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Das kirchliche und religiöse Leben der Russlanddeutschen seit ihrer Ansiedlung unter Iwan IV. bis zur Rückwanderung nach Deutschland in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts

AutorAlina Heberlein
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl69 Seiten
ISBN9783656188148
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis26,99 EUR
Examensarbeit aus dem Jahr 2012 im Fachbereich Theologie - Historische Theologie, Kirchengeschichte, Note: 2,1, Westfälische Wilhelms-Universität Münster, Veranstaltung: Evangelische Theologie, Sprache: Deutsch, Abstract: 1. EINLEITUNG 1.1 Hinführung zum Thema Deutsche und Deutschstämmige waren im Russischen Reich bereits seit dem Mittelalter anzutreffen. Sie kamen als Handelsleute der Hanse, im 16. Jahrhundert vermehrt als Handwerker, Bauleute und Architekten, Verwaltungsfachleute und zunehmend auch als Soldaten und Offiziere. Die meisten von ihnen blieben für immer und brachten ihre religiösen Vorstellungen mit. Mit dem Regierungsantritt von Katharina der Großen im 18. Jahrhundert begann die systematische Ansiedlung der Deutschen im Russischen Reich: Dem Einladungsmanifest von 1762 bzw. 1763 folgten rund 40 000 Deutsche. Die Siedler brachten ihre westliche Religion und Kultur mit, die sie in ihren abgeschlossenen Siedlungsgebieten über Jahrhunderte bewahren konnten. Mit der kommunistischen Oktoberrevolution 1917, dem Bürgerkrieg, dem Stalinistischen Terror und den darauffolgenden Deportationen der Deutschen in die unwirtlichen Gebiete Sibiriens und Mittelasiens begann für die Deutschen in der UdSSR das Schicksal der Verfolgung, der Verhaftung und der Unterdrückung. Das religiöse Leben der Deutschstämmigen in der atheistischen Sowjetunion schien offiziell für immer erloschen zu sein. Im Verborgenen jedoch ging das religiöse Leben der Deutschen weiter: Man traf sich zum Beten in Häusern, Betschwestern und Betbrüder übernahmen die Funktionen der Geistlichen, immer unter der Gefahr entdeckt und verurteilt zu werden. Mit der Entspannung der Ost-West-Politik in der Nachkriegszeit bekam auch das kirchliche und religiöse Leben der Deutschen einen neuen Anschub. Die neuentstandenen Kirchen der Deutschen konnten jedoch nicht mehr zu den Wurzeln zurückkehren und definierten sich neu. Im Zuge des Massenexodus in den 90ern verloren sie aber viele Mitglieder, die nun ihrerseits in den Gemeinden Deutschlands ihre Heimat finden. Rund zwei Millionen Russlanddeutsche gehören seit den späten 80ern zum Gesellschaftsbild Deutschlands. Jedoch wissen die wenigsten Hiesigen über die Kultur und Geschichte der Deutschstämmigen aus Russland. Einen kleinen Beitrag dazu soll die vorliegende Arbeit leisten. Die nachfolgenden Seiten geben einen Überblick über die Siedlungsgeschichte und das kirchliche und religiöse Leben der Russlanddeutschen in ihren Herkunftsgebieten sowie in der Bundesrepublik Deutschland.

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Leseprobe

3. ÜBERBLICK ÜBER DIE GESCHICHTE DER RUSSLANDDEUTSCHEN

 

3.1 Die Anfänge der deutschen Einwanderung im 16. Jahrhundert

 

Seit dem Mittelalter kamen Militärfachleute, Techniker und Handwerker nach „Moskowien“, um dort ihre hochgeschätzten Dienste anzubieten. Sie wurden meist von den Regenten selbst angeworben und wurden vor allem im Militärwesen eingesetzt. Hierzu schreibt Hecker:

 

Während andere Nationalitäten in das russische Vielvölkerreich hineingerieten, weil dieses seine Macht und Grenzen über sie hinweg ausdehnte, war es im Falle der Deutschen so, dass sie zum größten Teil nach Russland einwanderten und sich dort niederließen.[36]  

 

Iwan III. war der erste der Zaren, der Fachleute aus dem Deutschen Reich rekrutierte und diese in einem Landstreifen im Nordosten Moskaus ansiedelte. Dieser Landstreifen erhielt im Laufe  der Jahre  den Namen „Die deutsche Vorstadt“ (nemezkaja sloboda). Fleischhauer schreibt diesbezüglich:

 

Unter Iwan Wassiljewitsch IV. (1533-1584), genannt der Schreckliche, wurde die „Nemezkaja Sloboda“ neben deutschen Kriegsgefangenen aus dem russischen Nordwesten und dem Baltikum mit zahlreichen aus deutschen Landen eingewanderten Fachkräften besiedelt: Offizieren, Kaufleuten, Technikern, Handwerkern und Gelehrten.[37]

 

Tragischerweise wurde  die deutsche Vorstadt in den „Zeiten der Wirren“ (Anfang des 17. Jahrhundert)  niedergebrannt.[38]

 

Die zweite deutsche Vorstadt wurde Mitte des 17. Jahrhunderts auf Drängen der russisch-orthodoxen Kirche wieder aufgebaut: „1682 lebten in der Sloboda 18 000 Einwohner bei einer Gesamtbevölkerung Moskaus von 200 000. […] In der Bevölkerung (der Sloboda; der Verf.) überwogen die Deutschen.“[39]  Es waren deutsche Gewerbetreibende, Kaufleute, Lehrer, Ärzte, Apotheker und Übersetzer.

 

Eine entscheidende Rolle spielte die deutsche Vorstadt im Leben des Zaren Peter I. (1682-1725). Er gewann hier in seiner Kindheit und Jugend nicht nur seine besten Freunde und spätere Berater, „sondern auch wichtige, grundlegende Fertigkeiten in den verschiedenen praktischen Handwerken und Techniken.“[40] Zu Anfang seiner Regierungszeit sollten die deutschen Fachkräfte im Zuge seines Europäisierungsprogramms ihn bei der Reorganisierung der russischen Streitmacht und Umwälzung der gesamten Infrastruktur des Russischen Reiches unterstützen. Mit dem Berufungsmanifest von 1702 wurde die „systematische Herbeiführung der notwendigen ausländischen Fachkräfte eingeleitet.“[41] Das Berufungsmanifest erfreute sich eines breiten Echos, wonach viele deutsche Fachleute nach Russland kamen und sich dort niederließen.

 

3.2 Systematische Ansiedlung von Deutschen in Russland unter

 

Katharina II.

 

Eine grundlegende Wandlung erfuhr die russische Ausländerpolitik mit dem Regierungsantritt der Zarin Katharina II. (1762-1796). Hierzu schreibt Eisfeld:

 

Dabei ließ sich Katharina II. (Prinzessin Sophie Friederike Auguste von Anhalt-Zerbst) von denselben merkantilistischen, auf die Steigerung des wirtschaftlichen Wohlstandes des Landes zielenden Vorstellungen leiten, die auch Preußen, Österreich-Ungarn, Dänemark und in den britischen Kolonien Nordamerikas zur Stärkung des jeweiligen Staates beitragen sollten.[42]

 

Im Zuge der Peuplierungspolitik veröffentlichte die Zarin am 4. Dezember 1762 und erneut am 22. Juli 1763 Manifeste, in denen sie Ausländer zur Besiedelung nach Russland einlud. Das zweite Manifest garantierte den Einwanderern „freie Wahl des Wohnortes und der Berufsausübung, Religionsfreiheit, Selbstverwaltung, keine Einquartierungen und Freistellung vom Militärdienst für sie selbst und ihre Nachkommen ‚auf alle Zeiten‘.“[43] Die Zarin versprach zudem Landvergabe und zinslose Darlehen für die Bauern, Fabrikanten und Gewerbebetreibende sowie eine Steuerfreiheit für dreißig Jahre. Das Manifest wandte sich an Auswanderungswillige in Mittel- und Westeuropa. Die Resonanz war erfolgsversprechend, jedoch reagierten etliche Staaten, wie Frankreich, England, Österreich und kleinere deutsche Staaten mit Verboten und Verfolgungen der Lokatoren, da sie ihre Untertanen im Sinne der Bevölkerungspolitik selbst brauchten.

 

Die meisten Siedler kamen aus Südwestdeutschland und Hessen: „Von 1763 bis 1775 wanderten zwischen 27 000 und 29 000 Menschen aus. […] Der größte Teil der Kolonisten wurde am Unterverlauf der Wolga angesiedelt.“ [44] Dort entstanden 104 Mutterkolonien. Die Siedlerfamilien bekamen jeweils 30 Desjatinen für ihre Wirtschaft zugeteilt. Die von der Zarin versprochenen Privilegien wurden weitgehend eingehalten: Die Siedler hatten den Status eines freien Bauern, verwalteten ihre Kolonien selbst, übten ihre Religion unbeeinträchtigt aus, bekamen materielle und finanzielle Unterstützung von Seiten der Regierung und konnten Steuer- und Zollerleichterungen in Anspruch nehmen.[45]

 

Das zweite Ansiedlungsgebiet deutscher Kolonisten war das nördliche Schwarzmeergebiet. Die ersten deutschen Siedler kamen seit 1789 aus Westpreußen, später auch aus dem Westen und Südwesten Deutschlands in diese Gegend. Insgesamt nahmen „6447 Personen in mehreren Zügen von 1789 bis 1859 über Königsberg und Riga an der Kolonisation teil.“[46] Die ersten Siedlerjahre waren äußert hart. Die Versprechen bei der Anwerbung wurden zum größten Teil nicht erfüllt: „Es stand kein Haus, das Baumaterial fehlte, Straßen und sonstige Einrichtungen der Infrastruktur waren allenfalls durch Pflöcke markiert.“[47] Die Kolonisten mussten sich an das Klima gewöhnen und Wirtschaftsmethoden entwickeln, die dem Boden in den Kolonien angepasst waren. Hinzu kam, dass die meisten Siedler keine Bauern waren, sondern in der Landwirtschaft unerfahrene Handwerker, Künstler, Kaufleute oder Gelehrte. Viele Siedler starben in den Anfangsjahren.

 

3.3    Die weitere Entwicklung im 19. Jahrhundert

 

In der Anfangszeit war die Ansiedlungspolitik von einem geringen wirtschaftlichen Erfolg gekennzeichnet. Trotz dessen hielten sich „die russischen Regierungen nach Katharina II. bis zu den frühen sechziger Jahren des 19. Jahrhunderts an der ‚Peuplierungspolitik‘, der Aufsiedlung und Kultivierung des Landes durch angeworbene Ausländer“[48] fest.  Jedoch baute man die Regelungen und Angebote für die Siedler aus, verbesserte dessen Betreuung und reformierte die materiellen sowie rechtlichen Anfangsbedingungen und die Selbstverwaltungsrechte der Kolonien.

 

Zar Paul I. (1796-1801) bemühte sich in seiner kurzen Regierungszeit die Mängel der Ansiedlung unter seinen Vorgängern zu beseitigen: Nach dem erfolglosen Versuch, „die Kolonien der  allgemein geltenden Verwaltungsordnung einzugliedern, die ein starkes Element behördlicher Beaufsichtigung und Reglementierung enthielt“[49], stellte Paul I. die Sonderverwaltung wieder her. Die versprochenen Gelder wurden ausgezahlt sowie die Rechte aller ausländischen Siedler mit den besonderen Privilegien der Mennoniten durch eine Urkunde bekräftigt.

 

Alexander I. (1801-1825) erneuerte das Einladungsmanifest Katharinas II. am 20.02.1804, stellte aber gleichzeitig Anforderungen an die Einwanderungswillige: Er lud junge und arbeitssame Bauern oder Handwerker mit Familie und einem gewissen Wohlstand nach Russland ein. „Das ganze Land sollte von ihnen profitieren, von ihrem Beitrag zur Bevölkerung, von ihren Fähigkeiten, von ihren Höfen und Betrieben, die als Musterunternehmen vorbildhaft wirken sollten.[50] Seiner Einladung folgten in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts etwa 10 000 deutsche Familien mit insgesamt 55 000 Personen. Die Neuankömmlinge gründeten Tochterkolonien, wenn die Kolonien wenig Platz für sie boten oder wandten sich in die Kaukasusregion und nach Bessarabien. Dort fanden sie meist bessere Existenzbedingungen vor.[51]

 

Die Kolonien der Deutschen waren „häufig geographisch abgeschieden, so dass sie eine wirtschaftliche, soziale, kulturelle und religiöse Homogenität durch das 19. Jahrhundert hindurch bewahren konnten.“[52] Verbindungen zu dem russischen Volk blieben weitestgehend aus.

 

Trotz der Schwierigkeiten der Anfangszeiten konnten die Kolonisten aufgrund der besonderen Agrarverfassung und Selbstverwaltung, durch Privilegien und staatliche Darlehen die Landwirtschaft effizienter betreiben als die russischen Bauern. Dennoch dauerte es im Durchschnitt zwanzig Jahre, bis die Kolonisten auf staatliche Hilfe verzichten und ihre Schulden tilgen konnten.[53]

 

3.4    Der Abbau der Privilegien der Russlanddeutschen unter

 

Alexander II. und Nikolaus II.

 

Die Entwicklung Russlands in den letzten Jahren des 19. Jahrhunderts war gekennzeichnet durch die nach der Niederlage im Krim-Krieg (1853-1856) eingeleiteten Reformen auf den Gebieten der Wirtschaft, der Gesellschaft und der Politik.[54]

 

Die Kolonien spürten die Veränderungen in der Reform der Verwaltung von 1871: Die Selbstverwaltungsrechte der Kolonien wurden aufgehoben und diese der allgemeinen...

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