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E-Book

Das Ende des Ersten Weltkriegs und die Dolchstoßlegende

Reclam - Kriege der Moderne

AutorGerhard Groß
VerlagReclam Verlag
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl160 Seiten
ISBN9783159613468
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis15,99 EUR
Bis 1918 waren die Soldaten wie auch die Bevölkerung des Deutschen Kaiserreichs noch überzeugt, dass ihr Sieg im Ersten Weltkrieg unmittelbar bevorstehe. Doch mit der Schlacht bei Amiens wendete sich das Blatt, nicht zuletzt weil aufseiten der Alliierten erstmals zahlreiche Panzer zum Einsatz kamen. Deutschland musste im Herbst 1918 kapitulieren, während sich im Hintergrund die Novemberrevolution zusammenbraute. In der sogenannten 'Dolchstoßlegende' wurde die militärische Niederlage später auf die politische Unruhe im Land zurückgeführt. Warum es sich dabei um einen Mythos handelt und welche Umstände wirklich zum Scheitern des Kaiserreichs führten, erhellt dieses Buch. Die Reihe 'Kriege der Moderne', herausgegeben vom Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr, stellt die wichtigsten militärischen Konflikte des 19. und 20. Jahrhunderts nach modernsten wissenschaftlichen Erkenntnissen vor und erläutert ihre geschichtlichen Ursachen und politischen Folgen. E-Book mit Seitenzählung der gedruckten Ausgabe: Buch und E-Book können parallel benutzt werden.

Gerhard Groß, geb. 1958, ist Historiker und leitet den Forschungsbereich 'Militärgeschichte bis 1945' am Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr.

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Leseprobe

[13]2 Die Ausgangslage


Die beiden Getreuen beim Kriegsplan: Generalfeldmarschall Hindenburg (l.) und General Ludendorff (Farbdruck nach einem Gemälde von Hugo Vogel, 1922)

Es darf nicht geglaubt werden, dass wir eine Offensive haben werden wie in Galizien oder in Italien; es wird ein gewaltiges Ringen, das an einer Stelle beginnt, sich an der anderen fortsetzt und lange Zeit in Anspruch nehmen wird, das schwer, aber siegreich sein wird.

Mit diesen Worten stimmte Ludendorff am 13. Februar 1918 auf dem Kronrat in Homburg den Reichskanzler Graf Georg von Hertling sowie Kaiser Wilhelm II. auf seinen Plan einer kriegsentscheidenden Offensive in den nächsten Monaten an der Westfront ein. Wie im ersten Kriegsjahr sollten die deutschen Armeen in Frankreich angreifen, um erneut in einer alles entscheidenden Offensive den Sieg zu erringen. Nachdem der Angriff von 1914 auch nach dem Scheitern eine Siegesoption für Deutschland offengelassen hatte, sollte die bevorstehende Offensive nach den Vorstellungen der OHL endgültig über Sieg oder Niederlage und Sein oder Nichtsein entscheiden – denn für zukünftige Angriffe würden nach dieser Offensive die Kräfte fehlen.

[14]Welche Gründe bewogen die militärische und politische Führung des Kaiserreichs, im Frühjahr 1918 alles auf die Karte Angriff und damit den Siegfrieden zu setzen? Zur Beantwortung dieser Frage ist es notwendig, die politischen und militärischen Ereignisse des Jahres 1917 zu rekapitulieren.

Im Großen Hauptquartier, Januar 1917: Hindenburg, Kaiser Wilhelm II. und Ludendorff beim Kartenstudium

Entschlossen, den Krieg bis zum Sieg weiterzuführen, hatte die 3OHL unter Generalfeldmarschall Paul von Hindenburg und General Ludendorff schon kurz nach ihrer Kommandoübernahme im August 1916 mit dem Hindenburg-Programm eine Rüstungs- und Wirtschaftsmaßnahme in die Wege geleitet, um unter Mobilisierung aller Reserven sowie unter Konzentration aller Ressourcen und Kapazitäten die Rüstungsproduktion des Kaiserreichs erheblich zu erhöhen. Dabei war durch die verstärkte Einführung vor allem von Maschinengewehren und Artilleriegeschützen die Durchhaltefähigkeit des deutschen Heeres deutlich gesteigert worden. All diese Maßnahmen litten jedoch unter den Auswirkungen der britischen Seeblockade, die den Warenverkehr erschwerte. Der von der Entente den Mittelmächten nach Kriegsbeginn aufgezwungene langwierige Abnutzungskrieg hatte das Kaiserreich in seinem Würgegriff. Auch die mit so großen Hoffnungen eingesetzte neue OHL sah sich dadurch gezwungen, den Krieg so zu führen, wie ihn der Generalstab vor 1914 als für Deutschland nicht gewinnbar beurteilt hatte. Genau diesen Verlauf hatte er mit einer schnellen, den gegnerischen Ressourcenaufbau unterlaufenden, offensiven Kriegführung verhindern wollen.

Vor diesem Hintergrund entschloss sich Ludendorff, der entscheidende operativ-strategische Denker der 3OHL, zu einer Mischung aus operativer Defensive und strategischer Offensive. Aufgrund der hohen materiellen und personellen Verluste 1916 sowie der Überlegenheit der Gefechtsart Verteidigung über den Angriff sah er keine Möglichkeit, erneute Angriffe an der Westfront durchzuführen. Stattdessen befahl er, dort zur Verteidigung überzugehen. Mit ihrer taktisch-operativen Defensive in Frankreich beabsichtigte die OHL, Zeit zu gewinnen, obwohl sie doch aufgrund des von der Entente erfolgreich geführten Abnutzungskrieges eigentlich keine Zeit hatte. Das Standhalten im Westen war nämlich die Voraussetzung für eine strategische Offensive an anderer Stelle.

Hindenburg, Kaiser Wilhelm II., Reichskanzler Bethmann Hollweg, Ludwig III., König von Bayern, Ludendorff und Holtzendorff, Chef des Admiralstabs, im Großen Hauptquartier in Pleß (Oberschlesien) am 9. Dezember 1916

Da die wirtschaftlichen Potenziale der beteiligten Staaten zu entscheidenden Faktoren für den Kriegsausgang geworden waren, plante [16]die OHL eine strategische Offensive zur See. Mit dem von der Marineführung seit Jahren geforderten, aus Rücksicht auf die USA 1915 jedoch nach nur wenigen Wochen wieder eingestellten uneingeschränkten U-Boot-Krieg sollte Großbritannien vom Seehandel abgeschnitten und in die Knie gezwungen werden. Nach der vorwarnungslosen Versenkung aller Handelsschiffe in durch Deutschland zu Sperrgebieten erklärten Seegebieten werde England, so hatte der Admiralstab zugesichert, nach nur fünf Monaten besiegt sein. Zudem, darin waren sich OHL und Admiralstab einig, würden die militärischen und wirtschaftlichen Fähigkeiten der Vereinigten Staaten schlicht überschätzt. Ein Kriegseintritt der USA sei daher zu verschmerzen. Reichskanzler Theobald von Bethmann Hollweg teilte die Bewertung der militärischen Führung keineswegs und sprach sich weiterhin gegen die Wiedereröffnung des uneingeschränkten U-Boot-Krieges aus. Angesichts des [17]strategischen Patts im Landkrieg sowie der schlechten Versorgungslage gab Wilhelm II., der bis dato ebenfalls den uneingeschränkten U-Boot-Krieg abgelehnt hatte, allerdings dem Druck der Heeres- und Marineführung schließlich nach und befahl zum 1. Februar 1917 dessen Wiedereröffnung. Das Kaiserreich spielte somit seine letzte Trumpfkarte aus. Die USA brachen daraufhin die diplomatischen Beziehungen zu Deutschland ab und traten am 6. April 1917 aufseiten der Entente in den Krieg ein. Der europäische Krieg war endgültig zu einem Weltkrieg geworden.

Uneingeschränkter U-Boot-Krieg

1914 standen sich mit der deutschen Flotte und der Royal Navy die zwei stärksten Kriegsflotten der Welt in der Nordsee gegenüber. Im Gegensatz zur deutschen Annahme, die Royal Navy werde im Kriegsfall eine enge Blockade der deutschen Häfen durchführen und so der deutschen Flotte die Möglichkeit zu einer Entscheidungsschlacht bieten, praktizierten die Briten außerhalb der Reichweite der deutschen Großkampfschiffe eine wirksame Fernblockade der deutschen Häfen. Das Risiko eines Kampfes mit der Hochseeflotte vermieden sie.

Erste Erfolge im U-Boot-Krieg weckten im deutschen Admiralstab jedoch die Hoffnung, als Vergeltung für die auf deutscher Seite als völkerrechtswidrig empfundene britische Fernblockade auf diesem Weg erfolgreich gegen den britischen Seehandel vorgehen zu können. Anfangs führten die deutschen U-Boote den Handelskrieg noch gemäß der internationalen Prisenordnung. Ab dem 18. Februar 1915 erhielten die U-Boote dann jedoch die Erlaubnis, in einem zur Kriegszone erklärten Seegebiet um Großbritannien gegnerische Handelsschiffe vorwarnungslos zu versenken. Als im Mai 1915 das deutsche Unterseeboot U 20 das Passagierschiff »Lusitania« versenkte und zahlreiche US-Bürger starben, drohte Washington mit einem Kriegseintritt, sollte der uneingeschränkte U-Boot-Krieg nicht eingestellt werden. Daraufhin führten die deutschen U-Boote den Handelskrieg wieder gemäß der Prisenordnung.

Der Kampf zwischen der militärischen Führung und dem Reichskanzler Bethmann Hollweg um die Wiedereinführung des uneingeschränkten U-Boot-Krieges ging jedoch weiter. Noch lehnte der Kaiser aus Angst vor einem amerikanischen Kriegseintritt aufseiten der Entente diesen Schritt ab. Angesichts der angespannten militärischen Lage und der sich dramatisch verschärfenden Ernährungssituation in Deutschland forderten der Admiralstab und die OHL aber immer vehementer die Wiedereinführung des uneingeschränkten U-Boot-Krieges. Mit dem Argument, Großbritannien werde nach sechs Monaten uneingeschränkten Kampfes der U-Boote kapitulieren, setzte sich die militärische Führung letztlich im Januar 1917, den Kriegseintritt der USA billigend in Kauf nehmend, beim Kaiser durch.

Am 1. Februar 1917 wurde der uneingeschränkte U-Boot-Krieg erneut eröffnet. Die USA erklärten daraufhin am 6. April 1917 Deutschland den Krieg. Trotz anfänglich großer Erfolge der deutschen Marine blieb die Kapitulation Großbritanniens aus. Im Gegenteil: Aufgrund verbesserter Abwehrmaßnahmen und der Einführung des Konvoisystems ging die Anzahl der versenkten Schiffe ab Herbst 1917 dramatisch zurück. Letztlich verlegten die USA vom Jahresbeginn 1918 an monatlich über 100 000 Mann auf dem Seeweg nach Frankreich und stabilisierten so die stark unter Druck stehende Westfront und damit die Entente – trotz des uneingeschränkten...

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