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Das ist doch kein Leben mehr!

Warum aktive Sterbehilfe zu Fremdbestimmung führt

AutorGerbert van Loenen
VerlagMabuse-Verlag
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl251 Seiten
ISBN9783863212179
FormatePUB/PDF
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis12,99 EUR
Aktive Sterbehilfe schadet der Selbstbestimmung von Kranken und Behinderten mehr als sie nutzt. In den Niederlanden hat sie zu einem gesellschaftlichen Klima geführt, in dem der Lebenswert von Kranken und Behinderten offen infrage gestellt werden kann. Gerbert van Loenen zeigt, warum: Er erläutert die historischen Debatten zur Legalisierung aktiver Sterbehilfe in den Niederlanden und spricht über die Unmöglichkeit, sie auf einwilligungsfähige Patienten zu beschränken. Er analysiert die nachgewiesenen Fälle unverlangter Sterbehilfe, etwa bei Neugeborenen, und zeigt, dass niederländische Ärzte und Angehörige besonders rasch an der Sinnhaftigkeit lebensrettender Maßnahmen zweifeln. Differenziert und am konkreten Beispiel belegt sein Buch, dass die Sterbehilfepraxis der Niederlande auf Abwege geführt hat - und dass andere Länder diese Erfahrung beherzigen müssen.

Gerbert van Loenen, geb. 1964, ist stellvertretender Chefredakteur der niederländischen Zeitung 'Trouw' in Amsterdam. 2000 bis 2004 arbeitete er als Deutschland-Korrespondent in Berlin. Zum Thema des Buches kam er auch durch eigene Betroffenheit: Sein Partner war in den letzten Jahren vor seinem Tod durch eine Hirnverletzung schwerstbehindert. Für die deutschsprachige Ausgabe hat Gerbert van Loenen das Manuskript der 2009 erschienenen Originalausgabe aktualisiert und den Interessen der deutschen LeserInnenschaft angepasst.

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Leseprobe

I


Selbstbestimmung – das ultimative Argument für aktive Sterbehilfe und Beihilfe zur Selbsttötung1?


Unter aktiver Sterbehilfe versteht man allgemein die Beendigung eines Menschenlebens auf den ausdrücklichen Wunsch des oder der Betroffenen. Beihilfe zur Selbsttötung durch einen Arzt wäre das vorsätzliche Verschreiben oder Verabreichen von Mitteln, mit denen der Patient selbst seinem Leben ein Ende setzen kann. Auf den ersten Blick entsprechen beide Vorgehensweisen der Auffassung, dass ein Mensch über sein eigenes Leben selbst entscheiden dürfe. Wen wir heiraten, wo wir wohnen, was wir mit unserem Leben anfangen, all das dürfen wir in der freiheitlichen westlichen Gesellschaft selbst entscheiden. Warum dürfen wir dann nicht selbst bestimmen, wann wir sterben?

Aktive Sterbehilfe und Beihilfe zur Selbsttötung sind bisher zwar nur in wenigen Ländern erlaubt, werden aber in allen westlichen Ländern diskutiert. Und das hat einen ganz bestimmten Grund. In allen Gesellschaften, die einem selbstbestimmten Leben einen hohen Wert beimessen, wird es Sympathie für eine Gesetzgebung geben, die ein Sterben auf eigenen Wunsch ermöglicht.

Das kann man auch in Kinofilmen sehen. Ein Einzelkämpfer, der sich für sein Recht, in Würde zu sterben, stark macht und dafür den Kampf mit ihn bevormundenden Institutionen aufnehmen muss, die ihm dieses Recht verwehren – so etwas macht sich gut als Filmszenario. Dass solche Filme in den Niederlanden gedreht werden – dem Land mit der größten Freiheit, aktive Sterbehilfe oder Beihilfe zum Suizid zu leisten –, ist nicht verwunderlich. Doch auch in Ländern wie Spanien und den USA, in denen aktive Sterbehilfe und Beihilfe zum Suizid nicht erlaubt sind, erschienen erfolgreiche Filme, die in dieses Schema passen. Auf diese Weise verbreitet sich langsam, aber sicher weltweit die Vorstellung, dass aktive Sterbehilfe und Beihilfe zur Selbsttötung Formen der Selbstbestimmung sind.

Der tapfere Einzelkämpfer


Ein Beispiel: In dem 2004 erstmals ausgestrahlten, auf realen Begebenheiten beruhenden spanischen Film „Das Meer in mir“ (Originaltitel: Mar Adentro) verkörpert die Hauptperson Ramon Sampedro das Idealbild eines selbstbestimmten Behinderten: Er ist vom Hals abwärts gelähmt, aber noch bei völlig klarem Verstand. Seit einem Sprung in zu flaches Wasser ist Ramon bettlägerig, er kann nur noch den Kopf bewegen und sprechen. Unter den gegebenen Umständen wirkt er recht munter, geduldig versorgt von seiner Schwägerin Manuela. Dennoch möchte er lieber sterben – was er nach spanischem Recht nicht darf.

Obwohl Manuela ihn ohne die Unterstützung eines Pflegedienstes oder anderer Helfer versorgt, wird ihr die Arbeit mit ihm nicht zu viel. Sie übt keinen Druck auf Ramon aus, sondern verhält sich ihm gegenüber selbstlos, aufopfernd und warmherzig, ganz im Gegenteil zu einem katholischen Priester aus Ramons Umfeld. Auch dieser leidet an einer vollständigen Querschnittslähmung, will aber weiterleben und fordert Ramon auf, es ebenfalls zu tun. Der Priester wird im Film als sehr fromm und engstirnig dargestellt.

Besonders aufschlussreich ist der Strang der Geschichte, in dem es um Ramons Rechtsanwältin Julia geht. Julia leidet selbst an einer fortschreitenden Erkrankung. Noch ist sie selbstständiger als Ramon, aber ihr Zustand verschlimmert sich zusehends. Sie will Ramon helfen zu sterben und sich dann ebenfalls das Leben nehmen; am Ende schreckt sie jedoch vor diesem Schritt zurück und lässt ihn hängen. Als Ramon am Ende des Films in einer fast festlichen Szene stirbt, indem er geschickt das spanische Sterbehilfeverbot umgeht, tritt auch Julia noch einmal kurz in Erscheinung. Wir sehen sie im Rollstuhl sitzend aufs Meer hinaus starren. Als man ihr berichtet, dass Ramon tot ist, hat sie keinen blassen Schimmer mehr, wer das sein soll, weil ihr Gehirn inzwischen stark geschädigt ist.

Ramon ist also tapfer und entscheidet sich für den Tod, einen Tod, der im Film wie ein festliches Ereignis inszeniert wird. Julia dagegen ist feige, schreckt vor dem Tod zurück und lebt ein elendes Leben, in dem sie erinnerungslos aufs Meer hinaus starrt. „Das Meer in mir“ von Alejandro Amenábar gewann viele nationale und internationale Filmpreise.

Der amerikanische Film „Million Dollar Baby“ zeigt gewisse Übereinstimmungen mit diesem Film. Maggie, eine arme Kellnerin, schafft allein durch ihren starken Willen den Aufstieg zur Spitzenboxerin. Aber ihre Laufbahn nimmt ein grausames Ende, als sie sich auf dem Gipfel ihres Ruhms, im Wettkampf gegen die deutsche Weltmeisterin, das Genick bricht. Seitdem wird sie künstlich beatmet und kann nur noch den Kopf bewegen. Ihre asoziale Familie besucht sie nur, weil sie hofft, Maggies Vermögen zu ergattern; einzig ihr Manager hält ihr die Treue. Er ist es auch, der schließlich den Beatmungsschlauch löst und ihr zusätzlich eine tödliche Injektion verabreicht.

Dieser Film von 2004, bei dem Clint Eastwood Regie führte, wurde mit vier Oscars ausgezeichnet, darunter einem für den besten Film. In ihm sind die immer wiederkehrenden Elemente einer idealtypischen Sterbehilfe enthalten: Die vollkommen gelähmte Protagonistin ist bei völlig klarem Verstand und entscheidet sich für den Tod, wobei ihr ein mutiger Mensch behilflich ist.

In den Niederlanden, dem Musterland der aktiven Sterbehilfe, hatte 2012 ein Film Premiere, der auf dem höchst erfolgreichen Theaterstück „Der gute Tod“ (Originaltitel: De Goede Dood) von Wannie de Wijn basiert. Der Hauptdarsteller Ben ist unheilbar an Lungenkrebs erkrankt. Er hat zwei Brüder, einer ist geistig ein wenig gehandicapt und sympathisch, der andere ist ein erfolgreicher, aber unsympathischer Geschäftsmann. Nachdem man ihm Bens Situation erklärt hat, begreift der geistig leicht behinderte Bruder, dass aktive Sterbehilfe für seinen kranken Bruder das Beste wäre. Der andere Bruder stellt dagegen alle möglichen kritischen Fragen zu Bens Patientenverfügung. Steckt womöglich dessen zweite Frau dahinter? Welche Regelungen hat er in Bezug auf sein Erbe getroffen? Aktive Sterbehilfe, das sei doch „nichts für Ben“, sagt er. „Das sagst du nur, weil du selbst nicht krank bist“, antwortet Bens Ehefrau Hannah. Als bei ihr dann doch einen Moment lang Zweifel aufkommen, fragt sie den befreundeten Hausarzt: „Ben will es doch wirklich?“ Der Arzt antwortet Hannah, ohne auf ihre Frage einzugehen: „Weißt du, du bist ein tapferer Mensch.“ Kurz vor dem Filmende sagt der todkranke Ben: „Weil es keinen Gott mehr gibt, müssen wir alles selbst in die Hand nehmen.“ „Meinst du, das ist besser?“, fragt seine Tochter. „Auf jeden Fall weniger schmerzhaft“, antwortet Ben.

Das mit Unterstützung der beiden niederländischen Sterbehilfeaktivisten Rob Jonquière und Eugène Sutorius entstandene Theaterstück präsentiert aktive Sterbehilfe als würdevolle, selbst gewählte Form des Sterbens. Der einzige, der Fragen aufwirft, ist der Bruder, der Geschäftsmann, von dem der Eindruck erweckt wird, er sei feige und wolle dem Tode nicht ins Auge sehen. Die Unterstützer der aktiven Sterbehilfe dagegen bezeichnen sich gegenseitig als tapfer. Bens Sterben wird als harmonisch und liebevoll inszeniert.

Eddy Terstalls Film „Simon“ stammt ebenfalls aus den Niederlanden. Er ist eine Lobeshymne auf die liberalen, toleranten Niederlande oder doch zumindest auf das tolerante Amsterdam. Wie man sehen kann, leben hier Schwule und Haschischhändler in schönster Harmonie zusammen. Als der Hauptakteur dieses Spielfilms die Diagnose „Hirntumor“ zu hören bekommt, entscheidet er sich für ein sanftes, würdevolles Sterben unter Mithilfe eines Arztes. Simons Sterben wird als liebevolles, harmonisches Ende vorgeführt, das an die Sterbeszene in „Das Meer in mir“ erinnert.

Auch „Simon“ zeigt die idealtypischen Elemente einer aktiven Sterbehilfe: Ein Mann, noch im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte, erkrankt an einem schweren Leiden und entscheidet sich daraufhin für den Tod durch aktive Sterbehilfe. Deshalb stirbt er nicht im Krankenhaus, umgeben von Apparaten, sondern zu Hause im Kreise seiner Lieben.

Dieser Spielfilm von 2004 wurde in vier Kategorien mit dem Goldenen Kalb ausgezeichnet, dem wichtigsten Filmpreis, der in den Niederlanden vergeben wird.

Es geht nicht nur um Selbstbestimmung


Diese idealtypische Darstellung entspricht jedoch nicht der Realität in den Niederlanden, dem ersten Land in Europa, in dem nach dem Zweiten Weltkrieg aktive Sterbehilfe legalisiert wurde. Hier spielt Selbstbestimmung eine viel geringere Rolle, als die Filmemacher und ihr Publikum glauben. Wer die niederländische Entwicklung im Detail untersucht, kann sich durchaus mit gutem Grund fragen, ob in anderen Ländern, in denen man derzeit aktive Sterbehilfe diskutiert, die Entwicklung nach einer Legalisierung anders verlaufen würde.

Ein wichtiger Grund, weshalb...

Blick ins Buch
Inhaltsverzeichnis
Cover1
Inhalt6
I Selbstbestimmung – das ultimative Argument für aktive Sterbehilfe und Beihilfe zur Selbsttötung?8
II Eine lange Geschichte – die niederländische Sterbehilfedebatte zwischen Selbstbestimmung und Mitleid21
III Das Unmögliche möglich machen – Experten unter sich36
IV Die Zustimmung des Patienten – eine klare Grenze?54
V Unverlangte Sterbehilfe in den Niederlanden – die beunruhigenden Fakten66
VI Aktive Sterbehilfe bei Neugeborenen – die Rolle der Ärzte79
VII Kritik an der Sterbehilfe bei Neugeborenen95
VIII Nach der gesetzlichen Regelung – immer neue Streitfragen106
IX Eins nach dem anderen – die Niederlande auf der „schiefen Ebene“?143
X Behandlungsverzicht – normales medizinisches Handeln und der Tod152
XI Niek und ich, oder: Warum dieses Buch geschrieben wurde183
XII Schlechte Ratgeber: Erschöpfung und Verzweiflung196
XIII Das Urteil Außenstehender: unbeteiligt, rational, objektiv?204
XIV Mein Plädoyer: Zurückhaltung und Gelassenheit218
Anhang – Die Argumente, die uns so weit gebracht haben223
Literatur238

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