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Das Hospital auf dem Palmenhof

Pionierarbeit im Siedlungsgebiet deutscher Einwanderer in Südbrasilien

VerlagBooks on Demand
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl556 Seiten
ISBN9783741258213
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis19,99 EUR
1933 verschlägt es den Chirurgen Friedrich Kröner und seine Frau Emmy, Apothekerin, mit dem 2-jährigen Dieter und 78 Umzugskisten in den kleinen deutschen Ort Hamônia im Süden Brasiliens. Erschrocken über die primitiven Verhältnisse wollen sie sofort abreisen. Doch ein tropischer Regenguss versperrt den Rückweg, und Kröners lassen sich auf die Herausforderung ihres Lebens ein. Sie bauen mit der lokalen deutschen Bevölkerung ein modernes Hospital und eine Stärkefabrik am Rande des Urwaldes und leisten damit Entwicklungshilfe auf medizinischem und wirtschaftlichem Gebiet. Das Buch gewährt Einblicke in die persönliche Geschichte der deutschen Auswanderer - Jugend, Studium, Assistenzzeit Friedrich Kröner; Kindheit, Lehrzeit, Beruf Emmy Kröner, geb. Nettesheim; Kindheit Dieter Kröner -, außerdem Einblicke in die Zusammenhänge zwischen hygienischer Rückständigkeit und wirtschaftlichem Misserfolg in der Region sowie in Friedrich Kröners chirurgische Hoch- und Tiefpunkte. Nach politischen Intrigen und Nationalisierungskampagnen kommt es im Zuge des Zweiten Weltkriegs zur Enteignung des Hospitals und Verhaftung Friedrich Kröners. Nach der Internierung fangen die Kröners in Rio de Janeiro noch einmal von vorne an.

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Leseprobe

Emmy Nettesheim:


Kindheit, Lehrzeit und Beruf von 1897 bis 1929


erzählt von Emmy Nettesheim, verheiratet Kröner

"Hoffnung und Erinnerung sind zwei Rosen, von einem Stamme mit der Wirklichkeit, nur – ohne Dornen."

Emmy Kröner

Mein Elternhaus

Indem ich an meine Kindheit denke, so habe ich nur glückliche Stunden voll strahlender Freude in Erinnerung, von keinem Kummer getrübt. Mein Vater war zum Erzieher geeignet wie ein Künstler, er überließ unsere Entfaltung der frei sich entwickelnden Natur mit ihren Neigungen und Fähigkeiten, die jeweils durch Vertiefung und Verstärkung zur Reife gefördert wurden. Wenn diese Entfaltung gelegentlich in Übermut oder groben Unfug ausartete, so fiel die Strafe sehr milde oder ganz aus. Da wir also keinen Grund hatten, aus Angst vor Strafe etwas verheimlichen zu müssen, gab es statt geheimnisvollen Schweigens stets lebhafte Unterhaltung auf breiter Ebene, wobei jedes Kind seine Meinung vertreten konnte oder auch verteidigen lernte.

Das Haus meiner Geburt stand in Geldern in der Hartstraße. Dort hatten meine Eltern nach ihrer Hochzeit neun Jahre in einer Etagenwohnung im ersten Stock gewohnt, und dort kamen wir vier Mädels zur Welt: Helene am 23. Mai 1894, Josefine am 10. Oktober 1895 und ich am 16. Januar 1897. Als einziges Erlebnis in diesem Haus ist mir ein Tag im Jahre 1901 im Gedächtnis geblieben: Ich sehe uns drei "Großen" eifrig im Spielzimmer beschäftigt, als Vater leise und vorsichtig die Tür öffnete, ein Paket auf dem Arm, von dem ein langer, weißer Wollschal herabbaumelte. "Ratet mal, was ich hier habe“, unterbrach er unser Puppenspiel. Hm… was konnte er wohl anders so behutsam tragen als einen Kuchen! Lustig zwinkerte mein Vater mit den Augen und lüftete die Decke hoch: ein süßes, winzig kleines Gesichtchen lag schlafend in seinen Armen: unsere Schwester Frieda, das Nesthäkchen, die Vierte im Glückskleeblatt meiner Eltern, war am 5. August 1901 geboren.

Die Grundsteinlegung unseres Hauses Am Südwall 35, das meine Kindheitserinnerungen prägt, war 1902. Der Bau ist mir nur schemenhaft im Gedächtnis, obwohl ich bereits fünf Jahre alt war. Aber die gut erhaltene Fotografie der Feier und die später in einer alten Bildermappe entdeckte Kopie des vermauerten Textes frischten meine Erinnerung auf. Im Sommer 1903 zogen wir in das neue Haus am Südwall ein. "Welch ein Luxus!" – "Drei Stockwerke hoch!" – "Warmwasserheizung durch das ganze Haus, welche Verschwendung“, so raunte es damals durch das Städtchen. Später fragten wir Vater einmal: "Warum hast du das Haus so groß gebaut?" – "Ihr werdet schon sehen, dass es nicht zu groß ist“, triumphierte er, "ich habe vier Töchter, davon wird doch wenigstens eine in Geldern bleiben. Dann hat sie mit der Heimat gleich die Wohnung und wir genießen ihre Betreuung in alten Tagen.“

Zur Einweihung schenkten die Geschwister der Eltern ihnen ein Ölgemälde des Kunstmalers Heinrich Brey, das den Besuch Kaiser Wilhelms I. in Geldern im Sommer 1863 festhielt, wie er vom Balkon des barocken Rathauses eine Ansprache an sein Volk richtet. Der Künstler nahm sich dabei die Freiheit, vielen Gästen das Porträt noch lebender Persönlichkeiten zu malen, zum Beispiel meine Eltern als Brautpaar zwischen zwei Fahnen, obwohl sie 1863 erst drei Jahre alt waren. Andere trugen die Züge meiner Großeltern, von Onkel Emil, dem damaligen Landrat und anderen bekannten Bürgern der Stadt. Leider ging das Bild später in den Wirren des Zweiten Weltkrieges verloren.

Das Foto der Grundsteinlegung Am Südwall 35, 1902

Im Erdgeschoss gruppierten sich um eine geräumige Diele das Esszimmer, von uns der "Saal" genannt, Vaters Schreib- und unser Kinderzimmer, für uns der Inbegriff des Paradieses mit dem Riesenspielzeugschrank. Rückblickend verstehe ich den tiefen Sinn der individuellen Wahl des Kinderspielzeugs. Meine Veranlagung bewahrte mich vor Haushaltsgegenständen wie Puppenküchen oder Puppenherd. Stattdessen kramte ich gern in meinem Verkaufsladen mit Waagen und Gewichten und wurde stets mit Papier und Buntstiften bedacht. Die Mitte des Kinderzimmers füllte ein langer Tisch mit einer dicken, weißen Holzplatte, die jede Woche vom Seifen- und Putzteufel gescheuert wurde und vielen Zwecken diente. Die Kleinsten malten darauf Punkt, Punkt, Komma, Strich… Dann ertrug die Platte geduldig die Marken des Schnittmusterrädchens für unsere Puppenkleider. Sie bestand sogar einmal eine Feuertaufe, nur mit dem Unterschied, dass sie nicht ins Wasser fiel, sondern in Sekt gebadet wurde.

Im Garten pflegte mein Vater seine Rosenzucht. Neben ihren jährlich frisch gestrichenen, weißen Stöcken standen sie immer wie zur Parade ausgerichtet sauber in Reih und Glied. Mitten auf dem Rasen ragte außerdem ein schlanker Birnenbaum hoch hinaus über die Pflaumen-, Kirsch- und Pfirsichbäume. Löwenzahn und Gänseblümchen schauten bewundernd zu, wenn über ihnen die schönsten Riesenbirnen wuchsen. Heute noch sehe ich meine Schwester Helene vor mir, wie sie geschmeidig von Ast zu Ast kletterte und pflückte, aß, pflückte, aß, pflückte und Körbe und Taschen mit dicken, grünen, saftigen Birnen pflückte, die sie am Strick herunterließ.

Vaters Beruf als Reisender seiner Firma brachte es mit sich, dass er viel unterwegs war und oft drei bis vier Monate fortblieb. Seine Heimkehr war jedes Mal ein Wiedersehensfest mit besonderen Überraschungen. Er hatte mit seinem nie versiegenden natürlichen Frohsinn unser ganzes jugendliches Herz in der Hand. Nicht nur wir Kinder, auch unser Foxterrier behauptete seinen Stehplatz, wenn das Kofferauspacken begann; er kannte genau seine Tüte, in die täglich alle Zuckerstückchen des Hotelfrühstücks wanderten.

Als Äquivalent für die schönsten modernen Spielsachen, die Vater für jedes Kind sorgfältig auswählte, mussten wir ihm ja auch gelegentlich eine Überraschung bereiten. Eines Tages, ich war etwa drei Jahre alt, fuhr Mutter mit uns drei Kindern – Frieda war noch nicht erschienen – mit der Eisenbahn nach Krefeld. Das war ein aufregendes Erlebnis, alles so geheimnisvoll. Wir wurden in einen großen Saal mit schwarzen Kästen auf hohen Beinen geführt, von schwarzen Tüchern verhüllt.

Emmys Elternhaus, Ansicht vom Garten aus

Fine, Emmy (Mitte) und Helene, beim Fotografen in Krefeld 1900

Dann holte Mutter aus dem mitgebrachten Koffer zarte, weiß gestärkte Spitzenkleidchen, Unterröckchen und Höschen hervor, und die große Toilette begann bei der Ältesten in der Hoffnung, sie durch gutes Zureden eine Weile zum Stillhalten zu bewegen. Als Helene und Fine frisch gewaschen und gekämmt und feingemacht warteten, kam ich an die Reihe. Mutter zog den Kamm hervor, um meine wilden Haarkringel zu ordentlichen Strähnen zu "verschönern". Da fiel ihr der Fotograf in den Arm: "Nein, Frau Nettesheim, nicht kämmen!" Und so kam das Dreierfoto zustande mit meinen krausen Locken, die trotz ihrer Unordnung doch irgendwie ordentlich das Kindergesicht charakterisieren. Daheim angekommen, schärfte Mutter uns ein: "Ihr dürft aber Vater nicht erzählen, dass wir beim Fotografen waren!" Kaum war Vater daheim, da konnte ich es nicht mehr abwarten. Das Fotogeheimnis zerbrach mich fast. An Mutters Mahnung erinnert, platzte ich schließlich los: "Vater! Wir waren nicht beim Fotografen in Krefeld!" Der Verrat hat der Freude über das Bild keinen Abbruch getan, vierzig Jahre lang zierte die Vergrößerung unser Wohnzimmer in Geldern und heute ist das achtundsechzigjährige Original noch fleckenlos sauber trotz des Tropenklimas, dem es seit zwanzig Jahren ausgesetzt ist.

An eine Flurecke erinnere ich mich noch gut, an der ein großer Werkzeugkasten hing, schön geordnet und beschriftet. Das war Vaters Schatzkästlein zum Basteln. Geschickt legte er ein Haustelefon mit gesondertem Mikrofon und Hörer zwischen der Küche und dem Elternschlafzimmer in der obersten Etage. Das blieb zwar eine kleine Spielerei, hat aber stets funktioniert und mir sehr imponiert. Sein stark ausgeprägter Ordnungssinn erzog uns immer wieder zur Einfachheit und zum Sparen. Für den Bindfaden von Paketen gab es ein besonderes Sammelkistchen. Lieber die Fingernägel zerbrechen, als einen Knoten zerschneiden!

Meine Cousine Annemarie erzählte mir, der Postbote habe ihr eines Tages, als sie bei uns zu Besuch weilte, ein Päckchen von daheim ausgehändigt. Voll freudiger Ungeduld habe sie ein Messer gezückt und den Bindfaden zerschnitten. Mein Vater, der neben ihr dieses Treiben beobachtete, habe dann den Kopf geschüttelt, sie treuherzig angesehen und traurig gesagt: "Aus dir wird nie etwas im Leben." Dieses Wort habe ihr in schweren Zeiten später oft neue Energie eingeflößt, sie war ihm stets dankbar für die gute harte Lehre. Es ist wohl weniger auf Sparsamkeit zurückzuführen und mehr als Gerechtigkeitsgefühl zu betrachten, dass Vater selbst über die kleinsten Ausgaben gewissenhaft Buch führte. Wir fanden später in seinem "Kassenbuch" für jedes Kind eine eigene Seite, auf der die Summe der Geschenke, der Aussteuer, des Studiums kleinlichst eingetragen war, bei denen auch nicht die 10- Pfennig-Bahnsteigkarte fehlte, wenn ich zu Besuch kam. Aber im Jahr 1923 riss plötzlich die Eintragung ab: Es waren keine Rubriken im Heft mehr vorgesehen für die vielen Nullen der Millionen, Milliarden und Billionen, die mein Studium verschlang.

Einen besonderen Genuss bot Vaters Talent, Feste für Groß und Klein zu organisieren. Er gehörte zum 1. Sankt-Martins-Komitee des Jahres 1903 und blieb der Organisator des jährlichen Gelderner Martinszuges bis zum Ersten Weltkrieg. Die...

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