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E-Book

Das Kapital

Ein Plädoyer für den Menschen

AutorReinhard Marx
VerlagPattloch Verlag
Erscheinungsjahr2010
Seitenanzahl320 Seiten
ISBN9783629320018
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Ruiniert das Kapital unsere Gesellschaft? Oder gibt es im 21. Jahrhundert die Chance zu sozialem Ausgleich und Wohlstand für alle? Der Erzbischof von München und Freising Reinhard Marx sucht nach Antworten auf diese drängenden Fragen und entwirft eine Vision sozialer Gerechtigkeit für die Welt von heute. Seine Analyse: Nie triumphierte das Kapital schamloser als heute, die Armen werden ärmer und die Reichen immer reicher. Um dem einen Riegel vorzuschieben, fordert Marx vom Staat klare Regeln für die Wirtschaft. Und er appelliert an jeden Einzelnen, sich wieder mehr für die Gemeinschaft einzusetzen, denn »ein Kapitalismus ohne Menschlichkeit, Solidarität und Gerechtigkeit hat keine Moral und auch keine Zukunft«. Das Kapital von Reinhard Marx im eBook!

Reinhard Marx, Jahrgang 1953, war 6 Jahre lang Bischof der Diözese Trier, bevor er 2008 Erzbischof von München und Freising wurde. Als ehemaliger Professor für Christliche Sozialethik, als langjähriger Vorsitzender der Deutschen Kommission Justitia et Pax ('Gerechtigkeit und Frieden') und als Vorsitzender der Kommission für gesellschaftliche und soziale Fragen der Deutschen Bischofskonferenz beschäftigt er sich seit vielen Jahren mit sozialen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Fragen. Das Fundament seines Denkens ist die Katholische Soziallehre, die mit ihren Fragen und Antworten weiterhin aktuell ist.

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Leseprobe

Statt einer Einleitung

Marx schreibt an Marx


Sehr geehrter Karl Marx, lieber Namensvetter,

 

Sie waren zu Ihren Lebzeiten ein entschiedener Atheist und ein kämpferischer Gegner der Kirche. Und deshalb werden es manche Marxisten, die sich als Ihre legitimen Erben wähnen, sicher als eine Art »Majestätsbeleidigung« empfinden, dass ich, ein katholischer Bischof, Ihnen diesen Brief schreibe. Ich tue es trotzdem. Zum einen, weil ich glaube, dass Sie nach Ihrem Tod einsehen mussten, dass Sie sich mit Ihrer Behauptung der Nicht-Existenz Gottes geirrt haben, und dass Sie deshalb gegenüber einem Mann der Kirche inzwischen milder gestimmt sind. Zum anderen, weil ja überliefert ist, dass Sie selbst kurz vor Ihrem Tod einmal gesagt haben: »Ich weiß nur dies: dass ich kein ›Marxist‹ bin« (MEW 22, 69). Dann sollte aber auch, so denke ich, die Meinung einiger kleinlicher Genossen einem fruchtbaren Gespräch zwischen uns beiden nicht im Wege stehen.

Aber dennoch werden Sie sich vielleicht fragen, wieso ich dieses Gespräch mit Ihnen überhaupt aufnehmen möchte. Nun, das hat zunächst einmal mit meiner eigenen Biographie zu tun. Ich habe nämlich nicht nur den gleichen Nachnamen wie Sie, sondern – und das beweist, dass Gott durchaus einen Sinn für hintergründigen Humor hat – ich bin Ende 2001 auch zum Bischof von Trier ernannt worden, jener Stadt also, in der Sie 1818 geboren wurden, in der Sie Ihre Kindheit und Jugend verbracht haben und in der Sie Ihre spätere Frau Jenny kennen und lieben gelernt haben.

Zwar bin ich inzwischen gar nicht mehr in Trier, sondern Erzbischof von München und Freising, aber uns verbindet durchaus noch mehr. Bevor ich Diözesanbischof wurde, habe ich nämlich Christliche Gesellschaftslehre unterrichtet – ein Fach, das von Leuten, die weder mit Ihrem noch mit meinem Denken viel anfangen können, bisweilen als »Herz-Jesu-Marxismus« charakterisiert wird. Diese Leute erkennen ganz richtig, dass die kirchliche Soziallehre ein ganz ähnliches Interesse verfolgt, wie Sie das seinerzeit getan haben: sie möchte soziale Ungerechtigkeiten aufdecken und anprangern, sie möchte den Armen und Ausgebeuteten, denen, die in der Gesellschaft keine Lobby haben, eine Stimme geben und ihnen zu ihrem Recht verhelfen.

Aber wem schreibe ich das … Sie wissen ja nur zu gut, dass die Kirche bereits im 19. Jahrhundert die Soziale Frage nicht allein Ihnen und der von Ihnen ins Leben gerufenen kommunistischen Bewegung überlassen wollte. Sie waren noch nicht einmal geboren, da haben bereits sozial engagierte Christen wie Franz von Baader (17651824) und Adam Heinrich Müller (17791829) den im 18. Jahrhundert aufkommenden Kapitalismus scharf kritisiert und auf die Not der in den neuartigen Fabriken schuftenden Arbeiter aufmerksam gemacht.

1848 haben Sie mit Friedrich Engels das Manifest der Kommunistischen Partei veröffentlicht. Sie schreiben dort, man könne das kommunistische Programm »in dem einen Ausdruck: Aufhebung des Privateigentums, zusammenfassen« (MEW 4, 475). Im selben Jahr hat der katholische Priester und Abgeordnete des Paulskirchenparlaments Wilhelm Emmanuel von Ketteler in seinen berühmten Adventspredigten im Mainzer Dom ebenfalls die damals herrschende Eigentumsauffassung angegriffen, den Egoismus vieler Besitzender und deren Kaltherzigkeit gegenüber der Not der Armen, insbesondere der Arbeiterschaft gegeißelt. Aber anders als Sie wollte Ketteler das Eigentum nicht abschaffen, sondern er betonte schon damals das, was hundert Jahre später in das deutsche Grundgesetz geschrieben wurde: Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.

Sowohl Ketteler als auch Sie haben sich in den dann folgenden Jahren einen Platz in den Geschichtsbüchern gesichert. Ketteler wurde 1850 auf den Bischofssitz von Mainz berufen. Er ist als »Arbeiterbischof« berühmt geworden, den die Soziale Frage und die Sorge um die Nöte der Industriearbeiterschaft zeitlebens beschäftigt haben. Sie werden sich sicher gut an ihn erinnern, denn seine Findigkeit und Umtriebigkeit sind Ihnen seinerzeit ja gehörig auf die Nerven gegangen. Als Sie 1869 das Rheinland bereisten, haben Sie Friedrich Engels einen Brief geschrieben, in dem Sie sich bitter über das Wirken meines Mitbruders im Bischofsamt beklagt haben: »Bei dieser Tour durch Belgien, Aufenthalt in Aachen und Fahrt den Rhein herauf, habe ich mich überzeugt, dass energisch, speziell in den katholischen Gegenden, gegen die Pfaffen losgegangen werden muss. Ich werde in diesem Sinne durch die Internationale wirken. Die Hunde kokettieren (z.B. Bischof Ketteler in Mainz, die Pfaffen auf dem Düsseldorfer Kongress usw.), wo es passend scheint, mit der Arbeiterfrage« (MEW 32, 371).

Natürlich konnte es Ihnen nicht gefallen, dass sich ein Kirchenmann, sogar ein Bischof, auf die Seite der Arbeiterschaft stellte. Das passte doch gar nicht zu Ihrer schönen Theorie, nach der die Religion »allgemeiner Trost- und Rechtfertigungsgrund« der bürgerlich-kapitalistischen Welt, »das Opium des Volks« ist und nach der die Kirche die »Heiligengestalt der menschlichen Selbstentfremdung« ist (MEW 1, 378 f.). In Ihrer Vorstellung von der damaligen Gesellschaft hätte Ketteler eigentlich die Rolle eines gutmütigen, tumben Büttels der herrschenden Klasse einnehmen müssen, der die Hoffnungslosen auf das Jenseits vertröstet und damit das bürgerlich-kapitalistische System stabilisiert. Das hat Ketteler aber nicht getan. Er hat die Gründung einer christlichen Arbeiterbewegung gefördert. Er hat den Staat aufgefordert, die Arbeiter mit Gesetzen vor Ausbeutung und entwürdigenden Arbeitsbedingungen zu schützen. Und er hat die Arbeiter zur Selbsthilfe ermuntert, hat ihnen geraten, sich zu Gewerkschaften zusammenzuschließen, um gegenüber ihren Fabrikherren mit vereinten Kräften auftreten und so gerechte Lohn- und Arbeitsbedingungen durchsetzen zu können. Vor allem Letzteres war Ihnen zuwider, lief es doch auf ein System hinaus, in dem die Arbeiter sich nicht zusammentun, um Revolution zu machen, sondern um ihre Anliegen gemeinsam mit den Arbeitgebern auszuhandeln.

Damit steht es aus der Sicht des Nachgeborenen nun schon 2 : 0 für meinen Mitbruder. Denn wie schon bei dem Privateigentum, so hat sich auch in dem Konflikt zwischen Arbeit und Kapital im 20. Jahrhundert – zumindest in Deutschland und anderen Industrieländern – nicht Ihr Vorschlag eines radikalen Umsturzes, sondern Kettelers Idee eines staatlichen Arbeits- und Sozialrechts und gewerkschaftlicher Selbsthilfe der Arbeiterschaft durchgesetzt. Einer der wohl bedeutendsten lebenden deutschen Philosophen, Jürgen Habermas, der übrigens viele seiner eigenen Gedanken in Auseinandersetzung mit Ihrem Werk entwickelt hat, hat das einmal so ausgedrückt: »Die rechtliche Institutionalisierung der Tarifautonomie ist zur Grundlage einer reformistischen Politik geworden, die eine sozialstaatliche Pazifizierung des Klassenkonflikts herbeigeführt hat« (Habermas 1981, Bd. 2, 510). Speziell in Deutschland hat sich im Zuge dieses Prozesses die Soziale Marktwirtschaft herausgebildet. Orthodoxe Marxisten, die unverdrossen Ihren Ideen anhängen, tun sich mit einer plausiblen Erklärung dieser Entwicklung in den kapitalistischen Ländern noch heute schwer.

Ich weiß nicht, ob Sie mit der Sünde der Eitelkeit zu kämpfen haben. Wenn ja, sind Sie vielleicht geneigt nun einzuwenden, dass mein historischer Rückblick nur auf Westeuropa und Nordamerika zutrifft, während vor allem in Osteuropa zumindest zwischenzeitlich Ihre kommunistischen »Jünger« den Lauf der Geschichte bestimmt haben. Aber offen gestanden hege ich große Zweifel daran, dass Sie ernsthaft erwägen, zu so umstrittenen und fragwürdigen Personen wie Lenin oder Stalin argumentativ Zuflucht zu nehmen. Außerdem wissen Sie sehr gut, dass nach Ihrer Geschichtsphilosophie in Russland gar keine Revolution hätte stattfinden dürfen. Der Kapitalismus ist ja nach Ihrer Auffassung ein notwendiges Stadium der Geschichte, durch das die Industriegesellschaft gehen muss, bevor die Akkumulation des Kapitals und die Entfremdung der Arbeiterschaft in dem Punkt kulminieren, an dem die Entwicklung in die kommunistische Revolution umschlägt. Das Zarenreich aber war weder industrialisiert noch bürgerlich-kapitalistisch, sondern ein feudalistisch strukturierter Agrarstaat, als die Bolschewisten unter Berufung auf Sie und Ihre Ideen einen kommunistischen Staat errichteten. Insofern war die russische Revolution eher ein Argument gegen als für Ihre Theorien.

Und dort, wo nach Ihrer Prognose die Revolution hätte zuerst stattfinden sollen – in England –, wartet man noch heute vergeblich auf die Erstürmung Westminsters durch das Proletariat. Zwar ist der derzeitige britische Regierungschef Vorsitzender einer nominell sozialistischen Arbeiterpartei, aber das ist doch eher ein Etikettenschwindel.

Wie dem auch sei, ich schreibe Ihnen heute keineswegs, weil es mir eine zweifelhafte Freude bereiten würde, Ihnen zu sagen, dass Sie von der Geschichte Unrecht bekommen haben und Ketteler als einer meiner geistigen und geistlichen Vorfahren Recht bekommen hat. Ein solches »Nachtreten« entspräche nicht meinem Charakter.

Ich schreibe Ihnen ganz im Gegenteil, weil mir in letzter Zeit die Frage keine Ruhe lässt, ob es am Ende...

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