein Verständnis für die Körperintelligenz etabliert hat, ist in der Literatur nur wenig speziell zu diesem Thema zu finden. So führten die Nachforschungen für die Arbeit von den Tanzwissenschaften über die Sportwissenschaften und der Therapie, zur Anatomie und Psychologie. Je nach Blickwinkel unterschieden sich die Bereiche in ihrer Schwerpunktsetzung und Vertiefung. So wurde versucht eine relativ umfassende Struktur für die Körperintelligenz aufzubauen, wobei sich die Inhalte immer wieder auf den Körper als Tanzinstrument beziehen.

 

2.1 Die Körperintelligenz in der Literatur


 

Mabel Todd weist 1937 in ihrem Buch „The Thinking Body“ auf die Fähigkeiten des Körpers hin, nicht nur als vom Willen gesteuertes Werkzeug zu funktionieren, sondern als eigenständig reagierender Teil mit den kognitiven und emotionalen Bereichen in wechselseitiger Beziehung zu stehen.

 

Das neuromuskuläre System Körper ist […] ein empfindsames Instrument, das zu Fähigkeiten imstande ist, die weit über Vernunft und bewusste Kontrolle reichen. Die neuromuskulären Teile von Skelett und Organen reagieren auf Grund eines gesammelten gemeinsamen Wissens, das permanent erweitert wird und dabei ständig von Gefühl und Verstand überprüft wird.[65]

 

In ihrem Buch „The Moment of Movement“ sprechen Blom und Chaplin von einer „body intelligence“ und weisen auf die Fähigkeit des sich bewegenden Körpers hin, interne und externe Informationen verarbeiten und so abgleichen zu können, dass der Mensch permanent handlungs- und ausdrucksfähig bleibt.

 

[...] our bodies respond to unspoken needs and desires, interpreting the continuous flow of internal and external signals and determining the appropriate form of action. [...] Our comprehensive body intelligence apprehends other realities (walls, stairs, moving bodies) and adjusts the movement accordingly.[66]

 

Für Christiane Berger kommt das Verständnis für den Körper, als eigenständige Intelligenz, aus dem Postmodern Dance. In ihrem Buch „ Körper denken in Bewegung“ beschreibt sie die Idee des reagierenden Körpers (responsive body), wie sie in der CI zu finden ist, als eine eigenständig reagierende, dem Körper zugehörige Bewegungsintelligenz, die über instinktive Reflexe verfügt und mit möglichst wenig Willensanstrengung funktioniert. Der reagierende Körper wird als ein antwortender Körper verstanden, der selbst Verantwortung übernimmt.[67]

 

An anderer Stelle erläutert Berger die Theorie von „Eigensinn des Körpers“ nach Annette Barkhaus:

 

Es handelt sich dabei nicht um bloße Automatismen, um Reflexe, sondern - wie sich in der Wahl des Begriffes Eigensinn andeutet - um sinnstiftendes Verhalten: Situationen, in denen der Körper - und nicht das bewusst agierende Subjekt - eine sinnhafte Antwort auf eine Situation findet.[68]

 

Berger bemerkt dazu, dass es nicht das Ziel sein sollte, die Körperintelligenz gegen die geistige Intelligenz auszuspielen, sondern vielmehr diese, als eine eigenständige Logik der Bewegung anerkennend, in den Tanz mit einzubeziehen.[69]

 

2.2 Körperstrukturen


 

Der Abschnitt „Körperstrukturen“ dient als Einführung in grundlegende anatomische Strukturen, die für das Verständnis der Funktionsweisen des Körpers im Tanz und der Bewegung bedeutsam sind.

 

2.2.1 Der Organismus


 

Der Körper ist ein Organismus bestehend aus verschiedenen Körpersystemen. Im Body-Mind Centering unterscheidet man 7 Körpersysteme: das Skelett, das Muskelsystem, das Nervensystem, das endokrine System, das Organsystem, das Bindegewebesystem und das Flüssigkeitssystem.[70]

 

Die Zelle ist die kleinste Funktionseinheit, die allen Teilen des Organismus gemeinsam ist und die sich ein Leben lang erneuern kann. Eine größere Anzahl an Zellen mit gemeinsamen Funktionen nennt man Gewebe. Verbünde dieser Gewebe gehören wiederum zu einer größeren Einheit und bilden die Strukturen eines Körpersystems.[71] Der Organismus ist eine dynamische Einheit. Mit jeder Bewegung verändert sich seine räumliche Verortung, seine Form, d. h. die Stellung seiner Teile zueinander.

 

2.2.2 Das Skelett


 

Insgesamt aus 206 Knochen bildet sich das menschliche Skelett. Jeder Knochen ist lebendes Gewebe. Von einer Bindegewebsschicht ummantelt, sind die Knochen mit Sehnen, Bändern und Muskeln verbunden. Die Gelenke verbinden die Knochen miteinander, geben Gewicht und Energie weiter und verfügen durch ihren Bau über unterschiedliche Bewegungsmöglichkeiten, so genannte Freiheitsgrade.[72] In den Gelenken befinden sich Gelenksrezeptoren, die permanent Informationen über ihre Ausrichtung an das Gehirn weiterleiten.[73]

 

2.2.3 Die Muskulatur


 

Ein Muskel kann im Bezug auf Haltung und Bewegung verschiedene Aufgaben übernehmen. Er kann Beweger, Heber, Bremser oder Verhinderer möglicher Gelenkbewegung sein.[74] Alle Bewegungen werden von paarweise angeordneten Muskeln ausgeführt, dem Agonisten (Bewegungsmuskel) und dem Antagonisten (Gegenspieler), der dem Agonisten entgegen wirkt und die Bewegung harmonisiert, indem er die Bewegung reguliert, hemmt oder fördert. Synergisten sind Muskeln, die andere Muskeln unterstützen und verstärken.[75] Das Wechselspiel zwischen Anspannung und Entspannung der Muskelpaare ist charakteristisch für die Muskeltätigkeit. Dabei ermöglichen Entspannungsphasen dem Muskel sich auch innerhalb einer Bewegung zu regenerieren. Der Muskel steht unter einer gewissen Spannung, die Muskeltonus genannt wird und die Steifigkeit des Gewebes beschreibt.[76] Je nach Aktivitätszustand ist der Tonus höher oder niedriger. Der Körper hat einen grundlegend vorhandenen Tonus, der als Aktivierungstonus bezeichnet wird und dazu dient die Reaktionsbereitschaft des Organismus sicherzustellen.

 

In den Muskeln liegen Muskelspindeln. Sie sind Sinnesorgane, die Informationen über Muskellänge, Längen- und Geschwindigkeitsveränderung an das Zentrale Nervensystem (ZNS) leiten. Zwischen dem Muskelsystem und dem ZNS besteht eine permanente Kommunikation. Die Interdependenz zwischen Muskulatur und ZNS nennt man neuromuskuläres System. Veränderungen im ZNS bringen Veränderungen der Muskelstruktur und -funktion mit sich. Umgekehrt können Veränderungen der Muskelfunktion Veränderungen im ZNS bewirken.[77]

 

2.2.4 Das Nervensystem


 

Das Nervensystem stimmt verschiedene Körperteile aufeinander ab und ist in Aufgabenbereiche unterteilt. Zum Zentralen Nervensystem (ZNS) gehören Nervenzellen des Gehirns und des Rückenmarks. Das Periphere Nervensystem (PNS) besteht aus Bündeln sensorischer und motorischer Nerven, die sich über den Körper erstrecken. Nerven, die vom Zentrum in die Peripherie verlaufen, nennt man motorische Nerven, die von der Peripherie zum Zentrum verlaufendende Nerven, sensorische Nerven. [78] Das Nervensystem wird außerdem in das somatische Umweltnervensystem und das vegetative Nervensystem eingeteilt. Das somatische Nervensystem verbindet den Menschen mit der Umwelt und kann willentlich beeinflusst werden. Das vegetative (autonome) Nervensystem, das sich ohne willentlichen Einfluss steuert, erhält alle wichtigen Lebensfunktionen aufrecht. In Körpertrainingstechniken wird das autonome Nervensystem auch als „Bauchhirn“ bezeichnet.[79] Das autonome Nervensystem unterteilt sich wiederum in den Sympathikus, der bei Aktivität aktiv ist und der Parasympathikus, der in der Ruhe aktiv wird.[80]

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