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Das Ressourcenbuch (Leben Lernen, Bd. 289)

Selbstheilungskräfte in der Psychotherapie erkennen und von Anfang an fördern

AutorAskan Hendrischke, Martin von Wachter
VerlagKlett-Cotta
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl177 Seiten
ISBN9783608108637
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis24,99 EUR
Die Autoren beschreiben anschaulich und praxisnah, wie eine ressourcenfokussierte Grundhaltung die Behandlung verschiedener Störungsbilder positiv beeinflusst. Die Orientierung an den Selbstheilungskräften beginnt mit der ersten Therapiestunde und bereichert alle Behandlungsphasen. Ressourcenaktivierung gilt als eine der wichtigsten Wirkfaktoren in der Psychotherapie. Wie eine konsequent an den Selbstheilungskräften orientierte Behandlung in Klinik oder Praxis aussehen kann, beschreiben die Autoren an vielen Praxisbeispielen. Die zentrale Konzeptidee ist, die individuelle Ressourcensuche und -aktivierung von der ersten Therapiestunde an einzusetzen und durch alle Behandlungsphasen fortzuführen. Viel Aufmerksamkeit ist den methodischen Fragen gewidmet: Wie funktioniert Ressourcendiagnostik genau? Was leisten spezielle Fragebögen? Welche Ressourcenart hilft wann? Zahlreiche Übungen aus dem lösungsorientiert- systemischen Kontext und neue Ressourcenübungen gewährleisten den großen Nutzen für Patientinnen und Patienten.   Dieses Buch richtet sich an: - Ärztliche und Psychologische PsychotherapeutInnen - Mitarbeitende in psychosozialen Berufen wie z. B. Sozial- und HeilpädagogInnen, ErgotherapeutInnen, LogopädInnen

Martin von Wachter, Dr. med., Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Leitender Oberarzt der Klinik für Psychosomatik und Psychotherapeutische Medizin am Ostalb-Klinikum in Aalen. Askan Hendrischke, Dr. med., Facharzt für Psychosomatische Medizin, Allgemeinmedizin und Psychotherapie, Chefarzt der Klinik für Psychosomatik und Psychotherapeutische Medizin am Ostalb-Klinikum Aalen.

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Leseprobe

Kapitel 2

Ressourcenfokussierung von Anfang an


2.1 Akzeptanz der Patientenrolle


Sucht ein Mensch psychotherapeutische Hilfe, so wird er dies in erster Linie deshalb tun, weil ihm dazu von Außenstehenden (z. B. Haus- oder Facharzt oder einer Beratungsstelle, von Angehörigen, Freunden oder Bekannten, Arbeitskollegen) geraten wurde. Auch, wenn der Betroffene auf eigene Veranlassung diesen Schritt tut, sei es durch Introspektion und eine ganzheitliche Einordnung seines Erlebens oder durch eine ausführliche Internetrecherche (z. B. bei Dr. Google) – immer wird dies im Anfangsstadium einer subjektiven motivationalen Klärung mit einer defizitorientierten Sicht seiner selbst verbunden sein, letztlich also einer emotionalen Situation, in der es sich entscheidet, ob der Betroffene die Patientenrolle akzeptieren und sich damit auf eine psychotherapeutische Beratung oder Behandlung einlassen kann. Dies wird zusätzlich dadurch gebahnt, dass Hilfesuchende sich durch eine Diagnose nach ICD (internationales Diagnosenverzeichnis der Weltgesundheitsorganisation WHO), durch eine Liste von bisher schon eingenommenen Medikamenten (z. B. Antidepressiva, Neuroleptika, Beta-Blocker oder Analgetika mit zum Teil unklarer Wirkung) oder durch das Mitführen mehr oder weniger akkurat geführter medizinischer Akten in einem defizitorientierten Mangelzustand befinden, der mit dem Begriff Krankheit etikettiert wird. Dies macht sie zu Patienten und berechtigt zu einem Leistungsbezug aus der Solidargemeinschaft der Sozialversicherungspflichtigen, mit definierter Kostenübernahme durch die gesetzlichen oder privaten Krankenkassen.

Kommt ein Hilfesuchender zu einem ambulanten Gespräch, so hat dies zunächst lediglich explorativen Charakter und beinhaltet das Angebot des Therapeuten, die Symptomatik und dazugehörende Schilderung des Patienten, unter Einbeziehung möglicher Konfliktfelder (Familie, Partnerschaft, Beruf), biographisch-narrativer Anteile und persönlichkeitsbezogener Charakteristika in einen kontextuellen Gesamtzusammenhang zu bringen, den der Patient verstehen, akzeptieren und nachvollziehen kann. Diesen Bedingungsfaktoren der Störungsgenese stellen wir von Beginn an Bedingungsfaktoren des Gelingens, also Ressourcen, gegenüber, ohne das Leid des Patienten nicht ausreichend gewürdigt zu haben.

Der Krankenrolle mit einer auf Stärken und Kompetenzen gerichteten therapeutischen Haltung mit Respekt und Wertschätzung zu begegnen, erfordert aufseiten des Therapeuten eine professionelle Kooperationsfähigkeit, verbunden mit der Bereitschaft, den Hilfesuchenden mit seinem Krankheitskonzept, seiner Störungsattribution und seiner Besserungserwartung dort abzuholen, wo er sich gerade befindet. Kann der Betroffene unter diesen Vorzeichen eine Patientenrolle für sich annehmen und akzeptieren und damit zum frühestmöglichen Zeitpunkt eine positive Beziehungserfahrung zum Therapeuten ermöglicht wird, kann sich der Patient auf dieser Basis wahrscheinlich zu einer ambulanten oder stationären Therapie entschließen, die in hohem Maße eine aktive Mitarbeit erfordert. Beziehungs- bzw. vertrauensfördernd erweist sich in diesem Zusammenhang, dass dem Patienten eine Kopie des Erstgesprächsberichtes, den der Behandler an den haus- oder fachärztlichen Kollegen oder den zuweisenden Psychotherapeuten richtet, zur Verfügung gestellt wird, wenn er dies möchte.

2.2 Auftakt der Behandlung


Als Klinik laden wir wenige Tage vor der vorgesehenen (teil-)stationären Aufnahme unsere zukünftigen Patienten zu einem ausführlichen Gespräch ein, um ihnen Gelegenheit zu geben, vorab mit einer Pflegekraft und bei Bedarf auch mit einem Arzt oder Psychologen alle organisatorischen bzw. inhaltlichen Fragen zu besprechen, die mit der geplanten Behandlung zusammenhängen. Partner oder Angehörige sind ebenfalls eingeladen, an dem Gespräch teilzunehmen. Den Patienten vermittelt die Anwesenheit ihrer Bezugspersonen Sicherheit und Halt, den Behandlern eröffnet es die Möglichkeit, weitere fremdanamnestische Angaben über den zwischenzeitlichen Krankheitsverlauf und damit verbundene Belastungen, aber auch über ge- bzw. missglückte Bewältigungsversuche der letzten Zeit zu erhalten.

Bereits in den ersten Kontakten erkundigen wir uns neben dem, was die Betroffenen als Problem, Belastung oder Beschwerde schildern, auch nach Situationen oder Phasen, in denen es ihnen weniger schlecht oder sogar etwas besser ging oder sie nicht so unter den Beschwerden gelitten haben, obwohl sie vorhanden waren. Wichtig erscheint auch, danach zu fragen, ob und wie es ihnen gelang, trotz ihrer Symptomatik aktiv zu sein, sich abzulenken, trotz der Erkrankung an sozialen Aktivitäten teilzunehmen etc.; oder aber, ob und in welchem Ausmaß sie ihre Impulse erfolgreich steuern und kontrollieren konnten. Die Aufmerksamkeit der Therapeuten richtet sich also bereits beim ersten Patientenkontakt auf Ausnahmen vom behandlungsrelevanten Beschwerdeverlauf oder -erleben (vgl. deShazer 1989).

Wenn Patienten mit dem medizinischen System in Kontakt kommen, fokussieren sie aus verständlichen Gründen in erster Linie auf ihre Symptomatik und schenken ausbleibenden Beschwerden bzw. ihren Fähigkeiten, mit den krankheitsbedingten Beeinträchtigungen zurechtzukommen, tendenziell eher wenig Beachtung. Damit beim Patienten nicht der Eindruck entsteht, die Behandler würden sich nur unzureichend für die krankheitsbedingten Belastungen und Einschränkungen interessieren, ist es wichtig, die therapeutische Grundhaltung einer ressourcenorientierten Sichtweise ausführlich zu erläutern.

Dies könnte z. B. exemplarisch mit diesen Worten geschehen:

»Wir denken, es ist gut, dass Sie sich entschlossen haben, die Behandlung Ihrer Beschwerden jetzt aktiv in Angriff zu nehmen. Wir möchten Sie in diesem Bemühen unterstützen und wünschen Ihnen, dass Ihnen diese Behandlung helfen wird, ein gutes Stück voranzukommen. Die Belastungen, denen Sie in den zurückliegenden Monaten ausgesetzt waren, sind Ausdruck einer Problematik, für die Sie verständlicherweise Hilfe suchen. Sie weisen aus unserer Sicht aber auch darauf hin, welche Kraft, Zähigkeit und Ausdauer in Ihnen steckt, sonst hätten Sie diese Zeit wohl kaum überstanden (Fokus auf unbeachtete, aber vorhandene Resilienz). Wir sind daher der Meinung, dass es wichtig ist, diese Fähigkeiten zu würdigen, selbst wenn Sie aktuell das Gefühl haben, dass Ihnen diese Ressourcen nicht zur Verfügung stehen. Für uns als Behandler ist es jedoch wichtig zu wissen, dass Ihnen diese Kraftquellen innewohnen, denn sie lassen erwarten, dass Sie Schritt für Schritt darauf aufbauen können, um sie zukünftig wieder besser nutzen zu können. Gern wollen wir uns mit Ihnen dranmachen herauszufinden, wie Sie wieder einen besseren Zugang zu diesen verschütteten Ressourcen finden können. (Fokus auf Stärken statt auf Defizite)

Dazu werden wir Sie hier im Rahmen Ihrer Behandlung zu einer Vielzahl von Aktivitäten einladen, einige werden im Einzelkontakt mit Ihrem Therapeuten, viele in den Gruppensitzungen stattfinden, manche werden Sie nur mit Ihren Mitpatienten alleine durchführen können. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass die Mitpatienten eine wichtige, oftmals leider unterschätzte Rolle in der stationären Psychotherapie spielen, denn sie sind die wahren Zeugen der Veränderungen, die hier passieren. (Fokus: Veränderung als Ressource, beobachtbar zunächst bei anderen, dann bei sich selbst)

Wichtig ist für uns auch, dass wir von Ihnen (Ihrem Partner/Ihren Angehörigen) hören konnten, dass Sie glücklicherweise nicht durchgängig 24 Stunden unter Ihren Beschwerden zu leiden hatten. Es erscheint uns lohnenswert, während Ihres Aufenthaltes genauer herauszufinden, was in diesen Phasen anders ist als sonst. Wir gehen davon aus, dass sich daraus Ideen oder Erkenntnisse ableiten lassen, die für Sie und Ihre Angehörigen zukünftig positive Optionen und Entwicklungsmöglichkeiten beinhalten können. Umgekehrt ist es natürlich von ebenso großem Interesse, aufmerksam zu beobachten, wann und in welchem Kontext sich Ihre Symptomatik verstärkt oder verschlechtert. Auch daraus lassen sich wichtige Rückschlüsse ableiten, was anders sein sollte, damit es Ihnen möglichst bald wieder besser geht. Wie Sie sehen, fühlen wir uns sehr dafür verantwortlich, Sie dabei zu unterstützen, den positiven, kraftvollen und gesunden Anteilen ihrer Persönlichkeit (wieder) mehr Achtsamkeit zu schenken....

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