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E-Book

Dagegen sein ist nicht genug

AutorThomas Hofer
VerlagVerlag Kremayr & Scheriau
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl224 Seiten
ISBN9783218010030
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis16,99 EUR
Wie kommen wir wieder an kompetente Persönlichkeiten, die sich den 'Job Politik' überhaupt antun? Wie überbrücken wir die immer größer werdende Kluft zwischen Politik und Bevölkerung? Sind Reformen angesichts der politischen Systemverfilzungen überhaupt durchsetzbar? Diese und ähnliche Fragen stehen im Zentrum des von Politikberater und Tv-Analytiker Thomas Hofer herausgegebenen Buches. Spitzenpolitiker wie Vizekanzler Reinhold Mitterlehner, Sozialminister Rudolf Hundstorfer, Neos-Chef Matthias Strolz oder der Shootingstar im Außenamt, Sebastian Kurz, liefern unorthodoxe Vorschläge, um dem politischen Vertrauensverlust Herr zu werden. Vertreter der Zivilgesellschaft präsentieren Rezepte, wie sich der Druck auf die politischen Eliten erhöhen lässt. Und die Doyenne des österreichischen Journalismus, Anneliese Rohrer, rechnet mit der eigenen Branche ab. Mit Beiträgen von Josef Barth • Irmgard Griss • Thomas Hofer • Rudolf Hundstorfer • Sebastian Kurz • Reinhold Mitterlehner • Josef Moser • Erwin Pröll • Susanne Riess • Marie Ringler • Anneliese Rohrer • Hermann Schützenhöfer • Alois Stöger • Matthias Strolz • Franz Vranitzky • Stefan Wallner

Thomas Hofer studierte Kommunikationswissenschaft und Anglistik in Wien und als Fulbright-Stipendiat Wahlkampfmanagement und Public Affairs an der Graduate School of Political Management in Washington, D.C. Zunächst Innenpolitik-Redakteur beim 'profil', ist er heute Politikberater, Tv-Politikexperte und geschäftsführender Gesellschafter von H&P Public Affairs in Wien. Zahlreiche Buchveröffentlichungen zur politischen Landschaft in Österreich und den USA.

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Leseprobe

Wut vernebelt – Bürgernähe wirkt


REINHOLD MITTERLEHNER


In seinem gleichnamigen Essay hat der „Spiegel“-Journalist Dirk Kurbjuweit vor fünf Jahren den seither vielzitierten „Wutbürger“ er- bzw. gefunden. „Er bricht mit der bürgerlichen Tradition, dass zur politischen Mitte auch eine innere Mitte gehört, also Gelassenheit, Contenance. Der Wutbürger buht, schreit, hasst. Früher war er staatstragend, jetzt ist er zutiefst empört über die Politiker“, schrieb Kurbjuweit. Der Autor entfachte damit eine breite Debatte im deutschsprachigen Feuilleton über das schwer in Mitleidenschaft gezogene Verhältnis zwischen Politik und Bürgern, über eine neue Dimension der Politikverdrossenheit und der Entfremdung zwischen Regierenden und Regierten.

Die Wutbürger-Debatte schwappte auch auf unser Land über. In Form eines dramatisch gestiegenen Protest-Wahlverhaltens verschaffte sich das Wutbürgertum zuletzt auch Luft bei einigen Landtagswahlen. Regierende Parteien wurden dabei teils auf dramatische Weise abgestraft, die oft taten- und aktionslose Opposition profitierte dagegen im Übermaß. Was dominierte, war eine wutbürgerliche Stimmungslage, die zwar oft gar nicht genau artikulieren kann, was das Problem ist, aber dessen ungeachtet ihren Tribut fordert. Der Kultursoziologe Manfred Prisching hat bei der Festveranstaltung zum 70. Geburtstag der Volkspartei die Problematik sehr treffend auf den Punkt gebracht: „Wenn Wut jeden Gedanken vernebelt, kann man einen solchen nicht mehr fassen.“

Eine Frage der Haltung


Was in der medialen Wutbürger-Diskussion leider allzu rasch in den Hintergrund trat, war, dass Dirk Kurbjuweit in seinem Essay auch gleich einen Therapievorschlag – zunächst adressiert an den deutschen Bildungs-Wutbürger – mitlieferte. „Es könnte ihnen helfen“, riet Kurbjuweit, „mal wieder die ,Buddenbrooks‘ zu lesen, den großen Roman deutscher Bürgerlichkeit von Thomas Mann. Weil Thomas Buddenbrook die Zeichen der Zeit nicht erkennt, geht sein Familienunternehmen unter. Das ist sein Versäumnis, aber auf eine andere Art ist er beeindruckend: in seiner Contenance, in seiner tadellosen Haltung angesichts vieler Schwierigkeiten.“

Wenngleich bürgerliche Gelassenheit angesichts der notorischen Reformverweigerung mancher Teile des politischen Spektrums in Österreich tatsächlich schwierig zu bewahren ist, so ist der Hinweis auf die richtige „Haltung“ im Umgang mit Herausforderungen berechtigt. Mit welchen Haltungen stehen wir eigentlich als Politik, Staat und Bürger Problemen gegenüber? Welche Anspruchs- und Erwartungshaltungen prägen das Verhältnis zwischen Politik, Staat und Bürgern? Das ist ein Schlüsselthema für die Zukunft unseres Gemeinwesens. Dass diese Fragen in Österreich völlig ungeklärt sind, haben zuletzt die Diskussionen über Steuerreform und Asylwesen gezeigt.

Dabei geht es einerseits um die Frage, wie die Bürger den Staat und die Politik sehen. Was sie vom Staat erwarten und fordern – und was nicht. Es ist ein offenes Geheimnis, dass sich die Anspruchsspirale an den „Vollkasko-Staat“ weiter nach oben gedreht hat. Der historische Vergleich zeigt etwa für den Sozialbereich: Österreichs Sozialquote (Sozialausgaben in Prozent des BIP) hat sich seit 1955 von 16,7 Prozent auf knapp 30 Prozent des BIP fast verdoppelt. Das Wirtschaftswachstum hat sich hingegen im selben Zeitraum in der Tendenz verringert. Unser Potenzialwachstum liegt real nur mehr bei knapp über einem Prozent pro Jahr. Wir sind heute mit der unangenehmen Wahrheit konfrontiert, dass die Erfüllung von steigenden Ansprüchen an staatliche Leistungen an ihre finanziellen Grenzen gekommen ist. Noch mehr Staat geht nicht. Es ist Zeit für alle in der Politik, diese Wahrheit auch anzuerkennen und auszusprechen.

Andererseits ist es entscheidend, welche Haltung die Politik gegenüber den Bürgern einnimmt. Sieht sie die Bürger in populistischer Manier als käuflich an, deren Unterstützung bei Wahlen man sich mit weiteren finanziellen Wohltaten versichern kann, unabhängig davon, ob sich ein Staat das auch leisten kann? Und bringt die Politik damit die „Anspruchsdemokratie“ zu Lasten der nächsten Generationen erst richtig zum Blühen? Oder legt die Politik Wert darauf, staatliches Handeln effektiver zu machen und allenfalls zu redimensionieren, die Freiheit der Bürger zu erhöhen und ihnen mehr Entscheidungsspielräume für das persönliche Leben zu ermöglichen? Dies züchtet nämlich nicht Wut, sondern fördert Verantwortung.

Populismus oder Mäßigung?


Wir sind heute an einem Wendepunkt angelangt, an dem sich ideologieübergreifend zwei konkurrierende politische Haltungen gegenüberstehen:

der linke und rechte Populismus, der viel verspricht, nichts halten kann, finanziell von der Hand in den Mund lebt und der letztlich Politikverdrossenheit und Wut befeuert, sowie

eine Politik der Mitte und Mäßigung, die Probleme beim Namen nennt, um sie möglichst rechtzeitig und richtig zu lösen, und die den Bürger nicht als instrumentalisierbares Objekt sieht, sondern als eigenverantwortliches Subjekt ernst nimmt. Darum geht es mir. Genau das verstehe ich unter bürgernaher Politik.

Bürgerorientierung und Bürgernähe sind keine leeren Schlagworte, sondern das entscheidende politische Zukunftsprojekt in Österreich. Es geht darum, das Verhältnis zwischen Bürgern und Staat auf eine zeitgemäße, nachhaltige Basis zu stellen. Nur das macht Staat und Bürger handlungs- und zukunftsfähiger, nur das eröffnet beiden Seiten neue Handlungsspielräume. In diesem Sinn gilt es, für eine neue Politik der Bürgernähe in folgenden fünf Handlungsfeldern neu- und umzudenken.

Vom Vater Staat zum Partner Staat


Der Staat soll für die Bürger da sein – und nicht umgekehrt. Angesichts einer Staatsquote von 52 Prozent, bürokratischer Überregulierung in vielen Bereichen und eines nach wie vor weit verbreiteten staatlichen Obrigkeitsdenkens sind wir von diesem Ziel noch entfernt.

Der traditionelle Vater Staat, der die Bürger von der Wiege bis zur Bahre reguliert und bevormundet, ist kein Konzept für die Zukunft mehr. Wir brauchen den Partner Staat, der einem in bestimmten Lebenssituationen zur Seite, aber nicht im Weg steht. Wo der Staat nicht dem Einzelnen oder der Gesellschaft dient, benötigen wir ihn schlichtweg nicht. Im Gegenzug geht es darum, die Freiheit und Eigenverantwortung des Einzelnen zu stärken. Die Bürger sollen als Teil einer verantwortungsvollen Bürgergesellschaft mehr über ihr Leben, insbesondere in ihrem Umfeld, entscheiden können. Staatliches Handeln soll den Bürgern dienen und größtmögliche Wahlfreiheit gewährleisten. Ein aktuelles Beispiel aus der Unternehmerwelt: Damit Gründer ihre Ideen rascher und ohne staatliche Bevormundung in die Tat umsetzen können, haben wir mit der Genehmigungsfreistellungsverordnung eine große Anzahl kleiner Betriebe von der Genehmigungspflicht für ihre Betriebsanlagen befreit. Das bringt nicht nur Kostenersparnisse von 2000 bis 3000 Euro pro Betrieb, sondern außerdem die Sicherheit, dass man nicht unterschiedlichen Ansichten und Verwaltungspraktiken der Länder und Bezirke ausgeliefert ist.

Ein solches modernes Staatsverständnis erfordert von politischen Parteien ein Umdenken: Wer den Menschen auf ihrem Lebensweg so viele Leitplanken zur Seite stellen will, dass sie gar keinen anderen Weg als den vermeintlich „gut gemeinten“ mehr gehen können, befindet sich ebenso am Holzweg wie jene, die zwischen „guten“ und „schlechten“ Lebensentwürfen entscheiden. Wie Menschen ihr Leben gestalten und welche Lebensentwürfe sie verfolgen, muss jedoch in ihrer freien Entscheidung liegen. Das geht die Politik nichts an. Orientierungen für ein gelingendes Leben und eine erfolgreiche Gesellschaft kann und soll man auch als politische Kraft bieten – aber mit Bevormundung von oben, sei es im Privatleben, im Mobilitätsverhalten oder im wirtschaftlichen Bereich, muss Schluss sein.

Vom Versprechen zur Verantwortung


Das dominierende politische Format – nicht nur in Österreich – ist das politische Versprechen. Versprochen werden den Bürgern, meist in simplen Drei- bis Fünf-Punkte-„Programmen“, vielfältige Wohltaten. Mitunter wird daraus, wie am 24. September 2008 im österreichischen Nationalrat, ein heute nicht mehr nachvollziehbarer, sündteurer Wahlzuckerl-Exzess. Politik inszeniert sich als Geber, der Bürger wird zum Nehmer degradiert. Dabei ist es sein Steuergeld, das oft hemmungslos ausgegeben wird, wobei suggeriert wird, dass dieses „Steigerungsspiel“ (Gerhard Schulze) unendlich fortgesetzt werden kann.

Mit Bürgernähe hat eine solche Politik nichts zu tun. Sie mag auf den ersten Blick populär wirken, aber die Menschen wissen nur zu gut, dass sie dafür eine hohe Rechnung bezahlen müssen. 75 Prozent der Österreicher sprechen sich deshalb dafür aus, dass die Politik das sachlich Richtige und nicht das Populäre tut. Das ist eine wichtige Maxime einer bürgernahen Politik: Sie muss das Richtige für Land und Bürger tun – und eben nicht nur das auf den ersten Blick populär erscheinende. Es ist in der Folge eine Frage der politischen Verantwortung, das Richtige mit den besseren Argumenten populär zu machen. Dinge aus Verantwortung richtig zu gestalten, ist heute in vielen Handlungsfeldern notwendig, um die Erfolgsgeschichte Österreichs fortzuschreiben: etwa zur Sicherung des Pensionssystems in einer demografisch alternden Gesellschaft, zur Weiterentwicklung des Bildungssystems, um Chancengerechtigkeit und Bildungsqualität für alle jungen Menschen zu...

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