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Darf man Tiere essen?

[Was bedeutet das alles?]

AutorPlutarch
VerlagReclam Verlag
Erscheinungsjahr2015
ReiheReclams Universal-Bibliothek 
Seitenanzahl128 Seiten
ISBN9783159608365
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis5,49 EUR
Der Mensch ist kein Fleischfresser: Schließlich muss er Fleisch erst künstlich zubereiten, damit es überhaupt bekömmlich ist. Vegetarier leben gesünder und fühlen sich leichter und freier. Zeilen aus dem Vorwort eines vegetarischen Kochbuchs? Nein: Schon Plutarch dachte so, vor beinahe 2000 Jahren. Dabei fragte er auch nach dem rechten Umgang mit Tieren: Schädliche Tiere dürfe man töten, unschädliche zähmen und sie ihrer natürlichen Eignung gemäß rücksichtsvoll zum eigenen Nutzen einsetzen. Aber man brauche keine Gänseleberpastete und schon gar keine mit Grausamkeit verbundenen Spektakel!

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Leseprobe

I Land- oder Wassertiere – Wer ist klüger?


[Teilnehmer des Dialogs: Autobulos, der Vater Plutarchs, Soklaros, ein Freund des Hauses, Aristotimos, Phaidimos und andere, Schüler Plutarchs]

 

1. AUTOBULOS: Als Leonidas gefragt wurde, was er von Tyrtaios hielte, sagte er: »Ein guter Dichter, er versteht es, die Gemüter der jungen Leute anzuheizen«, das heißt, er weckt durch seine Verse in den jungen Männern Kampflust mit Mut und Energie, so dass sie sich in der Schlacht nicht schonen. So befürchte ich, liebe Freunde, dass die Lobrede auf die Jagd, die uns gestern vorgetragen wurde, unsere jungen Leute, die ja Jagdliebhaber sind, übers Maß angefeuert hat, so dass sie alles andere für zweitrangig oder gar für nichts achten und sich nur darauf konzentrieren. Ich kam mir wahrhaftig selbst so vor, als ob ich trotz meines Alters wieder von neuem das Jagdfieber spürte und mich sehnte, wie die Phaedra des Euripides mit den Hunden zu hetzen, die Hirsche mit scheckigem Fell zu jagen [Hippolytos 218 f.] – so war ich gepackt von dieser Rede mit ihrer Fülle überzeugender Argumente.

SOKLAROS: Ja wahrhaftig, Autobulos. Der Vortragende schien mir wieder einmal seine ganze Beredsamkeit aufzubieten, um den jungen Leuten zu gefallen und ihre jugendliche Begeisterung zu teilen. Besonders angetan war ich davon, wie er die Gladiatoren anführte mit dem Argument, die Jagd sei nicht zum wenigsten deshalb zu loben, weil sie unser angeborenes oder angewöhntes Vergnügen an bewaffneten Kämpfen zwischen Menschen ablenkt auf ein reines Schauspiel von Geschicklichkeit und Mut gegenüber vernunftloser Kraft und Gewalt, womit die Verse des Euripides bestätigt werden:

Gering ist die Stärke des Menschen,

aber mit vielfältigen Listen zähmt er

die Ungeheuer des Meeres und

alles Getier auf dem Land und in den Lüften.

[Aiolos frg. 27]

2. AUTOBULOS: Und doch sagt man, mein lieber Soklaros, eben daher sei die Gefühllosigkeit und die wilde Mordlust bei den Menschen aufgekommen, dass sie nämlich auf der Jagd sozusagen auf den Geschmack des Tötens gekommen sind und sich daran gewöhnt haben, keinen Widerwillen zu empfinden bei dem Blut und den Wunden der Tiere, ja noch Freude daran zu haben, sie hinzuschlachten und zu töten. Das geht dann wie damals in Athen: Als die Dreißig Tyrannen den ersten der Sykophanten, der üblen Denunzianten, hinrichten ließen, da sagte man: Der hat’s verdient. Und so hieß es auch beim zweiten und dritten. Von da an gingen sie immer weiter, Schritt für Schritt, legten Hand auch an rechtschaffene Männer und verschonten schließlich auch die besten Bürger nicht. Ebenso hat der erste, der einen Bär oder Wolf erlegte, Ruhm gewonnen; ein Stier oder ein Schwein, das man beschuldigte, von den ausgelegten Opfergaben gefressen zu haben, wurde als zu Recht getötet angesehen. In der Folge aber, als man dazu überging, das Fleisch von Hirschen, Hasen und Rehen zu essen, da führte das dann auch dazu, Schafe und mancherorts auch Hunde- und Pferdefleisch zu verzehren. »Die zahme Gans aber und die Taube, die Hausgenossin«, wie Sophokles sagt, die dienten nicht, wie bei Wieseln und Katzen, zur Nahrung aus Hunger, nein, zur Lust und Leckerei zerreißt und zerstückelt man sie. So verstärkte sich die in der Natur des Menschen liegende Neigung zum Töten und zur Grausamkeit, machte sie unempfindlich für das Gefühl des Mitleids und stumpfte sie großenteils ab für eine sanftere Regung. Im Gegensatz dazu aber machten die Pythagoreer die Milde gegen Tiere zu einer Übung der Menschenfreundlichkeit und des Mitgefühls. Die Gewohnheit übt ja eine starke Wirkung aus, um den Menschen durch allmähliche Einflussnahme auf seine Gefühlswelt zu fördern.

Aber irgendwie sind wir unversehens auf ein Thema gekommen, das gar nicht so weit entfernt liegt von dem, was wir gestern behandelt haben und worüber wir vielleicht auch heute bald wieder sprechen werden. Gestern gaben wir ja, wie du weißt, durch unsere These, dass alle Tiere einen gewissen Grad von Intelligenz aufweisen, unseren jungen Jagdfreunden das Feld frei für einen durchaus geistreichen und amüsanten Wettstreit: nämlich, ob Wasser- oder Landtiere mehr Intelligenz besitzen. Das werden wir heute, wie es scheint, zur Entscheidung bringen, wenn denn Aristotimos, Phaidimos und ihre Mitstreiter bei ihren Argumenten bleiben. Von ihnen versprach jedenfalls Aristotimos seinen Freunden, er wolle beweisen, dass das Land Lebewesen von höherer Intelligenz hervorbringe, Phaidimos aber plädierte für das Meer.

SOKLAROS: Sie bleiben bei ihrer Ansicht, Autobulos, und sie werden gleich hier sein. Ich sah sie heute morgen ihre Vorbereitungen treffen. Doch bevor der Wettstreit beginnt, wollen wir, wenn es dir recht ist, uns das vor Augen stellen, was zu unserem Thema gehört, wozu aber gestern die Zeit nicht reichte, oder was beim Wein und beim Trinken nicht mit der nötigen Ernsthaftigkeit behandelt wurde. Es schien doch ein bedeutsamer Satz zu sein, der da aus der Stoa herüberklang, nämlich wie dem Sterblichen das Unsterbliche, so müsste auch dem Vergänglichen das Unvergängliche und dem Körperlichen das Unkörperliche gegenüberstehen. Gleichermaßen müsste dann auch dem Vernunftgemäßen das Vernunftlose entgegengesetzt sein. Und es dürfte dieser Gegensatz nicht allein unter all den vielen Paarungen unvollständig und zu wenig berücksichtigt bleiben.

3. AUTOBULOS: Aber wer hat denn, mein lieber Soklaros, behauptet, wenn das Vernunftgemäße in der Welt vorhanden ist, gäbe es nicht auch das Vernunftlose? Dieses ist doch reichlich und im Überfluss vorhanden in allen unbeseelten Dingen, und wir brauchen keinen anderen Gegenpart zum Vernünftigen. Alles, was ohne Seele ist, ist damit auch als ohne Vernunft und Verstand dem entgegengesetzt, was mit einer Seele auch Vernunft und Überlegung besitzt. Fordert jemand aber, die Natur dürfe nicht als unvollständig gedacht sein, sondern die beseelte Natur müsse einen verstandesmäßigen Anteil ebenso haben wie einen vernunftlosen, so wird ein anderer verlangen, die beseelte Natur müsse auch über Teile mit und ohne Vorstellungsvermögen verfügen und teils mit, teils ohne Sinneswahrnehmung sein. Damit sollte die Natur mit diesen gegensätzlichen, miteinander gepaarten Wesenszügen Positives und Negatives in der gleichen Art sozusagen im Gleichgewicht halten. Wie es aber keinen Sinn hat zu verlangen, dass einem beseelten Wesen Gefühl und Gefühllosigkeit gleichermaßen eigen sein soll oder vorhandene oder fehlende Vorstellungskraft – weil ja jedes beseelte Wesen gleich auch mit Wahrnehmungs- und Vorstellungskraft auf die Welt kommt –, so fordert man keineswegs folgerichtig, dass es bei den beseelten Wesen eine Trennung in vernünftige und vernunftlose Wesensbestandteile geben sollte. Das gilt zumal, wenn der Betreffende mit Leuten diskutiert, die glauben, es gäbe kein Wesen, das Empfindung habe und nicht auch gleichzeitig Vernunft, und dass es kein Lebewesen gäbe, das nicht von Natur aus mit einem gewissen Anteil an Vorstellungsvermögen und Vernunft ausgestattet sei, wie mit Empfindungsfähigkeit und Impuls zum Handeln. Die Natur, von der man ja sagt, dass sie alles mit Zweck und Absicht tut, hat ein Wesen nicht nur dafür mit Empfindung ausgestattet, damit es auf bloße Außeneindrücke reagiert. Es ist ja doch von all dem vielen, wovon es umgeben ist, das eine von Vorteil, das andere von Nachteil. Und dieses Wesen könnte keinen Augenblick überleben, wenn es nicht gelernt hätte, sich vor dem einen zu hüten, das andere aber sich zunutze zu machen. Nun teilt freilich die Empfindungs- und Wahrnehmungsfähigkeit auch jedem Lebewesen die Kenntnis von beidem mit. Doch was auf die Empfindung folgt, nämlich das Nützliche zu ergreifen oder zu verfolgen, das Schädliche und Verderbliche aber von sich fernzuhalten, das kann es nicht geben bei einem Wesen, das keine Fähigkeit besitzt, angesichts einer bestimmten Lage zu überlegen, zu beurteilen, sich zu erinnern und aufmerksam zu sein.

Tiere, denen man Erwartung, Erinnerung, Vorbereitung, Hoffen und Fürchten, Begierde und Unwillen ganz und gar abspricht, die haben doch gar keinen Nutzen von ihren Augen und Ohren, die sie besitzen. Da wäre es ja besser für sie, Wahrnehmungsvermögen und Vorstellungskraft gar nicht zu besitzen. Sie würden davon ja gar keinen Gebrauch machen, außer Beschwernisse, Trauer und Schmerz zu empfinden, wenn sie nichts haben sollten, um das alles von sich fernzuhalten.

Nun gibt es aber eine Schrift des Naturphilosophen Straton, in der gezeigt wird, dass ohne Denken auch überhaupt keine Empfindung möglich ist. Wir können ja oftmals Geschriebenes mit den Augen durchlaufen, und Reden treffen auf unser Ohr, ohne dass wir etwas davon auffassen oder behalten, weil wir unsere Aufmerksamkeit gerade auf etwas anderes gerichtet haben. Doch wenn diese wieder zurückkehrt, dann gehen wir alles nochmals durch und folgen dem Wortlaut. Daher heißt es auch: Der Verstand sieht, der Verstand hört, alles sonst ist taub und blind.

 

Der Eindruck auf Augen und Ohren bewirkt also keine Empfindung, wenn das Denken dabei nicht tätig ist. Daher auch die Antwort des Königs Kleomenes, als er bei einem Gastmahl gefragt wurde, ob er den musikalischen Vortrag, der viel Beifall gefunden hatte, nicht auch großartig fände: »Das müsst ihr beurteilen, ich habe meine Gedanken auf der...

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