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Das Anti-Aggressivitäts-Training als Impulsgeber für neue Lernformen an Schulen?

AutorRaik Lößnitz
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2003
Seitenanzahl83 Seiten
ISBN9783638163521
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis13,99 EUR
Diplomarbeit aus dem Jahr 2001 im Fachbereich Soziale Arbeit / Sozialarbeit, Note: sehr gut, Frankfurt University of Applied Sciences, ehem. Fachhochschule Frankfurt am Main (Fachbereich Sozialarbeit), Sprache: Deutsch, Abstract: Obwohl das Anti-Aggressivitäts-Training (AAT) inzwischen auf eine fast zwanzigjährige Entwicklung zurückblicken kann, so gilt es in der fachöffentlichen Diskussion doch noch immer als relativ neuer Ansatz. Dass neue Ansätze und Methoden schnell polarisieren, sie also sowohl Prediger, Befürworter und unkritische Anhänger als auch Skeptiker, Kritiker und Ablehner hervorbringen, ist nichts Neues und trifft für das AAT mindestens in dem Maße zu, wie es auch bei vielen anderen Bindestrich-Methoden zu beobachten war und ist. Auch sorgen neue (und wie beim AAT) manchmal spektakulär daherkommende und (zum Teil leider auch popularistisch) in Szene gesetzte Methoden, Hintergründe und Inhalte ebenso schnell für Irritationen und Unverständnis oder gar Unmut unter den sozial- und erziehungswissenschaftlichen Fachtraditionalisten wie sie andererseits, von vielen Theoretikern wie Praktikern mit Erwartungen und Königswegphantasien überhäuft, überhöht und überfordert werden. Doch sind es nicht genau diese Ansätze und Methoden, die heute in einer krisen-, gewalt- und mangel-'gebeutelten' Schule von Nöten sind, in einer Zeit, in der Lehrer nicht selten mit dem Rücken an der Wand stehen und Schüler (vornehmlich männliche) bereit sind, in Streetgang-Manier, mit dem Kopf durch selbige zu marschieren? Dieses Buch geht der Frage nach, ob die fachtheoretischen Hintergründe, die methodischen Elemente und praktischen Erfahrungen dieser, ursprünglich für den Jugendstrafvollzug entwickelten Präventionsmethode, für eine gewaltpräventive Arbeit mit Kindern und Jugendlichen genutzt und auf die Bedingungen und Probleme von Schule heruntergebrochen werden können. Kann das 'Hamelner AAT-Modell' für eine gewaltpräventive Arbeit mit Kindern und Jugendlichen genutzt und auf die aktuellen Bedingungen und Probleme von Schulen herunter gebrochen werden? Kann dieser Präventionsansatz Impulse für ein neues Lernen, für eine sichere und attraktivere Schule geben und kann er zur Förderung von solidarischem Verhalten, von Fürsorge und Empathie und zur Reduzierung von Gewalt beitragen?

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Leseprobe

3. Theorien und Erklärungsansätze aggressiven Verhaltens


 

Was sind die Ursachen und Entstehungsbedingungen für destruktiv aggressives und gewalttätiges Verhalten? Welches sind die aggressionsfördernden Faktoren? Eine Vielzahl von Theorien beantworten diese Fragen vor dem Hintergrund ihres fachspezifischen Zugangs. Auf alle gesellschaftspolitischen, philosophischen, soziologischen, tiefen- und verhaltenspsychologischen, ethologischen und genbiologischen Ansätze in aller Ausführlichkeit einzugehen ist mir weder möglich, noch zentrales Anliegen dieser Arbeit. Aggressionstheorien machen verschiedene Annahmen über die Entstehung aggressiven Verhaltens deutlich, sind jedoch für sich allein genommen, nicht in der Lage das gesamte Ursachen – und Bedingungsgeflecht aggressiven Verhaltens zu erklären.

 

Bei der nachfolgenden Betrachtung einiger ausgewählter Ansätze beziehe ich mich aus diesem Grund auf Erklärungsmodelle, die mir wesentlich erscheinen, die theoretischen Grundannahmen des AAT zu beschreiben.

 

 3.1. Psychologische Ansätze


 

 Daß jedem Menschen ein Aggressionspotential innewohnt, Aggression und Zerstörung also genetisch bestimmt und angeboren ist und eine triebmäßige Neigung befriedigt, geht zurück auf die Theorie Freuds und bestimmt maßgeblich den psychoanalytischen Erklärungsansatz. Nach ihr werden die Auslöser und Anreger für Aggressionen ausschließlich in der Person selbst gesehen. Obwohl Adlers Weiterentwicklung dieser Theorie u.a. die Nähe des Aggressionstriebes zum Geltungsbedürfnis als Folge von Minderwertigkeitsgefühlen beschreibt (vgl. Weidner 1997a, S.38) und er sich somit der Veränderbarkeit aggressiven Verhaltens nähert, gehen das tiefenpsychologische und triebtheoretische Modell grundsätzlich von einer Unveränderbarkeit, allenfalls von einer Äußerungsreduzierung von Aggressivität aus und sollen aus diesem Grund hier nicht eingehender betrachtet werden.

 

 3.1.1. Operantes Konditionieren


 

Der Begriff der Lerntheorie ist maßgeblich auf den amerikanischen Psychologen Skinner zurückzuführen, der in seinen Forschungsergebnissen die Bedeutung der sozialen Verstärkung für die Verhaltensbeeinflussung nachweisen konnte.

 

In Anlehnung an die Modelle des klassischen Konditionierens (reaktives Konditionieren nach Pawlow, Watson und Guthrie) und dem instrumentellen Konditionieren (nach Thorndike) ging Skinner davon aus, daß Reaktionen nicht nur über bestimmte auslösende Reize zu erklären sind, sondern daß vielmehr das Individuum aktiv auf seine Umwelt einwirkt und die Konsequenzen dieser Einwirkung über die „Auftretenswahrscheinlichkeit“ der „Wirkreaktion“ entscheiden – die „Wirkreaktionen“ quasi positiv oder negativ verstärkt werden. Gelernte Reaktionstendenzen bilden sich demnach zurück (werden „gelöscht“), sobald die gewohnten Verstärkungen nicht mehr erfolgen (Fliegel et al. 1989, S.36). Demzufolge treten Wirkreaktionen dann regelmäßig auf, wenn sie regelmäßige positive Verstärkung erfahren. Jedoch kann eine Verstärkung nur dann wirksam werden, wenn sie auch als solche empfunden wird und „wenn eine Deprivation von diesem Verstärker vorliegt, das heißt Verstärkung ist motivationsspezifisch“. (Fliegel et al. 1989, S.37) Erfolgen Verstärkungen nur unregelmäßig auf bestimmte Wirkreaktionen, dann wird von einer sog. „intermittierenden Verstärkung oder Bestrafung“ (Fliegel et al. 1989, S.37) gesprochen, welche den Lernprozess verlangsamt, ein weiteres Auftreten des bisherigen Verhaltens und eine größere Resistenz gegen Löschungen bewirkt.

 

Nach diesem Modell lassen sich, über positive und negative Verstärkung, Verhaltensweisen in Richtung auf ein gewünschtes Zielverhalten systematisch aufbauen (Differenzierungslernen). Dazu wird jede Annäherung auf dieses gewünschte Zielverhalten zunächst verstärkt und schließlich durch systematische Erhöhung der Anforderungen gefestigt (vgl. Fliegel et al. 1989, S.37).

 

3.1.2. Imitationslernen - Lernen am Modell


 

Während die klassische behavioristische Lerntheorie lediglich von der Reaktion des Individuums auf Reize und Verstärkungen ausgeht und Persönlichkeit ausschließlich als Summe offener und verdeckter Reaktionen ansieht (vgl. Hoppe-Graff / Keller 1992, S.417), vertritt die Theorie des sozialen Lernens den Ansatz, daß menschliches Handeln, also auch Aggression, über die aktive Auseinandersetzung mit der Umwelt, über Beobachtung, Erfahrung und Veränderung entwickelt und erworben wird. Bandura, einer der bekanntesten Vertreter dieser Theorie ging davon aus, daß („in einem doppelseitigen Kausalprozess“) Verhalten teilweise Umwelt hervorbringt und die resultierende Umwelt wiederum das Verhalten beeinflußt (Bandura 1979, S.59). Er erforschte weiterführend, daß Lernen auch über Modelle, d.h. durch das vorgelebte Verhalten von Mitmenschen, durch die Beobachtung und die Nachahmung dieses Verhaltens, erfolgt.

 

Demzufolge werden, neben einer Vielzahl alltäglicher positiver und gesellschaftlich akzeptierter Verhaltensweisen und Handlungen, auch Ellenbogenmentalität, das gewaltsame Durchsetzen von eigenen Interessen, aber auch die Gewalt als Befriedigung von Lust, Machttrieb und Dominanzstreben erlernt.

 

Modelle stehen Kindern und Jugendlichen allerorten und zu jeder Zeit zur Verfügung:

 

So z.B. die Familie, in der aggressive und gewaltsame Auseinandersetzung und Konfliktlösungen zwischen den Eltern untereinander oder zwischen den Eltern und den Kindern (von 12% bis fast 50% der Eltern stehen körperlicher Züchtigung nicht ablehnend gegenüber) selbstverständlich sind (vgl. Bründel / Hurrelmann 1994, S.65). Auch die Medien, die nicht nur die Lebens- und Freizeitgewohnheiten der Kinder und die Kommunikation innerhalb der Familien beeinträchtigen, sondern permanent Gewalt als probates Konfliktlösungsmodell präsentieren (24,8 Prozent aller neun bis zehnjährigen Großstadtschüler schauen täglich bis zu fünf Stunden fern) haben Modellfunktion (vgl. Brüdel / Hurrelmann 1994, S. 187). Darüber hinaus stellen die Cliquen, die den Jugendlichen außerhalb der Familie Zugehörigkeit, Sicherheit Anerkennung und Gemeinschaft bieten und gleichzeitig häufig einen hohen Anpassungsdruck, auch hinsichtlich der gewalt- und kriminalitätsbejahenden Regeln und Normen ausüben, ein zentrales Lern- und Verhaltensmodell dar (vgl. Bründel / Hurrelmann 1994, S.155).

 

Nach Bandura werden jedoch nicht alle Modelle nachgeahmt, denn die Anwendung des erworbenen Verhaltens wird dann unwahrscheinlich, wenn es nur einen geringen funktionalen Wert hat oder ein hohes Risiko besteht, bestraft zu werden. Im Umkehrschluß bedeutet dies, daß aggressives Verhalten besonders dann nachgeahmt wird, wenn es erfolgreich ist, das heißt, wenn es positive Verstärkung erfährt (vgl. Bründel / Hurrelmann 1994, S.262 ff.).

 

 Mit der These der „differenziellen Assoziation“ lehnt sich Sutherland (1938/1968) stark an die psychologischen Lerntheorien an und verweist darauf, daß abweichendes Verhalten grundsätzlich nach den gleichen Prinzipien gelernt wird wie konformes Verhalten, und daß dieses Lernen am Modell stattfindet, nämlich über die interpersonalen Beziehungen und die Kommunikation mit normabweichenden Akteuren sowie über den „Kontakt mit deren Situationsdefinition“. (vgl. Brusten 1999, S.538)

 

 3.1.3. Frustrations-Aggressions-Theorie


 

Mit diesem Erklärungsansatz für aggressives Verhalten stellte ein Psychologenteam um Dollard (1939)I eine vermittelnde Betrachtungsweise zwischen der Triebtheorie und den lerntheoretischen Erklärungsansätzen auf. Nach Dollard et al. ist Aggression ein erworbener Trieb und tritt immer als Folge von Frustration auf, wobei Frustration immer dann auftritt, wenn angestrebte „Zielreaktionen“ ausbleiben. Darüber hinaus ist die Aggressionstärke proportional zur vorangegangenen Frustrationsstärke. In Anlehnung an die Freud‘sche Katharsisannahme wird, nach Dollard, aggressive Energie durch aggressives Verhalten abgeführt, wodurch sich eine weitere Aggressionbereitschaft reduziert. Wird die Aggressionsausübung gestört, kommt es zur Verschiebung auf andere Personen oder Objekte (vgl. Weidner 1997a, S.20 ff.).

 

Die Annahme, daß jeder Aggression eine Frustration vorausgeht und jede Aggression in Frustration mündet wurde später dahingehend relativiert, daß zwar jede Frustration zu einer emotionalen Erregung führen kann, jedoch die Erregung zu schwach sein kann, um tatsächlich in aggressives Verhalten zu münden. Weidner verweist auf Selg, der von der Frustration-/Antriebs-Hypothese“ spricht und davon ausgeht, daß „Frustration zu einer Erregung führt, die »nachfolgendes Verhalten intensiviert«“. (Weidner 1997, S.24) Rommelspacher bezieht sich ebenfalls auf die relativierte Sicht der Frustrations-Aggressions-Theorie und gibt zu bedenken, daß Frustration nicht automatisch zu Aggressionen führt, denn „...sonst könnten ganz andere Leute (als nur männliche Jugendliche, d. Verf.) gewalttätig werden, etwa Frauen; aber...

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