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Das Feuer: Tagebuch einer Korporalschaft

AutorHenri Barbusse
Verlage-artnow
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl480 Seiten
ISBN9788026812883
FormatePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis1,99 EUR
Dieses eBook: 'Das Feuer: Tagebuch einer Korporalschaft' ist mit einem detaillierten und dynamischen Inhaltsverzeichnis versehen und wurde sorgfältig korrekturgelesen. Das Feuer: Tagebuch einer Korporalschaft. ist ein Roman von Henri Barbusse, der darin seine eigenen Erfahrungen als Teilnehmer am Ersten Weltkrieg verarbeitete. Die episodenhafte Handlung des Buches erzählt in 24 Kapiteln die Geschichte einer Einheit von französischen Soldaten in den Schützengräben der Westfront. Authentizität zieht die Darstellung aus der Kriegsteilnahme und der damit verbundenen Zeugenschaft des Autors wie auch aus der narrativen Perspektive der ersten Person, die eine Identifikation des erzählerischen Ichs mit Barbusse selbst suggeriert. Die Lesart als 'Tagebuch', die der Titel bereits nahelegt, gewinnt durch die Widmung an die gefallenen Kameraden bei aller Fiktionalisierung des Stoffes weiter an Plausibilität. Den realistisch anmutenden, teilweise drastischen Schilderungen von Leid und Sterben stehen jeweils zu Anfang und Ende des Romans unwirklich erscheinende Eindrücke oder Visionen gegenüber. Henri Barbusse (1873-1935) war ein französischer Politiker und Schriftsteller. Barbusse meldete sich bei Kriegsausbruch 1914 freiwillig zum Dienst in der französischen Armee. Bis zu seinem Dienstende 1916 verbrachte er insgesamt elf Monate an der Front; noch im Schützengraben sollen nach seiner Auskunft die ersten Skizzen zu 'Das Feuer' entstanden sein. Noch im Erscheinungsjahr der Erstausgabe erhielt Barbusse den Prix Goncourt für sein Werk.

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Leseprobe

IV.
Volpatte und Fouillade.


Inhaltsverzeichnis


Bei der Ankunft im Quartier rief eine Stimme:

– Wo ist nur Volpatte?

– Und wo ist Fouillade?

Sie waren vom 5. Bataillon aufgeboten, mit in die erste Linie genommen worden, und sollten sich nachher wieder in unserm Quartier einfinden; aber man fand nicht die Spur von ihnen. So war die Korporalschaft um zwei Mann ärmer geworden!

– Der Teufel soll das holen! So geht's einem immer, wenn man seine Leute hergibt, kreischte der Sergeant.

Als der Hauptmann davon erfuhr, fluchte auch er und sagte:

– Ich brauch die Leute; man soll sie sofort auftreiben. Vorwärts!

Farfadet und ich wurden von Korporal Bertrand aus der Scheune gerufen, in der wir uns schon zur Ruhe hingelegt hatten und einschlummern wollten.

– Volpatte und Fouillade müssen her. Wir standen schnell auf und machten uns mit bangem Gefühl auf den Weg. Unsre beiden Kameraden waren vom fünften Bataillon mit in jene höllische Ablösung mitgezogen worden. Wer weiss, wo sie jetzt stecken und was aus ihnen geworden ist?

... Wir gehn den Hügel wieder hinauf und machen zum zweitenmal, in entgegengesetzter Richtung, den langen Weg, den wir letzte Nacht und seit Morgenanbruch bereits hinter uns gelegt hatten. Wir sind zwar unbepackt, tragen bloss das Gewehr und die gewöhnliche Ausrüstung, aber die Müdigkeit lastet dennoch auf uns; schlaftrunken schleppen wir uns durch die traurige Landschaft, unterm dunstgrauen Himmel. Farfadet fängt allmählich an zu keuchen; anfangs sprach er ein wenig, dann aber liess ihn die Müdigkeit verstummen. Er ist zwar tapfer, aber schwächlich und hatte früher kaum gelernt, sich seiner Beine zu bedienen; denn seit seiner ersten Kommunion kratzte er mit der Feder in einem Bürgermeisteramt hinter dem Ofen und in Gesellschaft von alten verstaubten Akten.

Als wir aber aus dem Holz treten und uns, auf dem glitschigen Boden vorwärts tappend, in die Verbindungsgräben drücken, sehen wir zwei dünne Schatten vor uns; es sind zwei Soldaten, die auf uns zuschreiten; man erkennt die rundliche Form ihrer Bepackung und den geraden Strich ihres Gewehres. Allmählich wird die schwankende Zwillingserscheinung deutlicher.

– Sie sind es!

Einer von ihnen hat den Kopf in dickes Verbandzeug eingewickelt.

– Verwundet? Es ist Volpatte!

Wir laufen den Auferstandenen entgegen; dabei zischen unsre Sohlen geräuschvoll im Kot, in den wir einsinken, und die Patronentaschen schütteln klirrend ihren Inhalt.

Die beiden stehen still und lassen uns herankommen. Als wir nun auf Hörweite von ihnen entfernt sind, schreit Volpatte:

– Höchste Eisenbahn!

– Bist du verwundet?

– Was? fragt Volpatte, dem der Verband die Ohren verstopft, sodass man brüllen muss, um sich mit ihm zu verständigen. Wir treten an ihn heran und schreien; dann antwortet er:

– Noch gut abgelaufen ... Wir kommen aus dem Loch, wo uns das 5. Bataillon Donnerstag reingesteckt hat.

– Seid ihr solange nicht mehr rausgekommen? brüllt Farfadet, dessen gellende Frauenstimme durchs Polster dringt, das Volpatte das Trommelfell versperrt ...

– Jawohl, meint Fouillade, Gottverdammich! Oder glaubst du, wir sind mit Flügeln davongeflogen, oder haben uns etwa ohne Befehl auf die Beine gemacht?

Dann hocken beide ermattet ab. Der Kopf von Volpatte sieht aus wie ein Pack schmutziger Wäsche, mit dem dicken Knoten oben auf dem Verband, aus dem ein schwarzgelbliches Gesicht guckt.

– Hat man euch arme Teufel vergessen?

– Schon ein wenig! schreit Fouillade, glaub's schon, dass man uns vergessen hat! Vier Tage und vier Nächte in einem Granatenloch, wo die Kugeln von der Seite einschlugen und das obendrein noch nach Scheisse roch.

– Hast 'ne Ahnung, sagt Volpatte. Das war kein gewöhnlicher Horchposten, wo man aus und eingeht und regelmässig abgelöst wird. Ein Granatenloch, sag ich dir, ein ganz gewöhnliches Granatenloch und nichts weiter. Letzten Donnerstag haben sie uns gesagt: »So, versteckt euch hier und schiesst in einer Tour weiter«, hat einer gesagt. Am andern Morgen kam zwar einer vom 5. Bataillon und hat seine Nase reingesteckt: »Was Teufels macht ihr hier!« »Schiessen tun wir; sie haben gesagt wir sollen schiessen, deshalb schiessen wir und wenn sie's gesagt haben, wird schon was dran sein; und jetzt warten wir, bis einer sagt, wir sollen was anderes tun als schiessen.« Drauf hat sich der Kerl gedrückt; er schien nicht ganz überzeugt von der Sache und hatte offenbar keine Vorliebe für Granatenpuffer, »'s ist 10 Uhr« hat er gesagt.

– Wir hatten für uns zwei, fährt Fouillade weiter, einen Kleieklumps und einen Kübel Wein, den uns die 18te gegeben hatte und eine ganze Patronenkiste. Die Patronen haben wir verknallt und den Saint-Honoré gesoffen. Vorsichtshalber haben wir ein paar Patronen und von dem Kuchen ein Stück aufgehoben; den Wein aber haben wir ausgetrunken.

– Schade, sagt Volpatte, sintemal ich durstig bin. Habt ihr nichts für den Gaumen, ihr?

– Einen Tropfen Wein hab ich noch, antwortet Farfadet.

– Her damit, sagt Fouillade, indem er auf Volpatte deutet. Er hat Blut verloren, ich hab nur einen gewöhnlichen Durst, gib's ihm.

Volpatte schlotterte. Seine kleinen Augen fieberten aus dem mächtigen Verband heraus, der wie ein Stein auf seinen Schultern lag.

– Ah! Das tut wohl, meinte er und trank den Wein.

– Richtig, fuhr er fort, nachdem er, wie es die Höflichkeit gebietet, den letzten Tropfen auf den Boden geschleudert hatte, zwei Deutsche haben wir gesichert. Sie krochen über's Feld und sind in unser Loch geraten, blindlings wie Maulwürfe in eine Falle, die Scheissbrüder. Eingesackt haben wir die Kerle. Als wir dann sechsunddreissig Stunden lang geschossen hatten, haben wir die letzten Patronen in die Klistierspritze gesteckt und haben gewartet mit unserm deutschen Paket. Der Verbindungskuli hatte nämlich vergessen zu sagen, dass wir noch immer da seien. Ihr vom 6ten habt vergessen uns zurückzuverlangen, die 18te Kompagnie, die hat uns auch sitzen lassen und da wir nicht auf gewöhnlichem Horchposten standen, wo es regelmässige Ablösung gibt wie bei der Verwaltung, da hab ich schon gedacht, so jetzt bleiben wir hocken, bis das ganze Regiment wieder zurückkommt. Schliesslich haben uns Knochensammler vom 204ten gesehn, als sie nach Verwundeten schnupperten; die haben uns angemeldet. Dann kriegten wir Befehl zum Rückzug und zwar sofort, hiess es. Da haben wir unsre Siebensachen gepackt und sind gegangen und haben gelacht von wegen dem »sofort«. Den Deutschen haben wir die Schnüre von den Beinen abgeschnallt, haben sie mitgenommen und dem 204ten abgeliefert. Und jetzt sind wir wieder da.

– Im Vorübergehn haben wir sogar einen Sergeanten aufgefunden, der sich in ein Loch duckte und sich nicht rauswagte; so was wie Gehirnerschütterung hatte er; da haben wir ihn angeschnauzt und das hat ihn wieder ein wenig auf den Damm gebracht und »dank schön« hat er gesagt; Sacerdote, hiess er.

– Aber du? Deine Wunde?

– An beiden Ohren. Eine Granate, weisst du, mitten rein geplatzt. Mein Kopf zwischen die Splitter durch sozusagen, aber knapp, sag ich dir, rasibus, nur die Ohrläppchen, die hat's geputzt.

– Wenn du's siehst, sagt Fouillade, zum kotzen, die beiden Ohren, so runterhängen sie. Unsre zwei Verbandpakete hatten wir, und die Sänftenträger haben uns noch eins gepumpt. Drei Verbände hat er also rumgewickelt um seine Wärmeflasche.

– Gebt euer Zeug her, und gehn wir heim.

Farfadet und ich teilten uns in das Gepäck von Volpatte. Fouillade aber will um alles in der Welt das seine nicht hergeben, obwohl der Durst ihn melancholisch stimmt und er vor Trockenheit vergeht.

So schreiten wir denn langsam davon. Ist es doch immerhin ein Genuss, nicht in Reih und Glied marschieren zu müssen; und es ist so selten, dass es einem ungewohnt vorkommt und eine Wohltat ist. Bald atmen wir alle vier erleichtert auf und fühlen uns frei; man schreitet so wie zum Vergnügen übers Land.

– Jetzt gehn wir spazieren, sagt Volpatte stolz. Und als wir aber oben auf der Anhöhe stehn, gibt er sich rosigen Gefühlen hin und sagt:

– Es ist doch noch eine Glückswunde schliesslich, so krieg ich doch Urlaub, totsicher.

Er zwinkert mit den Augen; Freude strahlt aus ihnen und aus der weissen Kugel, die auf seinen Schultern hin- und herwackelt und an den verwundeten Stellen rötlich gefärbt ist.

Da tönen aus der Tiefe sechs Glockenschläge vom Dorf her.

– Ich kümmere mich 'n Dreck um die Zeit, sagt Volpatte. Die Zeit, die sich abwickelt und ich, wir haben miteinander nichts mehr zu tun.

Mit einem Male wird er redeselig. Ein leichtes Fieber reizt seine Gesprächigkeit, wobei er vergnügt in einem langsamen Schritt dahinschlendert.

– Jetzt krieg ich ein rotes Zeichen auf den Mantel, totsicher, und werd zurückgeschickt. Und dabei werd ich höflich behandelt werden: »Bitt schön, hier durch ... so, so, Alterchen.« Dann die Ambulanz, dann der Sanitätszug mit den Knutschereien der Damen vom Roten Kreuz auf der ganzen Reise, wie sie 's dem Crapelet Jules gemacht haben, und dann 's Spital erst mit weissen Bettüchern und dem warmen Ofen mitten drin und nichts als Leute, die einen bedienen und denen man zuschaut, und die Ordonnanz-Hauspantoffeln, Herrgott, und einen Nachttisch: Möbel überhaupt! Und in den grossen Spitälern...

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