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Darauf waren wir nicht vorbereitet

Psychische Krisen rund um die Geburt eines Kindes verstehen und überwinden

AutorTanja Sahib
VerlagBooks on Demand
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl236 Seiten
ISBN9783752881868
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis12,99 EUR
10 bis 20 Prozent aller Mütter erleben unvorbereitet statt Freude Unsicherheit, Traurigkeit und Sehnsucht nach ihrem alten Leben nach der Geburt eines Kindes. Völlig unerwartet trifft es sie, dass sich bedrückende Empfindungen wie ein eisernes Band um das Herz legen. Mit der Ankunft des Babys kommen unzählige neue Herausforderungen auf die Eltern zu. Durch Schlafmangel und hormonelle Umstellungen sind Frauen verletzlicher als in anderen Lebensphasen, doch auch für Männer kann all das Neue destabilisierend sein. In diesem Buch finden die Eltern systemisch-lösungsorientierte Fragen und Übungen, die helfen, erste Schritte aus der Verzweiflung zu gehen und wieder mehr Lebensmut zu bekommen. Ideen der Bewältigung dieser Lebenskrise, als auch Zitate von Müttern und Vätern sollen Unterstützung, Anregung und Trost für Betroffene und ihre Angehörigen sein.

Tanja Sahib arbeitet seit vielen Jahren in einer Beratungsstelle für Schwangere und Eltern mit Babys.

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Leseprobe

Erschöpft, freudlos und niedergeschlagen


Ich hätte glücklich sein müssen: Ich war es nicht.

Marcel Proust, 1922

Nichts bleibt, wie es ist. Nichts kann festgehalten werden. Wir alle lernen im Laufe unseres Lebens mit Veränderungen und neuen Herausforderungen umzugehen. Wir legen uns ein buntes Repertoire an Verhaltensmustern zurecht, die uns helfen, in schwierigen Situationen angemessen zu reagieren. Dabei sammeln wir das, was man gemeinhin Lebenserfahrung nennt.

Da sich das Leben immer wieder zu schnell, zu einschneidend oder zu umfassend wandelt, sind wir mehr oder weniger unfreiwillig ständig damit konfrontiert, dass bisherige Reaktionsmuster nicht auf alle neuen Situationen anwendbar sind. Schwangerschaft und die frühe Phase des Elternseins sind solche Momente.

Dass diese Zeit aufwühlend sein kann und das Leben tiefgreifend verändert, ist den meisten Müttern und Vätern bewusst. Dennoch sind sie nicht auf alles vorbereitet, was diese Umbruchphase mit sich bringt.

Gesellschaftliche und familiäre Umstände hatten und haben große Einflüsse auf das Leben von Frauen und Männern. Werden sie Mütter und Väter, wird ihre Abhängigkeit von den sozialen Verhältnissen zwangsläufig größer. Sie spüren große Verantwortung für das Kind. Sie haben Erwartungen an sich als Eltern und wollen diesen, wie auch denen ihres Umfeldes gerecht werden. Sie haben sich erträumt, wie schön es sein wird, ein Kind zu haben. Jetzt fühlt sich der neue Lebensabschnitt anders an und fordert, bisherige Vorstellungen mit der Realität abzugleichen. Starke Gefühle müssen eventuell bewältigt werden. Vielleicht steigen Ängste oder längst vergessene Erinnerungen auf. Die Schatten der Vergangenheit legen sich, gerade in Umbruchsituationen, unerwartet über die Gegenwart. Möglicherweise gab es in der eigenen Geschichte Lebensereignisse, die als traumatisch erlebt wurden. Eventuell wurden frühere Lebensthemen noch nicht ganz verarbeitet.

Wie beim Schütteln einer Schneekugel wirbeln die Veränderungen dieser Lebensphase alles wieder hoch. Die Erinnerungen setzen sich, gleichsam wie die Partikel in der Schneekugel auf dem Untergrund, völlig neu wieder ab.

Dieses Erleben ist eine große Herausforderung und es kostet Kraft, die eigenen Erinnerungen nun anders zu bewerten und mit neuen Zusammenhängen zu verknüpfen.

Den meisten Menschen gelingt es, diese Aufgaben zu meistern. Dennoch gab und gibt es überall auf der Welt Frauen und Männer, die verwirrt, mutlos oder traurig werden. Sie befürchten immer mehr, aus Überforderung die Kontrolle zu verlieren.

Es wurde bisher erst in Ansätzen erforscht, warum manche Mütter oder auch Väter nach der Geburt diese Umbrüche des Lebens als bedrohliche Krisen erfahren. Was genau Depressionen oder Psychosen auslöst, darüber gibt es einige wissenschaftliche Erkenntnisse, aber noch mehr Vermutungen. Das Geschehen ist komplex und es spielen viele Faktoren hinein, deren Einfluss von der Wissenschaft noch nicht ausreichend erforscht und verstanden wurde. Der allein krank machende Auslöser konnte bisher nicht ausgemacht oder gar bewiesen werden. Deswegen verfolgen moderne wissenschaftliche Ansätze heute eher die Idee, dass eine Erkrankung der Psyche immer von mehreren gleichzeitig auftretenden Auslösern ausgeht. Dieses sogenannte multifaktorielle Modell1 benennt als einen der wichtigsten Auslöser anhaltenden Stress. Dieser kann zu einer länger andauernden Überlastung und zu einer immer größeren Erschöpfung führen. Zusätzlich wirken Schlafmangel und hormonelle Veränderungen auf die Psyche ein. Jeder Mensch ist einzigartig sensibel. Außergewöhnliche Lebensereignisse, wie beispielsweise Schwangerschaft, Wochenbett, Umzüge, Krisen in der Partnerschaft oder Konflikte mit der Familie, belasten die seelische Stabilität und erhöhen den emotionalen Stress. Wissenschaftliche Untersuchungen belegen außerdem, dass bei der Bewältigung einer Stresssituation die individuelle Einbindung in ein soziales Netz, aber auch genetische Voraussetzungen eine wichtige Rolle spielen.

Den genetischen Anlagen wurde früher sehr viel mehr Aufmerksamkeit geschenkt. Lange dachte man, dass hier die hauptsächliche Ursache für die Entstehung von psychischen Krankheiten läge. Doch diese Hypothese ließ sich trotz umfangreicher Forschung nicht hinlänglich beweisen. Die genetischen Zusammenhänge sind sehr komplex. Dass manche Menschen sensibler sind und deswegen auf Veränderungen in ihrer Umwelt schneller und intensiver reagieren, ist natürlich und hat einen wichtigen Hintergrund. Sensibel zu sein und schneller auf Veränderungen zu reagieren, hat unserer Art innerhalb der eigenen evolutionären Entwicklung oft das Überleben gesichert. Die menschliche Evolution wäre ohne das soziale Zusammenspiel aus mutigen Draufgängern und sensiblen Vorsichtigen nicht zu dem geworden, was sie heute ist. Sensibel zu sein, heißt jedoch nicht zwangsläufig zu psychischen Erkrankungen zu neigen, sondern zeigt eher die Fähigkeit, emotional zu reagieren. Sich ernsthaft um ein Ziel zu bemühen und Negatives zu vermeiden, brachte vermutlich in bisherigen Lebensphasen, zum Beispiel im Studium, mehr Erfolg als bei unbeschwerten Kommilitonen.

Diese Ausprägung der eigenen Bewältigungsstrategien und die Sozialen Umstände spielen mindestens genauso wichtige Rollen. Traumatische Erlebnisse können außerdem für jeden Menschen zum Auslöser schwerer psychischer Krisen werden. Inzwischen weiß man, dass erschütternde oder lang anhaltende traumatische Erlebnisse die Veranlagung unseres genetischen Erbgutes verändern. Stellen Sie sich einen Schalter vor, der an- oder ausgestellt wird. Eine genetische Gabe kann nun ihre Wirkung entfalten oder eben nicht. Diese Veränderung der genetischen Disposition am Erbgut kann sogar an die nächste Generation weitergegeben werden, indem genau diese Schalterstellung vererbt wird. Im Gegensatz zur rein genetischen Erbinformationen, wie beispielsweise blaue Augen, sind diese epigenetischen2 Veränderungen reversibel, also zurück entwickelbar. Die Forschung zur Epigenetik steht noch ganz am Anfang. Aber es lässt sich sagen, dass sowohl Länge und Intensität des traumatischen Erlebens, als auch der Umfang der psychosozialen Begleitung durch ein soziales Netz und Therapeuten einen großen Einfluss auf den Heilungsprozess der Betroffenen oder sogar ihrer Nachfahren hat.

Ein weiterer wissenschaftlicher Zweig beschäftigt sich mit körperlichen Vorgängen, wie den Auswirkungen von Hormonveränderungen oder bestimmten Wechselwirkungen zwischen dem Gehirn, Darm und anderen Organen. Interessierte Leser finden im Anhang die neuesten wissenschaftlichen Forschungsstände über biochemische Vorgänge und Wechselwirkungen bei Depressionen.

Interessant, aber nicht ausreichend wissenschaftlich belegt, sind Überlegungen, dass die Fähigkeit zur Depression für unsere evolutionäre Entwicklung bedeutend sein könnte. Die Antriebslosigkeit könnte auch als sinnvolles Sparen der eigenen Ressourcen verstanden werden. Schwermütige Menschen ziehen sich zurück und verlieren das Interesse am öffentlichen Leben. In Zeiten von Niedergeschlagenheit gelingt es ihnen trotzdem, das Leben im Moment zu bewältigen und ihre Energie nur dafür zu verwenden. Es gibt sogar die These, dass diese Zeiten für Immunabwehr und Heilung wichtig sind, denn Stress beeinflusst direkt das Immunsystem. Die Verknüpfung zwischen körperlichen Vorgängen und Depressionen scheinen so dem Infektionsschutz zu dienen.3

Viele Mütter sind nach der Geburt geschwächt oder verletzt, so dass ihr Rückzug auch auf diese Weise dem Überleben dient. Das Bedürfnis nach Ruhe und Rückzug nach der Geburt eines Kindes ist enorm. Durch die umwälzenden körperlichen Veränderungen der Frauen fehlt die Kraft für Mobilität. Glauben sie, all ihre Reserven mobilisieren zu müssen, könnte das aufgrund der damit verbundenen Überforderung zur Gefährdung ihres eigenen oder des Überlebens des Kindes führen. Ihr evolutionärer Auftrag, die Art zu erhalten, wäre bedroht, so dass nur ein „erzwungener Stillstand“ den nötigen Zustand der Ruhe herbei führt. Die Mütter brauchen Schutz und Hilfe, um sich von der Geburt zu erholen und dem empfindlichen Säugling in den ersten Wochen das Überleben zu sichern. Zusätzlich könnte, evolutionär betrachtet, eine depressive Verstimmung in Zusammenhang mit der Geburt eines Kindes den Sinn haben, die grundlegende Veränderung des Lebens in Ruhe auch innerlich zu vollziehen und sich auf den zukünftigen Weg vorzubereiten. Vielleicht fehlte bisher Zeit oder Kraft dafür.

Manche Evolutionsforscher sprechen davon, dass der Nutzen depressiver Symptome darin besteht, zu realistischen Zielsetzungen in der Lebensplanung zu finden.4 Menschen haben Zeiten voller Euphorie und Freude und sind so in der Lage, ihre Energie zum Erreichen neuer Ziele einzusetzen. Und sie haben Zeiten, in denen sie erschöpft spüren, dass sie andere Ziele formulieren müssen, da die bisherigen überfordernd oder unerreichbar waren, um das eigene Leben nicht zu gefährden. Diese Zeiten wechseln sich ab. Gerade Frauen, die ihr erstes Kind bekommen, stellen sich vor, was sie für eine perfekte Mutter sein werden und stellen hohe Erwartungen an sich selbst. Zielsetzung, Scheitern und das Finden von neuen, realistischen Zielen wären demnach wichtige Prozesse bei der Entwicklung der eigenen Identität. Es reicht, wenn sie als Mütter so gut sind, wie sie es gerade können. Und auch sie werden wieder Zeiten voller Kraft und Euphorie erleben.

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