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E-Book

Das Jahr nach dem Abi

An alle Leute, die noch keinen Plan haben oder denken, sie hätten einen

AutorPaul David Bühre
VerlagUllstein
Erscheinungsjahr2019
Seitenanzahl192 Seiten
ISBN9783843720199
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis16,99 EUR
Nach dem Bestseller Teenie Leaks jetzt das neue Buch über den nächsten Schritt im Leben: das Gap Year zwischen Abi und Studium Was tun nach dem Abi? Eine ganze Generation sucht nach Orientierung 'Hey, ich bin's wieder, Paul, Paul Bühre von Teenie Leaks. Ich bin jetzt 19 und habe tatsächlich mein Abitur geschafft, aber die großen Fragen meines Lebens sind offen: Wie will ich später leben? Was macht mich glücklich? Wie will ich Geld verdienen? Um das herauszufinden, bin ich ein Jahr durch die Welt gereist.Ich habe eine Kung-Fu-Schule in China besucht. Dort lernte ich unter anderem zwei kanadische Gangster kennen, trank viel Tee aus winzigen Tassen und brach mir (SPOILER!!) den Arm in einem Kickbox-Match. Dann war ich Lehrer in einer Dorfschule in Indien, wo ich ab und zu auch eine Kakerlake oder zwei getötet habe. Auf einem Bauernhof in Schottland habe ich mich anschließend von Indien erholt und Drechseln gelernt, ohne einen Finger zu verlieren. Am Ende der Reise bin ich zurück nach Hause gewandert. Im Gepäck ein Zelt und ein paar Antworten auf die Fragen, die ich mir am Anfang gestellt habe.'

Paul Bühre, geboren 1998, hat 2017 sein Abitur gemacht und sich ein Jahr Auszeit genommen, um herauszufinden, was er gerne einmal machen möchte. Er ist Autor des Bestsellers »Teenie Leaks. Was wir wirklich denken (wenn wir nichts sagen)«, der 2015 im Ullstein Verlag erschien.

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Leseprobe

1
Hallo Welt!


Meine Eltern und mein Bruder haben mich zum Flughafen gebracht, mein Gepäck ist aufgegeben. Beim Check‑in hat mich der Typ von China Airlines, der meinen Koffer entgegengenommen hat, noch mit seinem Chinesisch verunsichert. Ich verstand kein Wort, obwohl ich drei Wochen intensiv Chinesisch-Unterricht gehabt hatte. Meine Mutter wollte mich ermutigen, indem sie sagte, dass er ja auch keinen Ton verwendet habe. Bevor ihr jetzt denkt: »Hä? Was denn für einen Ton?«, erkläre ich’s kurz. Im Chinesischen gibt es vier Töne, streng genommen fünf, wenn man den unbetonten dazuzählt. Das heißt, jedes Wort gibt es in unterschiedlichen Tönen noch mal. Und jeder Ton gibt dem Wort dann eine neue Bedeutung. So kann »Darf ich Ihnen eine Frage stellen?« zu »Darf ich Sie küssen?« werden.

Danach haben wir ein letztes Foto zusammen gemacht und uns umarmt. Jetzt hocke ich an meinem Gate und warte auf das Flugzeug, das mich erst nach Amsterdam und von da nach China bringen soll. Neben mir sitzt ein dicker Mann in einem blauen Anzug. Während er einen Fruchtjoghurt in sich hineinmampft, unterhält er sich auf Deutsch mit einem kleinen Hipster-Chinesen mit rotem T‑Shirt, brauner Cordweste und einer silbernen Fahrradkette um den Hals. In seinen Ohrläppchen stecken kleine goldene Ohrringe. Zu meiner Linken wird ein Mann mit grauen Haaren in einem blauen Hilfiger-Shirt von einer alten Dame im Rollstuhl vollgequatscht. Überall rennen kleine Kinder rum und schreien. Hin und wieder leiert ein Angestellter des Flughafens in seiner monotonsten Stimme Ansagen herunter. Mein Flug hat Verspätung. Und so kauere ich auf dem Boden, den Rücken gegen eine beleuchtete Werbeanzeige gelehnt, und komme endlich mal zum Nachdenken.

Die letzten Tage in Berlin waren stressig gewesen. Ich musste für die Reise einkaufen und mich verabschieden. Ich glaube, ich habe mich noch nie von so vielen Menschen verabschiedet. Ist irgendwie auch logisch, ich war ja noch nie wirklich weg von zu Hause. Ich habe ein paar sehr nette Briefe und Geschenke zum Abschied bekommen. Trotzdem kommt es mir vor, als sei ich extrem schlecht darin, mich zu verabschieden.

Wenn mich eine Kumpeline oder ein Kumpel gefragt hat, was ich in China vorhabe, spielte sich meist folgender Dialog ab:

Kumpel/Kumpeline: »Was machst du da eigentlich?«Ich: »Ich gehe in eine Kung‑Fu-Schule.«K: »Krass Mann, dann bist du Karate Kid, wenn du wiederkommst, und kannst alle fertigmachen. Dann kann dir einfach keiner mehr was.«I: »Na ja, mal gucken.«K: »Und wie lange bist du da?«

Dann sage ich, dass ich erst mal vier Monate nach China will. Dass ich danach noch weiterreisen will, am liebsten für ein Jahr, aber noch nicht weiß wohin. Doch wer weiß, wie lange ich durchhalte. Am Ende werde ich krank oder verletze mich. Dumm, wenn ich allen von meinem superdurchdachten Plan erzähle, und dann komme ich schon nach einer Woche zurück.

Meistens geht das Gespräch dann so weiter:

K: »Ein Jahr, das ist ja voll lang. Kannst du schon Chinesisch?«I: »Na ja, ich hatte jetzt ein bisschen Unterricht, aber es fällt mir noch extrem schwer, und irgendwie ist das Auswendiglernen schwieriger als in der Schule.«K: »Sprechen da eigentlich manche Englisch?«I: »Da, wo ich hingehe, sicher nicht.«K: »Ist es dort dann Sommer?«I: »Nee, da ist es richtig kalt.«K: »Fuck. Für mich ist Wärme voll wichtig. Weißt du schon, wie das Training da ist? Hast du überhaupt schon mal Kung‑Fu gemacht?«I: »Nein, hab ich noch nie gemacht, ich dachte, das wäre irgendwie Schummeln, wenn ich schon vorher was kann. So lerne ich dann direkt von der Quelle und habe hoffentlich noch eine krassere Erfolgskurve beim Lernen.«

Es war komisch, über etwas zu reden, von dem ich selbst noch nicht so richtig einen Plan hatte. Außerdem hatte ich zwischendurch schon ein mulmiges Gefühl, meine ganze bekannte Welt zurückzulassen. Was würde sich alles in einem Jahr ändern, wen von meinen Freunden würde ich überhaupt wiedersehen? Würde Berlin dann noch mein Zuhause sein?

Trotzdem habe ich noch nie so gut geschlafen wie am Abend vor dem Flug. Auf der Autofahrt nach Tegel begann sich eine Art Leichtigkeit in mir auszubreiten, und ich musste grinsen vor lauter Vorfreude auf das Unbekannte und darauf, dass mein Leben endlich wieder in Schwung kommen würde.

Und jetzt sitze ich am Gate gegen das warme Werbeschild gelehnt und möchte am liebsten diesen Scheißflug schon hinter mir haben und da sein. Wo auch immer dieses »da« sein mag. Das Fernweh, das ich in dem ganzen Abreisestress verdrängt habe, ist wieder da. Die Langeweile, die sich in den Wochen nach dem Abi breitgemacht hat, ist verflogen. Natürlich wird das, was jetzt auf mich zukommt, nicht einfach. Vielleicht ist es sogar die größte Herausforderung, der ich mich bisher gestellt habe. Aber im Moment bin ich einfach nur glücklich, dass ich es wirklich mache. Ich gehe raus in die Welt, und Berlin kann mich erst mal.

Im Flugzeug sitzen der Dicke und sein chinesischer Begleiter wieder neben mir. Der Dicke natürlich in der Mitte. Er entschuldigt sich mehrmals und tut mir ein bisschen leid. Seine Arme muss er auf seinem Bauch ablegen, weil er sonst keinen Platz für sie hat. Den Flug nach Amsterdam verschlafe ich. In der Schlange am Gate für meinen nächsten Flug bin ich plötzlich in der Minderheit, alles ist voll mit Chinesen. Ich verstehe immer noch kein Wort. Vielleicht kommt das noch.

Aber ich habe erste Erfolge im Flieger:

  1. Ich kann verstehen, dass das Essen Hühnchen enthält.
  2. Bei Ansagen zur Ankunft verstehe ich die Uhrzeit.
  3. Ich höre, wenn jemand eine Frage stellt. Das erkennt man nicht wie im Deutschen durch die Betonung, sondern durch die Silbe »ma« am Ende des Satzes. Also sehr einfach im Vergleich zum Rest.

Nach drei Filmen, zwei Flugzeugmahlzeiten und Rumhängen in einem komischen Dämmerzustand bin ich in China. Durch den Zoll komme ich ohne Probleme. Erst an der Gepäckausgabe kriege ich ein ungutes Gefühl. Mein Blick springt von Koffer zu Koffer. Wie sieht meiner noch mal aus? Denk nach, denk nach. Blau, kein Reißverschluss, groß … ich warte.

Die Zahl der Wartenden wird kleiner und kleiner. Immer seltener kommen neue Gepäckstücke aus dem Schacht. Außer mir stehen noch acht weitere Fluggäste am Band, auf dem immer wieder dieselben Koffer vorbeiziehen. Irgendwas verhindert bei mir, dass ich jetzt emotional werde. Am Schalter treffe ich auch den Dicken und den kleinen Chinesen wieder. Sie sehen ziemlich verzweifelt aus. Ihr Gepäck scheint auch weg zu sein. Ich lasse meinen Personalausweis kopieren, gebe die Adresse der Kung-Fu-Schule an und verschwinde. Ich will nur noch den Anschlussflug nach Zhengzhou kriegen, der Hauptstadt der Provinz Henan im Herzen Chinas. Von da muss ich dann wahrscheinlich einen Bus oder ein Taxi nach Dengfeng nehmen, wo auch der riesige Shaolin-Tempel ist, zu dem Touristen aus China und der ganzen Welt kommen. Meine kleine Kung‑Fu-Schule soll auch irgendwo dort sein.

Ich überlege, meine Mutter anzurufen, aber die würde sich nur Sorgen machen. Im Moment bin ich sogar froh, dass ich den schweren Koffer nicht ziehen muss, der mir hoffentlich in den nächsten Tagen vor die Tür geliefert wird. Und irgendwas musste ja schiefgehen, wäre sonst auch zu einfach gewesen. Im Geiste verabschiede ich mich schon von all den tollen Sachen in dem Koffer, dem elektrischen Rasierer, der warmen Sportunterzieh-Wäsche, meinen Gymnastik-Ringen. Fuck! Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich das Zeug nicht wiedersehen werde.

Aus Frust über den miesen Start kaufe ich mir am Flughafen eine Hühnersuppe mit Wan Tans. Sie kostet 57 RMB (so um die 7 Euro), was in China unfassbar teuer ist, aber ich habe gerade einen immensen Verlust erlitten. Ich trinke die Brühe und esse die Wan Tans. Danach fühle ich mich nicht unbedingt besser, aber wenigstens habe ich keinen Hunger mehr.

Am Gate sitze ich neben einem anderen Europäer, dem einzigen weit und breit. Seine Haare sind geschoren, und er trägt »Fejus«, einfache Stoffschuhe mit dünner Sohle, die sich perfekt für Kung‑Fu und Kampfsport eignen. Solche Fejus sind eine Art internationales Martial-Arts-Kennzeichen. Ich spreche ihn an und erfahre, dass er Holländer ist. Er ist schon zum zweiten Mal in China, findet aber manches immer noch ziemlich eigenartig. Ich erzähle ihm, wie irritiert die Chinesen am Zoll waren, als sie sahen, dass ich im Reisepass »Bühre« heiße, auf meinem Ticket aber »Buehre« steht. Es tut gut, mit jemandem zu reden, dem alles ähnlich fremd ist.

Nach der Landung in Zhengzhou werde ich schon von einem Fahrer und einem Schüler in einem rot-gelben Trainingsanzug erwartet. Die Schulfarben kenne ich von Bildern, die mir Franziska, eine Freundin meiner Mutter, geschickt hat. Sie hat mir bei der Suche nach einer geeigneten Schule geholfen. Ich bin wahnsinnig erleichtert. Ich hatte schon Szenarien im Kopf, wie ich alleine durch einen chinesischen Flughafen irre und keiner mich versteht.

Die Begrüßung auf Chinesisch gelingt mir halbwegs, und auch den Namen des Schülers bekomme ich noch mit, sowie seine Frage nach meinem Gepäck. Nur antworten kann ich nicht....

Blick ins Buch

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