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E-Book

Das Geheimnis der Sprache

Aus Höhen und Tiefen der Ausdrucksformen

AutorAlexander Moszkowski
VerlagBookRix
Erscheinungsjahr2019
Seitenanzahl399 Seiten
ISBN9783736836334
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis3,99 EUR
In diesem populärwissenschaftlichen Werk nimmt Alexander Moszkowski, 1851 bis 1934, Schriftsteller und Satiriker, ausführlich die Sprachreformer und -verhunzer seiner Zeit aufs Korn, die jedes undeutsche, welsche Wort durch unsägliche Neuschöpfungen ersetzen wollten. Ein Buch über Sprachentwicklung, Sprachreinheit, Sprachschönheit und Schreibstil. Korrektur gelesen und in neuer deutscher Rechtschreibung. .

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Leseprobe

3. Ihr Feld ist die Welt


Nationalismus ist der Gegensatz zum Kosmopolitismus;

Internationalismus ist die Synthese von Kosmopolitismus

und Nationalismus auf höherer Bewusstseinsstufe.

 

Wir werden diesen Satz seinem Sinne nach zu erörtern haben und ihn überdies gleich im Eingang der Betrachtung als ein Versuchsmodell benützen. Ich stelle mir vor, er würde nicht nur von einem Deutschen gelesen, sondern dazu von einem nicht ganz ungebildeten Engländer, Italiener, Franzosen, Holländer, Skandinavier, überhaupt von irgendeinem leidlich unterrichteten Manne aus aller Welt, der im gewöhnlichen Verlauf der Dinge keine Gelegenheit hat, über seine Muttersprache hinaus zu denken, zu reden und zu verstehen.

Für mich unterliegt es keinem Zweifel, dass obiger Satz von allen seinen Lesern ohne sonderliche Schwierigkeit begriffen werden wird. Auf die Anerkennung seines Inhalts nach Richtig oder Falsch kommt es in diesem Zusammenhang nicht an, sondern nur auf das Verstehen an sich. Und dieses Verstehen wird sich nach kurzer Überlegung einstellen, da die Haupt- und Stichworte des Satzes sozusagen als Dolmetscher der übrigen Worte mit auftreten.

Würfe der Satz seine deutsche Einkleidung ab, um französisches, englisches, italienisches, holländisches Gewand anzunehmen, so würde sich daran nichts ändern. Legt ihn in Französisch einem Griechen, in Holländisch einem Spanier, in Schwedisch einem Deutschen vor – immer wird er nach seiner wesentlichen Bedeutung in wenigen Sekunden, höchstens Minuten erfasst werden.

Denn in jedem halbwegs intelligenten Menschen lebt etwas von einem Brugsch, Champollion oder Oppert, und jedes Eintasten in fremden Sprachstoff lässt sich der Arbeit vergleichen, die zur Entzifferung der Hieroglyphen und Keilschriften geführt hat. Es ist immer eine Art von Sprach-Algebra auf höherer oder geringerer Stufe, eine Art von Berechnung zur Ermittelung unbekannter Größen aus bekannten, bisweilen nur erahnten.

Liegt gar nichts Bekanntes oder leicht zu Deutendes vor, dann freilich wird sich der Durchschnittskopf zu schnellem Verzicht gedrängt fühlen. Er versteht dann eben wirklich nichts und wendet sich mit einem „Kannitverstan“ von dem dunkeln Satz in fremder Sprache.

Aber, mit einem gewissen Frohgefühl stößt er dann gelegentlich auf einen Satz wie den vorangestellten; einige Bestandteile darin blicken ihn vertraut an und erklären ihm mancherlei auch über ihren eigentlichen Wortkreis hinaus. Wie Laternen stehen sie im Dunkel der fremden Ausdrücke, und er müsste schon ein richtiger Stolprian sein, wenn er nicht imstande sein sollte, sich von einer Laterne zur nächsten zu helfen.

Für uns Deutsche sind diese Glühflämmchen im deutschen Satze die „Fremdworte“ im Gegensatz zu den Satznachbarn, denen wir die Heimatsberechtigung zuerkennen.

Für alle andern, für die große Mehrheit mithin, liegt die Sache genau umgekehrt: unsere heimatberechtigten Ausdrücke sind ihnen die fremden, unsere fremden die Hausgenossen; da sie in ihrem Englisch, Französisch, Italienisch, Holländisch, Schwedisch, kurz überall denselben Umlaufswert besitzen, den sie bei uns haben müssten, haben sollten, wenn nicht der Unverstand am Werke wäre, die Hauptträger der internationalen, von Volk zu Volk reichenden Verständigung auszurotten.

Erkennen wir dies in ganzer Tragweite der Wirkung, so müssen wir uns zum Angriff auf einen Ausdruck entschließen, der mehr Unheil angerichtet hat als irgendeiner seit der babylonischen Sprachverwirrung; es ist der Ausdruck: Fremdwort!

Was durch die Silbe „Fremd“ geächtet werden, als barbarum verschrien werden soll, ist tatsächlich das der Barbarei, der verderblichen Abschließung, der vereinsamenden Chineserei Entgegenwirkende.

Fort mit dem Ausdruck „Fremdwort“ für die Worte, die überall verstanden werden, wo die Bildung eine Heimat hat! „Weltworte“ sind sie mit hoch bewertetem Kurs, wo nur in Ost und West gebildete Menschen mit einander reden!

Wenn nach Menschenaltern die Kulturforscher auf die Strebungen der Gegenwart zurückblicken werden, in hundert, dreihundert oder fünfhundert Jahren, so wird sich ihnen für ihre Darstellung eine Tonart aufdrängen, wie uns, wenn wir von scholastischen, juridischen, theologischen Verirrungen des Mittelalters berichten, von vernunftfesselnder Haarspalterei am Wort, von Zunftzwang, Hexenglauben, Tortur und derlei angenehmen Dingen.

Es ging eine Epidemie durchs Land, so werden sie sagen, deren Träger zwangläufig so handelten, als ob sie Werte vernichten müssten. Sie zertrümmerten die Laternen auf dunklen Wegen, sprengten Brücken, zerstörten alle Verbindungsmittel, die aus der Enge ins Weite führten. Und sie glaubten ein vaterländisch Werk zu verrichten, wenn sie das Vaterland absperrten, wenn sie ihm Zufuhr und Ausfuhr unterbanden.

Um aber ganz in der Gegenwart zu bleiben, so denken wir uns einen mit Schlagworten der Heimat um sich werfenden Eiferer, der folgendes Programm vor sich hertrüge: Kampf und Tod allem Internationalen!

Der weitaus größte Teil der Menschheit misst nach Metern und Kilometern, kehren wir zum Fuß, zur Elle, zur Wegstunde zurück, und erklären wir das in Welschland ausgebrütete Metersystem für undeutsch und unwürdig eines deutschen Mannes.

Wir verwerfen und verfemen das Gramm und Kilogramm, die elektrischen Einheiten Volt, Ampère und Watt; wir verwerfen sogar das ganze Dezimalsystem, denn alles Dekadische ist von Indern und Arabern gekommen, und wir wollen deutsche Rechnung, die man nur in Deutschland versteht und sonst nirgends in der Welt.

Die deutsche Stunde soll 57 Minuten zählen oder 63 Minuten, aber nicht 60, denn so viel zählt die Stunde in der großen Welt, und die ist undeutsch.

Briefe und Zeitungen ins Inland und Ausland? Das passt uns nicht, denn solcher Verkehr erinnert an den Weltpostverein, und diese Einrichtung ist international, also undeutsch, verächtlich und reif für unseren ausrottenden Zorn!

Dieser Werber würde Anhänger finden und völkische Gefolgschaft. Und im Grunde unterschiede sich seine Fanfare nur in der Tonart, nicht aber in der Melodie von der unserer Sprachbegrenzer: Denn auch diese fordern die Preisgebung internationaler Errungenschaft, wie sie im Weltwort dem Weltverkehr und der Weltverständigung dient.

Wir sind das Volk der Dichter und Denker, also abgestempelt in England, und in dieser Eigenschaft werden wir unsere Welthegemonie aufrecht zu erhalten haben.

Während im siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert das Schwergewicht in Frankreich und England ruhte, hat im neunzehnten Deutschland drei Viertel der geistigen Arbeit für Europa geleistet, und die Folgezeit soll diese Arbeit vertiefen und verbreitern. Hierzu brauchen wir eine Sprache, die sich nicht nach den nahegelegenen Kirchtürmen orientiert, sondern nach den Leuchttürmen des Wissens, der Forschung, der Geistigkeit.

Man nenne mir eine Frage, die für uns wichtiger wäre! Kann es eine größere geben als die der geistigen Weltstellung? Und trägt sie nicht ihre Antwort in sich, wenn wir sie nur richtigstellen, nämlich so, dass Geistigkeit und weltverständliche Sprachlichkeit in ihr als untrennbare Güter auftreten?

Es könnte erstaunlich erscheinen, dass die Internationalität der Sprache vordem in den fachlichen Erörterungen über Weltverkehr eine so geringe Rolle gespielt hat, wenn es sich nicht eigentlich von selbst erklärte. Denn die deutsche Sprache war – bis der Große Krieg die Wandlung brachte – auf dem besten Wege, eine Weltsprache zu werden, aus sich heraus, aus eigener Sendung, ohne Verabredung und Festsetzung auf Konferenzen und Kongressen an grünen Tischen in Genf, Bern und im Haag.

Um diese Festsetzungen aber kreiste vordem der Inhalt aller Fachschriften über Internationalität und deren möglichen weiterm Ausbau. Das Herz konnte einem weit werden, wenn man sie las und dabei verspürte, wie sich jenseits der Zeitergebnisse ahnungsvolle Fernsichten in ein goldenes Zeitalter öffneten.

Mancher Blütentraum ist seitdem verflogen, und doch werden wir wieder an das anknüpfen müssen, was kenntnisreiche Männer aufgrund des Erreichten mit großzügigen Prognosen verkündeten.

Ich denke hier vornehmlich an die Studie „Weltbürgertum, Nationalstaat und internationale Verständigung“, die Ludwig Stein ein Jahr vor Beginn des Weltkriegs veröffentlicht hat.

Seine Ansagen, an nahen Zeiten gemessen, sind von der harten Wirklichkeit überrannt worden. Auf weite Zeiten gemessen, werden sie neue Gültigkeit gewinnen. So teilt das Auge des Propheten das Schicksal aller Augen, die ja von Natur aus auf teleskopische Leistungen eingestellt sind. Kein Auge dringt von der Berliner Behausung bis Magdeburg, aber ohne die geringste Schwierigkeit blickt es bis zum Polarstern, erkennt es vom Fenster aus das Sternbild der Leier und des Herkules.

So haben die in der genannten Studie aufgestellten Scheinwerfer keine der von uns erlebten Kriegsbegebenheiten vorausbeleuchtet, keines jener Ereignisse, die in den vormaligen verheißungsvollen Bau der zwischenvölkischen Einrichtungen Bresche legten und sie scheinbar in...

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