Der Begriff der Schädel-Hirn-Verletzungen umfasst als diagnostischer Oberbegriff alle bei einer Krafteinwirkung möglichen Schäden des Gehirns und seiner Hüllen. So können sich auf den Kopf treffende mechanische Kräfte sowohl am äußeren Weichteilmantel, am knöchernen Gerüst des Gesichts- und Hirnschädels, als auch am Schädelinnenraum (Hirnhaut, Hirngefäße, Hirnsubstanz) auswirken. „Das Spektrum reicht von der Gehirnerschütterung über innere Blutungen bis hin zur offenen Fraktur mit Austritt von Hirnsubstanz.“[8] Die historische Annahme, Schädelbrüche seien die Todesursache bei Kopfverletzten, verlor bereits Ende des 19. Jahrhunderts an Bedeutung. So stellte Helferich[9] 1897 folgendes fest: „Während man früher glaubte, Schädelbasisfrakturen seien absolut tödliche Verletzungen, ist es jetzt durch klinische Beobachtung und durch Sektionen bewiesen, daß Schädelbasisbrüche wohl heilen können, wenn nicht durch allzu grobe Gewalt schwere Läsionen des Hirns und der großen Nervenstämme oder Hämatome innerhalb der Schädelkapsel zum Tode führen.“[10]
Frakturen der einzelnen Schädelknochen müssen nicht zwingend mit Hirnschädigungen einhergehen. Abhängig von der Lokalisation und der Ausprägung der Fraktur kann die Hirnsubstanz unverletzt bleiben. Jedoch können durch Impressionsfrakturen die unter Kalottenniveau verlagerten Knochenfragmente eine Druckschädigung des Gehirns verursachen. Kommt es durch eine Fraktur zu einer traumatisch entstandenen Verbindung zwischen dem Gehirn und der Außenwelt, so liegt eine offene Schädelhirnverletzung vor, welche als entscheidendes Kriterium die traumatische Eröffnung der Dura[11] aufweist und automatisch eine schwere Schädel-Hirnverletzung darstellt.[12] Der gesamte Schädel besteht aus 18 Einzelknochen. Der das Gehirn umschließende Hirnschädel (Neurocranium) setzt sich aus dem Schädeldach und der Schädelbasis zusammen. Der Gesichtsschädel (Viscerocranium) schließt sich dem Hirnschädel an und bildet die knöcherne Basis für Augen, Nase und Mund.[13]
Abbildung 1: Anatomie des Schädels
Quelle: http://www.diss.fu-berlin.de/2006/478/2_Schaedelanatomie.pdf
2.1.1 Frakturen der Schädelkalotte
Die Schädelkalotte (das Schädeldach) setzt sich zusammen aus dem Os frontale und temporale, dem Os parietale, dem Os occipitale, dem Os ethmoidale und Teilen der großen Flügel des Os sphenoidale. Häufige Formen dieser Schädelfrakturen sind Impressionsfrakturen bei Krafteinwirkung auf eine Aufschlagfläche von weniger als 8 cm2. Bei größerer Aufschlagfläche kommt es hingegen eher zu Kompressionsfrakturen.[14]
2.1.2 Schädelbasisfrakturen
Die Schädelbasis bildet den unteren Teil des Neurocraniums und umfasst Übergänge zur Halswirbelsäule, zum Nasen-Rachenraum und Gesichtsschädel. Die Schädelbasisfrakturen sind klinisch geprägt durch Brillenhämatome, retroaurikuläre Hämatome sowie Blut- und Liquorausfluss aus Nase, Mund und Ohr.[15] Eine typische Erscheinung sind die fronto-basalen Frakturen mit Beteiligung des Stirn- und Siebbeins sowie der vorderen Schädelbasis.
2.1.3 Frakturen der Gesichtsschädelknochen
Zu den Gesichtsschädelknochen zählen jene Knochen, welche die Augen- und Nasenhöhlen sowie die Mundhöhe bilden und somit das Gesicht formen. Dies sind im Einzelnen: Maxilla, Os palatinum, Os zygomaticum, Os lacrimale, Os nasale, Concha nasalis inferior, Vomer, Mandibula und das Os hyoideum.[16]
Bei auftretenden gedeckten Schädel-Hirn-Verletzungen wird das Gehirn in Mitleidenschaft gezogen, während jedoch die Hirnhaut unversehrt bleibt.
Abbildung 2: Aufbau des Gehirns
Quelle: http://www.neuro24.de/glossarm.htm
„Inwieweit das Gehirn von der Verletzung mitbetroffen ist, lässt sich nicht durch den äußeren Anschein erkennen. (...) Verläßlicher ist hingegen die Beurteilung der Bewusstseinslage. (...) Das Gehirn als Organ ist so empfindlich, daß es bei einer Gewalteinwirkung als erste Fehlfunktion mit einem Bewußtseinsverlust reagiert.“[17] Die meisten Verletzungsmechanismen führen aber „zu einer Reduktion der Sauerstoffversorgung und damit zur Schädigung der sehr vulnerablen zerebralen Zellstrukturen.“[18]
2.2.1 Gehirnerschütterung
Die Gehirnerschütterung ist eine reversible Hirnfunktionsschädigung, wobei nachweislich keine morphologisch fassbaren Veränderungen des Gehirns vorliegen. Es kommt zu einer mechanischen Irritation der Großhirnrinde, was als Schädel-Hirn-Trauma I. Grades klassifiziert wird. Die Commotio Cerebri äußert sich durch kurzzeitige Bewusstlosigkeit, anterograde sowie retrograde Amnesie und vegetative Beschwerden wie Erbrechen und Kopfschmerzen. Diese Symptome klingen jedoch nach kurzer Zeit restlos ab.[19]
2.2.2 Hirnsubstanzschädigung
Bei der Contusio Cerebri, welche als Schädel-Hirn-Trauma II. und III. Grades bezeichnet wird, kommt es zu einer nachweislichen morphologischen Schädigung des Gehirns, welche sich als Prellungsherd darstellt. Neben den Prellungs- oder Kontusionsherden können auch ausgedehnte und multilokuläre – die sogenannten diffusen - Hirnschäden entstehen. Abhängig von der Lokalisation der Hirnsubstanzschädigung kommt es häufig zu neurologischen Ausfällen, welche als Herdsymptome bezeichnet werden. Zudem sind intrakranielle Drucksteigerungen sowie Hirnödeme als sekundäre Hirnschädigung typische Folgen.[20] Aufgrund der Irreversibilität einer Zellschädigung im Zentral-Nervensystem ist die ursächliche Behandlung dieser primären Hirnschädigung nicht möglich. Ziel ist es daher immer, eine sekundäre Schädigung zu verhindern.[21]
2.2.3 Intrakranielle Drucksteigerung
Eine durch Druck verursachte Schädigung des Gehirns – die Compressio Cerebri – kann auf Hirnödemen oder auf Hirnblutungen basieren. Ein erhöhter intrakranieller Druck zeichnet sich durch zunehmende motorische Unruhe, Verschlechterung der Bewusstseinslage, Veränderung des Atmungsmusters, Störungen der Pupillenreaktionen sowie Bradykardie aus. Durch die Zunahme der Hirnmasse oder der Blut- und Liquormenge kommt es zu Hirnschwellungen und Abszessen.
2.2.3.1 Intrazerebrale Hämatome
Intrazerebrale Hämatome (Abb. 3), welche überall im Gehirn in unterschiedlichem Ausmaß vorkommen können, werden durch das Zerreißen von Gefäßen im Hirninneren infolge regionaler massiver Gewalteinwirkung verursacht und sind einhergehend mit Gewebszerstörungen in den entsprechenden Bereichen. Sie haben oft Halbseitensymptome wie Hemiparesen zur Folge. Auch Erbrechen, Pupillenerweiterung sowie Atem- und Bewusstseinsstörungen sind häufige Symptome.
2.2.3.2 Subdurale Hämatome
Subdurale Hämatome werden vorwiegend durch Blutungen aus Rindenprellherden mit Verletzung kortikaler Gefäße, durch Ein- oder Abrisse der Brückenvenen zwischen Hirn und harter Hirnhaut oder durch Verletzungen venöser Gefäße verursacht. Die flächenhaften Blutungen sind zwischen Gehirnoberfläche und Dura mater lokalisiert (Abb. 4) und verursachen nach Ausschöpfung der zerebralen Reserveräume eine Verschiebung des Gehirns zur Gegenseite. Häufig gehen subdurale Hämatome mit deutlich reduziertem Glasgow-Koma-Skala-Wert[22] einher.
2.2.3.3 Epidurale Hämatome
Epidurale Hämatome befinden sich zwischen der Dura mater und dem knöchernen Schädeldach (Abb. 5) und sind meist an der Stelle der Krafteinwirkung am stärksten ausgeprägt. Häufige Ursache dieser Hämatomform ist das Zerreißen der Arteria meningea media, der mittleren Hirnhautschlagader. Obwohl diese Blutung bereits mit dem traumatischen Ereignis oder unmittelbar danach einsetzt, treten klinische Symptome erst später auf. Aufgrund der anhaltenden Blutung kommt es nach einer primären Bewusstlosigkeit häufig zu einer sekundären Bewusstlosigkeit infolge des symptomfreien Intervalls. Dieses neurotraumatologische Krankheitsbild ist keine primäre Verletzung, da erst sekundär das Gehirn bei raumfordernden Blutungen durch Druckwirkung geschädigt wird.[23] Das Epiduralhämatom ist daher nur sekundär kritisch, während sonst eine folgenlose Heilung möglich ist.
2.2.3.4 Subarachnoidale Hämatome
Der Subarachnoidalraum befindet sich zwischen Arachnoidea mater und weicher Hirnhaut - der Pia mater (Abb. 6), welche die Blutgefäße für das Hirn führt. Einblutungen in diesen Bereich werden durch...