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Das Phänomen des Suizids in der lateinischen Literatur. Literarische Darstellung des Suizids in den philosophischen Schriften Senecas und Ciceros

AutorAnna Kuhlmann
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl89 Seiten
ISBN9783668587571
FormatPDF/ePUB
KopierschutzDRM/kein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis34,99 EUR
Masterarbeit aus dem Jahr 2014 im Fachbereich Klassische Philologie - Latinistik - Literatur, Note: 1,7, Universität Osnabrück, Sprache: Deutsch, Abstract: In seiner philosophischen Schrift De providentia (dial. I) lässt Seneca Gott in einem fiktivem Dialog erörtern, dass für die Menschen kein Grund bestehe, sich über das Dasein auf Erden zu beschweren, da sie die Freiheit hätten, jederzeit und auf jede nur erdenkliche Art und Weise ihrem Leben selbst ein Ende zu setzen. Non in alto latet spiritus nec utique ferro eruendus est; non sunt vulnere penitus inpresso scrutanda praecordia: in proximo mors est. Non certum ad hos ictus destinavi locum: quacumque vis pervium est. Ipsum illud quod vocatur mori, quo anima discedit a corpore, brevius est quam ut sentiri tanta velocitas possit: sive fauces nodus elisit, sive spiramentum aqua praeclusit, siue in caput lapsos subiacentis soli duritia comminuit, sive haustus ignis cursum animae remeantis interscidit, quidquid est, properat. (Dial. I, 6, 9) Doch attestiert die Detailverliebtheit dieser Schilderung in Bezug auf die Wege in den Tod Seneca eine morbide Faszination oder fordert er die Menschen mit solchen Worten gar dazu auf, sich das Leben zu nehmen? Im Rahmen dieser Masterarbeit soll untersucht werden, welche Auffassung von Suizid in der Antike generell vertreten und worauf mögliche Unterschiede zurückzuführen sind. Nach einer Definition des Wortes Suizid und der Betrachtung der etymologischen Herkunft soll dazu zunächst die philosophische, gesellschaftliche und juristische Akzeptanz der Selbsttötung in der Antike erarbeitet werden. Ausgehend von Kategorien verschiedener Todesarten und Motive für einen Suizid werden in einem nächsten Schritt die Positionen Senecas und Ciceros zur Selbsttötung herangezogen und anhand des Beispiels von Marcus Porcius Cato dem Jüngeren analysiert, welche Intention sie mit der literarischen Inszenierung seines Sterbens verfolgen und welcher Darstellungstechniken sie sich dazu bedienen. Ziel dieser Arbeit kann es jedoch nicht sein, den Grad der Historizität der Schilderungen zu überprüfen oder aber einen vollständigen Überblick über diese Thematik zu geben.

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Leseprobe

3 Philosophische, gesellschaftliche und juristische Akzeptanz des Suizids im antiken Griechenland und Rom


 

3.1 Die Bewertung des Suizids in der griechischen Philosophie


 

Die griechische Gesellschaft der Antike zeichnet sich durch einen distanzierten, gar furchtvollen Umgang mit Suizidenten aus, denn obwohl die Tat selbst zuweilen nicht als moralisch verwerflich galt, so wurden dennoch aus Angst unterschiedlichste Riten vollzogen. Neben der Amputation der rechten Hand, um weitere Verbrechen des Suizidenten zu verhindern, vollzog man in Athen „Reinigungsriten, [die] Verstoßung der Leiche aus der Gemeinschaft nach Verstümmelung [oder die] Tilgung der Fußspuren, um die Rückkehr des Verstorbenen zu verhindern.“[11] Darüber hinaus waren juristisch gesehen zwar in  „einige[n] Städte wie Athen, Sparta, Theben […] Strafen für die toten Körper von Selbstmördern [vorgesehen],“[12] doch die unterschiedlichen philosophischen Richtungen trugen erheblich dazu bei, Suizid zumindest unter bestimmten Umständen als legitim anzusehen. Die Differenzierungen der jeweiligen Philosophie gründen dabei auf der divergierenden Auffassung des Verhältnisses der Seele zum Körper bzw. anderer Aspekte, denen eine höhere Priorität eingeräumt wurde.

 

Die Pythagoreer etwa hielten den Suizid aus religiösen Gründen für inakzeptabel, da er sich gegen die göttliche Autorität richte. Der Gott habe den Menschen die Existenz im Körper auferlegt und der Mensch dürfe sich nicht durch seinen Suizid über die göttliche Macht hinwegsetzen, sondern müsse das Dasein im irdischen Körper solange fristen, bis der Gott ihn erlöse.[13]

 

Platon hingegen differenziert bereits zwischen Gründen, die einen Suizid legitimieren, wie etwa die Verurteilung zum Tode oder eine Situation, die das Leben aufgrund von Schmerzen, einer Zwangslage oder einer erlittenen Schande unerträglich macht,

 

λέγω δὲ ὃς ἂν ἑαυτὸν κτείνῃ, τὴν τῆς εἱμαρμένης βίᾳ ἀποστερῶν μοῖραν, μήτε πόλεως ταξάσης δίκῃ, μήτε περιωδύνῳ ἀφύκτῳ προσπεσούσῃ τύχῃ ἀναγκασθείς, μηδὲ αἰσχύνης τινὸς ἀπόρου καὶ ἀβίου μεταλαχών, ἀργίᾳ δὲ καὶ ἀνανδρίας δειλίᾳ ἑαυτῷ δίκην ἄδικον ἐπιθῇ. (Plat. leg. 873c)

 

sowie Maßnahmen, die getroffen werden sollen, wenn keiner dieser Gründe erkennbar ist, der Suizid also aus Feigheit oder mangelnder charakterlicher Stärke begangen wurde. Dann solle der Leichnam des Suizidenten ehrlos und anonym an einem abgeschiedenen Ort beigesetzt werden.[14]

 

Auch im Φαίδων behandelt Platon die Frage, unter welchen Umständen ein Suizid legitim ist, und lässt Sokrates ausgehend von dem Ansatz der Pythagoreer die Einschränkung formulieren, dass Suizid infolge einer durch Gott angezeigten Notwendigkeit ebenfalls gerechtfertigt sei.

 

ἴσως τοίνυν ταύτῃ οὐκ ἄλογον μὴ πρότερον αὑτὸν ἀποκτεινύναι δεῖν, πρὶν ἀνάγκην τινὰ θεὸς ἐπιπέμψῃ, ὥσπερ καὶ τὴν νῦν ἡμῖν παροῦσαν. (Plat. Phaid. 62c)

 

Eben dieser Argumentation bedient sich laut Platon auch Sokrates, denn seiner Auffassung nach stellt seine Verurteilung die von Gott angezeigte Notwendigkeit dar, so dass er, obwohl er dazu verurteilt wurde, sich durch das Gift des Schierlings selbst zu töten, nach antikem Denken doch einen legitimen Akt der Selbsttötung vollzieht. 

 

An anderer Stelle fügt Platon einen weiteren Aspekt hinzu, indem er Sokrates erörtern lässt, dass auch eine tödliche Krankheit mit Hinblick auf die Interessen des Staates einen Suizid rechtfertige. Als Beispiel wird Asklepios angeführt, der sich um die Heilung derer bemühe, die eine vorübergehende Erkrankung daran hindere, ihre Dienste dem Staat zur Verfügung zu stellen, aber die vernachlässige, deren Heilung aufgrund schwerwiegender Erkrankungen sowohl der betroffenen Person als auch dem Staat zum Nachteil gereichten.

 

[…] ἀλλὰ τὸν μὴ δυνάμενον ἐν τῇ καθεστηκυίᾳ  περιόδῳ ζῆν μὴ οἴεσθαι δεῖν θεραπεύειν, ὡς οὔτε αὑτῷ οὔτε πόλει λυσιτελῆ; (Plat. rep. 407d-e)

 

Die Interessen des Staates bilden auch für Aristoteles den Ausgangspunkt seiner Überlegungen, denn so gelte Suizid als ein Verbrechen gegen den Staat, da der Mensch diesem seine Dienste vorenthalte und juristisch so nicht nur sich selbst Unrecht zufüge, sondern strafwidrig gegen den Staat handle.

 

δὲ δι᾽ ὀργὴν ἑαυτὸν σφάττων ἑκὼν τοῦτο δρᾷ παρὰ τὸν ὀρθὸν λόγον, οὐκ ἐᾷ νόμος: ἀδικεῖ ἄρα. ἀλλὰ τίνα; τὴν πόλιν, αὑτὸν δ᾽ οὔ; ἑκὼν γὰρ πάσχει, ἀδικεῖται δ᾽ οὐδεὶς ἑκών. διὸ καὶ πόλις ζημιοῖ, καί τις ἀτιμία πρόσεστι τῷ ἑαυτὸν διαφθείραντι ὡς τὴν πόλιν ἀδικοῦντι. (Aristot. eth. Nic. 1138a)

 

Dass sich diese Ansicht aber keinesfalls auf die Tat selbst bezieht, sondern nur auf ihre moralische Dimension, zeigt sich daran, dass Aristoteles ähnlich wie Platon den Suizid als Selbstopferungsakt glorifiziert.

 

ἀληθὲς δὲ περὶ τοῦ σπουδαίου καὶ τὸ τῶν φίλων ἕνεκα πολλὰ πράττειν καὶ τῆς πατρίδος, κἂν δέῃ ὑπεραποθνήσκειν: προήσεται γὰρ καὶ χρήματα καὶ τιμὰς καὶ ὅλως τὰ περιμάχητα ἀγαθά, περιποιούμενος ἑαυτῷ τὸ καλόν:...

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