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Das 'hessische Salzburg' - Festspiele in Bad Hersfeld

Entwicklung, Strukturen und Ideologie einer Institution kultureller Repräsentation der frühen Bundesrepublik

AutorHolger Reiner Stunz
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2009
Seitenanzahl185 Seiten
ISBN9783640239788
FormatePUB/PDF
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis39,99 EUR
Examensarbeit aus dem Jahr 2003 im Fachbereich Geschichte Europas - Neueste Geschichte, Europäische Einigung, Note: 1,0, Johannes Gutenberg-Universität Mainz (Historisches Seminar), Sprache: Deutsch, Abstract: Die Bad Hersfelder Festspiele wurden 1951 gegründet. Sie waren in den 1950er-Jahren eines der bedeutendsten Festspiele der jungen Bundesrepublik - mit Klassikertheater, Schauspielern des Wiener Burgtheaters, Publikum aus ganz Deutschland und regelmäßigen Besuchen des Bundespräsidenten. Die Anwesenheit von Theodor Heuss und all seinen Nachfolgern deutet auf die politische Dimension der Festspiele hin: Sie wurden von Bundesseite stark gefördert, vielmehr noch - ohne die von Anfang an starke Unterstützung des Bundesstaates wären die Festspiele in ihrer qualitativ hochwertigen Form undenkbar gewesen. Dies hat in erster Linie mit der Lage Bad Hersfelds an der Zonengrenze zu tun. Das Theater sollte 'Leuchtturm' und 'Bollwerke' gegenüber der kommunistischen Kulturauffassung sein. Nicht weniger bedeutend ist aber auch das kulturelle Programm, das in den Augen der Kulturabteilung des Bundesinnenministeriums in besonderem Maße die Programmatik des jungen deutschen Staates traf: Christliche Werte, Klassizität, Öffnung gegenüber dem Westen - in einem Wort: die kulturelle Beschwörung des Abendlandes. In dieser Studie wird detailliert untersucht, welche Einrichtungen am Erfolg der Festspiele teilhaben: in erster Linie freilich die Bürger der Stadt, die die Ruine bereits seit Jahrzehnten, seit der Zeit des rührigen Gymnasialdirektors Duden, zu beleben versuchten, war doch die Ruine ein einziger zu füllender Leerraum inmitten der Stadt. Nach Anfängen im Goethejahr und unter Nutzung von Verbindungen aus der NS-Zeit nahmen die Festspiele unter den Fittichen des FDP-Bundespolitikers August-Martin Euler einen rasanten Aufstieg, den sich auch der Gründungsintendant Johannes Klein nicht hatte träumen lassen. Ausgehend von den Mysterienspielen Hugo von Hofmannsthals, insbesondere 'Jedermann' und dem 'Salzburger Großem Welttheater' wurde in Bad Hersfeld ein Klassikerprogramm entwickelt, das die Bildungselite des Weststaates, aber auch von jenseits der Zonengrenze nach Bad Hersfeld kommen ließ. Detailliert werden politische Entscheidungen hinter den Kulissen des Festspielbetriebs nachgezeichnet, werden Förderströme und politische Widerstände benannt, die anfangs vom Land Hessen kamen, dem die Bundesinitiative in Bad Hersfeld gar nicht recht war. So sind die Festspiele letztlich Ergebnis nicht nur einer künstlerischen Anstrengung, die seinesgleichen im sommerlichen Kulturleben der Bundesrepublik Deutschland suchen musste, sondern auch eines politischen Willens.

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Leseprobe

2. Einordnung der Festspiele in Bad Hersfeld

 

2.1 Annährung durch Definitionen – Entwicklungsetappen des Festspiels als  Kulturinstitution

 

Im deutschsprachigen Raum gibt es heute etwa 300 Kulturveranstaltungen, die sich als Festspiele bezeichnen; diese Selbstbezeichnung soll ein positives Image vermitteln, sagt aber nichts über das Dargebotene aus[88]. Im Gegensatz zum Festival ist mit der Bezeichnung Festspiel der Anspruch auf besonders exklusiv inszenierte künstlerische Leistungen und Klassizität verbunden. Durch zeitliche Begrenzungen – meist auf einige Wochen im Sommer – sollen sich Festspiele vom alltäglichen Kulturbetrieb abheben[89]. Der Begriff ist allerdings diffus: verschiedene Konzepte, Gattungen und Medien können sich hinter dem Schlagwort verbergen. Die Festspiellandschaft ist heute genauso bunt, variantenreich und flächendeckend wie die Kulturlandschaft im Allgemeinen[90]. Der Begriff ‚Festspiel’ hat zwei Kernbedeutungen: er meint sowohl eine literarische Gattung, ein Gelegenheitsspiel pathetischen Inhalts, oder aber die Institution Festspiel, die von nur wenigen Definitionen berücksichtigt wird[91].

 

   Weil es hier um die deutschsprachige Festspiellandschaft und ihre Entwicklung in den 1950er Jahren geht, bietet es sich an, sich einer Einordnung über zeitgenössische Positionierungen anzunähren. Wie definieren sich Kulturinstitutionen im Untersuchungszeitraum, in welcher Funktion sahen sie sich selbst? Die – noch heute – immer wieder beschworene Gefahr einer Inflation der Festspielidee und ihre Unzeitmäßigkeit bestimmen die Festspieldebatte der 1950er Jahre[92]. Gegen neu gegründete Festspielorte versuchen sich die bewährten mit Argumentationsstrategien abzugrenzen: „Das Festspiel ist eine elitäre Veranstaltung, die dem Außergewöhnlichen dient. Das Besondere sollte das Eigentliche sein – das Wesen eines Ortes, einer Person, einer Kunstrichtung. Festspiele sollten die Spitzenerzeugnisse deutscher Kultur sammeln und sich ihrer Pflege widmen[93]. Ob im Fall Bayreuth, Salzburg oder Oberammergau – anderen Orten sprach man die Festspielwürdigkeit ab und führt den Tourismus als Erklärungsmuster an: „Nur wenige Festspielorte können Bestand haben, eine Vermassung wäre Ausverkauf von Kultur. Die Ambitionen vieler Städte sind skandalös und lächerlich. Das Authentische und Wahre, das Sublime und Veredelte kann nicht an jeder Flußbiegung zur Entfaltung kommen. Wahrhafte Festspiele, die den Namen verdienen, gibt es nur eine Hand voll[94]. Dass die neu gegründeten Bad Hersfelder Spiele diese Argumentationen übernehmen, scheint erstaunlich: „Ein Festspiel kann sich nur als das Besondere verstehen; es ist nicht das Beliebige, sondern das Notwendige. In der Bad Hersfelder Stiftsruine muß gespielt werden. Diese Verpflichtung und Verantwortung ist etwas ganz anderes als der Kulturaktionismus unserer Tage, wo findige Bürger versuchen, mit den eigentlichen Kulturstätten zu konkurrieren und sie somit auch entweihen. Nur bestimmte Veranstaltungen dürfen Festspiele heißen![95] Abgrenzung und Legitimation der Originalität des eigenen Festspielanspruches verweisen auch hier auf das Exklusivitätsproblem – wer definiert, was sich Festspiel nennen darf?

 

   Diese zeitgenössischen Selbstbestimmungen und Abgrenzungen stimmen mit Definitionen überein, die das Einzigartige, das Ausgewählte und Authentische als Charakteristika für Festspiele betonen[96]. Dass zur gleichen Zeit so viele Festspiele in der Bundesrepublik entstehen wie nie zuvor, hängt mit dem Bedürfnis der Kommunen in der Nachkriegszeit zusammen, sich ihrer Vergangenheit zu vergewissern und sie auch für ein nationales Publikum verbindlich machen zu wollten. Kulturglaube und Aufbruchsstimmung paarten sich mit dem Anspruch, sich auf ewige, ungebrochene Kulturwerte berufen und aus ihnen Identitätsangebote ableiten zu können. Manchen Festspielorten gelingt dies aus eigener Kraft, ihre Botschaft erscheint als konsensfähig und nicht hinterfragbar. Andere Festspielorte können sich durch politische Unterstützung einen nationalen Anspruch sichern. Deshalb sind Fragen nach Konkurrenz, Macht und Interesse für Festspiele in den 1950er Jahren unverzichtbar.

 

   Vorher sollen allerdings wesentliche Entwicklungen skizziert werden, die zur Einordnung und Definition der Bad Hersfelder Festspielidee herangezogen werden können.  Die herkömmlichen Definitionen gehen von der literarischen Gattung ‚Festspiel’ und deren Inszenierung aus und fassen den Terminus vor allem historisch[97]. Sie versuchen das Festspiel als dem Theater analoge Gattung vom Mittelalter über die ‚bürgerlichen’ Meistersinger, Passions- und Mirakelspiele, über die höfischen Festspiele des Barock bis zum Festival unserer Tage zu beschreiben – ohne allerdings die verbindenden Elemente dieser sehr heterogenen Veranstaltungen zu benennen[98]. Schon das Festspiel als Gelegenheitsfest mit theatralischer Umrahmung, wie es noch Goethe verstand, unterscheidet sich von der Festspielkonzeption der Romantiker; jene wollten auf didaktische Weise ‚dem Volk’ einen Kristallisationspunkt für Identität, also Geschichte anbieten[99]. Schon diese Festspielvarianten haben höchst verschiedene Grundlagen.

 

    Eine völlig andere Ausrichtung als die politischen Festspiele im Umfeld der 1848er Revolution hat der Festspielplan Richard Wagners, der wiederkehrende Festspiele mit der künstlerischen Essenz seines Schaffens, seinen Opern, mit Hilfe von Mäzenen wie dem Bayernkönig Ludwig II. institutionalisierte. Das Festspielhaus ist sichtbar gewordener Anspruch, diesen Feiern einen Fixpunkt zu geben – die typischen Ruhmesfestspiele der Kaiserzeit waren dagegen an beliebigen Orten inszenierbar[100]. Die Bayreuther Festspiele von 1876 sind die erste initiierte Festspielinstitution; spätestens an diesem Punkt müssten Definitionen zu einer Unterscheidung kommen, muss zur literarischen Gattung auch die Institution ‚Festspiel’ treten. Bayreuth ist einer der Hauptbezugspunkte für Festspielprojekte im 20. Jahrhundert.

 

    Volksfestspiele, die Ende des 19. Jahrhunderts entstanden und die nationalen Mythen der kaiserlichen Weihespiele auf die lokale Ebene transformierten, sollten eine Gemeinschaftsbildung durch das Mitwirken von Laien ermöglichen[101]; diese Bewegung setzte sich von elitären und an besondere Orte gebundenen Festspielprojekten ab.  In einem nächsten Schritt institutionalisieren sich anfangs des Jahrhunderts auch Musikfestspiele[102]. In den 1920er Jahren wurden auch immer mehr Festspielinstitutionen gegründet, die Stücke auf die Bühne bringen, die nicht als Festspiele geschrieben wurden, sondern die als Klassiker einen Kanon des ‚Schönen, Wahren und Guten’ vorstellten – wie z.B. die Salzburger oder Schwäbisch-Haller Festspiele[103].

 

   In Salzburg wurden im Jahr 1921 Musik-, Theater- und Opernfestspiele durchgeführt, die mit den Namen Hugo von Hofmannsthal, Max Reinhardt und Bruno Walter genauso verbunden sind wie mit Calderon, Strauss und Mozart. Nach dem Zusammenbruch der Habsburgermonarchie und Österreich-Ungarns im Ersten Weltkrieg sollten die Festspiele als geistiges Amalgam die Traditionen des 19. Jahrhunderts mit dem Anspruch auf künstlerische Avantgarde verbinden. Ende der 1920er Jahre und im folgenden Jahrzehnt wurden diese ‚Multimediafestspiele’ (Musik, Oper und Theater), gleichsam Metafestspiele, zur erfolgreichsten europäischen Kulturinstitution im Sommer und durch Staraufgebote und repräsentative Veranstaltungen aufgewertet. Neben der Wagnerschen Festspielidee entfaltete diese polyphone und sehr offene Institution die größte Suggestionskraft in den 1950er Jahren – die „Weltkulturzentrale an der Salzach“ wurde zum Referenzzentrum aller anderen Festspielorte[104].

 

   Das nationalsozialistische Regime versuchte die großen nationalen Festspielinstitutionen zu vereinnahmen, gleichzuschalten[105]. Sie hatten sich als unabdingbar erwiesen: dort wurden Repräsentation und Herrschaftsanspruch demonstriert, dort sollte „dem Ausland die Angst vor dem Kulturvolk Deutschland genommen werden[106]. Die Volks- Heimat- und Historienfestspiele sollten in die mystische Thinginfrastruktur umgewandelt und integriert werden, die allerdings schon im Jahr 1937 aufgegeben wurde. Nur die Festspiele von Bayreuth und Salzburg wurden trotz erheblichen Aufwands bis in die zweite Kriegshälfte fortgeführt; das Jahr 1939 bedeutete für die allermeisten Orte das vorläufige Aus.

 

   Festspiele in den 1950er Jahren sollen hier definiert werden als für eine Zeitspanne regelmäßig wiederkehrende Kulturveranstaltungen mit programmatischer Ausrichtung, die verschiedene Künste in einem anspruchsvollen Rahmen präsentieren, um sich Traditionen zu versichern und sie als konsensuales Identitätsangebot lebendig zu machen; sie sind Institutionen mit Anspruch auf Exklusivität und Klassizität, haben nicht nur unterhaltende und ästhetische Funktionen, sondern sind Projektionsflächen und Ausdruck für die Ideen der Zeit sowie sozialer Inszenierungs-,...

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