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E-Book

Das Gerinnungssystem

(2., aktualisierte Auflage)

AutorHerbert A. Neumann
VerlagABW Wissenschaftsverlag GmbH
Erscheinungsjahr2010
Seitenanzahl340 Seiten
ISBN9783940615480
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,49 EUR
Die Blutgerinnung ist ein komplexes Geschehen, dessen Abläufe durch vielfältige Aktivierungs- und Inaktivierungsprozesse reguliert werden. Bereits kleinste Störungen im komplizierten Gleichgewicht zwischen Blutstillung und Fibrinolyse können schwerwiegende Folgen wie Blutungen oder Thrombosen nach sich ziehen. In der vorliegenden Einführung in die Physiologie und Pathophysiologie des Gerinnungssystems werden diese komplexen Sachverhalte umfassend und übersichtlich vermittelt: Die Darstellung der biochemischen und physiologischen Grundlagen und Abläufe der Blutgerinnung erfolgt in strukturierter, leicht verständlicher Form. Besonderer Wert wird auf die Beschreibung der einzelnen Gerinnungsstörungen - der hämorrhagischen Diathesen und der Thrombophilien - sowie die Methodik der diagnostischen Testverfahren gelegt. Eine ausführliche Übersicht über alle therapeutischen Optionen folgt dem neuesten Wissensstand. Für die zweite Auflage wurden zahlreiche Ergänzungen und Verbesserungen eingefügt. Das Kapitel über die direkten oralen Antikoagulanzien wurde auf den aktuellen Stand gebracht. Durch historische Kapitel sollen die Leistungen von Hämostaseologen gewürdigt werden, die zur Aufklärung des faszinierenden Systems der Gerinnung beigetragen haben. Jeder Leser weiß nach der Lektüre, wie es zum Quick-Wert oder dem Christmas-Faktor gekommen ist. Fakten, die das Erinnern leicht machen. Das vorliegende Buch ist für Studenten und Ärzte im klinischen Alltag gleichermaßen vorzüglich geeignet.

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Leseprobe

3 Die Thrombozyten


Historisches


Die Thrombozyten sind Abscheidungen der Megakaryozyten, die sich im Knochenmark befinden. Beobachtet wurden sie um 1860 von Zimmermann, 1865 von Max Schulze und 1874 von Harvey Osler und hiermit als eigener Blutbestandteil identifiziert. Lange Zeit hielt man sie für Verunreinigungen. Hayem und Zimmermann vermuteten, dass sie Vorstufen der Erythroblasten seien und nannten sie „Hämoblasten“. 1882 konnte Giulio Bizzozero die Funktion der Thrombozyten erkennen. Er hat in Mesenterialgefäßen bereits direkt die Bildung von Thromben beobachtet. Darüber hinaus konnte Bizzozero die Aggregation von Thrombozyten experimentell nachweisen: Er zog einen dünnen Faden durch ein Mesenterialgefäß und konnte an diesem Faden direkt Thrombozytenaggregate beobachten.

Weiterhin beschrieb Bizzozero die Megakaryozyten des Knochenmarks, die er „cellule giganti nucleo centrale in gemmatione“ nannte, also Riesenzellen mit knospentreibendem Kern. Damit beschrieb Bizzozero die durch Endomitosen verursachte Vielkernigkeit der Megakaryozyten. Erst Wright gelang es 1910, den Zusammenhang zwischen Megakaryozyten und Thrombozyten herzustellen [5, 7, 8, 9, 52].

Morphologie


Die Thrombozyten oder Blutplättchen haben einen Durchmesser von 2–4 µm. Ihre Morphologie ist bezüglich Größe und Form sehr heterogen. Die Form ist im Allgemeinen diskoid oder elliptisch. Die Lebensdauer beträgt neun Tage, der Abbau erfolgt im retikuloendothelialen System. Die Thrombozyten lösen sich aus den Megakaryozyten durch Fragmentation, indem sich die Plasmamenbran einstülpt, sodass eine „Demarkationsmembran“ entsteht. Die Thrombozytenproduktion liegt bei 250 Milliarden pro Stunde. Ein Drittel der Thrombozyten ist in der Milz gespeichert. Bei Splenomegalie sinkt die Thrombozytenzahl als Folge eines gesteigerten Abbaus und der vermehrten Einlagerung. Nach Splenektomie kommt es in der Regel zu einem initial manchmal drastischen Anstieg der Thrombozyten im Blut [6].

Aktivatoren


Im Rahmen von Gerinnungsprozessen werden die Thrombozyten von einer Vielzahl von Substanzen aktiviert. Die primären Aktivatoren der Thrombozyten sind Thrombin und Kollagen. Diese stimulieren die Freisetzung der sekundären Aktivatoren:

PAF (plättchenaktivierender Faktor)

ADP (Adenosindiphosphat), Aggregator der Plättchen

Thromboxan

Phospholipide

Adrenalin

Ca++.

Die Granula der Thrombozyten


Die Thrombozyten enthalten verschiedene Granula.

α-Granula


Diese enthalten:

Fibrinogen, das in der Leber produziert wird (s. Kap. Plasmatische Gerinnung)

Fibronektin, Polypeptidketten, die durch Sulfidbrücken verbunden sind. Sie sind im Plasma und an Zelloberflächen nachweisbar. Es wirkt als Opsonin, bindet an Fibrin und Immunkomplexe und ermöglicht die Phagozytose (bindet an Kollagen, Fibrin und Heparin)

Plättchenfaktor 4, der Heparin bindet und inaktiviert

von-Willeband-Faktor (s. dort)

β-Thromboglobulin, Aktivator der Thrombozyten

hochmolekulares Kininogen oder auch Faktor XIV (s. Kap. Plasmatische Gerinnung)

platelet-derived growth factor (PDGF), ein Wachstumsfaktor für Fibroblasten und Muskelzellen, der für Reparaturmechanismen von großer Bedeutung ist

Faktor V (s. Kap. Plasmatische Gerinnung)

Plasminogenaktivatorinhibitor (PAI-1, s. Kap. Fibrinolyse)

Albumin

IgG

Thrombospondin, welches Fibrinogen, Fibronektin, den von-Willebrand-Faktor, Kollagen und die Thrombozyten zu einem festen Aggregat verbindet

Septine 4, 5 und 8. Die Septine 4, 5 und 8 sind GTP-asen, die nach Stimulation der Thrombozyten an der Oberfläche nachweisbar sind und vermutlich an der Freisetzung des von-Willebrand-Faktors beteiligt sind [10, 53].

β-Granula oder „Dense Bodies“


Diese enthalten:

kleine Mitochondrien

Adenosindiphosphat, das plättchenaggregatorisch wirkt

Adenosintriphosphat als Energiequelle

Serotonin, ein vasoaktives Amin, das zur Kontraktion der glatten Muskulatur und der Gefäße führt.

γ-Granula


Diese enthalten Tubuli und Mikrovesikel.

δ-Granula


Diese enthalten Siderosomen.

ε-Granula


Diese enthalten Glykogen [6].

Weiterhin enthalten die Thrombozyten die Adhäsionsmoleküle

Vitronektin

P-Selectin

sowie die Zytokine bzw. Wachstumsfaktoren:

TGF-β = transforming growth factor

EGF = epidermal growth factor

RANTES = regulated on activation, normal T-cell expressed and secreted (welches die Monozyten auf arteriosklerotischem Endothel stimuliert)

IL-1 β [6].

Die Plättchenfaktoren


PF1: analog Faktor V

PF2: Thrombinakzelerator, d. h. Gerinnungsbeschleuniger des Thrombins aus dem Thrombozytenhyalomer

PF3: ein Phospholipoprotein der Plättchenmembran, wirkt als Aktivator des intrinsischen Systems (s. dort)

PF4: Glykoprotein, inaktiviert Heparin, beschleunigt die Interaktion von Thrombin mit Fibrinogen

PF5: clottable factor, Thrombozytenfibrinogen

PF7: Thrombasthenin; kontraktiles Protein für die Thrombusretraktion

PF8: Faktor VIII

PF9: identisch mit F-XIIIa, dem Fibrinstabilisator.

Der Energiestoffwechsel der Thrombozyten


Die Thrombozyten unterhalten einen eigenen Stoffwechsel. Es lassen sich die Enzyme der Glykolyse, des Pentosephosphatzyklus, des Zitronensäurezyklus und der Atemkette sowie verschiedene ATPasen nachweisen.

Darüber hinaus verfügen die Thrombozyten über zwei Pools an energiereichem Phosphat, den metabolischen, der im Hyaloplasma, und den nicht metabolischen, der im Granulomer liegt. Das Hyaloplasma selbst ist gefüllt mit biogenen Aminen wie Serotonin und Noradrenalin sowie mit einem großen Pool an Calciumionen. Durch Pinozytose können die Thrombozyten biogene Amine, wie z. B. Serotonin, aus der Zirkulation eliminieren und haben somit auch eine entgiftende Funktion. Die Thrombozyten stimulieren die Sekretion inflammatorischer Mediatoren und können über Mastzelldegranulation Histamin freisetzen [46]. Weiterhin können die Thrombozyten kolloidale Substanzen phagozytieren. Für die Blutgerinnung sind sie das Bindeglied zwischen dem Gefäßsystem und der plasmatischen Gerinnung.

Insgesamt ließen sich mittlerweile über 90 verschiedene Enzyme in Thrombozyten nachweisen. Darüber hinaus enthalten sie Vitamin B12, Folsäure und Ascorbinsäure.

Die Hauptenergiequelle für die Thrombozyten ist die Glukose, die rasch aus dem Plasma aufgenommen wird, wobei ca. 50 % der absorbierten Glukose für die Syntheseleistungen des Thrombozyten verbraucht werden. Die andere Hälfte wird in Glykogen umgewandelt [6, 25].

90% der Nukleotide in den Thrombozyten sind Adenin-Nukleotide. Die Thrombozyten enthalten kontraktile Proteine, und zwar das Plättchenaktomyosin, auch Thrombasthenin genannt. Es besteht aus einem Plättchenthrombasthenin A und dem Thrombasthenin M [45].

Der Prostaglandin-Stoffwechsel der Thrombozyten


Die Thrombozyten besitzen einen eigenen Prostaglandin-Stoffwechsel, der in der tubulären Struktur abläuft. Aus Membranphospholipiden wird durch die Phospholipase A die Arachidonsäure erzeugt. Diese wird über die Cyclooxygenase in Endoperoxide umgewandelt. Durch die Thromboxansynthetase wird aus dem Endoperoxid das Thromboxan TXA2, ein Phospholipid und Plättchenaktivator, synthetisiert (Abb. 3) [6]. Das Thromboxan ist ein Aktivator der Thrombozyten.

Abbildung 3 Thromboxansynthese

Rezeptoren auf der Oberfläche der Thrombozyten


Auf der Oberfläche der Thrombozyten befinden sich verschiedene Rezeptoren, die Fibrin binden, über das die Thrombozyten miteinander vernetzt werden, sowie Rezeptoren, an die der von-Willebrand-Jürgens-Faktor bindet. Weitere Rezeptoren binden Adenosindiphosphat und Kollagen (s. Tab. 1 und Abb. 4) [17, 28, 40].

Tabelle 1 Oberflächenrezeptoren der Thrombozyten

GPIa/IIaRezeptor für das Kollagen
GPIb/IXRezeptor für den von-Willebrand-Faktor
GPIc/IIaFibronektinrezeptor
GPIIb/IIIaRezeptoren für Kollagen (ADP-aktiviert), von-Willebrand-Faktor, Fibrinogen
GPIIa/IIIbRezeptoren für Fibrin
GPIV/GPIIIbRezeptor für Kollagen und Thrombospondin
GPVIRezeptor für Kollagen
P2Y12Rezeptor für ADP (Aktivator)
GPIVbindet...
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