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Das Mirandesische im Grenzgebiet von Spanien und Portugal

AutorAnonym
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl103 Seiten
ISBN9783668303935
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis24,99 EUR
Examensarbeit aus dem Jahr 2013 im Fachbereich Romanistik - Portugiesische Sprache, Literatur, Landeskunde, Note: 1,3, , Sprache: Deutsch, Abstract: In der vorliegenden Arbeit soll die Herkunft des Mirandesischen in Form eines allgemeinen Überblicks über seine historische Entwicklung dargelegt werden. Des Weiteren wird beleuchtet, in welchem Maß die wissenschaftlichen Arbeiten von vielen Linguist*innen zu seiner Aufwertung beigetragen haben. Darüber hinaus werden die phonetischen, morphologischen, syntaktischen und lexikalischen Merkmale des Mirandesischen im Vergleich mit dem Spanischen und Portugiesischen analysiert. Abschließend wird dargestellt, unter welchen Bedingungen das Mirandesische unterrichtet wird, und welchen Status es heute bei Kindern und Jugendlichen hat.

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Leseprobe

3. Historischer Überblick


 

Warum wird im Nordosten Portugals eine Varietät des Leonesichen gesprochen, und wieso hat diese Sprache bis heute in diesem Gebiet bestehen können? Die Antworten auf diese Fragen müssen in der historischen und sprachlichen Entwicklung des Gebietes Terra de Miranda gesucht werden.

 

Das Mirandesische ist wie andere romances auf der Iberischen Halbinsel im 6. Jahrhundert n. Chr. entstanden. Die Differenzierung aus dem Vulgärlatein beginnt nach dem Zusammenbruch des Römischen Reiches, als die Iberische Halbinsel bereits eine politische Einheit unter der Herrschaft der Westgoten bildet. Das administrative System der Römer wird größtenteils von den neuen Herrschern übernommen. Deshalb gehört das Gebiet Terra de Miranda weiterhin zum Conventus Iuridicus von Asturica Augusta (das heutige Astorga) und nicht zum Conventus Iuridicus von Bracara Augusta (das heutige Braga). (Vgl. Cahen 2009, S. 24-26)

 

Die arabische Invasion ab 711 n. Chr. hat nur geringen Einfluss auf die Region, die heute dem Nordosten Portugals entspricht. Die kirchlichen und administrativen Strukturen bleiben überwiegend erhalten und werden von den im Laufe der Reconquista entstehenden christlichen Königreichen übernommen. Terra de Miranda gehört seit dieser Zeit zu dem Königreich von León und somit zum asturisch-leonesischen Sprachsystem. Das Mirandesische existiert ursprünglich also schon vor der politischen Gründung Portugals im 12. Jahrhundert (1143). Als der selbsternannte erste König Portugals, Afonso Henriques (1109?-1185), gegenüber dem König von León die Unabhängigkeit seiner Grafschaft Condado Portucalense[2] erklärt, liegt das heutige Terra de Miranda nicht in seinem Herrschaftsgebiet. (Vgl. Santos 1967, S. 89) Jedoch führt die politische Unabhängigkeit Portugals bis Ende des 13. Jahrhunderts nicht zum Frieden. Das nordöstliche Grenzgebiet ist ständig zwischen den beiden Nachbarländern umkämpft. Dies führt dazu, dass die Region Terra de Miranda zeitweise León, zeitweise Portugal zugeschrieben wird. (Vgl. Santos 1967, S. 92)

 

Kirchlich gehört das Gebiet zwischen dem 8. und dem 13. Jahrhundert jedoch zur leonesischen Diözese Astorga. José Herculano de Carvalho und Roberto Ceolin unterstreichen sogar die Bedeutung der leonesischen Kolonisierung durch die Zisterzienser der Abteien von Moreruela und San Martín de Castañeda sowie durch den Templerorden aus Alcañices (heutige spanische Provinz Zamora). Diese Mönche erhalten von der portugiesischen Krone viele große Ländereien. Sie missionieren in der Region und hinterlassen sowohl den katholischen Glauben und die christliche Kultur, als auch ihre Sprache. (Vgl. Carvalho 21973, S. 77-78; Ceolin 2002, S. 64)

 

 

Quelle: Cahen, S.41

 

Aber auch nach der endgültigen Festschreibung der portugiesischen Staatsgrenzen in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts bleibt der Einfluss des Leonesischen bestehen. Die Inquirições[3] des portugiesischen Königs Afonso III. (1210-1279) berichten von einer Wiederbesiedlung des Gebiets des heutigen Terra de Miranda mit Menschen aus León. Darüber hinaus fördert die portugiesische Krone während des Mittelalters den Handel mit den leonesischen Gebieten nahe der Grenze. Auf Grund der geographischen Isolation ist der wirtschaftliche, soziale und familiäre Austausch zwischen der mirandesischen Bevölkerung und den Gemeinden auf der anderen Seite der Grenze viel stärker als mit der portugiesischen Bevölkerung sogar innerhalb der Provinz von Trás-os-Montes. Laut Roberto Ceolin sind es diese Faktoren, welche das jahrhundertealte Bestehen dieser Varietät des Leonesischen auf portugiesischem Territorium erklären:

 

„(...)tudo isto ajudou a que a zona hoje ocupada pelo concelho de Miranda do Douro mantivesse, (…), relações privilegiadas com as terras do antigo Reino de Leão e que a língua leonesa ocidental, idioma originário do Conventus de Asturica Augusta, se fosse reciclando em terras portuguesas, pelo menos, até ao século XVI.“ (Ceolin 2002, S. 64)

 

Mitte des 16. Jahrhunderts versucht König João III. (1502-1557) die Isolierung der Region zu verringern, indem er Miranda do Douro 1545 zur Stadt ernennt und somit zum administrativen, militärischen und kulturellen Zentrum von Terra de Miranda erhebt. Er erreicht sogar, dass Papst Paul III. die Stadt noch im selben Jahr zur Diözese aufwertet.

 

Allerdings kann die Isolation der neuen Stadt weder geographisch noch wirtschaftlich oder kulturell überwunden werden, denn es fehlt die Basis für eine Erschließung der Region, der Ausbau einer Infrastruktur. Darüber hinaus hat die Einführung des Portugiesischen als Sprache der Kirche und Verwaltung negative Folgen für die Entwicklung des Mirandesischen. Die abnehmende Bedeutung und der Rückgang der Sprache, vor allem in der Stadt, schreiten sehr schnell voran. In Miranda do Douro (Stadt) wird am Ende des 16. Jahrhunderts das Mirandesische kaum mehr gesprochen. Es wird zur inkorrekten, bäuerlichen Sprache degradiert. Vor allem ist es aber die Sprache der Analphabeten. „In der Stadt Miranda do Douro, (…), wurde das Mirandesische zwischen Anfang des 17. Jahrhunderts und der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts völlig durch das Portugiesische verdrängt.“ (Merlan 2012, S. 57)

 

Im Laufe des 18. Jahrhunderts ist der Untergang der Stadt sowie der ganzen Region nicht mehr aufzuhalten. Während des Krieges mit Spanien (1792) wird die Burg von Miranda do Douro durch eine Explosion zerstört und ein Drittel der Bevölkerung dabei getötet. Ein Jahr später verliert Miranda do Douro den Sitz des Bistums zugunsten von Bragança. Anfang des 19. Jahrhunderts wird Bragança Hauptstadt der Provinz Trás-os-Montes und somit auch Sitz der Verwaltung.

 

In seinem Werk Le Portugal bilingue stellt Michel Cahen fest: „L’histoire de la Tierra de Miranda fut sans doute, depuis le haut Moyen Âge, avant tout celle d’une marginalité.“ (Cahen 2009, S. 24) Diese jahrhundertealte Marginalität hat also geographische, wirtschaftliche und soziokulturelle Ursachen.

 

Bis Mitte des 20. Jahrhunderts ist die Region Terra de Miranda nur sehr schwer zu erreichen. Die wenigen vorhandenen Straßen sind nicht asphaltiert. Bei Regen, Schnee und Eis sind sie im Winter meist unpassierbar. Die Zugverbindung, die erst seit 1938 besteht, erreicht nicht einmal die Stadt Miranda do Douro, und der Zug fährt nur ein Mal am Tag. Auch andere öffentliche Verkehrsmittel zwischen Miranda und dem Umland fahren höchstens ein Mal täglich, falls dies überhaupt möglich ist. Es gibt keinen Strom, und auch öffentliche Wasserleitungen sind selten. Bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts gibt es kaum Industrie in der Region. Die wirtschaftliche Grundlage der Mirandes*innen bildet Landwirtschaft und Viehzucht. (Vgl. Merlan 2012, S. 58)

 

Die Menschen der Region leben jahrhundertelang isoliert in ihren Dörfern. Sie pflegen ihre Traditionen und geben auch ihre Sprache nur mündlich an die nachkommenden Generationen weiter. Ihre Sprache, das Mirandesische, hat José Leite de Vasconcelos bezeichnet als „(…) uma lingoa domestica de um povo simplez, entregue aos trabalhos ruraes, e afastado do resto de Portugal num canto da província mais atrasada, material e intellectualmente.“ (Vasconcelos 1900, S. 153)[4]

 

Die Zahl der Analphabeten in Terra de Miranda ist schon immer sehr hoch gewesen. Im Jahre 1900 stellt Vasconcelos fest, dass zu dieser Zeit 89,36% der Bevölkerung des Bezirkes Miranda do Douro und 83, 99% des Bezirks Vimioso weder lesen noch schreiben kann. Ein halbes Jahrhundert später hatte sich daran kaum etwas geändert. 1958 kommt José Herculano de Carvalho zu dem Ergebnis, dass die Schule im Leben der Mirandes*innen kaum eine Rolle spielt. (Vgl. Carvalho 1958, S. 17)

 

In Terra de Miranda bildet sich bis in das 20. Jahrhundert hinein weder das Bewusstsein eines gemeinsamen sprachlichen und kulturellen Raumes heraus, noch entwickelt sich eine Schriftsprache. Auch hat sich nie eine soziale und kulturelle Elite gebildet, die das Mirandesische hätte aufwerten können. Die Herausbildung von zwei Staatssprachen, das Portugiesische und das Spanische, führt allmählich dazu, dass sich diese Varietät auf kleine ländliche Gemeinden beschränkt. Laut Quarteu/Conde durchläuft das Mirandesische die gleiche Entwicklung wie die anderen Varietäten im asturisch-leonesischen Sprachgebiet:

 

„L’assençon de las lhénguas „fuortes“ (ó seia, apoiadas pul gobierno dun stado), l pertués i l castelhano, fizo cum que eilhas quedássen cada beç más limitadas als pequeinhos núcleos rurales.” (Quarteu/Conde 2001, S.89)

 

 

Allerdings ist es für das Überleben des Mirandesischen auch ein Vorteil, dass die politische Grenze zwischen Spanien und Portugal das Leonesische auf portugiesischem Territorium vor der rigorosen Sprachpolitik Spaniens beschützt, die das Castellano über die anderen hispanischen Sprachsysteme stellt. Hinzu kommen die jahrhundertealte Isolierung von Terra de Miranda, ihre Distanz zu allen wichtigen portugiesischen Städten, ihre wirtschaftliche und soziokulturelle Rückständigkeit, die dazu führen, dass das...

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