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E-Book

Das schwere Los der Leichtigkeit

Vom Kampf mit dem eigenen Körper

AutorPortia de Rossi
Verlagmvg Verlag
Erscheinungsjahr2011
Seitenanzahl350 Seiten
ISBN9783864151781
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis15,99 EUR
Portia de Rossi wog nur noch 38 Kilogramm, als sie am Set einer Hollywood-Produktion zusammenbrach. Nach außen hin war sie blond, schlank und schön, glamourös und erfolgreich. Doch innerlich war sie fast tot. Sie beschreibt unaufgeregt und eindringlich, wie der Druck Hollywoods, dünn zu sein, in Kombination mit ihrer geheim gehaltenen Homosexualität dazu führte, dass sie sich in ihrer Haut nie wohlfühlte und immer tiefer in die Magersucht hineinrutschte. Das Abnehmen wurde für sie zur einzigen Möglichkeit, Macht und Kontrolle über ihr Leben zu haben, bis es zu einer Krankheit wurde, die sie beinahe tötete und ihre Familie zerstörte. In ungewöhnlich offenen, mutigen Worten erzählt de Rossi mit erzählerischem Feingefühl ihre Geschichte und lässt uns tief in ihre Seele und ihr Leben als Hollywoodstar blicken. Sie lässt uns die verquere Logik ihres täglichen Strebens nach Perfektion verstehen und die Anstrengung wertschätzen, die sie zur Überwindung ihrer Probleme aufwenden musste. Eine erschreckende und zugleich hoffnungsvolle Geschichte für alle, die auf Kriegsfuß mit sich selbst oder ihrem Körper stehen.

Portia de Rossi wurde in Australien geboren und ist eine bekannte Hollywood-Schauspielerin. Ihre berühmteste Rolle war die der Nelle Porter in der Kultserie Ally McBeal. Sie lebt mit ihrer Ehefrau, der Moderatorin Ellen DeGeneres, in Los Angeles.

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Leseprobe

Prolog


Sie wartet nicht, bis ich wach bin. Sie dringt in mein Unterbewusstsein ein, um mich zu finden, mich hervorzuzerren. Sie packt meinen Verstand und lähmt ihn vor Angst. Schon beim Aufwachen bin ich in Panik und fürchte, der Stimme nicht korrekt antworten zu können, dieser lauten, klaren Stimme, die in meinem Kopf widerhallt wie eine Sirene, die sich nicht abstellen lässt.

Was hast du gestern Abend gegessen?

Ich war zwölf, als ich sie das erste Mal hörte, und seither ist sie mein ständiger Begleiter und blafft Befehle. Eine Feldwebelstimme, die mich antreibt, vorausmarschiert, den Takt vorgibt. Denn wenn sie keine Anweisungen kläfft, zählt sie. Sie ist berechenbar wie ein Metronom. Ich höre das Ticken verpasster Taktschläge, und in der Stille dazwischen warte ich ängstlich auf das nächste Ticken. Wie das stetige Geräusch eines tropfenden Wasserhahns zählt die Stimme in der Stille weiter, wenn ich einfach nur leise sein möchte. Sie zählt mir vor, dass ich keinen Taktschlag verpassen darf. Sie zählt mir vor, dass ich wieder dick werde, wenn das geschieht.

Frühmorgens in der Dunkelheit sind die Stimme und das Ticken immer besonders laut. Aber die Stille, die ich nicht mit Antworten füllen kann, ist sogar noch lauter. Oh Gott, was habe ich gegessen? Warum kann ich mich nicht daran erinnern?

Ich atme tief ein und aus und versuche, meinen Herzschlag zu beruhigen. Dabei füllt sich meine Nase mit abgestandenem Zigarettenqualm vom Vorabend, der sich wie ein Partygast auf dem Wohnzimmersofa schlafen gelegt hat, nachdem alle anderen nach Hause gegangen sind. Die Digitaluhr zeigt 4:06 Uhr, neun Minuten bevor der Wecker schrillt. Ich muss auf die Toilette, aber ich kann nicht aufstehen, ehe ich mich nicht daran erinnert habe, was ich zum Abendessen hatte.

Meine Pupillen weiten sich in der Dunkelheit, als ob sie in meinem Schlafzimmer nach der Antwort suchten. Aber sie finden sie nicht. Das jagt mir Angst ein. Noch während ich weiter nach der Antwort suche, führe ich meine Routinekontrolle durch: Brüste, Rippen, Magen, Hüftknochen. Ich taste hastig nach ihnen, um sicherzugehen, dass alles noch genauso ist, wie es war, eine Abwehrmaßnahme gegen eine mögliche Attacke meines von Panik umnebelten Hirns. Wenigstens habe ich geschlafen. Die letzten paar Nächte war ich dafür zu leer und zu unruhig gewesen, zu zappelig – als könne ich mich erst dann dem Schlaf überlassen, wenn ich mit Gewichten beschwert aufs Bett gedrückt würde. Jemand hatte mir gesagt, Schlafen sei gut fürs Abnehmen. Der Schlaf steuere den Stoffwechsel und lasse Fettzellen schrumpfen. Doch ich weiß wirklich nicht, warum ausgerechnet Schlafen besser sein soll, als die ganze Nacht wie beim Brustschwimmen die Beine zu bewegen. Jetzt, da ich richtig darüber nachdenke, halte ich es für völligen Blödsinn. Schwimmen, als wäre jemand hinter einem her, verbrennt bestimmt mehr Kalorien, als bewegungslos herumzuliegen wie ein fetter Faulpelz. Ich frage mich, wie lange ich so dagelegen habe: bewegungslos. Ich frage mich, ob ich heute deshalb weniger abnehme.

Ich spüre meinen Herzschlag – eins, zwei, drei –, er beschleunigt sich. Ich atme tief ein und aus, um nicht in Panik zu geraten. EIN, eins, zwei, AUS, drei, vier …

Fang an zu zählen

60

+ 30

+ 10

= 100

Ich beginne von vorne. Ich muss die verbrannten Kalorien mit einrechnen. Gestern bin ich direkt nach dem Aufstehen aufs Laufband gestiegen und in 60 Minuten elf Kilometer gelaufen, um 600 Kalorien zu verbrennen. Ich habe 60 Kalorien in Form von Haferflocken mit Süßstoff und Butterersatzspray zu mir genommen und schwarzen Kaffee mit Vanillegeschmack getrunken. Bei der Arbeit habe ich gar nichts gegessen. Mittags bin ich in meiner Garderobe eine Stunde auf dem Laufband gegangen. Mist. Nur gegangen. Aber der Ventilator, den ich mir ans Laufband montiert hatte und der mir Luft ins Gesicht blasen sollte, damit mein Make-up keinen Schaden nimmt, ist kaputtgegangen. Eigentlich stimmt das gar nicht. Tatsächlich habe ich, weil ich so faul und unorganisiert bin, einfach gewartet, bis die Batterie fast leer war und die Plastikflügel sich am Ende nur noch mit der Geschwindigkeit eines Riesenrads drehten. Ich brauche diesen Ventilator, weil ich bei meiner Maskenbildnerin sozusagen auf Bewährung bin. Zwar gelingt es mir meistens, meine Haare, die nach einem harten Workout in alle Richtungen abstehen, zu bändigen, doch die Mascara-Spuren unter meinen Augen verraten eindeutig meine Aktivitäten während der Mittagspause. Sarah hatte mich gebeten, mit dem Training in der Mittagspause aufzuhören. Ich mag Sarah, und ich möchte ihr das Leben nicht unnötig schwer machen, doch auf mein mittägliches Training zu verzichten, kommt nicht infrage. Deshalb habe ich den Ventilator gekauft und mithilfe eines Stück Seils so vor das Laufband gebastelt, dass der Wind mir bei vollen Batterien wie ein Sturm um den Kopf bläst und dafür sorgt, dass ich keine Schwierigkeiten bekomme.

Als ich mich jetzt im Bett aufsetze und in die Dunkelheit starre und mit den Füßen kleine Kreise mache, um die Kalorienverbrennung anzukurbeln, fühle ich mich niedergeschlagen und besiegt. Ich weiß, was ich gestern Abend gegessen habe. Ich weiß, was ich getan habe. All die harte Arbeit ist zunichtegemacht. Und ich bin dafür verantwortlich. Ich beginne meine Finger zu bewegen, um mir ein wenig die Panik zu nehmen, dass ich nicht sofort mit der Morgengymnastik beginnen kann, weil ich wieder feststecke und der Stimme in meinem Kopf Rede und Antwort stehen muss.

Es ist Zeit, sich mit dem gestrigen Abend auseinanderzusetzen. Es war einer jener Abende, an denen ich meinen Joghurt für die ganze Woche vorbereite. Solche Abende sind gefährlich, denn immer, wenn ich mir erlaube, mit einer großen Menge Nahrungsmittel herumzuhantieren, droht eine Katastrophe. Doch gestern Abend gab es keine Anzeichen irgendeiner Gefahr. Ich hatte meine 60-Kalorien-Portion Thunfisch wie gewöhnlich mit Stäbchen gegessen und darauf geachtet, dass die Bissen nicht größer gerieten als die Spitze der Stäbchen. Nach dem Abendessen hatte ich ein paar Zigaretten geraucht, um mir genügend Zeit zu lassen, den Thunfisch richtig zu verdauen und ein Sättigungsgefühl zu spüren. Dann ging ich völlig ohne Angst in die Küche und holte aus dem Schrank, was ich für die wöchentliche Prozedur brauchte: die Küchenwaage, acht kleine Plastikdosen, die blaue Rührschüssel, Süßstoff, meinen Messlöffel und meine Gabel. Ich nahm den Joghurt aus dem Kühlschrank, wog ihn ab und verteilte ihn gleichmäßig auf die Plastikdöschen, wobei ich jeweils einen halben Teelöffel flüssigen Süßstoff zufügte. Zufrieden stellte ich fest, dass jede Portion genau 57 Gramm wog. Dann verstaute ich die Dosen strategisch geschickt im obersten Fach des Gefrierschranks hinter eisverkrusteten Plastikbeuteln mit tiefgefrorenem Gemüse, damit ich den Joghurt nicht als Erstes sah, wenn ich die Tür des Gefrierschranks öffnete.

Bis dahin verlief alles normal.

Ich ging zurück zum Sofa und ließ ein wenig Zeit verstreichen. Ich wusste, dass die 30 Minuten, die der Joghurt brauchte, um eine perfekte Konsistenz zu erreichen, noch nicht um waren und dass es Unsinn war, schon jetzt nachzusehen. Doch genau das tat ich. Ich ging in die Küche, öffnete den Gefrierschrank und schaute hinein. Dabei nahm ich nicht nur die Portion, die ich gleich essen würde, in Augenschein. Ich schaute mir alle Portionen an.

Ich knallte die Tür des Gefrierschranks wieder zu und ging zurück ins Wohnzimmer. Dort setzte ich mich auf das dunkelgrüne Vinyl-Sofa gegenüber der Küche und rauchte vier Zigaretten hintereinander, um die Gier nach dieser eisgekühlten Süßspeise zu bekämpfen. Denn ich würde mir erst erlauben, davon zu essen, wenn ich aufgehört hatte, mich danach zu verzehren. Die ganze Zeit, während ich rauchte, wandte ich den Blick nicht vom Gefrierschrank ab – nur für den Fall, dass mein Verstand mir vorgaukelte, ich würde rauchen, während ich mich tatsächlich vollstopfte. Die Gefrierschranktür anzustarren war die einzige Möglichkeit, mir Gewissheit darüber zu verschaffen, dass ich sie nicht öffnete. Inzwischen waren die 30 Minuten definitiv um, und es war Zeit, dass ich meinen Joghurt aß. Ich wusste, dass es zu diesem Zeitpunkt am besten gewesen wäre, ganz darauf zu verzichten, denn eine Portion Joghurt stellte für mich in etwa die gleiche Versuchung dar wie ein Drink für einen Alkoholiker. Doch noch viel größer war meine Angst davor, dass das Pendel zum anderen Ende ausschlagen würde, wenn ich einen Abend ausließe. Wenn ich an einem Tag 100 Kalorien einspare, gleiche ich das am nächsten Tag mit Sicherheit mehr als wieder aus, indem ich mich vollschlage. Das weiß ich aus Erfahrung.

Um 20:05 Uhr nahm ich eine Portion Joghurt aus dem Gefrierschrank und rührte sie mit einer Gabel durch, bis die Konsistenz perfekt war. Doch anstatt den Joghurt in meine weiße Schüssel mit den grünen Blumen zu füllen, mich aufs Sofa zu setzen, ihn mit der Gabel zum Mund zu führen und jeden einzelnen Happen zu genießen, aß ich das Zeug mit einem Teelöffel über der Küchenspüle direkt aus der kleinen Plastikdose. Und ich aß schnell. Die Regelabweichung, das andere Besteck, das Tempo, in dem ich aß, ließen den Feldwebel verstummen und schufen eine Leere, in die jene Gedanken einsickerten, die ich am meisten fürchte – Gedanken, die mir eine böse, sich als Logik tarnende Kraft einflößte und die drauf und dran waren, mich mit gesundem...

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