Wie im vorherigen Abschnitt I. bereits erläutert wurde, fand der Begriff der cooperatio ad malum in keinem der offiziellen Dokumente oder in irgendeinem der zahlreichen Briefwechsel Verwendung.
In die Debatte eingebracht wurde dieser Begriff der cooperatio erst durch die Gegner der Schwangerenkonfliktberatung, als deren Wortführer in dieser Hinsicht der Philosoph und Theologe Robert Spaemann zu nennen ist. Mit seinem Artikel „Die schlechte Lehre vom guten Zweck“[103] unternahm er es, die seiner Einschätzung nach der Scheindebatte zugrunde liegenden philosophischen Denkschemata auszuleuchten und zu bewerten. Er argumentierte dabei gegen einen moralisch verwerflichen Konsequentialismus. Als Beispiel für diesen Ansatz dienten ihnen Ärzte, die bei der nationalsozialistischen Euthanasie an Geisteskranken zwar eine beachtliche Zahl von Menschen vor dem Tod bewahrt, gleichwohl aber auch an Tötungen mitgewirkt hatten.[104] Mit diesem Beitrag löste Spaemann eine den kirchlichen Rahmen überschreitende Debatte über die Grundlagen der Moral aus, die an dieser Stelle jedoch nicht genauer beleuchtet werden kann. Wichtig für unseren Zusammenhang ist, die Tatsache dass Spaemann als erster Denker versucht hat, mit dem Begriff der cooperatio gegen die kirchliche Beratungspraxis ins Feld zu ziehen.
In der Moraltheologie wird seither die nicht gerade unwichtige Frage nach der cooperatio aufgrund des leidenschaftlichen Plädoyers von Spaemann wieder verstärkt und kontrovers diskutiert. Im Folgenden soll ein eigener Beitrag zu dieser Debatte erstellt werden, indem die traditionelle Lehre von der cooperatio dargestellt und ihre Anwendbarkeit auf die Situation der in Deutschland gängigen Schwangerenkonfliktberatung anhand der Positionen der verschiedene Meinungen der Opponenten kritisch hinterfragt wird.
Mitwirkung, also cooperatio, bedeutet in der traditionellen Moraltheologie zunächst jede Teilnahme an der Handlung eines Anderen, wobei der Andere der Hauptakteur der Handlung ist. Die Teilnahme kann positiv oder negativ qualifiziert sein. Nur die negative Mitwirkung an einer Handlung zur Sünde (cooperatio ad malum) wird im Verlauf dieser Arbeit thematisiert. Cooperatio ad malum bezeichnet die Teilnahme an einer objektiv unrichtigen Tat eines Anderen, wobei der Andere von sich aus bereits zu dieser Handlung entschlossen ist. Diese bereits feststehende Entschiedenheit des Anderen grenzt die Mitwirkung von der Verführung zur Sünde ab.[105]
Im Zuge der innerkirchlichen Diskussion wurden schwerwiegende Einwände dagegen erhoben, dass die kirchlichen Schwangerenkonfliktberatungsstellen ihre Arbeit in der ihnen vom staatlichen Gesetzgeber zugedachten Art und Weise fortführten. Die Ausstellung des sogenannten `Beratungsscheines´ wurde dabei als eine sogenannte `Tötungslizenz´ gebrandmarkt,[106] durch die der nach einer kirchlichen Beratung erfolgte Schwangerschaftsabbruch gewissermaßen ein kirchliches `Zertifikat´ oder `Gütesiegel´ erhält. Um diesen schwerwiegenden, für die Glaubwürdigkeit der Kirche in der Tat ruinösen, Vorwurf zu bekräftigen, verwiesen die Gegner der kirchlichen Schwangerenkonfliktberatungsstellen häufig auf die alte moraltheologische Lehre von der `Mitwirkung am Bösen´, die von der Enzyklika `Evangelium Vitae´[107] Papst Johannes Pauls II. im Jahre 1995 noch einmal in Erinnerung gerufen wurde.
Anhand dieses prominenten Beispiels wird im Folgenden die heute selbst innerhalb der moraltheologischen Fachdiskussion weithin in Vergessenheit geratene Lehre der `cooperatio ad malum´ dargestellt und diskutiert. Die folgenden Überlegungen beanspruchen daher nicht, die katholische Schwangerenkonfliktberatung im Rahmen der derzeitigen staatlichen Regelungen einer umfassenden Beurteilung aus moraltheologischer Sicht zu unterziehen. Vielmehr soll mit Blick auf einen neuralgischen Punkt der Debatte versucht werden, die Praxis der Schwangerenkonfliktberatung auf ihren Charakter als cooperatio ad malum hin zu überprüfen.
Infolge der erbsündlichen Gebrochenheit ist menschliches Handeln verstrickt in die sozialen Auswirkungen von Schuld. Eigene und fremde Sünden sind eine Situation, aus der sich der Einzelne aus eigener Anstrengung nicht mehr zu befreien vermag. Die moraltheologische Tradition, die um diese Verstricktheit wusste, entfaltete in der `Lehre von der Mitwirkung an der Sünde eines anderen´ eine Reihe von Differenzierungen, mit deren Hilfe für den Einzelfall zu klären ist, ob und inwieweit menschliches Handeln sich auf die betreffende unheilvolle Situation einlassen darf. Die Tradition wusste aber auch schon, dass ein völliger Verzicht auf eine Mitwirkung nur um den Preis des Nichthandelns und somit um den Preis des Verzichts auf positive Einflussnahme zu erreichen ist. Die nachfolgende Erörterung beschränkt sich bewusst auf die Frage, welche Art von Mitwirkung an Abtreibungen die kirchliche Schwangeren-konfliktberatung darstellt und ob und in wieweit eine solche ethisch vertretbar ist. Spezifisch rechtliche Aspekte werden im Weiteren nicht erwähnt.
Zur Erörterung der Frage wird die klassische Lehre der cooperatio ad malum, so wie sie sich in den verbreiteten Hand- und Lehrbüchern der katholischen Moraltheologie darstellt, herangezogen.[108]
Um die Frage der cooperatio im Zusammenhang mit der Schwangeren-konfliktberatung näher zu erörtern, müssen zunächst die Begrifflichkeiten und ihre Entstehung präzise bestimmt werden. Für einen Überblick über diese Entwicklung halte ich mich an die etablierte Darstellung von Mausbach/Ermecke[109].
Mausbach und Ermecke setzen in ihren Ausführungen beim exegetischen Befund an. Anhand dessen werden erste begriffliche Unterscheidungen vorgenommen.
Eine ‚Mitschuld an einer fremden Sünde’ kennt bereits die Heilige Schrift. Im paulinischen Schrifttum finden sich dazu erste Aussagen. Zunächst stellt der Apostel fest, dass nicht nur die Heiden, die Lasterhaftes tun, des Todes würdig sind, sondern auch diejenigen, die ihnen zustimmen (Röm 1,32). In einem deuteropaulischen Brief wird Timotheus ermahnt, nicht vorschnell jemanden die Hände aufzulegen, damit man sich nicht mitschuldig an fremden Sünden mache (1 Tim 5,22). Der Begriff der cooperatio setzt also eine irgendwie geartete Mitwirkung an der Sünde eines Anderen voraus, durch die man in die Schuld des Anderen verstrickt wird. Sie empfängt ihre Artverschiedenheit als fremde Sünde nur dann, wenn sie gleichzeitig die Liebe oder die Gerechtigkeit gegenüber dem Nächsten verletzt.
Aufgrund dieses Befundes ergeben sich - abgeleitet - verschiedene Arten der cooperatio. Zum einen besteht ein Unterschied zwischen negativer und positiver Mitwirkung. Bei der cooperatio positiva handelt es sich um eine Mitwirkung, die generell unerlaubt ist - es sei denn, sie kann durch bestimmte Gründe gerechtfertigt werden.[110] Unerlaubt ist die positive Mitwirkung deshalb, weil dieses Wirken in jedem Fall durch den freien Willen verursacht wird. Dieser hat somit auch die Verantwortung für die sittliche Richtung und Beschaffenheit der Handlung. Der Wille „ist mit Schuld an allem Bösen“[111], was naturgemäß in der jeweiligen Handlung begründet ist oder aber aus ihr entspringt.
Eine unterlassene Handlung auf der anderen Seite ist im engeren Sinn keine cooperatio, denn es handelt sich hierbei nicht um eine vollzogene Handlung. Hierbei handelt es sich also um eine cooperatio negativa. Nichthandeln ist also nicht schuld an dem, was Andere tun. Vielmehr handelt es sich bei einer unterlassenen Handlung (Schweigen, Dulden) um eine einfache Unterlassung. Es kann sich allerdings auch bei einer Unterlassung um eine Sünde handeln, und zwar dann, wenn eine Pflicht zu handeln oder zu reden besteht. Dies ist dann der Fall, wenn jemand durch ein Verhältnis des Rechts, der Pietät oder der Liebe mit dem Nächsten näher verbunden und somit für eben diese Person mitverantwortlich ist.[112]
Zunächst einmal steht aus moraltheologischer Perspektive fest, dass die cooperatio formalis grundsätzlich untersagt ist[113]. Was aber ist eine cooperatio formalis? Eine formelle Mitwirkung an einer Sünde liegt in dem Fall vor, in dem die Sünde des Gegenübers als solche gewollt wird, d.h. wenn die Handlung schon ihrer Natur oder den Umständen zufolge notwendigerweise die Sünde des Anderen mit sich bringt, so Josef Mausbach.[114] Im `Gesetz Christi´ von Bernhard Häring wird die formelle Mitwirkung wie folgt definiert: „Formelle Mitwirkung ist jeder Beitrag zur...